Nominiert für den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis 2022: Warum wir das Gute wollen und das Schlechte tun - und wie wir das ändern können
Würden Sie für 100 Euro ein Leben retten? Die Antwort scheint klar, denn wollen wir Menschen nicht immer das Gute? Doch zeigt Armin Falk, Deutschlands führender Verhaltensökonom, dass wir oft das Gute wollen und es dann doch nicht tun - wir sind viel weniger gut, als wir denken. Was hindert uns daran, uns jeden Tag anständig zu verhalten: Endlich auf Ökostrom umstellen, keine Plastikbecher mehr nutzen, für Bedürftige spenden, das Klima schützen oder das Tierwohl achten? An vielen konkreten Beispielen und auf der Basis langjähriger eigener Studien zeigt uns der Leibniz-Preisträger, unter welchen Umständen sich Menschen moralisch verhalten und wann nicht. Wieviel Einfluss haben die Persönlichkeit, das Geschlecht, die Erziehung, die Kultur? Wenn wir das verstehen, wird es uns leichter fallen, nicht nur uns selbst zu verändern - sondern auch die Rahmenbedingungen in Wirtschaft und Gesellschaft.
Würden Sie für 100 Euro ein Leben retten? Die Antwort scheint klar, denn wollen wir Menschen nicht immer das Gute? Doch zeigt Armin Falk, Deutschlands führender Verhaltensökonom, dass wir oft das Gute wollen und es dann doch nicht tun - wir sind viel weniger gut, als wir denken. Was hindert uns daran, uns jeden Tag anständig zu verhalten: Endlich auf Ökostrom umstellen, keine Plastikbecher mehr nutzen, für Bedürftige spenden, das Klima schützen oder das Tierwohl achten? An vielen konkreten Beispielen und auf der Basis langjähriger eigener Studien zeigt uns der Leibniz-Preisträger, unter welchen Umständen sich Menschen moralisch verhalten und wann nicht. Wieviel Einfluss haben die Persönlichkeit, das Geschlecht, die Erziehung, die Kultur? Wenn wir das verstehen, wird es uns leichter fallen, nicht nur uns selbst zu verändern - sondern auch die Rahmenbedingungen in Wirtschaft und Gesellschaft.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.05.2022Symbolische
Wohltaten
Der Verhaltensökonom Armin Falk über die
Frage, warum es uns so schwer fällt, das Richtige
nicht nur zu erkennen, sondern auch zu tun
INTERVIEW: NIKLAS ELSENBRUCH
Spenden für die Ukraine, fleischlose Ernährung, Verzicht auf Flugreisen – was die globalen Krisen von uns fordern, scheint mittlerweile sehr klar. An Gelegenheiten zu guten Taten und Verhaltensänderungen mangelt es nicht. Warum drängt sich dennoch der Eindruck auf, dass nicht genug passiert und viele bloß sich selbst am nächsten sind? Der Wirtschaftswissenschaftler Armin Falk erforscht, was ethischem Verhalten im Weg steht und eine bessere Welt verhindert.
SZ: Herr Falk, warum ist es denn so schwer, ein guter Mensch zu sein?
Armin Falk: Weil uns prosoziales oder altruistisches Verhalten etwas kostet. Wenn ich jemandem Gutes tue, also den Nutzen für ihn erhöhe, steht das in einem Spannungsverhältnis zu den Kosten, die mir dadurch entstehen. Dabei kann es sich um Geld handeln, etwa wenn ich für Geflüchtete aus der Ukraine oder für Obdachlose spende. Aber auch um Zeit, Aufmerksamkeit und jede andere Form von Engagement. Wäre Altruismus kostenlos zu haben, sähen wir ihn viel häufiger.
Wie gehen Sie als Verhaltensökonom an dieses Problem heran?
Wir erforschen die Gründe altruistischen Verhaltens durch Experimente. Dafür brauchen wir eine Versuchsanordnung, die den Zielkonflikt zwischen Nutzen und Kosten widerspiegelt. Ich untersuche zum Beispiel, ob Menschen bereit sind, anderen Schmerzen zuzufügen, wenn sie dafür Geld bekommen. Dieses Experiment variiere ich, um den kausalen Einfluss der Situation auf das Verhalten zu messen. Dabei beziehen wir auch psychologische Erkenntnisse mit ein. Insofern ist die Verhaltensökonomik der Versuch, ein realistischeres Menschenbild zu gewinnen.
Sie schreiben, es interessiere Sie nicht, wie die Menschen sein sollten, sondern wie sie sind. Wie können Sie dann Aussagen über „gutes Verhalten“ treffen?
Ich kann nicht für andere beurteilen, was gut und richtig ist. Aber ich kann sagen, ob jemand seinen Werten entsprechend verhält. Außerdem besteht in vielen Fällen weitgehend ein Konsens darüber, was gut ist, zum Beispiel, dass man Menschen in Not helfen soll.
