Ein skandalöses Faktum der europäischen Politik gerät periodisch aus dem Blick: an die EU-Außengrenze stößt ein aus der Zeit gefallenes Land - das von Machthaber Lukaschenko autoritär regierte Belarus, die frühere weißrussische Sowjetrepublik. In einem fesselnden Essay, der profunde historische Analyse mit provokanten Thesen verbindet, befasst Valentin Akudowisch sich mit den Ursachen der notorisch schwachen Identität seines Landes. Dem von Regierung und demokratischer Opposition favorisierten Verständnis einer weißrussischen Nation setzt er die Idee eine Staates von freien und gleichen Bürgern unterschiedlicher Herkunft und Sprache entgegen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.04.2013Belarus verstehen
Die Republik Belarus oder Weißrussland, wie das Land zwischen Polen und Moskau hierzulande immer noch genannt wird, ist neben Moldau der wohl unbekannteste Staat Europas. Ein Staat, dessen komplexe, zutiefst europäische Geschichte und Kultur nur Eingeweihten bekannt sein dürften. Dank des infamen Präsidenten Aleksandr Lukaschenka, der seit 1994 die postsowjetische Republik mit harter Hand regiert, hat es Belarus zu einer gewissen Bekanntheit in den westlichen Medien gebracht. Der weißrussische Philosoph Valentin Akudowitsch hat 2007 einen Essay veröffentlicht, in dem er schwungvoll erörtert, warum sich in seiner Heimat das ethnokulturelle Modell bis heute nicht durchsetzte und wohl auch nicht durchsetzen wird. Für die Nationalen war dieser Essay ein Schlag ins Gesicht. Denn Akudowitsch nahm ihnen den romantischen Traum von einer ethnisch weißrussischen, dem Westen und der liberalen Demokratie zugeneigten Nation. Stattdessen postulierte er, dass die staatliche Zukunft seiner durch Brüche und Katastrophen geprägten Heimat nur auf dem Sozialen aufbauen könne - mit einer Nation als einer "Zivilgesellschaft aller Staatsbürger". Dieser Essay ist nun in einer gekürzten Version erschienen. Akudowitschs mit Verve vorgetragene Hypothesen haben durchaus ihre Schwächen, da sie sich vor allem auf Geschichts- und Kulturfragen beschränken. Für den Leser, der mit Belarus nicht vertraut ist, dürfte der Text den Blick in einen der spannendsten Kulturräume öffnen, die Europa zu bieten hat. (Valentin Akudowitsch: "Der Abwesenheitscode". Versuch, Weißrussland zu verstehen". Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 204 S., br., 15,- [Euro].)
petz
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Republik Belarus oder Weißrussland, wie das Land zwischen Polen und Moskau hierzulande immer noch genannt wird, ist neben Moldau der wohl unbekannteste Staat Europas. Ein Staat, dessen komplexe, zutiefst europäische Geschichte und Kultur nur Eingeweihten bekannt sein dürften. Dank des infamen Präsidenten Aleksandr Lukaschenka, der seit 1994 die postsowjetische Republik mit harter Hand regiert, hat es Belarus zu einer gewissen Bekanntheit in den westlichen Medien gebracht. Der weißrussische Philosoph Valentin Akudowitsch hat 2007 einen Essay veröffentlicht, in dem er schwungvoll erörtert, warum sich in seiner Heimat das ethnokulturelle Modell bis heute nicht durchsetzte und wohl auch nicht durchsetzen wird. Für die Nationalen war dieser Essay ein Schlag ins Gesicht. Denn Akudowitsch nahm ihnen den romantischen Traum von einer ethnisch weißrussischen, dem Westen und der liberalen Demokratie zugeneigten Nation. Stattdessen postulierte er, dass die staatliche Zukunft seiner durch Brüche und Katastrophen geprägten Heimat nur auf dem Sozialen aufbauen könne - mit einer Nation als einer "Zivilgesellschaft aller Staatsbürger". Dieser Essay ist nun in einer gekürzten Version erschienen. Akudowitschs mit Verve vorgetragene Hypothesen haben durchaus ihre Schwächen, da sie sich vor allem auf Geschichts- und Kulturfragen beschränken. Für den Leser, der mit Belarus nicht vertraut ist, dürfte der Text den Blick in einen der spannendsten Kulturräume öffnen, die Europa zu bieten hat. (Valentin Akudowitsch: "Der Abwesenheitscode". Versuch, Weißrussland zu verstehen". Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 204 S., br., 15,- [Euro].)
petz
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Ilma Rakusa zeigt sich erfreut über die nun vorliegende deutsche Übersetzung von Valentin Akudowitschs 2007 erschienenen Essay über Weißrussland. Der Minsker Philosoph bietet in ihren Augen wichtige Einsichten in die Widersprüche des krisengeschüttelten, von diktatorischen Verhältnissen geprägten Landes. Er vermittelt für sie zudem einen fundierten Einblick in die schwierige Geschichte Weißrusslands. Im Zentrum sieht Rakusa das Thema Nation: überzeugend führe der Autor vor Augen, dass Weißrussland ethnokulturell nie homogen war. Akudowitschs Kritik an den nationalistischen Tendenzen der Opposition und an der Vorstellung, dass die Lukaschenko-Regierung allein für die Misere des Landes verantwortlich sei, kann die Rezensentin ebenso nachvollziehen wie sein Plädoyer für mehr bürgerliche Aufklärung und Emanzipation.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Valentin Akudowitsch, der betont, es gebe keine guten Antworten, nur gute Fragen, gibt nicht nur kenntnisreich Auskunft über die verworrene Geschichte Weissrusslands, er übt zugleich Kritik an nationalistischen Tendenzen der gegenwärtigen Opposition, indem er auch eigene Positionen revidiert.«