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Weltweit gilt die italienische Küche als Inbegriff von Genuss und kulinarischer Perfektion. Und nichts ist in Italien so heilig wie die prodotti tipici, die regionalen Spezialitäten.
Kaum ein anderes Buch erhitzte die italienischen Gemüter daher so sehr wie die Erkenntnisse des in Parma lehrenden Wirtschaftshistorikers Alberto Grandi: Die heute viel gehypte Authentizität italienischer Produkte sei vor allem auf geschickte Marketingstrategien der Lebensmittelindustrie in den 1970er-Jahren zurückzuführen.
Das nationale Selbstverständnis seines Landes brachte Alberto Grandi damit gewaltig ins Wanken.
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Produktbeschreibung
Weltweit gilt die italienische Küche als Inbegriff von Genuss und kulinarischer Perfektion. Und nichts ist in Italien so heilig wie die prodotti tipici, die regionalen Spezialitäten.

Kaum ein anderes Buch erhitzte die italienischen Gemüter daher so sehr wie die Erkenntnisse des in Parma lehrenden Wirtschaftshistorikers Alberto Grandi: Die heute viel gehypte Authentizität italienischer Produkte sei vor allem auf geschickte Marketingstrategien der Lebensmittelindustrie in den 1970er-Jahren zurückzuführen.

Das nationale Selbstverständnis seines Landes brachte Alberto Grandi damit gewaltig ins Wanken.
Autorenporträt
ALBERTO GRANDI ist Historiker an der Universität Parma. Er forscht zur Wirtschaftsgeschichte Italiens und hat mehrere Bücher über die Herkunft italienischer Speisen geschrieben. In seinem Podcast DOI (Denominazione di origine inventata, erfundene Herkunftsbezeichnung) spricht er über Mythen und das Verhältnis seiner Landsleute zum Essen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Andreas Rossmann lässt sich von dem Wirtschaftshistoriker Alberto Grandi steile Thesen um die Ohren hauen, die belegen sollen, dass die italienische Nationalküche eigentlich nur eine Erfindung der Lebensmittelindustrie ist. Dazu beigetragen haben die Inflation von Güte- und Herkunftssiegeln, "aggressives Marketing" und Herkunftsschwindel bei Weinen, Schinken und Tomaten, erfahren wir. Das ist interessant, meint Rossmann, es geht aber eigentlich weniger um die italienische Küche an sich als vielmehr um die Vermarktungsmechanismen, sodass die zentrale These, die italienische Küche sei eine noch junge Werbeerfindung, nur bedingt halten lässt. Dennoch ein interessantes Buch, befindet der Kritiker.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.06.2024

Zeit für ein ausführliches Hoch auf Nutella
Zertifizierter Schwindel: Alberto Grandi zerlegt erfundene Überlieferungen der italienischen Küche

Einem Wirtschaftshistoriker, dessen Forschungsgebiet Lebensmittel sind, ist in einem Land, das sich, wenn es den Mund wässert, "Eataly" schreibt, die Aufmerksamkeit sicher: Die Food-Industry, wie sie hier profan genannt wird, stellt zwar nicht den größten, doch den am stärksten wachsenden Exportsektor dar. Dass Alberto Grandi an der Universität Parma lehrt, passt ins kulturgeographische Bild. Die Stadt, Sitz des Pastaweltmarktführers Barilla, ist eine Gourmet-Hochburg in der Schlemmerregion Emilia-Romagna. Käse und Schinken, auch Salami und Weine führen sie im Namen.

Um solche Produkte, um Speisen und Getränke, die mit einem Ort identifiziert werden, Prosciutto di Parma oder Rosso Colli di Parma heißen und Titel wie DOP oder DOC tragen, geht es in der Studie "Mythos Nationalgericht", die sich mit den "erfundenen Traditionen der italienischen Küche" befasst. In Anlehnung an Eric Hobsbawms Theorie zeigt Grandi, wie Spezialitäten der Gastronomie und des Weinbaus eine regionale Identität zugeschrieben und eine illustre Historie angedichtet wird, um, dekoriert mit Gütesiegeln und Zertifikaten, ihre Marktchancen zu steigern.

Aufgekommen sind die fiktiven Distinktionsmerkmale, so Grandi, in den Siebzigerjahren, als die italienische Wirtschaft nach zwei Dekaden des Booms stagnierte und die Großindustrie als Entwicklungsmodell infrage gestellt wurde: Der Tausch wachsender Konsum gegen Identitätsverlust funktionierte nicht mehr, die verklärte Vergangenheit wurde zum Zufluchtsort vor der Zukunftsangst.

Grandi belegt seine These mit vielen Beispielen: vom Lardo di Colonnata, einem Speck aus Carrara, der schon Michelangelo geschmeckt haben soll, und der sizilianischen Pachino-Tomate, die aus israelischem Saatgut stammt, über den Jungfrauenkult beim Olivenöl, die Entdeckung des Marsalas, die auf John Woodhouse aus Liverpool zurückgeht, das aggressive Marketing für Parma-Schinken sowie die Gütesiegel-Inflation bei Dolcetto-Weinen und Schweinefleisch-Spezialitäten im Piemont bis zur kalkulierten Fast-Namensgleichheit beim Balsamico-Essig, der getürkten Herkunft der Modica-Schokolade aus dem Aztekenreich und der landesweiten Ausbreitung kommunaler Ursprungsbezeichnungen beim Käse.