In Ihren Experimenten müssen die Teilnehmer häufig Kosten und Nutzen abwägen. Ist Ihr Befund, dass selbst Altruisten immer so kalkulieren, ein Ergebnis Ihrer Forschungen – oder schon im Versuchsaufbau angelegt?
Wir sagen den Probanden ja nicht: „Hier sind Kosten, hier ist Nutzen.“ Stattdessen fragen wir zum Beispiel: „Sind Sie bereit, für ein krebskrankes Kind zu spenden?“ Unser Befund, dass die Menschen dann Kosten und Nutzen abwägen, ist eine Interpretation. Was hirnphysiologisch wirklich passiert, wissen wir einfach nicht.
Halten Sie es für ausgeschlossen, dass Menschen eher daran interessiert sind, im Sinne des Gemeinwohls zu handeln, als auf den eigenen Vorteil zu schielen?
Wünschenswert wäre das. Doch wenn ich mir die empirischen Fakten anschaue, trifft das allenfalls auf eine Minderheit zu. Ich würde aber sagen, dass die Menschen sich darin unterscheiden, inwiefern sie am Schicksal anderer Anteil nehmen und gemeinwohlorientiert handeln. Eine zentrale Aussage meines Buchs und der Verhaltensforschung ist, dass es nicht den einen Menschen gibt. Zwar stehen alle stehen im selben Spannungsverhältnis von Kosten und Nutzen. Aber jeder Einzelne gewichtet sie anders. Je nach Persönlichkeit.
Sie haben untersucht, wie altruistisch die Weltbevölkerung ist. Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Wir haben in 76 Ländern, die 90 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, einer jeweils repräsentativen Gruppe von Menschen zwei Fragen gestellt. Zuerst: „Stellen Sie sich vor, Sie haben unerwartet 1000 Euro erhalten. Wie viel von diesem Betrag würden Sie für einen guten Zweck spenden?“ Zweitens: „Wie bereit sind Sie, sich für gute Zwecke zu engagieren, ohne dass Sie dafür etwas im Gegenzug erhalten?“ Wir können relativ sicher sein, dass diese Fragen Aufschluss über das tatsächliche Verhalten der Menschen geben, weil die Antworten mit bereits erhobenen experimentellen Ergebnissen zu prosozialem Verhalten korrelieren. Die Fragen wurden in mehr als 100 Sprachen übersetzt und die Geldbeträge dem Einkommen in den Ländern angepasst.
Was haben Sie herausgefunden?
Wir konnten erstmalig für die Welt zeigen, dass es beim Altruismus sehr große Unterschiede zwischen den Ländern gibt. Kaum ein europäisches sticht hervor, Deutschland liegt im globalen Durchschnitt. Deutlich besser schlagen sich etwa die USA. Wir haben außerdem herausgefunden, dass sich etwa das Geschlecht kulturspezifisch auf altruistisches Verhalten auswirkt: Interessanterweise sind die geschlechtsspezifischen Unterschiede umso größer, je wohlhabender ein Land und je größer die Geschlechtergerechtigkeit ist. Anders gesagt: In wohlhabenden Ländern verhalten sich Frauen im Vergleich zu Männern besonders altruistisch. Allgemein variiert das Verhalten stärker, je größer der politische, soziale oder ökonomische Freiraum, den Menschen in ihrer Gesellschaft vorfinden.
Das Böse entsteht Ihnen zufolge auch, „weil wir viele kleine gute Dinge tun“. Wie erklären sie diesen Widerspruch?
Wir tun häufig Gutes, damit wir selbst und andere ein gutes Bild von uns bekommen. Dabei geben wir uns schnell mit kleinen, symbolischen Wohltaten zufrieden, die gar nichts bewirken. Wenn ich zwanzig Kilo Grillfleisch kaufe und in den Jutebeutel packe statt in die Plastiktüte, kann ich mich vor mir selbst und anderen als umweltbewusst darstellen, blende das eigentliche Problem aber aus.
Sind Emotionen ein Störfaktor vernünftigen Entscheidens oder auch ein guter Handlungsgrund?
Das ist sehr umstritten. Ich tendiere dazu, dass wir mehr denken als fühlen sollten. Ein Beispiel: Menschen fühlen sich besser, wenn sie sich an Leuten rächen, von denen sie zuvor unfair behandelt wurden. Das führt zu emotionaler Entlastung, lässt Konflikte aber regelmäßig eskalieren. Studien zeigen sogar, dass Menschen verstärkt häusliche Gewalttaten begehen, wenn ihre Fußballmannschaft verloren hat. Besser wäre es runterzuschalten, drüber zu schlafen und am nächsten Tag in Ruhe zu reden.
Sie sagen, Marktwirtschaft führe zu einer Diffusion von Verantwortung. Warum?
