Spiegel-Bestseller und nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2021
Judith Hermann erzählt in ihrem neuen Roman »Daheim« von einem Aufbruch: Eine alte Welt geht verloren und eine neue entsteht.
Sie hat ihr früheres Leben hinter sich gelassen, ist ans Meer gezogen, in ein Haus für sich. Ihrem Exmann schreibt sie kleine Briefe, in denen sie erzählt, wie es ihr geht, in diesem neuen Leben im Norden. Sie schließt vorsichtige Freundschaften, versucht eine Affaire, fragt sich, ob sie heimisch werden könnte oder ob sie weiterziehen soll. Judith Hermann erzählt von einer Frau, die vieles hinter sich lässt, Widerstandskraft entwickelt und in der intensiven Landschaft an der Küste eine andere wird. Sie erzählt von der Erinnerung. Und von der Geschichte des Augenblicks, in dem das Leben sich teilt, eine alte Welt verlorengeht und eine neue entsteht.
Judith Hermann erzählt in ihrem neuen Roman »Daheim« von einem Aufbruch: Eine alte Welt geht verloren und eine neue entsteht.
Sie hat ihr früheres Leben hinter sich gelassen, ist ans Meer gezogen, in ein Haus für sich. Ihrem Exmann schreibt sie kleine Briefe, in denen sie erzählt, wie es ihr geht, in diesem neuen Leben im Norden. Sie schließt vorsichtige Freundschaften, versucht eine Affaire, fragt sich, ob sie heimisch werden könnte oder ob sie weiterziehen soll. Judith Hermann erzählt von einer Frau, die vieles hinter sich lässt, Widerstandskraft entwickelt und in der intensiven Landschaft an der Küste eine andere wird. Sie erzählt von der Erinnerung. Und von der Geschichte des Augenblicks, in dem das Leben sich teilt, eine alte Welt verlorengeht und eine neue entsteht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.06.2021Wildnis und Zuhause
Zum 50. Mal: "Schöne Aussichten"
FRANKFURT Kamtschatka? Terra incognita. Niemand auf dem Podium im Frankfurter Literaturhaus wusste mit der nordostsibirischen Halbinsel etwas anzufangen. Dabei ist unter dem Titel "An das Wilde glauben" (Matthes & Seitz) erst vor Kurzem ein Buch der Ethnografin Nastassja Martin über Kamtschatka erschienen und in der F.A.Z. gleich zweimal besprochen worden. Jetzt aber war es ein Roman, den die professionelle Tennisdame und Autorin Andrea Petkovic als Gast der Kritikerrunde "Schöne Aussichten" vorstellte, des "Flaggschiffs" des Literaturhauses, wie Programmchef Hauke Hückstädt zur 50. Ausgabe glücklich hervorhob. Nicht ganz zufällig also hat Petkovics New Yorker Nachbarin Julia Phillips ihren Kriminalroman "Das Verschwinden der Erde" (dtv) genannt. Kamtschatka ist schon verschwunden, jedenfalls aus dem Bewusstsein des Westens.
Zwei Mädchen, elf und acht Jahre alt, sind nicht mehr aufzufinden. Der Roman löst den Fall. "Ein Kaleidoskop der Persönlichkeiten an einem unbekannten Flecken der Welt", so Petkovic. Wie ein Trauerflor ziehe sich das Verschwinden der Landschaft durch den Text. Mara Delius, Literaturkritikerin der Tageszeitung Die Welt und zum letzten Mal mit dabei, lobte die "verdichtete Atmosphäre" und tadelte die "erklärenden Sätze". Hubert Spiegel, Redakteur im Feuilleton der F.A.Z., hat das Buch gern gelesen, vermisste aber mehr Auskünfte über die Indigenen und die russischen Kolonisten. Da witterte Moderator Alf Mentzer vom Hessischen Rundfunk "kulturelle Aneignung" im Roman. "Nein", rief Delius. Als gebürtige Serbin wies Petkovic noch eigens auf "die Verhältnisse zwischen Mann und Frau in einer postsowjetischen Gesellschaft" hin.
