Öffentliche Debatten werden heutzutage per Hashtag geführt. Mit seiner Hilfe werden die Beiträge gebündelt und zugeordnet: Alles muss sich auf ein gemeinsames Schlagwort konzentrieren. Dieses Prinzip sorgt für eine stärkere Sichtbarkeit und Orientierung kollektiver Argumente, hat aber auch eine riskante und manchmal fragwürdige Konsequenz. Denn der Hashtag verstärkt formal genau das, was inhaltlich kritisiert wird: Differenzen verschwimmen und Unterschiedliches wird zu Gleichem. Zuletzt hat die #MeToo-Debatte dieses Problem sichtbar gemacht. In seiner pointierten Darstellung zeichnet Andreas Bernard die steile Karriere des Hashtags nach und zeigt überzeugend, wie unsere aktuellen Debatten durch ein Prinzip strukturiert werden, das so beiläufig wie mächtig geworden ist. Wer unsere öffentliche Diskussionskultur verstehen will, kommt an diesem Buch nicht vorbei.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.11.2018Bürgerrechte,
Werbeslogans
Andreas Bernard erkundet
„Das Diktat des #hashtags“
Die zentrale These von Andreas Bernards neuem Essay „Das Diktat des #hashtags“ erinnert an das Diktum des Medientheoretikers Marshall McLuhan, wonach das Medium selbst die Botschaft sei. Wie McLuhan betont auch Bernard, Professor für Kulturwissenschaften am Centre for Digital Studies in Lüneburg und zuletzt Autor des Buchs „Komplizen des Erkennungsdienstes“ über das „Selbst in der digitalen Kultur“, dass der mediale Rahmen den inhaltlichen Verlauf einer Debatte entscheidend prägt. Auf den Hashtag, der in der Regel aus nur einem Schlagwort oder einer knappen, pointierten Phrase (mit vorangestelltem „#“) besteht, und den Beitrag bezogen, dem er beigefügt wurde und den er mit anderen Beiträgen gleicher Hashtags vernetzt, bedeutet das nun, dass die fehlende Differenzierung in durch Hashtag angestoßenen Debatten bereits in der nivellierenden Wirkung des Hashtags selbst begründet ist.
So fragt sich Bernard, auf die „Me Too“-Debatte bezogen, ob die „wiederkehrenden Missverständnisse und Konflikte (…) angesichts dessen, was ‚Belästigung‘ oder ‚Missbrauch‘ heißt, auf die spezifische Organisation der Aussagen durch den Hashtag zurückweisen.“ Die Tendenz zur Gleichmacherei, das „Abschleifen der Differenzen“, das der Kommunikation über Schlagwörter innewohnt, bezeichnet er als das „Diktat des Hashtags“.
Dass die „Me Too“-Debatte nicht in mit Hashtags operierenden sozialen Medien ihren Ausgangspunkt hatte, sondern, ganz klassisch, in den investigativen Recherchen des New Yorker und der New York Times, erwähnt Bernard. Er berücksichtigt allerdings nicht, dass auch im weiteren Verlauf der Debatte traditionelle Medien eine entscheidende Rolle spielten. Wenn die Debatte auch auf die griffige Chiffre „Me Too“ reduziert wird, handelt es sich ja keineswegs um eine ausschließlich in den sozialen Medien geführte, und das gilt gleichermaßen für andere mit Hashtags assoziierte Debatten. Wie die diskursive Wirkungsmacht des Hashtags also über die sozialen Medien hinausgeht, damit befasst Bernard sich zu wenig, um seine Grundthese überzeugend zu untermauern.
Aber die scheint ihn auch gar nicht sonderlich zu interessieren. Sein wunderbar lesbarer Essay befasst sich mit verschiedenen Facetten des Hashtags, die sich selten direkt mit der Ausgangsthese verbinden lassen. Er entwirft eine Genealogie des Symbols „#“, zeichnet dessen Werdegang vom Erkennungszeichen für die Gewichtseinheit Pfund über seine Funktion als „Rautetaste“ auf Telefonapparaten zu seiner überraschenden Allgegenwärtigkeit als Hashtag nach. Er stellt zudem zwei Definitionen des Begriffs „Schlagwort“ auf: zum einen als thematisches Ordnungsprinzip jenseits von Werk und Autor, zum anderen als kennzeichnenden Ausdruck eines Zeitabschnitts. Im Hashtag verbindet sich beides.
