Anna Wieners gefeierte Reportage über das Silicon Valley zu Zeiten des digitalen Goldrausches ist viel mehr als eine literarisch brillante Coming-of-Age-Geschichte: Ihr persönliches Protokoll entlarvt den Sexismus, die Machtbesessenheit und die Dekadenz jener Start-up-Elite, die unseren digitalen Alltag bestimmt.
"Eines der schlausten und eindrucksvollsten Bücher, die in den vergangenen Jahren über das Silicon Valley erschienen sind." - Süddeutsche Zeitung
Mit Mitte zwanzig ist Anna Wiener Teil der New Yorker Literaturszene am Ende der Nullerjahre: viele Träume und wenig Geld. Als sie zufällig einen Job bei einem Startup bekommt, steht ihr Leben plötzlich Kopf. Sie stürzt sich in den digitalen Goldrausch an der Westküste, arbeitet am Aufstieg des Hightech-Kapitalismus mit und gerät so immer tiefer in die digitale Parallelwelt des Silicon Valley. Aber je länger sie die schöne neue Startup-Welt miterlebt, desto klarer wird ihr: Im Zentrum der globalen Disruption stehen keine Ideale, sondern Hybris, Risikokapital und eine übersteigerte Männlichkeit.
- Inside Silicon Valley: als Außenseiter ins Herz der Tech-Elite
- Junge weiße Männer: wie Sexismus, Macht und Risikokapital die Start-up-Szene dominieren
- Die digitale Hybris: Ein paar Zeilen Code verändern die Welt
Anna Wiener erzählt nicht nur präzise von der Geburt des Start-Up-Kapitalismus aus dem Geist der Überheblichkeit. Sie protokolliert, wie eine Generation ihre Illusionen verlor.
"Herausragend." - New York Times
"Trotz der unangenehmen und beunruhigenden Themen - unregulierte Überwachungstechnologie, skrupellose Bosse, sexuelle Belästigung: Dieses Buch ist eine Freude." - The Guardian
"Sie ist eine scharfe Beobachterin der Unzulänglichkeiten der Tech-Szene, aber besonders gut vermittelt sie eine Gedankenwelt, die geprägt ist von dem Wunsch, nicht zu viel zu wissen." - The Atlantic
"Joan Didion bei einem Start-up." - Rebecca Solnit
"Eines der schlausten und eindrucksvollsten Bücher, die in den vergangenen Jahren über das Silicon Valley erschienen sind." - Süddeutsche Zeitung
Mit Mitte zwanzig ist Anna Wiener Teil der New Yorker Literaturszene am Ende der Nullerjahre: viele Träume und wenig Geld. Als sie zufällig einen Job bei einem Startup bekommt, steht ihr Leben plötzlich Kopf. Sie stürzt sich in den digitalen Goldrausch an der Westküste, arbeitet am Aufstieg des Hightech-Kapitalismus mit und gerät so immer tiefer in die digitale Parallelwelt des Silicon Valley. Aber je länger sie die schöne neue Startup-Welt miterlebt, desto klarer wird ihr: Im Zentrum der globalen Disruption stehen keine Ideale, sondern Hybris, Risikokapital und eine übersteigerte Männlichkeit.
- Inside Silicon Valley: als Außenseiter ins Herz der Tech-Elite
- Junge weiße Männer: wie Sexismus, Macht und Risikokapital die Start-up-Szene dominieren
- Die digitale Hybris: Ein paar Zeilen Code verändern die Welt
Anna Wiener erzählt nicht nur präzise von der Geburt des Start-Up-Kapitalismus aus dem Geist der Überheblichkeit. Sie protokolliert, wie eine Generation ihre Illusionen verlor.
"Herausragend." - New York Times
"Trotz der unangenehmen und beunruhigenden Themen - unregulierte Überwachungstechnologie, skrupellose Bosse, sexuelle Belästigung: Dieses Buch ist eine Freude." - The Guardian
"Sie ist eine scharfe Beobachterin der Unzulänglichkeiten der Tech-Szene, aber besonders gut vermittelt sie eine Gedankenwelt, die geprägt ist von dem Wunsch, nicht zu viel zu wissen." - The Atlantic
"Joan Didion bei einem Start-up." - Rebecca Solnit
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Felix Stephan zerreißt es das Herz beim Lesen von Anna Wieners Erfahrungsbericht aus dem Silicon Valley. Was die soziologisch geschulte Autorin am eigenen Leib erlebt, als sie ihren schlecht bezahlten Job in New York gegen einen gut bezahlten im Kundensupport im Valley tauscht, was sie sieht, hört, entdeckt, scheint Stephan direkt ins dunkle Herz unserer aller Existenz zu führen. Schlau und genau findet er, was und wie die Autorin alles festhält, was ihr in der Welt der Tech-Start-ups begegnet, von den T-Shirt-Motiven ihrer Kollegen bis zu den Fenstergrößen der Gebäude und der Werbung im Briefkasten. Das ist an Plastizität kaum zu überbieten, meint Stephan. Ein Memoir, das zum Instrument analytischer Feldforschung wird, meint er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.08.2020Wer schläft, begeht eine Sünde
Scheitern muss man sich leisten können: Anna Wiener blickt ins Räderwerk der Internetbranche
Anna Wiener gehört einer Generation an, die eine Welt ohne Internet und Harry Potter nicht kennt. Vielleicht ist ihr Buch über das Silicon Valley deshalb voller Voldemorts, ebenso machtvollen wie körperlosen Entitäten mit leistungsfähigen Rechtsabteilungen, die herbeigerufen werden, wenn man ihren Namen erwähnt. So ist Microsoft bei ihr nur der "äußerst prozessfreudige Software-Konzern" und Facebook "das soziale Netzwerk, das alle hassten".