Verantwortung wird diffus, wenn der Einzelne sich nicht als ausschlaggebend für das Ergebnis betrachtet. Auf Märkten können Käufer und Verkäufer sich beispielsweise sagen: „Wenn ich die Billigklamotten nicht kaufe oder anbiete, macht es jemand anders.“ Durch dieses Denken, das nur auf Konsequenzen schaut, entstehen Kosten für Dritte, in dem Fall für die Näherinnen in den Sweatshops. Auch Delegation und Lieferketten machen Verantwortung diffus.
Sie rufen dazu auf, „mehr Kant zu wagen“. Was meinen Sie damit?
Eine an Kant orientierte Ethik fragt nicht, was die Konsequenzen sind, sondern, was richtig und falsch ist. Der Beitrag, den ein Einzelner im Kampf gegen den Klimawandel leisten kann, ist minimal. Ist es deshalb entschuldbar, nichts zu tun? Ich meine nein. Man könnte Kants kategorischen Imperativ hier so formulieren: Welchen Konsumpfad soll ich wählen, von dem ich wollen kann, dass ihn 7,9 Milliarden Menschen auch wählen?
Welche konkreten Maßnahmen würden uns ihrer Ansicht nach wirklich helfen, uns besser zu verhalten?
Wir brauchen Aufklärung über moralische Stolperfallen. Verstehen, was uns daran hindert, uns anständig zu verhalten, ist eine Voraussetzung für eine Verhaltensänderung. Außerdem sollten Menschen viel besser über die Folgen ihres Handelns informiert werden, etwa durch Labels. Warum wird nicht jedes Produkt mit seinem CO&sub2;-Fußabdruck gekennzeichnet? Auch sollten wir Entscheidungsstrukturen optimieren, zum Beispiel mit Hilfe von Voreinstellungen: Hätten wir bei Organspenden die Widerspruchslösung, sodass alle Spender wären, die das nicht aktiv ablehnen, dann würde sich die Spenderzahl deutlich erhöhen.
Was hat es mit Ihrer Forderung nach evidenzbasierter Politik auf sich?
In der Politik gehen gut gemeinte Maßnahmen oft nach hinten los, weil wissenschaftliche Evidenz fehlt. Entscheidungsträger folgen politischem Druck, Stimmungen und Umfragen, und sind in ihrem Urteil häufig zu selbstsicher. Vor einigen Jahren haben manche US-Bundesstaaten den Arbeitgebern verboten, in Bewerbungsunterlagen nach Vorstrafen zu fragen. In den USA ist ein relativ hoher Anteil der männlichen Schwarzen arbeitslos und vorbestraft, ihnen sollte der Berufseinstieg erleichtert werden. Belastbare Evidenz zur Wirksamkeit der Maßnahme fehlte jedoch. Jahre später fand eine Studie heraus, dass Arbeitgeber nun kaum noch Schwarze einstellten, weil sie nicht sicher sein konnten, ob ein Bewerber vorbestraft war oder nicht. Um sozialpolitische Wirkungen detailliert zu analysieren, anstatt unkontrolliert irgendetwas einzuführen, das nur sinnvoll klingt, haben Forscher in skandinavischen Ländern Zugang zu großen administrativen Datensätzen. Im notorisch untererforschten Deutschland ist das nicht der Fall.
„Wäre Altruismus kostenlos
zu haben, sähen wir ihn
viel häufiger“
„Entscheidungsträger folgen
Umfragen, und sind in ihrem
Urteil häufig zu selbstsicher“
Armin Falk, geboren 1968, ist Professorfür Volkswirtschaftslehre, Direktor des briq-Instituts für Verhalten und Ungleichheit und des Labors für Experimentelle Wirtschaftsforschung an der Uni Bonn.
Foto: Henry Fair/briq
Wenn der Einzelne seine Handlungen für unbedeutend hält, diffundiert Verantwortung auf Kosten Dritter: Näherinnen und Näher in Bangladesch bei der Produktion von Billigkleidung für westliche Textildiscounter.
Foto: imago/Joerg Boethling
Armin Falk: Warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein. Antworten eines Verhaltensökonomen. Siedler-Verlag, München 2022. 336 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Wohltaten
Der Verhaltensökonom Armin Falk über die
Frage, warum es uns so schwer fällt, das Richtige
nicht nur zu erkennen, sondern auch zu tun
INTERVIEW: NIKLAS ELSENBRUCH
Spenden für die Ukraine, fleischlose Ernährung, Verzicht auf Flugreisen – was die globalen Krisen von uns fordern, scheint mittlerweile sehr klar. An Gelegenheiten zu guten Taten und Verhaltensänderungen mangelt es nicht. Warum drängt sich dennoch der Eindruck auf, dass nicht genug passiert und viele bloß sich selbst am nächsten sind? Der Wirtschaftswissenschaftler Armin Falk erforscht, was ethischem Verhalten im Weg steht und eine bessere Welt verhindert.
SZ: Herr Falk, warum ist es denn so schwer, ein guter Mensch zu sein?
