Ausgezeichnet mit dem PRIX FEMINA ETRANGER 2021
Fünf Jahre war der Autor Ahmet Altan - das Gesicht der türkischen Opposition - eingekerkert. Aber seine Sehnsucht nach Leben wurde zu seinem Rettungsanker, und jede Zeile, die er im Gefängnis schrieb, zeugt davon, in seinen Essays im 2018 erschienenen Band »Ich werde die Welt nie wiedersehen« ebenso wie in seinem neuen Roman.
Hayat ist eine lebenskluge Frau. Ihre Erfahrungen haben sie eigenwillig und stark gemacht. Hin und wieder tritt sie im TV als Tänzerin auf. Ihr begegnet ein junger Literaturstudent, der als Claqueur im Fernsehstudio arbeitet. Aber da ist auch die neugierige und kluge Studentin, die mit ihm zusammen im Ausland das Glück suchen will. Sie alle stehen am Scheideweg, schweben im Ungewissen und finden in der Türkei keinen Halt.
Altan schildert ein genaues Bild seines Landes, das der jüngeren Generation ihre Zukunft stiehlt und die ältere fallen lässt. Vor dem düsteren Hintergrund vibriert der Roman von einer Sehnsucht nach Freiheit, die die Leser_innen unmittelbar ansteckt: Hayat heißt Leben.
Fünf Jahre war der Autor Ahmet Altan - das Gesicht der türkischen Opposition - eingekerkert. Aber seine Sehnsucht nach Leben wurde zu seinem Rettungsanker, und jede Zeile, die er im Gefängnis schrieb, zeugt davon, in seinen Essays im 2018 erschienenen Band »Ich werde die Welt nie wiedersehen« ebenso wie in seinem neuen Roman.
Hayat ist eine lebenskluge Frau. Ihre Erfahrungen haben sie eigenwillig und stark gemacht. Hin und wieder tritt sie im TV als Tänzerin auf. Ihr begegnet ein junger Literaturstudent, der als Claqueur im Fernsehstudio arbeitet. Aber da ist auch die neugierige und kluge Studentin, die mit ihm zusammen im Ausland das Glück suchen will. Sie alle stehen am Scheideweg, schweben im Ungewissen und finden in der Türkei keinen Halt.
Altan schildert ein genaues Bild seines Landes, das der jüngeren Generation ihre Zukunft stiehlt und die ältere fallen lässt. Vor dem düsteren Hintergrund vibriert der Roman von einer Sehnsucht nach Freiheit, die die Leser_innen unmittelbar ansteckt: Hayat heißt Leben.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensent Martin Oehlen lernt mit Ahmet Altans in der Haft entstandenem Roman die freiheitspendende Kraft der Literatur kennen. Wie sich die unter einem autoritären Regime leidenden freiheitsliebenden Figuren im Text, zwei ansonsten recht unterschiedliche Frauen vor allem, auf Hesiod und Tolstoi stürzen, erscheint Oehlen zunächst unwahrscheinlich. Denkt er an Altans eigene Erfahrungen mit dem türkischen Staat, mit Haft und Unterdrückung, findet er dieses Handlungselement allerdings plausibel. Das Buch lebt von dieser Atmosphäre aus Repression und Freiheitsdrang, weniger von seinem Plot, meint Oehlen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.02.2023Das türkische Yakup-Prinzip
Wer in diesen Tagen in der Türkei die von der Regierung gewährten "Bau-Amnestien" für illegal errichtete oder nicht erdbebensichere Gebäude kritisiert oder die Praxis infrage stellt, Erdogan-Verbündete ohne Ausschreibungen und ohne behördliche Aufsicht mit staatlichen Infrastrukturprojekten zu betrauen, wer also, kurz gesagt, all das beim Namen nennt, was den Weg in die Tragödie im Südosten des Landes geebnet hat, der ist für die türkische Regierung ein Verräter. Jeder Schriftsteller in der Türkei weiß, dass schon ein einziges Wort sofortige Verhaftung bedeuten kann. Und deshalb klagen jene, deren Lebensmittelpunkt aus politischen oder anderen Gründen im Ausland ist, nun stellvertretend für sie an. "Im Namen der 'nationalen Einheit' wird von uns erwartet, dass wir ruhig und fügsam sind, dass wir den Mund halten und uns dankbar zeigen", schrieb die Schriftstellerin Elif Shafak kurz nach der Erdbebenkatastrophe in der "Financial Times" und rechnete in ihrem Artikel scharf mit der Regierung ab - ähnlich wie in der vergangenen Woche Asli Erdogan in dieser Zeitung, ähnlich wie Orhan Pamuk in der "New York Times". Kein Blatt vor den Mund nahm auch die Schriftstellerin Ece Temelkuran in der amerikanischen Wochenzeitung "The Nation". Erdogan repräsentiere das "organisierte Böse" schrieb sie in Anspielung auf das System aus Nepotismus und Klientelpolitik, auf der die Macht des Präsidenten und der Seinen beruht.