Als Facebook 2012 an die Börse geht, ist Wiener fünfundzwanzig Jahre alt und arbeitet bei einem Verlag in New York. Auch er bleibt namenlos, die Heldin von "Code kaputt" wird ihn schon im ersten Kapitel verlassen, denn die Zeit, in der man als College-Absolventin seine Karriere noch im Bereich "Irgendwas mit Medien" machen konnte, war schon damals vorbei: "Wir hatten Geschmack, und wir hatten Integrität. Wir waren nervös, und wir waren pleite."
Wiener beschließt, in die Internetbranche zu wechseln, zu einem namenlosen New Yorker Start-up, das an einem Abo-Modell für E-Books arbeitet. Von dort sollte es weitergehen nach San Francisco, zu einem namenlosen Unternehmen, das eine Software zur Analyse der Nutzeraktionen auf anderen Websites anbietet, und schließlich zu einem weiteren namenlosen Projekt, das unschwer als GitHub zu erkennen ist - eine Plattform, auf der Softwareentwickler ihre Projekte ablegen, dokumentieren und veröffentlichen können.
Wieners Buch ist lesenswert, weil es den Lebenslauf eines jener Menschen dokumentiert, ohne die im Internet nicht viel funktionieren würde, die aber gerade deshalb nie im Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit stehen. Wiener beschreibt die Machtstrukturen innerhalb und außerhalb der Unternehmen und isoliert dabei bestimmte Muster, ohne in den im Politaktivisten-Twitter üblichen Unversöhnlichkeitsjargon zu verfallen: Die Öffentlichkeit ist jederzeit bereit, vermeintlichen Disruptoren und Innovatoren zuzujubeln; die - meist von Frauen erledigte - Wartungsarbeit wird bestenfalls als selbstverständlich wahrgenommen. Die IT-Branche, so Wiener, funktioniert, ihrer Disruptionsrhetorik zum Trotz, keineswegs so viel anders als der Rest der Gesellschaft.
Die Arbeitswelt in "Code kaputt" gliedert sich in drei Schichten: Die Gründer, die Top-Programmierer sowie deren auf ein Minimum beschränktes Unterstützungspersonal. Zur vertikalen Hierarchie gesellt sich noch eine zeitliche: Wer früh mit an Bord gekommen ist, erhält Aktienoptionen und hat die Chance auf dauerhafte finanzielle Absicherung. Die zeitliche Dimension lässt sich mit Geschick und Glück noch in den Griff bekommen, aber in die Sphäre der Gründer vorzustoßen, ist sehr schwierig und setzt lange Vernetzungsarbeit mit Risikokapitalgebern an Elite-Institutionen voraus.
Auch das unternehmerische Risiko sieht Anna Wiener ungleich verteilt: Sie könne jederzeit ohne Krankenversicherung auf der Straße landen, falls das Start-up ihres Arbeitgebers scheitert. Der Gründer hingegen könne sich darauf verlassen, von seinem Netzwerk von Freunden und Kapitalgebern aufgefangen zu werden. Im Silicon Valley ist das Scheitern nach wie vor erlaubt, man muss es sich nur leisten können.
Mit den Optionen zur sozialen Mobilität schwinden auch die Utopien, die bis zum Dotcom-Crash der Jahrtausendwende mit dem Internet verknüpft waren. Nicht geändert hat sich allerdings der Modus Operandi der Start-ups: Eine eng umgrenzte Idee muss in kürzester Zeit mit großen Mengen Startkapital umgesetzt werden. Während das New Yorker E-Book-Unternehmen eher nachlässig zu Werke geht, sind Wieners Arbeitgeber im Silicon Valley straffer organisiert, die Gründer halten ihr Personal mit der Aussicht auf Aktienoptionen, lustigen Büroräumen und gemeinsamen Campingausflügen bei der Stange.
Die Art, wie Zusammenhalt durch Aussicht auf schnelle Beute und Wandervogelkameradschaft hergestellt wird, erinnert an militärische Vorgehensweisen. Auch wenn es betont locker zugeht, handelt es sich dabei um eine männliche Methode: Man geht gemeinsam auf die Jagd, die temporären Unbequemlichkeiten gehören dazu und spornen sogar weiter an.