Armin Falk: Weil uns prosoziales oder altruistisches Verhalten etwas kostet. Wenn ich jemandem Gutes tue, also den Nutzen für ihn erhöhe, steht das in einem Spannungsverhältnis zu den Kosten, die mir dadurch entstehen. Dabei kann es sich um Geld handeln, etwa wenn ich für Geflüchtete aus der Ukraine oder für Obdachlose spende. Aber auch um Zeit, Aufmerksamkeit und jede andere Form von Engagement. Wäre Altruismus kostenlos zu haben, sähen wir ihn viel häufiger.
Wie gehen Sie als Verhaltensökonom an dieses Problem heran?
Wir erforschen die Gründe altruistischen Verhaltens durch Experimente. Dafür brauchen wir eine Versuchsanordnung, die den Zielkonflikt zwischen Nutzen und Kosten widerspiegelt. Ich untersuche zum Beispiel, ob Menschen bereit sind, anderen Schmerzen zuzufügen, wenn sie dafür Geld bekommen. Dieses Experiment variiere ich, um den kausalen Einfluss der Situation auf das Verhalten zu messen. Dabei beziehen wir auch psychologische Erkenntnisse mit ein. Insofern ist die Verhaltensökonomik der Versuch, ein realistischeres Menschenbild zu gewinnen.
Sie schreiben, es interessiere Sie nicht, wie die Menschen sein sollten, sondern wie sie sind. Wie können Sie dann Aussagen über „gutes Verhalten“ treffen?
Ich kann nicht für andere beurteilen, was gut und richtig ist. Aber ich kann sagen, ob jemand seinen Werten entsprechend verhält. Außerdem besteht in vielen Fällen weitgehend ein Konsens darüber, was gut ist, zum Beispiel, dass man Menschen in Not helfen soll.
In Ihren Experimenten müssen die Teilnehmer häufig Kosten und Nutzen abwägen. Ist Ihr Befund, dass selbst Altruisten immer so kalkulieren, ein Ergebnis Ihrer Forschungen – oder schon im Versuchsaufbau angelegt?
Wir sagen den Probanden ja nicht: „Hier sind Kosten, hier ist Nutzen.“ Stattdessen fragen wir zum Beispiel: „Sind Sie bereit, für ein krebskrankes Kind zu spenden?“ Unser Befund, dass die Menschen dann Kosten und Nutzen abwägen, ist eine Interpretation. Was hirnphysiologisch wirklich passiert, wissen wir einfach nicht.
Halten Sie es für ausgeschlossen, dass Menschen eher daran interessiert sind, im Sinne des Gemeinwohls zu handeln, als auf den eigenen Vorteil zu schielen?
Wünschenswert wäre das. Doch wenn ich mir die empirischen Fakten anschaue, trifft das allenfalls auf eine Minderheit zu. Ich würde aber sagen, dass die Menschen sich darin unterscheiden, inwiefern sie am Schicksal anderer Anteil nehmen und gemeinwohlorientiert handeln. Eine zentrale Aussage meines Buchs und der Verhaltensforschung ist, dass es nicht den einen Menschen gibt. Zwar stehen alle stehen im selben Spannungsverhältnis von Kosten und Nutzen. Aber jeder Einzelne gewichtet sie anders. Je nach Persönlichkeit.
Sie haben untersucht, wie altruistisch die Weltbevölkerung ist. Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Wir haben in 76 Ländern, die 90 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, einer jeweils repräsentativen Gruppe von Menschen zwei Fragen gestellt. Zuerst: „Stellen Sie sich vor, Sie haben unerwartet 1000 Euro erhalten. Wie viel von diesem Betrag würden Sie für einen guten Zweck spenden?“ Zweitens: „Wie bereit sind Sie, sich für gute Zwecke zu engagieren, ohne dass Sie dafür etwas im Gegenzug erhalten?“ Wir können relativ sicher sein, dass diese Fragen Aufschluss über das tatsächliche Verhalten der Menschen geben, weil die Antworten mit bereits erhobenen experimentellen Ergebnissen zu prosozialem Verhalten korrelieren. Die Fragen wurden in mehr als 100 Sprachen übersetzt und die Geldbeträge dem Einkommen in den Ländern angepasst.
Was haben Sie herausgefunden?
Wir konnten erstmalig für die Welt zeigen, dass es beim Altruismus sehr große Unterschiede zwischen den Ländern gibt. Kaum ein europäisches sticht hervor, Deutschland liegt im globalen Durchschnitt. Deutlich besser schlagen sich etwa die USA. Wir haben außerdem herausgefunden, dass sich etwa das Geschlecht kulturspezifisch auf altruistisches Verhalten auswirkt: Interessanterweise sind die geschlechtsspezifischen Unterschiede umso größer, je wohlhabender ein Land und je größer die Geschlechtergerechtigkeit ist. Anders gesagt: In wohlhabenden Ländern verhalten sich Frauen im Vergleich zu Männern besonders altruistisch. Allgemein variiert das Verhalten stärker, je größer der politische, soziale oder ökonomische Freiraum, den Menschen in ihrer Gesellschaft vorfinden.
