Rund 4000 Gebäude überwiegend im Bauhausstil formen die weltberühmte "weiße Stadt" Tel Aviv. Yigal Gawzes Fotografien zeigen die Spuren, welche die Begegnung des europäischen Bauhauses mit der Kultur des Mittelmeerraums hinterlassen hat. Sie sind eine Hommage an den Bauhaus-Geist, die Avantgarde-Fotografen der 1920er-Jahre und an die gegenwärtige Aktualität der architektonischen Moderne im Städtebau. Das faszinierende Porträt der leuchtenden Stadt offenbart mit überraschenden Detailaufnahmen auch im Fragment das poetische Wesen der Bauhaus-Architektur.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Martina Wehlte sieht mit diesem Bildband des israelischen Fotografen Yigal Gawze die Utopie des Bauhaus zum Bild geworden. In Tel Aviv stehen heute rund viertausend Gebäude im Bauhaus- oder Internationalen Stil, Gawze hat die Bauten fotografiert, als sie gerade frisch renoviert worden waren. Wehlte schwelgt durchaus gern in Licht und Schönheit der Weißen Stadt, aber so ganz reicht es ihr nicht. Bedauerlich findet sie, dass Gawze nur auf Details blickt, meist aus der Untersicht des Flaneurs, jedoch keine Gesamtansichten zeigt. Ebenso fehlen ihr weiterführende Hinweise auf die Architekten, die nur namentlich im Anhang aufgeführt sind.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.06.2019So weiß war mein Haus
Häufig wird Tel Aviv wegen seiner Bauhaus-Architektur als "weiße Stadt" bezeichnet. Dabei zeigt das faszinierende Nebeneinander von leprösen, bröckelnden Fassaden und frisch geweißten Wänden und Balkonen eher eine Farbenmischung, umso mehr, als in den Vorgärten Mediterranes blüht und wuchert und an den Säulen im Erdgeschoss meist knallbunt gestrichene (oder lädiert rostige) Fahrräder lehnen. Doch auch der Bauhaus-Purismus des karg Reduzierten erfuhr in der Stadt am Mittelmeer eine Wendung ins Vermischte, Menschlichere. Die aus Ost- und Mitteleuropa vertriebenen jüdischen Architekten und Konstrukteure erfanden für ihre in Tel Aviv gestrandeten Schicksalsgenossen eine "International Style" genannte Bauart. Dieser passte sich unten anderem mit den Piloti genannten Säulen den hiesigen Heißluftverhältnissen an und ließ Meeresbrisen auf Bodenhöhe zu den Gebäuden wehen. Deren Fassaden waren mitunter sogar Schiffsbugs nachempfunden. All dies wird im Begleittext zu Yigal Gawzes Bildband "Form and Light. From Bauhaus to Tel Aviv" beschrieben, wenn auch ohne jegliche Empathie und in einem fast schon beleidigend hölzernen Stil, der im englischen Original ebenso unlesbar ist wie in der deutschen Übertragung. Umso glänzender hingegen sind die Fotografien. Im Sonnenlicht leuchtende Treppenhäuser oder schneeweiße Balkone gerade frisch renovierter Gebäude - doch nahezu jedes Bild auf eine Weise steril und antiseptisch, als stamme es aus einem Immobilien-Katalog. Tauchen, was ganz selten geschieht, Menschen auf dem Trottoir auf, sind deren Bewegungen so unglücklich fotografiert, dass sie ausgeschnittenen Silhouetten ähneln, die in einer Art Stechschritt verharren. Architektur, die doch gerade in Tel Aviv unvorstellbar ist ohne permanente Verknüpfung mit quirliger Lebenswelt, wird hier zu etwas beklemmend Leb- und Ortlosem, zu Stein gewordenem Schweigen. Ironischerweise entspricht diesem geradezu mutwilligen Verfehlen des Genius Loci der verunglückte Titel: Offensichtlich soll "From Bauhaus to Tel Aviv" an Tom Wolfes 1981 erschienenen Essay "From Bauhaus to Our House" erinnern - der freilich eine amerikanische Brachial-Polemik gegen die pauschale Übernahme europäischer Architekturideen war. Ergo: Wenn sich Halbbildung zur Prätention gesellt, entsteht ein solches Buch - von allen Coffee-table-Hervorbringungen zu Tel Aviv ist dieses gewiss das misslungenste.