Auch Wiener macht mit, zeigt sich selbst dann von den Unternehmenszielen überzeugt, wenn diese von paranoiden Chefs mit erhöhter Penetranz abgefragt werden. Innerhalb des Systems hat das auch Sinn, denn wer sein Team härter antreibt, gewinnt das Spiel. Aus dem New Yorker E-Book-Start-up wird nichts, die härter geführten Unternehmen aus dem Silicon Valley schaffen es dagegen locker in die nächste Finanzierungsrunde.
Wiener schildert, wie sie in ihrem Job bei GitHub auf Material von Hassgruppen stößt. Sie habe die Brisanz dessen, was dort passiert sei, aber nicht erkannt, die Ressourcen ihres Moderationsteams seien zu knapp bemessen gewesen. Für Konzepte wie "Feierabend" oder "Privatsphäre" ist in der Arbeit am Netz kein Platz. Um in einer Umgebung längere Zeit halbwegs gut funktionieren zu können, in der es als Sünde gilt, zu schlafen, müssten Kommunikations- und Moderationsjobs in weltweit agierenden Organisationen drei- oder viermal so stark besetzt sein wie in einer traditionellen Firma. Das werden sie aber nicht, weil das Geld kostet, daher führt die Online-Arbeit in Wieners Welt zu einem immer breiteren Spagat zwischen den Qualitätsanforderungen und dem, was man tatsächlich noch leisten kann.
Die Internet-Branche kalkuliert mit hohem Verschleiß an Personal. Wiener schafft den Absprung, indem sie ihr Erspartes in GitHub-Aktien anlegt - bevor der Laden von Microsoft übernommen wird. Ein kleiner Etappensieg, mehr nicht. Personalverantwortliche könnten aus der Lektüre von "Code kaputt" lernen, wie man intelligente junge Frauen im Unternehmen hält. Allen anderen möge das Buch als Warnung vor den vielen kleinen Voldemorts und dem auch in kleinen Erfolgen eingepreisten Burn-out dienen.
GÜNTER HACK
Anna Wiener: "Code Kaputt". Macht und Dekadenz im Silicon Valley.
Aus dem Englischen von Cornelia Röser. Droemer Knaur Verlag, München 2020. 320 S., br., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Scheitern muss man sich leisten können: Anna Wiener blickt ins Räderwerk der Internetbranche
Anna Wiener gehört einer Generation an, die eine Welt ohne Internet und Harry Potter nicht kennt. Vielleicht ist ihr Buch über das Silicon Valley deshalb voller Voldemorts, ebenso machtvollen wie körperlosen Entitäten mit leistungsfähigen Rechtsabteilungen, die herbeigerufen werden, wenn man ihren Namen erwähnt. So ist Microsoft bei ihr nur der "äußerst prozessfreudige Software-Konzern" und Facebook "das soziale Netzwerk, das alle hassten".
Als Facebook 2012 an die Börse geht, ist Wiener fünfundzwanzig Jahre alt und arbeitet bei einem Verlag in New York. Auch er bleibt namenlos, die Heldin von "Code kaputt" wird ihn schon im ersten Kapitel verlassen, denn die Zeit, in der man als College-Absolventin seine Karriere noch im Bereich "Irgendwas mit Medien" machen konnte, war schon damals vorbei: "Wir hatten Geschmack, und wir hatten Integrität. Wir waren nervös, und wir waren pleite."
Wiener beschließt, in die Internetbranche zu wechseln, zu einem namenlosen New Yorker Start-up, das an einem Abo-Modell für E-Books arbeitet. Von dort sollte es weitergehen nach San Francisco, zu einem namenlosen Unternehmen, das eine Software zur Analyse der Nutzeraktionen auf anderen Websites anbietet, und schließlich zu einem weiteren namenlosen Projekt, das unschwer als GitHub zu erkennen ist - eine Plattform, auf der Softwareentwickler ihre Projekte ablegen, dokumentieren und veröffentlichen können.
Wieners Buch ist lesenswert, weil es den Lebenslauf eines jener Menschen dokumentiert, ohne die im Internet nicht viel funktionieren würde, die aber gerade deshalb nie im Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit stehen. Wiener beschreibt die Machtstrukturen innerhalb und außerhalb der Unternehmen und isoliert dabei bestimmte Muster, ohne in den im Politaktivisten-Twitter üblichen Unversöhnlichkeitsjargon zu verfallen: Die Öffentlichkeit ist jederzeit bereit, vermeintlichen Disruptoren und Innovatoren zuzujubeln; die - meist von Frauen erledigte - Wartungsarbeit wird bestenfalls als selbstverständlich wahrgenommen. Die IT-Branche, so Wiener, funktioniert, ihrer Disruptionsrhetorik zum Trotz, keineswegs so viel anders als der Rest der Gesellschaft.
Die Arbeitswelt in "Code kaputt" gliedert sich in drei Schichten: Die Gründer, die Top-Programmierer sowie deren auf ein Minimum beschränktes Unterstützungspersonal. Zur vertikalen Hierarchie gesellt sich noch eine zeitliche: Wer früh mit an Bord gekommen ist, erhält Aktienoptionen und hat die Chance auf dauerhafte finanzielle Absicherung. Die zeitliche Dimension lässt sich mit Geschick und Glück noch in den Griff bekommen, aber in die Sphäre der Gründer vorzustoßen, ist sehr schwierig und setzt lange Vernetzungsarbeit mit Risikokapitalgebern an Elite-Institutionen voraus.