Das Böse entsteht Ihnen zufolge auch, „weil wir viele kleine gute Dinge tun“. Wie erklären sie diesen Widerspruch?
Wir tun häufig Gutes, damit wir selbst und andere ein gutes Bild von uns bekommen. Dabei geben wir uns schnell mit kleinen, symbolischen Wohltaten zufrieden, die gar nichts bewirken. Wenn ich zwanzig Kilo Grillfleisch kaufe und in den Jutebeutel packe statt in die Plastiktüte, kann ich mich vor mir selbst und anderen als umweltbewusst darstellen, blende das eigentliche Problem aber aus.
Sind Emotionen ein Störfaktor vernünftigen Entscheidens oder auch ein guter Handlungsgrund?
Das ist sehr umstritten. Ich tendiere dazu, dass wir mehr denken als fühlen sollten. Ein Beispiel: Menschen fühlen sich besser, wenn sie sich an Leuten rächen, von denen sie zuvor unfair behandelt wurden. Das führt zu emotionaler Entlastung, lässt Konflikte aber regelmäßig eskalieren. Studien zeigen sogar, dass Menschen verstärkt häusliche Gewalttaten begehen, wenn ihre Fußballmannschaft verloren hat. Besser wäre es runterzuschalten, drüber zu schlafen und am nächsten Tag in Ruhe zu reden.
Sie sagen, Marktwirtschaft führe zu einer Diffusion von Verantwortung. Warum?
Verantwortung wird diffus, wenn der Einzelne sich nicht als ausschlaggebend für das Ergebnis betrachtet. Auf Märkten können Käufer und Verkäufer sich beispielsweise sagen: „Wenn ich die Billigklamotten nicht kaufe oder anbiete, macht es jemand anders.“ Durch dieses Denken, das nur auf Konsequenzen schaut, entstehen Kosten für Dritte, in dem Fall für die Näherinnen in den Sweatshops. Auch Delegation und Lieferketten machen Verantwortung diffus.
Sie rufen dazu auf, „mehr Kant zu wagen“. Was meinen Sie damit?
Eine an Kant orientierte Ethik fragt nicht, was die Konsequenzen sind, sondern, was richtig und falsch ist. Der Beitrag, den ein Einzelner im Kampf gegen den Klimawandel leisten kann, ist minimal. Ist es deshalb entschuldbar, nichts zu tun? Ich meine nein. Man könnte Kants kategorischen Imperativ hier so formulieren: Welchen Konsumpfad soll ich wählen, von dem ich wollen kann, dass ihn 7,9 Milliarden Menschen auch wählen?
Welche konkreten Maßnahmen würden uns ihrer Ansicht nach wirklich helfen, uns besser zu verhalten?
Wir brauchen Aufklärung über moralische Stolperfallen. Verstehen, was uns daran hindert, uns anständig zu verhalten, ist eine Voraussetzung für eine Verhaltensänderung. Außerdem sollten Menschen viel besser über die Folgen ihres Handelns informiert werden, etwa durch Labels. Warum wird nicht jedes Produkt mit seinem CO&sub2;-Fußabdruck gekennzeichnet? Auch sollten wir Entscheidungsstrukturen optimieren, zum Beispiel mit Hilfe von Voreinstellungen: Hätten wir bei Organspenden die Widerspruchslösung, sodass alle Spender wären, die das nicht aktiv ablehnen, dann würde sich die Spenderzahl deutlich erhöhen.
Was hat es mit Ihrer Forderung nach evidenzbasierter Politik auf sich?
In der Politik gehen gut gemeinte Maßnahmen oft nach hinten los, weil wissenschaftliche Evidenz fehlt. Entscheidungsträger folgen politischem Druck, Stimmungen und Umfragen, und sind in ihrem Urteil häufig zu selbstsicher. Vor einigen Jahren haben manche US-Bundesstaaten den Arbeitgebern verboten, in Bewerbungsunterlagen nach Vorstrafen zu fragen. In den USA ist ein relativ hoher Anteil der männlichen Schwarzen arbeitslos und vorbestraft, ihnen sollte der Berufseinstieg erleichtert werden. Belastbare Evidenz zur Wirksamkeit der Maßnahme fehlte jedoch. Jahre später fand eine Studie heraus, dass Arbeitgeber nun kaum noch Schwarze einstellten, weil sie nicht sicher sein konnten, ob ein Bewerber vorbestraft war oder nicht. Um sozialpolitische Wirkungen detailliert zu analysieren, anstatt unkontrolliert irgendetwas einzuführen, das nur sinnvoll klingt, haben Forscher in skandinavischen Ländern Zugang zu großen administrativen Datensätzen. Im notorisch untererforschten Deutschland ist das nicht der Fall.