Dessen Protagonisten gehören nach zwanzig Jahren AKP-Regierung so selbstverständlich zur Türkei wie das Erdogan-Foto in der Amtsstube, wo früher ein Bild von Atatürk hing. Der Typ des gierigen, skrupellosen Erdogan-Aufsteigers hat mittlerweile auch einen Platz in der jüngeren türkischen Literatur. An eine dieser Romanfiguren, nämlich an Yakup, den Chauffeur aus Ahmet Altans großartigem Roman "Hayat heißt Leben", der 2022 im Verlag S. Fischer auf Deutsch erschienen ist, muss man vor dem Hintergrund der Erdbebenkatastrophe wieder denken. Yakup versteht viel vom Autofahren, aber nichts vom Straßenbau. Dank seines Bruders, der in einflussreichen politischen Kreisen verkehrt, wird er trotzdem über Nacht zu einem wohlhabenden Straßenbauunternehmer, der für den Ich-Erzähler Fazil, einen Literaturstudenten, nur Verachtung übrig hat. Fazil und dessen konkurrierende Liebe zu zwei Frauen, die ganz verschieden auf das in der Türkei herrschende Klima aus Angst vor Denunziationen, willkürlichen Verhaftungen und der ständig in der Luft liegenden Gewalt reagieren, stehen im Mittelpunkt des Romangeschehens. Die eine, Hayat, eine Frau um die fünfzig, hat sich in scheinbar fröhlicher Unbesorgtheit dem Leben gegenüber eingerichtet, während die Studentin Sila die Türkei lieber heute als morgen verlassen würde. Ihr Vater, früher der Besitzer einer großen Holding, wurde unter dem Vorwurf, eine Verschwörung gegen die Regierung organisiert zu haben, festgenommen und enteignet. Er hatte einen Chauffeur: Yakup.
Kaum, dass der "Unternehmer" ist, erzählt er ohne Scham, wie der Bürgermeister ihm die städtischen Aufträge im Straßenbau zuschanzt: "Du besorgst dir Arbeiter, machst einen zum Vorarbeiter, und die Straße wird asphaltiert." Nach einem heftigen Regenfall sei der Asphalt zwar wieder eingebrochen. Aber das steigert nur Yakups Gewinn, da seine Firma selbstverständlich auch den Auftrag für die Reparaturarbeiten erhält. Als das Paar das nächste Mal auf ihn trifft, hat er ein neues Auto und nun selbst einen Chauffeur: Sein Bruder ist zum Landrat aufgestiegen, eine einzige Straße hätten sie seitdem schon fünfmal asphaltiert. Später bekommt Yakup den Auftrag zum Bau einer Autobahn.
Ahmet Altan kennt die Untiefen von Erdogans Türkei genau. Er war Herausgeber der 2016 verbotenen Tageszeitung "Taraf" und wurde wegen angeblicher Beteiligung am Putschversuch zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Gefängnis schrieb er zwei Bücher, eines davon ist dieser Roman, der sich wie ein subtiles Porträt der derzeitigen türkischen Verhältnisse liest, ohne dass genannt wird, wann er spielt. Nach viereinhalb Jahren im Gefängnis kam Altan im April 2021 auf freien Fuß, darf das Land aber nicht verlassen.
In Anbetracht der für Mai angesetzten Wahlen in der Türkei stellte Ece Temelkuran in ihrem "The Nation"-Beitrag eine Frage, die nun viele bewegt. Nämlich jene, ob die Türkei als "ein Land, das nicht gerade für seine Gedächtnisleistung berühmt ist, in der Lage sein wird, an der berechtigten Wut festzuhalten, wenn es darum geht, dieses Regime zu zerschlagen". Zwar kontrolliere Erdogans AKP sämtliche Bereiche des Staates. Doch der politische Gegenwind habe noch nie so stark geweht wie jetzt. Sollte er nicht wieder einschlafen, werden wir einem Menschen wie Ahmed Altans Yakup vielleicht tatsächlich irgendwann nur noch in der Welt der türkischen Romane begegnen. KAREN KRÜGER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wer in diesen Tagen in der Türkei die von der Regierung gewährten "Bau-Amnestien" für illegal errichtete oder nicht erdbebensichere Gebäude kritisiert oder die Praxis infrage stellt, Erdogan-Verbündete ohne Ausschreibungen und ohne behördliche Aufsicht mit staatlichen Infrastrukturprojekten zu betrauen, wer also, kurz gesagt, all das beim Namen nennt, was den Weg in die Tragödie im Südosten des Landes geebnet hat, der ist für die türkische Regierung ein Verräter. Jeder Schriftsteller in der Türkei weiß, dass schon ein einziges Wort sofortige Verhaftung bedeuten kann. Und deshalb klagen jene, deren Lebensmittelpunkt aus politischen oder anderen Gründen im Ausland ist, nun stellvertretend für sie an. "Im Namen der 'nationalen Einheit' wird von uns erwartet, dass wir ruhig und fügsam sind, dass wir den Mund halten und uns dankbar zeigen", schrieb die Schriftstellerin Elif Shafak kurz nach der Erdbebenkatastrophe in der "Financial Times" und rechnete in ihrem Artikel scharf mit der Regierung ab - ähnlich wie in der vergangenen Woche Asli Erdogan in dieser Zeitung, ähnlich wie Orhan Pamuk in der "New York Times". Kein Blatt vor den Mund nahm auch die Schriftstellerin Ece Temelkuran in der amerikanischen Wochenzeitung "The Nation". Erdogan repräsentiere das "organisierte Böse" schrieb sie in Anspielung auf das System aus Nepotismus und Klientelpolitik, auf der die Macht des Präsidenten und der Seinen beruht.