Auch das unternehmerische Risiko sieht Anna Wiener ungleich verteilt: Sie könne jederzeit ohne Krankenversicherung auf der Straße landen, falls das Start-up ihres Arbeitgebers scheitert. Der Gründer hingegen könne sich darauf verlassen, von seinem Netzwerk von Freunden und Kapitalgebern aufgefangen zu werden. Im Silicon Valley ist das Scheitern nach wie vor erlaubt, man muss es sich nur leisten können.
Mit den Optionen zur sozialen Mobilität schwinden auch die Utopien, die bis zum Dotcom-Crash der Jahrtausendwende mit dem Internet verknüpft waren. Nicht geändert hat sich allerdings der Modus Operandi der Start-ups: Eine eng umgrenzte Idee muss in kürzester Zeit mit großen Mengen Startkapital umgesetzt werden. Während das New Yorker E-Book-Unternehmen eher nachlässig zu Werke geht, sind Wieners Arbeitgeber im Silicon Valley straffer organisiert, die Gründer halten ihr Personal mit der Aussicht auf Aktienoptionen, lustigen Büroräumen und gemeinsamen Campingausflügen bei der Stange.
Die Art, wie Zusammenhalt durch Aussicht auf schnelle Beute und Wandervogelkameradschaft hergestellt wird, erinnert an militärische Vorgehensweisen. Auch wenn es betont locker zugeht, handelt es sich dabei um eine männliche Methode: Man geht gemeinsam auf die Jagd, die temporären Unbequemlichkeiten gehören dazu und spornen sogar weiter an.
Auch Wiener macht mit, zeigt sich selbst dann von den Unternehmenszielen überzeugt, wenn diese von paranoiden Chefs mit erhöhter Penetranz abgefragt werden. Innerhalb des Systems hat das auch Sinn, denn wer sein Team härter antreibt, gewinnt das Spiel. Aus dem New Yorker E-Book-Start-up wird nichts, die härter geführten Unternehmen aus dem Silicon Valley schaffen es dagegen locker in die nächste Finanzierungsrunde.
Wiener schildert, wie sie in ihrem Job bei GitHub auf Material von Hassgruppen stößt. Sie habe die Brisanz dessen, was dort passiert sei, aber nicht erkannt, die Ressourcen ihres Moderationsteams seien zu knapp bemessen gewesen. Für Konzepte wie "Feierabend" oder "Privatsphäre" ist in der Arbeit am Netz kein Platz. Um in einer Umgebung längere Zeit halbwegs gut funktionieren zu können, in der es als Sünde gilt, zu schlafen, müssten Kommunikations- und Moderationsjobs in weltweit agierenden Organisationen drei- oder viermal so stark besetzt sein wie in einer traditionellen Firma. Das werden sie aber nicht, weil das Geld kostet, daher führt die Online-Arbeit in Wieners Welt zu einem immer breiteren Spagat zwischen den Qualitätsanforderungen und dem, was man tatsächlich noch leisten kann.
Die Internet-Branche kalkuliert mit hohem Verschleiß an Personal. Wiener schafft den Absprung, indem sie ihr Erspartes in GitHub-Aktien anlegt - bevor der Laden von Microsoft übernommen wird. Ein kleiner Etappensieg, mehr nicht. Personalverantwortliche könnten aus der Lektüre von "Code kaputt" lernen, wie man intelligente junge Frauen im Unternehmen hält. Allen anderen möge das Buch als Warnung vor den vielen kleinen Voldemorts und dem auch in kleinen Erfolgen eingepreisten Burn-out dienen.
GÜNTER HACK
Anna Wiener: "Code Kaputt". Macht und Dekadenz im Silicon Valley.
Aus dem Englischen von Cornelia Röser. Droemer Knaur Verlag, München 2020. 320 S., br., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.09.2020Unter Usern
Zeitzeugin der digitalen Revolution: Anna Wiener beschreibt
„Macht und Dekadenz im Silicon Valley“
VON FELIX STEPHAN
Obwohl es in den USA allgegenwärtig ist, hat das „Memoir“ in Europa einen miserablen Ruf, den es sich überwiegend selbst zuzuschreiben hat. Memoirs erzählen in der Regel eine erschütternde oder ermutigende persönliche Geschichte und auf dem Cover ist die Autorin abgebildet. Die Sache ist nun aber die, dass eines der schlausten und eindrucksvollsten Bücher, die in den vergangenen Jahren über das Silicon Valley erschienen sind, auch ein Memoir ist und das sogar ganz absichtsvoll. Das Buch heißt „Uncanny Valley“, stammt von der amerikanischen Autorin Anna Wiener und trägt auf Deutsch den niederschmetternden Titel „Code kaputt“.