Interessant sind Bernards Ausführungen über zwei scheinbar grundverschiedene Kontexte, in denen Hashtags zuletzt besonders auffällig waren: bürgerrechtliche Bewegungen und Werbekampagnen großer Unternehmen. Die partizipatorische Natur sozialer Medien und die Abwesenheit regulatorischer Instanzen ermöglichen es diskriminierten Gruppen, eine Gegenöffentlichkeit zu bilden und Selbstbeschreibungen vorzunehmen, die der dominierenden Erzählung zuwiderlaufen. Jede Person, die ein Twitter-Konto hat, kann einen Hashtag prägen; verwenden diesen daraufhin genug andere Nutzer, wird er auf der Startseite als „trending topic“ angezeigt, woraufhin noch mehr Nutzer ihn zu verwenden beginnen. Kollektive bilden sich, Menschen werden mobilisiert – das ist auch für die Unternehmen interessant; nicht nur das Fabrizieren eigener, als Markenzeichen eingetragener Hashtags zählt mittlerweile zum Bestandteil moderner Werbekampagnen, sondern auch das Aufspringen auf bereits aktive „trending topics“.
Ein Wesensmerkmal des Hashtags, das Bernard in seinem Essay nicht weiter berücksichtigt, ist dessen Eignung zur Echtzeit-Etikettierung von Ereignissen und dem Austausch darüber. Ferner scheint er zu unterschätzen, wie sehr Hashtags doch auf einer textuellen Ebene zu den Beiträgen gehören können, denen sie beigefügt werden, wie häufig sie als stilistisches Element verwendet werden und nicht in erster Linie in ihrer metatextuellen, vernetzenden Funktion. Das erwähnt Bernard zwar, jedoch nur en passant. Es hätte also gut ein noch längerer Text werden können. Vom Diktat des Hashtags ist man beim Schreiben eines Buchs ja befreit.
JAN JEKAL
Schlagworte ordnen
Debatten jenseits von
Autor und Werk
Andreas Bernard:
Das Diktat des
#hashtags. Über ein Prinzip der aktuellen Debattenbildung.
S. Fischer Verlag,
Frankfurt am Main 2018. 96 Seiten, 10 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Andreas Bernard erkundet
„Das Diktat des #hashtags“
Die zentrale These von Andreas Bernards neuem Essay „Das Diktat des #hashtags“ erinnert an das Diktum des Medientheoretikers Marshall McLuhan, wonach das Medium selbst die Botschaft sei. Wie McLuhan betont auch Bernard, Professor für Kulturwissenschaften am Centre for Digital Studies in Lüneburg und zuletzt Autor des Buchs „Komplizen des Erkennungsdienstes“ über das „Selbst in der digitalen Kultur“, dass der mediale Rahmen den inhaltlichen Verlauf einer Debatte entscheidend prägt. Auf den Hashtag, der in der Regel aus nur einem Schlagwort oder einer knappen, pointierten Phrase (mit vorangestelltem „#“) besteht, und den Beitrag bezogen, dem er beigefügt wurde und den er mit anderen Beiträgen gleicher Hashtags vernetzt, bedeutet das nun, dass die fehlende Differenzierung in durch Hashtag angestoßenen Debatten bereits in der nivellierenden Wirkung des Hashtags selbst begründet ist.
So fragt sich Bernard, auf die „Me Too“-Debatte bezogen, ob die „wiederkehrenden Missverständnisse und Konflikte (…) angesichts dessen, was ‚Belästigung‘ oder ‚Missbrauch‘ heißt, auf die spezifische Organisation der Aussagen durch den Hashtag zurückweisen.“ Die Tendenz zur Gleichmacherei, das „Abschleifen der Differenzen“, das der Kommunikation über Schlagwörter innewohnt, bezeichnet er als das „Diktat des Hashtags“.