„Wäre Altruismus kostenlos
zu haben, sähen wir ihn
viel häufiger“
„Entscheidungsträger folgen
Umfragen, und sind in ihrem
Urteil häufig zu selbstsicher“
Armin Falk, geboren 1968, ist Professorfür Volkswirtschaftslehre, Direktor des briq-Instituts für Verhalten und Ungleichheit und des Labors für Experimentelle Wirtschaftsforschung an der Uni Bonn.
Foto: Henry Fair/briq
Wenn der Einzelne seine Handlungen für unbedeutend hält, diffundiert Verantwortung auf Kosten Dritter: Näherinnen und Näher in Bangladesch bei der Produktion von Billigkleidung für westliche Textildiscounter.
Foto: imago/Joerg Boethling
Armin Falk: Warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein. Antworten eines Verhaltensökonomen. Siedler-Verlag, München 2022. 336 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Tillman Neuscheler staunt Bauklötze über experimentelle Verhaltensökonomie, die heutzutage Laborexperimente, Feldforschungen und Magnetresonanztomografen auffährt, auch wenn sie Armin Falks Erkenntnisse ein wenig banal ausnehmen: Menschen wären gern anständig, sie möchten nur nicht gern auf persönliche Vorteile verzichten müssen. Image ist vielen wichtiger als die Moral. Kinder übernehmen die Verhaltensweisen ihrer Eltern. Neuscheler hätte es vielleicht auch so gewusst, aber das so richtig auf Wissenschaftlich erklärt zu bekommen, findet er irgendwie was anderes. Nur dass der Markt die Moral erodieren lässt, will der Rezensent der Wissenschaft nicht abnehmen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.10.2022Nachschub fürs Regal
In dieser Woche beginnt die Frankfurter Buchmesse. Mit welchen Themen beschäftigen sich die Wirtschaftsbücher in diesem Jahr? Eine kleine Auswahl.
Dan McCrum
Ein Krimi namens Wirecard
Dan McCrum, Investigativreporter der "Financial Times", hat zusammen mit einigen Kollegen den Wirecard-Konzern zu Fall gebracht. Sein Buch über einen der größten Finanzskandale in der deutschen Geschichte ist ein sehr persönliches. "House of Wirecard" liest sich spannend wie ein Krimi, erst recht die Kapitel, in denen der Autor selbst in den Mittelpunkt des Geschehens rückt. Ohne jede Larmoyanz erzählt McCrum, wie er bedroht und eingeschüchtert wurde, wie die Münchner Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Verdachts auf Marktmanipulation ermittelte, wie sich auch die Bundesanstalt für Finanzaufsicht (Bafin) auf die Seite des damaligen Dax-Konzerns und deutschen Vorzeigeunternehmens schlug. McCrum stand wie ein Krimineller da. "Mehr als einmal glaubte ich, meine Karriere sei zu Ende", schreibt McCrum im Vorwort zur deutschen Ausgabe. "House of Wirecard" ist nicht nur die detailliert aufgearbeitete Geschichte vom Aufstieg und Fall des Technologieunternehmens im Münchner Vorort Aschheim, es ist auch die Geschichte eines 43 Jahre alten britischen Reporters, der mithilfe von Whistleblowern und Kollegen beharrlich recherchiert zu den Machenschaften der zwielichtigen Wirecard-Manager - und am Ende recht behält. In ein paar Monaten wird Markus Braun, damals Vorstandschef von Wirecard, und zwei weiteren Topmanagern in München der Prozess gemacht. In 700 Aktenbänden hat die Staatsanwaltschaft Beweise für "Marktmanipulation und Untreue" zusammengetragen. Einiges davon geht auf McCrums Recherchen zurück. hpe.
Dan McCrum: House of Wirecard - Wie ich den größten Wirtschaftsbetrug Deutschlands aufdeckte und einen Dax-Konzern zu Fall brachte. Econ Verlag, Berlin 2022, 464 Seiten, 25 Euro.
Thomas Piketty
Der lange Weg zur Gleichheit
Der linke französische Starökonom Thomas Piketty ist bekannt für seine schweren tausendseitigen Bücher. Mit seinem neuen Buch "Eine kurze Geschichte der Gleichheit" hat der Bestsellerautor auf rund 260 Seiten eine Art Resümee vorgelegt, das gut in seinen Kosmos einführt. Piketty beginnt nicht mit dem oft strapazierten Bild der Schere zwischen Arm und Reich, die immer weiter auseinandergehe - im Gegenteil, er überrascht gleich zu Beginn mit der Aussage, langfristig gebe es durchaus einen Trend zur Gleichheit. Die Welt im Jahr 2020 sei viel egalitärer als 1950 oder 1900, die ihrerseits in zahlreichen Hinsichten schon egalitärer war als die Welt von 1850 oder 1789, schreibt Piketty. Erreicht worden sei dies aber nur dank sozialer Kämpfe, die möglich gemacht hätten, Institutionen zu stürzen. Seinem Antikapitalismus bleibt er treu, er warnt vor verfrühtem Jubel. Er träumt weiter von einem Minimalerbe für alle in Höhe von 120 000 Euro, deutlich höheren Steuern und einer "Entmarktung" der Wirtschaft. Dennoch lesenswert. tine.