In dem Buch erzählt Anna Wiener, wie sie Mitte der Nullerjahre als Assistentin in der scheintoten New Yorker Verlagsbranche arbeitet und dort vor allem für das leibliche Wohl ihrer Vorgesetzten zuständig ist. Als ihr aufgeht, dass sich an dieser Situation bis auf Weiteres auch nichts ändern wird, weil der Nachwuchs an jungen Geisteswissenschaftlerinnen, die für den Glanz der Literaturnähe zu arbeiten bereit sind, unerschöpflich ist, entscheidet sie sich für eine profane Tätigkeit, die aber wenigstens bezahlt wird: Sie fängt bei dem E-Book-Start-up „Oyster“ an. Bis auf das beißende Gefühl, einen Verrat an sich selbst begangen zu haben, geht es ihr dort überraschend gut. Als die Firma ein paar Jahre später für kolportierte 30 Millionen Dollar verkauft wird und in dem Kosmos von Google Play Books aufgeht, lebt sie in San Francisco, arbeitet bei Github und verdient für eine Tätigkeit im Kundensupport, die sie als nicht besonders anspruchsvoll empfindet, mehr als 100 000 Dollar im Jahr. Insgesamt fällt ihr der Seitenwechsel leichter als erwartet, nur gelegentlich heult sie auf der Bürotoilette.
Aus all den anderen Silicon-Valley-Büchern, die rund um die Uhr erscheinen, ragt „Uncanny Valley“ unter anderem deswegen heraus, weil es keine These hat und erst recht nichts aufdecken will. Das erzählerische Projekt ist ein anderes: Anna Wiener versucht auf fast protokollarische Weise aus dem seltsamen Zufall schlau zu werden, dass sie Zeitzeugin der digitalen Revolution ist. Und weil sie keine Indizien sammelt, sondern Beobachtungen, ist sie in erster Linie mit Widersprüchen konfrontiert. Weil jedes Detail bedeutsam sein kann für das Verständnis dessen, was das Silicon Valley einst gewesen sein wird, notiert Wiener die T-Shirt-Motive ihrer Kollegen, die Größe der Fenster ihrer 25-Quadratmeter-Wohnungen, die Berufe der Nachbarn und der Vormieter, den Wortlaut und die Schriftarten der Maklerwerbung in ihrem Briefkasten, die Zimmerbelegung der Ski-Ausflüge nach Tahoe, die ihre Arbeitgeber für die ganze Belegschaft organisieren. Sie protokolliert Begegnungen, die Techniken der Anbahnung und Freundschaften.
Zu einem ihrer engsten Freunde in San Francisco wird „Patrick“, der leicht als Patrick Collison erkennbar ist, der 1988 geborene Gründer des Bezahldienstes „Stripe“, einer der jüngsten Milliardäre der Welt. Als sie auf einer Party einmal ein Mann anspricht, um ihr von seinem Stadtentwicklungsprojekt zu erzählen, für das er nur noch 50 Millionen Dollar brauche, fallen ihr auf seinem T-Shirt rechtwinklige Falten auf, „als hätte er es noch am selben Tag bestellt und erst vor einer Stunde ausgepackt, raffinierte Nachlässigkeit in Zeiten von on demand“, und allein in dieser Beobachtung versteht man mehr über die Plastizität dieser Sphäre als auf 400 Seiten von Dave Eggers. Wiener ist von Haus aus Soziologin und auch deshalb klingt das Buch immer wieder wie eine teilnehmende Beobachtung am eigenen Leben. Das Memoir wird in ihren Händen zu einem Instrument analytischer Feldforschung und die Zusammenhänge ergeben sich aus der bloßen Anhäufung der Dinge wie von selbst, als wollte sich die Wirklichkeit demjenigen nur umso dringender mitteilen, der keine Fragen an sie richtet.
In einem Datenanalyse-Start-up arbeitet sie im Kundensupport, was in der Hierarchie der Branche als läppische Nebentätigkeit gilt, weil es keine Entwicklertätigkeit ist. Aber es verschafft ihr eine besondere Perspektive. Zu ihren Kunden zählen zahlreiche andere Firmen aus dem Silicon Valley und um deren Probleme zu beheben, muss sie auf deren Systeme zugreifen und gewissermaßen in den Maschinenraum hinabsteigen, um dort direkt Hand anzulegen am Allerheiligsten: dem Code. Auf diese Weise erhält sie Einblicke, die ihr eigentlich zu weit gehen. Firmen, die als aufsteigender Stern gelten, haben in Wahrheit kaum Kunden, andere generieren im Stillen stabil Umsätze. Wieso durfte sie das alles sehen und wissen, wieso kontrollierte sie niemand? Außerhalb ihrer Selbstgespräche werden diese Fragen nicht gestellt. „Niemand benutzte je das Wort ‚Insiderhandel‘.“
Ein anderes Wort, das niemand je benutzt, lautet „Überwachung“. Erst als Edward Snowden die Totalüberwachung der NSA bekannt macht, die ohne das Silicon Valley nicht möglich wäre, regt sich unter den Angestellten so etwas wie ein kritisches Bewusstsein. Anna Wiener bemerkt es an sich selbst und an den Bemerkungen ihrer Kollegen. Als sie sich einmal mit einem Kollegen trifft, der entlassen worden war, nachdem er mehr Firmenanteile gefordert hatte, berichtet er, dass er jetzt wenigstens ein besseres Gewissen habe: „Ich fragte ihn, was er damit meinte. ,Na komm‘, sagte er, ‚wir haben in einer Überwachungsfirma gearbeitet.‘“
Drei Dinge sind Anna Wiener unheimlich im „Uncanny Valley“, und sie gehen auseinander hervor: Zum einen die absurde Machtkonzentration in den Händen weißer, amerikanischer Männer in ihren Zwanzigern. Wiener ist geradezu umzingelt von ihnen, „hauptsächlich Männer. Männer hüben wie drüben. Männer auf der ganzen Linie.“ Zurzeit kann man sich diese Männer auch selbst anschauen, in der Dokumentation „The Social Dilemma“, in dem ehemalige hochrangige Mitarbeiter von Facebook, Google, Twitter und einigen anderen Unternehmen erklären, warum sie ihre eigenen Kinder von Smartphones tunlichst fernhalten. Anna Wiener taucht in der Dokumentation nicht auf, obwohl sich eine der zentralen Oneliner des Films auch in ihrem Buch findet: Außer den Softwarekonzernen nennen nur noch Drogenhändler ihre Kunden „User“.