Dass die „Me Too“-Debatte nicht in mit Hashtags operierenden sozialen Medien ihren Ausgangspunkt hatte, sondern, ganz klassisch, in den investigativen Recherchen des New Yorker und der New York Times, erwähnt Bernard. Er berücksichtigt allerdings nicht, dass auch im weiteren Verlauf der Debatte traditionelle Medien eine entscheidende Rolle spielten. Wenn die Debatte auch auf die griffige Chiffre „Me Too“ reduziert wird, handelt es sich ja keineswegs um eine ausschließlich in den sozialen Medien geführte, und das gilt gleichermaßen für andere mit Hashtags assoziierte Debatten. Wie die diskursive Wirkungsmacht des Hashtags also über die sozialen Medien hinausgeht, damit befasst Bernard sich zu wenig, um seine Grundthese überzeugend zu untermauern.
Aber die scheint ihn auch gar nicht sonderlich zu interessieren. Sein wunderbar lesbarer Essay befasst sich mit verschiedenen Facetten des Hashtags, die sich selten direkt mit der Ausgangsthese verbinden lassen. Er entwirft eine Genealogie des Symbols „#“, zeichnet dessen Werdegang vom Erkennungszeichen für die Gewichtseinheit Pfund über seine Funktion als „Rautetaste“ auf Telefonapparaten zu seiner überraschenden Allgegenwärtigkeit als Hashtag nach. Er stellt zudem zwei Definitionen des Begriffs „Schlagwort“ auf: zum einen als thematisches Ordnungsprinzip jenseits von Werk und Autor, zum anderen als kennzeichnenden Ausdruck eines Zeitabschnitts. Im Hashtag verbindet sich beides.
Interessant sind Bernards Ausführungen über zwei scheinbar grundverschiedene Kontexte, in denen Hashtags zuletzt besonders auffällig waren: bürgerrechtliche Bewegungen und Werbekampagnen großer Unternehmen. Die partizipatorische Natur sozialer Medien und die Abwesenheit regulatorischer Instanzen ermöglichen es diskriminierten Gruppen, eine Gegenöffentlichkeit zu bilden und Selbstbeschreibungen vorzunehmen, die der dominierenden Erzählung zuwiderlaufen. Jede Person, die ein Twitter-Konto hat, kann einen Hashtag prägen; verwenden diesen daraufhin genug andere Nutzer, wird er auf der Startseite als „trending topic“ angezeigt, woraufhin noch mehr Nutzer ihn zu verwenden beginnen. Kollektive bilden sich, Menschen werden mobilisiert – das ist auch für die Unternehmen interessant; nicht nur das Fabrizieren eigener, als Markenzeichen eingetragener Hashtags zählt mittlerweile zum Bestandteil moderner Werbekampagnen, sondern auch das Aufspringen auf bereits aktive „trending topics“.
Ein Wesensmerkmal des Hashtags, das Bernard in seinem Essay nicht weiter berücksichtigt, ist dessen Eignung zur Echtzeit-Etikettierung von Ereignissen und dem Austausch darüber. Ferner scheint er zu unterschätzen, wie sehr Hashtags doch auf einer textuellen Ebene zu den Beiträgen gehören können, denen sie beigefügt werden, wie häufig sie als stilistisches Element verwendet werden und nicht in erster Linie in ihrer metatextuellen, vernetzenden Funktion. Das erwähnt Bernard zwar, jedoch nur en passant. Es hätte also gut ein noch längerer Text werden können. Vom Diktat des Hashtags ist man beim Schreiben eines Buchs ja befreit.
JAN JEKAL
Schlagworte ordnen
Debatten jenseits von
Autor und Werk
Andreas Bernard:
Das Diktat des
#hashtags. Über ein Prinzip der aktuellen Debattenbildung.
S. Fischer Verlag,
Frankfurt am Main 2018. 96 Seiten, 10 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Das nur knapp 80 Seiten umfassende Werk ist leicht lesbar und gut durchdacht, anschaulich geschrieben und [...] zu empfehlen Josef König spektrum.de 20190108