Unter dem Titel "Levys Testament" (Suhrkamp) habe Ulrike Edschmid "drei Romane in einem auf 140 Seiten" verfasst, so Spiegel. Delius stellte das Buch vor mit der Frage, die den Text durchziehe: "Wie kann ein Jude ein Zuhause finden?" Die Mutter des Protagonisten mit seiner geheimen Familien- und öffentlichen Aufstiegsgeschichte in der Opernkunst habe ja auch vorausgesagt: "Du wirst dich nie zu Hause fühlen." Petkovic hätte sich "mehr klassische Erzähltechnik" gewünscht und nannte die Autorin "eine Meisterin des Weglassens". Als die Sportlerin auf ihren Lieblingsverein Tottenham Hotspur zu sprechen kam und Mentzer die Verbindung zu einer Shakespeare-Figur in "Henry IV." zog, hatte Spiegel "einen neuen Lieblingsverein" gefunden. Dennoch wandte er ein, man müsse viel über Zeitgeschichte wissen, um der Autorin folgen zu können.
Dann stellte er Judith Hermanns neuen Roman vor, der unter dem Titel "Daheim" bei S. Fischer erschienen ist: "Auch diese plastischen Figuren haben kein Zuhause." Spiegel wusste vor allem "den Wechsel aus Präzision und Unschärfe" zu schätzen: "Spannend geschrieben und entschlackt. Das tut gut." Delius konstatierte "wenig Affekte", Mentzer sprach von einer Aversion der Autorin gegen psychologische Erklärungen. Petkovic, die Romane mit Psychologie liebt, fand das Buch "zäh", aber als "impressionistisches Gemälde" wusste sie es zu schätzen. Von "trostlosen Verhältnissen" sprach Spiegel, von einer Frau, die nur im Hafenbecken schwimme, weil sie Angst habe vor dem offenen Meer. Ein "atmosphärisches Mobile" zwischen Freiheit und Begrenzung nannte Mentzer den Roman, aber: "Gelungen." "Absolut", kam das Echo von Spiegel.
Auch J. D. Salinger mit seinem pubertierend-fluchenden "Fänger im Roggen" (Kiwi) fand allgemeines Wohlgefallen und bestand damit den "Haltbarkeitstest". Petkovic war "total verliebt" in den Außenseiter Holden Caulfield und hätte ihn am liebsten zu einem brauchbaren Menschen erzogen. Er sei ja auch im Grunde "ein gutherziger Bursche", bestätigte Spiegel und zitierte aus Hesses Rezension von 1954: Das Buch führe "vom Ekel zur Liebe". Mehr könne Dichtung nicht erreichen.
CLAUDIA SCHÜLKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zum 50. Mal: "Schöne Aussichten"
FRANKFURT Kamtschatka? Terra incognita. Niemand auf dem Podium im Frankfurter Literaturhaus wusste mit der nordostsibirischen Halbinsel etwas anzufangen. Dabei ist unter dem Titel "An das Wilde glauben" (Matthes & Seitz) erst vor Kurzem ein Buch der Ethnografin Nastassja Martin über Kamtschatka erschienen und in der F.A.Z. gleich zweimal besprochen worden. Jetzt aber war es ein Roman, den die professionelle Tennisdame und Autorin Andrea Petkovic als Gast der Kritikerrunde "Schöne Aussichten" vorstellte, des "Flaggschiffs" des Literaturhauses, wie Programmchef Hauke Hückstädt zur 50. Ausgabe glücklich hervorhob. Nicht ganz zufällig also hat Petkovics New Yorker Nachbarin Julia Phillips ihren Kriminalroman "Das Verschwinden der Erde" (dtv) genannt. Kamtschatka ist schon verschwunden, jedenfalls aus dem Bewusstsein des Westens.
Zwei Mädchen, elf und acht Jahre alt, sind nicht mehr aufzufinden. Der Roman löst den Fall. "Ein Kaleidoskop der Persönlichkeiten an einem unbekannten Flecken der Welt", so Petkovic. Wie ein Trauerflor ziehe sich das Verschwinden der Landschaft durch den Text. Mara Delius, Literaturkritikerin der Tageszeitung Die Welt und zum letzten Mal mit dabei, lobte die "verdichtete Atmosphäre" und tadelte die "erklärenden Sätze". Hubert Spiegel, Redakteur im Feuilleton der F.A.Z., hat das Buch gern gelesen, vermisste aber mehr Auskünfte über die Indigenen und die russischen Kolonisten. Da witterte Moderator Alf Mentzer vom Hessischen Rundfunk "kulturelle Aneignung" im Roman. "Nein", rief Delius. Als gebürtige Serbin wies Petkovic noch eigens auf "die Verhältnisse zwischen Mann und Frau in einer postsowjetischen Gesellschaft" hin.