Von Kurt Vonnegut stammt die Bemerkung, dass die eigentliche Hölle darin bestehe, eines Morgens aufzuwachen und festzustellen, dass die eigene Schulklasse die Geschicke des Landes lenkt, und ungefähr dieselbe Erfahrung macht Anna Wiener, als sie beobachtet, wie um sie herum skateboardende Techno-Enthusiasten in Kapuzenpullovern ganze Industrien abschaffen. Dass sich unter ihren Kollegen so viele ehemalige Doktoranden und Mittelschullehrer, Pflichtverteidiger und Kammersänger aus allen Teilen des Landes befinden, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass diese Branchen dem Nachwuchs keine verheißungsvolle Perspektive mehr anzubieten haben und ihr selbst ist es ja genauso gegangen.
Zum anderen ist es die dubiose Einfalt dieser Leute, wenn es um Gesellschaftsentwürfe geht. Jedes Start-up, jede Initiative geht von der Prämisse aus, dass das erste Interesse des Menschen darin besteht, seine individuelle Produktivität und Effizienz zu maximieren, wodurch beispielsweise ernsthafte Debatten über Designerbabys möglich werden, „die auf Attraktivität hin optimiert wurden, ohne das Thema Hautfarbe oder die Geschichte der Eugenik auch nur anzusprechen“.
Und schließlich die Verwandlung, die sie selbst durchläuft. Eine Therapeutin in Berkeley eröffnet die Sitzung einmal mit der Frage, ob sie sich ihrer Einschätzung nach selber hasse: „Ziemlich starker Einstieg für die erste Sitzung, dachte ich, doch schon am nächsten Tag ertappte ich mich dabei, wie ich einem Haufen Risikokapitalgeber auf der Microblogging-Plattform folgte.“ Die Episode, in der Anna Wiener nach ihrer Verwandlung zurück nach New York zu ihren alten Freunden fliegt, die in Brooklyner Hinterhoftheatern nach wie vor ausdrucksstarke Inszenierungen auf die Bühne bringen, ist dann tatsächlich einigermaßen herzzerreißend. Ihre Freunde berichten ihr von seltsamen Zufällen, die sich in der Nähe ihrer Smartphones zugetragen haben: Twitter zeigte ihnen Werbung für ein Produkt an, das sie gerade gekauft hatten, eine Fotosharing-App schlug ihnen vor, sich mit einem verlorenen Bekannten zu vernetzen, den sie gerade in der U-Bahn gesehen hatten. Anna Wiener erlebt diese Gespräche so: „Ich blickte in die verwirrten Gesichter von klugen, hoffnungsvollen, gut informierten Mitgliedern der Zivilgesellschaft, die mir gegenübersaßen, und dachte bestürzt: Sie wissen es wirklich nicht.“
Anna Wiener: Code kaputt. Macht und Dekadenz im Silicon Valley. Aus dem amerikanischen Englisch von Cornelia Röser. Droemer Verlag, München 2020. 320 Seiten, 18 Euro.
Nur gelegentlich heult
sie nach dem Branchenwechsel
auf der Bürotoilette
Die Gesellschaftsentwürfe
dieser Leute sind von
dubioser Einfalt
Anna Wiener
berichtet heute als
Tech-Korrespondentin aus San Francisco für den New Yorker.
Foto: Russell Perkins/Droemer Knaur
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Zeitzeugin der digitalen Revolution: Anna Wiener beschreibt
„Macht und Dekadenz im Silicon Valley“
VON FELIX STEPHAN
Obwohl es in den USA allgegenwärtig ist, hat das „Memoir“ in Europa einen miserablen Ruf, den es sich überwiegend selbst zuzuschreiben hat. Memoirs erzählen in der Regel eine erschütternde oder ermutigende persönliche Geschichte und auf dem Cover ist die Autorin abgebildet. Die Sache ist nun aber die, dass eines der schlausten und eindrucksvollsten Bücher, die in den vergangenen Jahren über das Silicon Valley erschienen sind, auch ein Memoir ist und das sogar ganz absichtsvoll. Das Buch heißt „Uncanny Valley“, stammt von der amerikanischen Autorin Anna Wiener und trägt auf Deutsch den niederschmetternden Titel „Code kaputt“.