mart
"Form and Light. From Bauhaus to Tel Aviv" von Yigal Gawze. Hirmer Verlag, München 2018. 120 Seiten, zahlreiche Abbildungen. Gebunden, 45 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Häufig wird Tel Aviv wegen seiner Bauhaus-Architektur als "weiße Stadt" bezeichnet. Dabei zeigt das faszinierende Nebeneinander von leprösen, bröckelnden Fassaden und frisch geweißten Wänden und Balkonen eher eine Farbenmischung, umso mehr, als in den Vorgärten Mediterranes blüht und wuchert und an den Säulen im Erdgeschoss meist knallbunt gestrichene (oder lädiert rostige) Fahrräder lehnen. Doch auch der Bauhaus-Purismus des karg Reduzierten erfuhr in der Stadt am Mittelmeer eine Wendung ins Vermischte, Menschlichere. Die aus Ost- und Mitteleuropa vertriebenen jüdischen Architekten und Konstrukteure erfanden für ihre in Tel Aviv gestrandeten Schicksalsgenossen eine "International Style" genannte Bauart. Dieser passte sich unten anderem mit den Piloti genannten Säulen den hiesigen Heißluftverhältnissen an und ließ Meeresbrisen auf Bodenhöhe zu den Gebäuden wehen. Deren Fassaden waren mitunter sogar Schiffsbugs nachempfunden. All dies wird im Begleittext zu Yigal Gawzes Bildband "Form and Light. From Bauhaus to Tel Aviv" beschrieben, wenn auch ohne jegliche Empathie und in einem fast schon beleidigend hölzernen Stil, der im englischen Original ebenso unlesbar ist wie in der deutschen Übertragung. Umso glänzender hingegen sind die Fotografien. Im Sonnenlicht leuchtende Treppenhäuser oder schneeweiße Balkone gerade frisch renovierter Gebäude - doch nahezu jedes Bild auf eine Weise steril und antiseptisch, als stamme es aus einem Immobilien-Katalog. Tauchen, was ganz selten geschieht, Menschen auf dem Trottoir auf, sind deren Bewegungen so unglücklich fotografiert, dass sie ausgeschnittenen Silhouetten ähneln, die in einer Art Stechschritt verharren. Architektur, die doch gerade in Tel Aviv unvorstellbar ist ohne permanente Verknüpfung mit quirliger Lebenswelt, wird hier zu etwas beklemmend Leb- und Ortlosem, zu Stein gewordenem Schweigen. Ironischerweise entspricht diesem geradezu mutwilligen Verfehlen des Genius Loci der verunglückte Titel: Offensichtlich soll "From Bauhaus to Tel Aviv" an Tom Wolfes 1981 erschienenen Essay "From Bauhaus to Our House" erinnern - der freilich eine amerikanische Brachial-Polemik gegen die pauschale Übernahme europäischer Architekturideen war. Ergo: Wenn sich Halbbildung zur Prätention gesellt, entsteht ein solches Buch - von allen Coffee-table-Hervorbringungen zu Tel Aviv ist dieses gewiss das misslungenste.
mart
"Form and Light. From Bauhaus to Tel Aviv" von Yigal Gawze. Hirmer Verlag, München 2018. 120 Seiten, zahlreiche Abbildungen. Gebunden, 45 Euro.
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"Gawzes lebendiges Porträt des UNESCO-Weltkulturerbes spiegelt mit beeindruckenden Farbfotografien die schlichte Eleganz der Bauhaus-Architektur. Inspirierende Detailaufnahmen von Fassaden, Fenstern, Simsen können durchaus mit bereits bekannten Schwarz-Weiß-Fotobänden der Avantgarde der 1920er-Jahre mithalten."
Norddeutscher Rundfunk
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