Thomas Piketty: Eine kurze Geschichte der Gleichheit. C.H. Beck Verlag,
München 2022, 264 Seiten, 25 Euro.
Achim Wambach
Die Kosten des Klimaschutzes
"Klima muss sich lohnen", schreibt der Ökonom Achim Wambach in seinem Buch, in dem er der Frage nachgeht, welche Dinge jetzt tatsächlich helfen im Kampf gegen den Klimawandel und welche nicht. Sein Buch ist zweifellos ein Plädoyer für mehr Klimaschutz, aber vor allem für mehr ökonomische Vernunft dabei. Wambach sieht in erster Linie die Politik in der Pflicht, der Einzelne sei mit den komplexen Wirkungszusammenhängen leider oft überfordert. Tun muss freilich jeder etwas, doch vieles, was gut gemeint sei, helfe dem Klimaschutz wenig, argumentiert der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Der Kauf von Ökostrom oder eine Pflicht zum Bau von Solardächern helfe wenig, schreibt Wambach und erklärt auch die Gründe. Eine intelligente Straßenmaut, der Verzicht auf Flüge ins außereuropäische Ausland, der Bau von Radschnellwegen und ein geringerer Fleischkonsum hülfen viel mehr. Um zu verstehen, warum das so ist, muss man die Mechanik des Emissionshandels durchschauen, die Wambach in seinem Buch gut erklärt. tine.
Achim Wambach: Klima muss sich
lohnen. Verlag Herder, Freiburg 2022,
160 Seiten, 16 Euro.
Patrick Radden Keefe
Eine Familie und ihre Rolle in der Opioid-Epidemie
Es ist eine besonders düstere Familiensaga: Patrick Radden Keefe erzählt in "Imperium der Schmerzen" auf mehr als 600 Seiten die Geschichte der Sacklers, deren Name wie kein anderer mit der Opioid-Epidemie in den USA in Verbindung gebracht wird. Ihr Unternehmen brachte vor gut 25 Jahren das Schmerzmittel Oxycontin heraus, das als Wurzel der Drogenkrise in Amerika gilt. Obwohl es stärker als Morphin ist, wurde es nicht nur Schwerstkranken gegeben, sondern auf breiter Front zur Behandlung von Schmerzen eingesetzt, und viele Menschen wurden süchtig danach. Keefe holt weit aus und konzentriert sich erst einmal auf Arthur Sackler, den ältesten von drei Söhnen europäischer Einwanderer, der in den Sechzigerjahren zu einem Pionier der aggressiven Vermarktung von Medikamenten wie dem Beruhigungsmittel Valium wurde. Darin sieht der Autor das Modell, dem später auch Purdue mit Oxycontin folgte, wenngleich das Unternehmen selbst von Arthurs Brüdern Raymond und Mortimer und deren Familien kontrolliert wurde. Die Sacklers werden als geldgieriger Clan beschrieben, der sich der Suchtgefahr seines Produkts bewusst war, aber keinerlei Verantwortung übernahm. Keefe hat für sein Buch, das am kommenden Montag auch auf Deutsch erscheint, massenweise Gerichtsdokumente ausgewertet und mit früheren Purdue-Mitarbeitern gesprochen, die Sacklers selbst kooperierten nicht mit ihm. lid.
Patrick Radden Keefe: Imperium der
Schmerzen. Wie eine Familiendynastie die
weltweite Opioid-Krise auslöste, Hanser Verlag, München 2022, 640 Seiten, 36 Euro.
Oded Galor
Wie wir reich wurden
Jahrtausendelang lebten fast alle Menschen an der Grenze zum Existenzminimum. Erst mit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert ist der Wohlstand großer Teile der Menschheit sprunghaft angestiegen. Wie genau ist es dazu gekommen? Der Reichtum kam innerhalb sehr kurzer Zeit, doch Oded Galor zeigt, dass sich der Prozess unter der Oberfläche lange anbahnte. Der israelische Wirtschaftswissenschaftler nimmt uns in seinem faszinierenden Buch mit auf eine Reise durch die Wirtschaftsgeschichte von der Steinzeit bis heute. Warum geht es einigen Ländern heute so viel besser als anderen? Sind heute dieselben Länder reich wie vor tausend Jahren? Und wenn es andere sind: Warum sind manche Länder auf- und andere abgestiegen? Galor spürt in seinem Buch den Kräften nach, die nicht nur für einzelne Epochen eine Rolle spielen, sondern für die gesamte Wirtschaftsgeschichte: dem Zusammenspiel von Bildung und technischem Fortschritt, Kinderarbeit, Kolonialismus, Sklaverei, Geschlechterrollen, Demokratieverständnis, Protestantismus und Bevölkerungsvielfalt. Auch die Geographie hatte maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung. tine.