In dem Buch erzählt Anna Wiener, wie sie Mitte der Nullerjahre als Assistentin in der scheintoten New Yorker Verlagsbranche arbeitet und dort vor allem für das leibliche Wohl ihrer Vorgesetzten zuständig ist. Als ihr aufgeht, dass sich an dieser Situation bis auf Weiteres auch nichts ändern wird, weil der Nachwuchs an jungen Geisteswissenschaftlerinnen, die für den Glanz der Literaturnähe zu arbeiten bereit sind, unerschöpflich ist, entscheidet sie sich für eine profane Tätigkeit, die aber wenigstens bezahlt wird: Sie fängt bei dem E-Book-Start-up „Oyster“ an. Bis auf das beißende Gefühl, einen Verrat an sich selbst begangen zu haben, geht es ihr dort überraschend gut. Als die Firma ein paar Jahre später für kolportierte 30 Millionen Dollar verkauft wird und in dem Kosmos von Google Play Books aufgeht, lebt sie in San Francisco, arbeitet bei Github und verdient für eine Tätigkeit im Kundensupport, die sie als nicht besonders anspruchsvoll empfindet, mehr als 100 000 Dollar im Jahr. Insgesamt fällt ihr der Seitenwechsel leichter als erwartet, nur gelegentlich heult sie auf der Bürotoilette.
Aus all den anderen Silicon-Valley-Büchern, die rund um die Uhr erscheinen, ragt „Uncanny Valley“ unter anderem deswegen heraus, weil es keine These hat und erst recht nichts aufdecken will. Das erzählerische Projekt ist ein anderes: Anna Wiener versucht auf fast protokollarische Weise aus dem seltsamen Zufall schlau zu werden, dass sie Zeitzeugin der digitalen Revolution ist. Und weil sie keine Indizien sammelt, sondern Beobachtungen, ist sie in erster Linie mit Widersprüchen konfrontiert. Weil jedes Detail bedeutsam sein kann für das Verständnis dessen, was das Silicon Valley einst gewesen sein wird, notiert Wiener die T-Shirt-Motive ihrer Kollegen, die Größe der Fenster ihrer 25-Quadratmeter-Wohnungen, die Berufe der Nachbarn und der Vormieter, den Wortlaut und die Schriftarten der Maklerwerbung in ihrem Briefkasten, die Zimmerbelegung der Ski-Ausflüge nach Tahoe, die ihre Arbeitgeber für die ganze Belegschaft organisieren. Sie protokolliert Begegnungen, die Techniken der Anbahnung und Freundschaften.
Zu einem ihrer engsten Freunde in San Francisco wird „Patrick“, der leicht als Patrick Collison erkennbar ist, der 1988 geborene Gründer des Bezahldienstes „Stripe“, einer der jüngsten Milliardäre der Welt. Als sie auf einer Party einmal ein Mann anspricht, um ihr von seinem Stadtentwicklungsprojekt zu erzählen, für das er nur noch 50 Millionen Dollar brauche, fallen ihr auf seinem T-Shirt rechtwinklige Falten auf, „als hätte er es noch am selben Tag bestellt und erst vor einer Stunde ausgepackt, raffinierte Nachlässigkeit in Zeiten von on demand“, und allein in dieser Beobachtung versteht man mehr über die Plastizität dieser Sphäre als auf 400 Seiten von Dave Eggers. Wiener ist von Haus aus Soziologin und auch deshalb klingt das Buch immer wieder wie eine teilnehmende Beobachtung am eigenen Leben. Das Memoir wird in ihren Händen zu einem Instrument analytischer Feldforschung und die Zusammenhänge ergeben sich aus der bloßen Anhäufung der Dinge wie von selbst, als wollte sich die Wirklichkeit demjenigen nur umso dringender mitteilen, der keine Fragen an sie richtet.