Die italienische Küche bezeichnet Grandi als einen "Jurassic Park": Reste längst vergessener Traditionen und Geschichten werden in eine Gesellschaft, die nichts mehr mit ihnen zu tun hat, überführt und zu einem touristisch verwertbaren Mythos geformt, dessen Tricks und Maschen er aufdeckt. "Echter" Parmesan, so weist er nach, hat sich in Wisconsin erhalten, wo ihn Emigranten in den Dreißigerjahren herzustellen begannen, während die Laibe der Marken Parmigiano Reggiano und Grana Padano in der Konkurrenz um die Marktführerschaft seitdem immer dicker wurden. Überhaupt, die Italo-Amerikaner! Auch Spaghetti Carbonara und Pizza schreibt Grandi ihnen gut.

Vom industriellen zum handwerklichen Produkt verlief hingegen die Karriere des Panettone, dem die Backwarenfabrik Motta in Mailand 1920 ihre Kuppelform verpasst hat: Erst ein halbes Jahrhundert später tauchte er auch in traditionellen Konditoreien wieder auf. Während Grandi den Aufstieg der Barilla-Marke "Mulino Bianco", die 1975 mit konfektionierten Backwaren antrat, nur streift, stimmt er ein ausführliches "Hoch auf Nutella" an: 1964 als innovatives Industrieprodukt eingeführt, hatte es sofort über die Landesgrenzen hinaus Erfolg. Dem von der Regierung Meloni promoteten Label "Made in Italy" kann indessen selbst der Hartweizen für die Pasta nicht genügen: Ein Drittel des Bedarfs wurde 2017 - aus Qualitätsgründen! - importiert.

Den komischsten Vogel hat der kulinarische Lokalpatriotismus, so Grandi süffisant, mit der Focaccia di Recco abgeschossen, die in halb Italien verbreitet war, bis ein Konsortium entschied, dass nur ein Brot, das in dem ligurischen Dorf gebacken und verkauft wird, so heißen darf. Als die selbsternannten Markenschützer die Spezialität 2015 auf einer Handwerksmesse in der Lombardei anboten, stand keine halbe Stunde später die Lebensmittelpolizei auf der Matte und verhängte eine Anzeige wegen Handelsbetrugs. Das Konsortium war in eine Falle getappt, die es selbst gestellt hatte. Das Schlaraffenland grenzt an Absurdistan.

Grandis Ermittlungen untersuchen nicht die italienische Küche, sondern die Methoden ihrer Vermarktung, und legen es doch darauf an, dass beide Ebenen verwechselt werden. Dass das Kalkül aufgeht, erklärt die Empörung und den Erfolg des Buches: Im Belpaese, wo es schon 2018 erschienen ist, hat es die Gemüter erst zum Kochen gebracht, als 2023 die "Financial Times" darüber berichtete. Der Autor stand nun als Nestbeschmutzer da, an dem prompt Lega-Chef Matteo Salvini sein Mütchen kühlte. Dass die Frage, ob und inwieweit es sich bei dem Etikettenschwindel um Betrug handelt, nicht einmal angeschnitten wird, mag den (deutschen) Leser irritieren, und erst recht wäre das Thema dahinter eine weiterführende Untersuchung wert: Was sagt das aus über Italien, die zehntgrößte Volkswirtschaft der Welt, wenn es "die Vergangenheit im Dienste der Gegenwart manipulieren kann"?

Insofern hält sich die Provokation des Buches, das viele rhetorische Figuren ("Halten Sie mich nicht für verrückt . . .") bemüht, in Grenzen. Manche steile These flacht bei genauer Betrachtung ab: So lässt sich die zentrale Behauptung "Die italienische Küche ist noch keine fünfzig" nur unter Einschränkungen aufrechterhalten. In der Romanliteratur finden sich viele Belege des Gegenteils, doch dafür hätte der Autor aus "Der Leopard" von Tomasi di Lampedusa mehr als nur den berühmtesten Satz zitieren müssen. Das Resümee gibt Entwarnung: Wie Grandi den Marketingstrategen der Food-Industrie in die Suppe spuckt, schlägt dem Leser nicht auf den Magen. Buon appetito! ANDREAS ROSSMANN

Alberto Grandi: "Mythos Nationalgericht". Die erfundenen Traditionen der italienischen Küche.

Aus dem Italienischen von Andrea Kunstmann. HarperCollins Verlag, Hamburg 2024. 256 S., geb., 22,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
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»Alberto Grandis Buch bietet eine unterhaltsame Perspektive auf die Geschichte der italienischen Küche - ob nun 50-jährig oder 500-jährig.« Sonja Siegenthaler NZZ Bellevue 20240701