Unter dem Titel "Levys Testament" (Suhrkamp) habe Ulrike Edschmid "drei Romane in einem auf 140 Seiten" verfasst, so Spiegel. Delius stellte das Buch vor mit der Frage, die den Text durchziehe: "Wie kann ein Jude ein Zuhause finden?" Die Mutter des Protagonisten mit seiner geheimen Familien- und öffentlichen Aufstiegsgeschichte in der Opernkunst habe ja auch vorausgesagt: "Du wirst dich nie zu Hause fühlen." Petkovic hätte sich "mehr klassische Erzähltechnik" gewünscht und nannte die Autorin "eine Meisterin des Weglassens". Als die Sportlerin auf ihren Lieblingsverein Tottenham Hotspur zu sprechen kam und Mentzer die Verbindung zu einer Shakespeare-Figur in "Henry IV." zog, hatte Spiegel "einen neuen Lieblingsverein" gefunden. Dennoch wandte er ein, man müsse viel über Zeitgeschichte wissen, um der Autorin folgen zu können.
Dann stellte er Judith Hermanns neuen Roman vor, der unter dem Titel "Daheim" bei S. Fischer erschienen ist: "Auch diese plastischen Figuren haben kein Zuhause." Spiegel wusste vor allem "den Wechsel aus Präzision und Unschärfe" zu schätzen: "Spannend geschrieben und entschlackt. Das tut gut." Delius konstatierte "wenig Affekte", Mentzer sprach von einer Aversion der Autorin gegen psychologische Erklärungen. Petkovic, die Romane mit Psychologie liebt, fand das Buch "zäh", aber als "impressionistisches Gemälde" wusste sie es zu schätzen. Von "trostlosen Verhältnissen" sprach Spiegel, von einer Frau, die nur im Hafenbecken schwimme, weil sie Angst habe vor dem offenen Meer. Ein "atmosphärisches Mobile" zwischen Freiheit und Begrenzung nannte Mentzer den Roman, aber: "Gelungen." "Absolut", kam das Echo von Spiegel.
Auch J. D. Salinger mit seinem pubertierend-fluchenden "Fänger im Roggen" (Kiwi) fand allgemeines Wohlgefallen und bestand damit den "Haltbarkeitstest". Petkovic war "total verliebt" in den Außenseiter Holden Caulfield und hätte ihn am liebsten zu einem brauchbaren Menschen erzogen. Er sei ja auch im Grunde "ein gutherziger Bursche", bestätigte Spiegel und zitierte aus Hesses Rezension von 1954: Das Buch führe "vom Ekel zur Liebe". Mehr könne Dichtung nicht erreichen.
CLAUDIA SCHÜLKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FAS-Rezension
Erst haben alle vom Großstadtleben geschrieben, jetzt sind Dorfromane das große Ding, meint Rezensentin Julia Encke mit Blick auf Juli Zeh, Judith Hermann und Angelika Klüssendorf. Doch egal ob Stadt oder Land, es scheint dabei immer um das eigene Leben zu gehen: von den Mittelstandsoasen in der Stadt zu den Mittelstandsoasen in der Provinz ist es ja eigentlich auch nur ein kleiner Schritt, denkt sich die Rezensentin und gähnt. Die Ur-Dorfbewohner sind dabei oft nur Staffage, klagt sie, wie bei Juli Zeh, die sie als herzerwärmende Exoten beschreibt. Die großstadtflüchtigen Protagonisten wiederum flüchten in die reine Innerlichkeit, wie bei Judith Hermann. Der Rest versinkt in "Dorfliteraturtopoi" wie bei Angelika Klüssendorf, so die angeödete Rezensentin, die sich endlich wieder mehr Welt wünscht in der deutschen Literatur. Vielleicht mal eine Reise?
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Judith Hermann hat einen ganz leichten, ganz großen Metaroman geschrieben. Er handelt von der Literatur, die erlösen soll und nicht erlöst. Adam Soboczynski Die Zeit 20210429