In einem Datenanalyse-Start-up arbeitet sie im Kundensupport, was in der Hierarchie der Branche als läppische Nebentätigkeit gilt, weil es keine Entwicklertätigkeit ist. Aber es verschafft ihr eine besondere Perspektive. Zu ihren Kunden zählen zahlreiche andere Firmen aus dem Silicon Valley und um deren Probleme zu beheben, muss sie auf deren Systeme zugreifen und gewissermaßen in den Maschinenraum hinabsteigen, um dort direkt Hand anzulegen am Allerheiligsten: dem Code. Auf diese Weise erhält sie Einblicke, die ihr eigentlich zu weit gehen. Firmen, die als aufsteigender Stern gelten, haben in Wahrheit kaum Kunden, andere generieren im Stillen stabil Umsätze. Wieso durfte sie das alles sehen und wissen, wieso kontrollierte sie niemand? Außerhalb ihrer Selbstgespräche werden diese Fragen nicht gestellt. „Niemand benutzte je das Wort ‚Insiderhandel‘.“
Ein anderes Wort, das niemand je benutzt, lautet „Überwachung“. Erst als Edward Snowden die Totalüberwachung der NSA bekannt macht, die ohne das Silicon Valley nicht möglich wäre, regt sich unter den Angestellten so etwas wie ein kritisches Bewusstsein. Anna Wiener bemerkt es an sich selbst und an den Bemerkungen ihrer Kollegen. Als sie sich einmal mit einem Kollegen trifft, der entlassen worden war, nachdem er mehr Firmenanteile gefordert hatte, berichtet er, dass er jetzt wenigstens ein besseres Gewissen habe: „Ich fragte ihn, was er damit meinte. ,Na komm‘, sagte er, ‚wir haben in einer Überwachungsfirma gearbeitet.‘“
Drei Dinge sind Anna Wiener unheimlich im „Uncanny Valley“, und sie gehen auseinander hervor: Zum einen die absurde Machtkonzentration in den Händen weißer, amerikanischer Männer in ihren Zwanzigern. Wiener ist geradezu umzingelt von ihnen, „hauptsächlich Männer. Männer hüben wie drüben. Männer auf der ganzen Linie.“ Zurzeit kann man sich diese Männer auch selbst anschauen, in der Dokumentation „The Social Dilemma“, in dem ehemalige hochrangige Mitarbeiter von Facebook, Google, Twitter und einigen anderen Unternehmen erklären, warum sie ihre eigenen Kinder von Smartphones tunlichst fernhalten. Anna Wiener taucht in der Dokumentation nicht auf, obwohl sich eine der zentralen Oneliner des Films auch in ihrem Buch findet: Außer den Softwarekonzernen nennen nur noch Drogenhändler ihre Kunden „User“.
Von Kurt Vonnegut stammt die Bemerkung, dass die eigentliche Hölle darin bestehe, eines Morgens aufzuwachen und festzustellen, dass die eigene Schulklasse die Geschicke des Landes lenkt, und ungefähr dieselbe Erfahrung macht Anna Wiener, als sie beobachtet, wie um sie herum skateboardende Techno-Enthusiasten in Kapuzenpullovern ganze Industrien abschaffen. Dass sich unter ihren Kollegen so viele ehemalige Doktoranden und Mittelschullehrer, Pflichtverteidiger und Kammersänger aus allen Teilen des Landes befinden, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass diese Branchen dem Nachwuchs keine verheißungsvolle Perspektive mehr anzubieten haben und ihr selbst ist es ja genauso gegangen.
Zum anderen ist es die dubiose Einfalt dieser Leute, wenn es um Gesellschaftsentwürfe geht. Jedes Start-up, jede Initiative geht von der Prämisse aus, dass das erste Interesse des Menschen darin besteht, seine individuelle Produktivität und Effizienz zu maximieren, wodurch beispielsweise ernsthafte Debatten über Designerbabys möglich werden, „die auf Attraktivität hin optimiert wurden, ohne das Thema Hautfarbe oder die Geschichte der Eugenik auch nur anzusprechen“.
Und schließlich die Verwandlung, die sie selbst durchläuft. Eine Therapeutin in Berkeley eröffnet die Sitzung einmal mit der Frage, ob sie sich ihrer Einschätzung nach selber hasse: „Ziemlich starker Einstieg für die erste Sitzung, dachte ich, doch schon am nächsten Tag ertappte ich mich dabei, wie ich einem Haufen Risikokapitalgeber auf der Microblogging-Plattform folgte.“ Die Episode, in der Anna Wiener nach ihrer Verwandlung zurück nach New York zu ihren alten Freunden fliegt, die in Brooklyner Hinterhoftheatern nach wie vor ausdrucksstarke Inszenierungen auf die Bühne bringen, ist dann tatsächlich einigermaßen herzzerreißend. Ihre Freunde berichten ihr von seltsamen Zufällen, die sich in der Nähe ihrer Smartphones zugetragen haben: Twitter zeigte ihnen Werbung für ein Produkt an, das sie gerade gekauft hatten, eine Fotosharing-App schlug ihnen vor, sich mit einem verlorenen Bekannten zu vernetzen, den sie gerade in der U-Bahn gesehen hatten. Anna Wiener erlebt diese Gespräche so: „Ich blickte in die verwirrten Gesichter von klugen, hoffnungsvollen, gut informierten Mitgliedern der Zivilgesellschaft, die mir gegenübersaßen, und dachte bestürzt: Sie wissen es wirklich nicht.“
Anna Wiener: Code kaputt. Macht und Dekadenz im Silicon Valley. Aus dem amerikanischen Englisch von Cornelia Röser. Droemer Verlag, München 2020. 320 Seiten, 18 Euro.
Nur gelegentlich heult
sie nach dem Branchenwechsel
auf der Bürotoilette
Die Gesellschaftsentwürfe
dieser Leute sind von
dubioser Einfalt
Anna Wiener
berichtet heute als
Tech-Korrespondentin aus San Francisco für den New Yorker.
Foto: Russell Perkins/Droemer Knaur
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