Dessen Protagonisten gehören nach zwanzig Jahren AKP-Regierung so selbstverständlich zur Türkei wie das Erdogan-Foto in der Amtsstube, wo früher ein Bild von Atatürk hing. Der Typ des gierigen, skrupellosen Erdogan-Aufsteigers hat mittlerweile auch einen Platz in der jüngeren türkischen Literatur. An eine dieser Romanfiguren, nämlich an Yakup, den Chauffeur aus Ahmet Altans großartigem Roman "Hayat heißt Leben", der 2022 im Verlag S. Fischer auf Deutsch erschienen ist, muss man vor dem Hintergrund der Erdbebenkatastrophe wieder denken. Yakup versteht viel vom Autofahren, aber nichts vom Straßenbau. Dank seines Bruders, der in einflussreichen politischen Kreisen verkehrt, wird er trotzdem über Nacht zu einem wohlhabenden Straßenbauunternehmer, der für den Ich-Erzähler Fazil, einen Literaturstudenten, nur Verachtung übrig hat. Fazil und dessen konkurrierende Liebe zu zwei Frauen, die ganz verschieden auf das in der Türkei herrschende Klima aus Angst vor Denunziationen, willkürlichen Verhaftungen und der ständig in der Luft liegenden Gewalt reagieren, stehen im Mittelpunkt des Romangeschehens. Die eine, Hayat, eine Frau um die fünfzig, hat sich in scheinbar fröhlicher Unbesorgtheit dem Leben gegenüber eingerichtet, während die Studentin Sila die Türkei lieber heute als morgen verlassen würde. Ihr Vater, früher der Besitzer einer großen Holding, wurde unter dem Vorwurf, eine Verschwörung gegen die Regierung organisiert zu haben, festgenommen und enteignet. Er hatte einen Chauffeur: Yakup.
Kaum, dass der "Unternehmer" ist, erzählt er ohne Scham, wie der Bürgermeister ihm die städtischen Aufträge im Straßenbau zuschanzt: "Du besorgst dir Arbeiter, machst einen zum Vorarbeiter, und die Straße wird asphaltiert." Nach einem heftigen Regenfall sei der Asphalt zwar wieder eingebrochen. Aber das steigert nur Yakups Gewinn, da seine Firma selbstverständlich auch den Auftrag für die Reparaturarbeiten erhält. Als das Paar das nächste Mal auf ihn trifft, hat er ein neues Auto und nun selbst einen Chauffeur: Sein Bruder ist zum Landrat aufgestiegen, eine einzige Straße hätten sie seitdem schon fünfmal asphaltiert. Später bekommt Yakup den Auftrag zum Bau einer Autobahn.
Ahmet Altan kennt die Untiefen von Erdogans Türkei genau. Er war Herausgeber der 2016 verbotenen Tageszeitung "Taraf" und wurde wegen angeblicher Beteiligung am Putschversuch zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Gefängnis schrieb er zwei Bücher, eines davon ist dieser Roman, der sich wie ein subtiles Porträt der derzeitigen türkischen Verhältnisse liest, ohne dass genannt wird, wann er spielt. Nach viereinhalb Jahren im Gefängnis kam Altan im April 2021 auf freien Fuß, darf das Land aber nicht verlassen.
In Anbetracht der für Mai angesetzten Wahlen in der Türkei stellte Ece Temelkuran in ihrem "The Nation"-Beitrag eine Frage, die nun viele bewegt. Nämlich jene, ob die Türkei als "ein Land, das nicht gerade für seine Gedächtnisleistung berühmt ist, in der Lage sein wird, an der berechtigten Wut festzuhalten, wenn es darum geht, dieses Regime zu zerschlagen". Zwar kontrolliere Erdogans AKP sämtliche Bereiche des Staates. Doch der politische Gegenwind habe noch nie so stark geweht wie jetzt. Sollte er nicht wieder einschlafen, werden wir einem Menschen wie Ahmed Altans Yakup vielleicht tatsächlich irgendwann nur noch in der Welt der türkischen Romane begegnen. KAREN KRÜGER
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eine sehnsüchtige Ode an die Offenbarungen der Liebe und an wundervolle Momente [...], die das Leben lebenswert und den verlustreichen Kampf gegen staatliche Willkür erst erstrebenswert machen. Gisela Huwig Freizeitmagazin Leo der Rheinpfalz 20220908