Oded Galor: The Journey of Humanity - Die Reise der Menschheit durch die Jahrtausende. Über die Entstehung
von Wohlstand und Ungleichheit,
dtv, München 2022, 384 Seiten, 26 Euro.
Massimo Bognanni
Cum-ex-Skandal entschlüsselt
Waren die "Cum-ex"-Geschäfte nur eine dubiose Steuergestaltung für Superreiche? Oder der von Bankern und Anwälten knallhart kalkulierte Griff in die Staatskasse? Über die Dauer von mehr als zwei Jahrzehnten, endend mit der Bundestagswahl 2021, baut Massimo Bognanni in "Unter den Augen des Staates" den Spannungsbogen im größten Fall organisierter Steuerhinterziehung in Deutschland auf. Von dem WDR-Journalisten packend und verständlich aufgeschrieben, kann der Leser abwechselnd der Kölner Staatsanwältin Anne Brorhilker bei ihren Cum-ex-Ermittlungen folgen oder sich über das Zögern von Politik, Finanz- und Aufsichtsbehörden echauffieren. Das Buch profitiert immens von diesen Perspektivwechseln. Sie geben ihm Struktur, beim Lesefluss entsteht dadurch kein Bruch. So wie die geschilderten Ermittlungen, Durchsuchungen und letztlich die ersten Strafprozesse am Landgericht Bonn an Fahrt gewinnen, so zeichnet sich "Unter den Augen des Staates" durch einen klaren erzählerischen Faden und seine Verständlichkeit aus. Berichte über das Dividendenstripping waren zuvor Materie für ein Fachpublikum. Bognanni gelingt es, das kriminelle Phänomen "Cum-ex" für eine deutlich breitere Öffentlichkeit greifbar zu machen. Daher hat sich "Unter den Augen des Staates", das zu Beginn des Jahres 2022 erschien, innerhalb weniger Monate zum Standardwerk entwickelt.
Wenige Monate vor Bognanni hatte schon Oliver Schröm ein Buch zu dem Steuerskandal veröffentlicht. In den "Cum-ex-Files" verschiebt der Autor die Erzählebene jedoch stark auf seine Rolle als Investigativjournalist. Schröm, damals noch Journalist beim "Stern" und später Chefredakteur des Recherchekollektivs "Correctiv", stieß 2013 mit Unterstützung eines Hinweisgebers aus der Schweiz auf die Machenschaften von Aktienhändlern, Beratern und Banken. Seine hartnäckige Recherche zur Rolle von Olaf Scholz mündete schließlich noch in einem weiteren Werk zum Thema: Die "Akte Scholz" ist vergangene Woche erschienen und beschäftigt sich mit dessen Zeit als Erstem Bürgermeister von Hamburg und der unterbliebenen Steuernachforderung gegenüber der Warburg-Bank. mj.
Massimo Bognanni: Unter den Augen des Staates. Der größte Steuerraub in der Geschichte der Bundesrepublik, dtv Verlag, München 2022, 285 Seiten, 20 Euro.
Armin Falk
Der Preis des Anstands
Menschen handeln oft eigennützig, obwohl die meisten von uns durchaus anständig sein wollen. Viele von uns haben keinen Organspendeausweis, obwohl sie die Idee eigentlich gut finden; wir fliegen nach Australien in den Urlaub, obwohl uns Klimaschutz wichtig ist; auch beruflich ringen wir um Anerkennung und verlieren dabei im Eifer bisweilen unsere moralischen Skrupel. Warum aber ist es eigentlich so schwer, ein guter Mensch zu sein, fragt der Verhaltensökonom Armin Falk. Der Bonner Ökonom greift dabei auf eine Vielzahl von Labor- und Feldexperimenten zurück, die er selbst und andere Forscher in den vergangenen Jahren durchgeführt haben. Er nimmt seine Leser mit auf eine Spritztour durch die Verhaltenswissenschaft, Falk selbst gehört seit Jahren zu den forschungsstärksten Ökonomen in Deutschland. Er ist überzeugt: Ob wir uns gut oder schlecht verhalten, hängt maßgeblich davon ab, wie uns andere behandeln. Diese Reziprozität belegt er mit etlichen experimentellen Untersuchungen. Das Buch ist dabei leicht verständlich geschrieben. Es geht um die ewige Spannung zwischen Altruismus und Eigennutz, um Gefühle wie Neid, Rachegelüste und Geltungsbedürfnis. Am Ende wird das Buch zu einer Art verhaltensökonomischem Ratgeber mit anschaulichen Tipps zum Weltverbessern. tine.
Armin Falk: Warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein. Siedler, München 2022, 336 Seiten, 24 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In dieser Woche beginnt die Frankfurter Buchmesse. Mit welchen Themen beschäftigen sich die Wirtschaftsbücher in diesem Jahr? Eine kleine Auswahl.
Dan McCrum
Ein Krimi namens Wirecard
Dan McCrum, Investigativreporter der "Financial Times", hat zusammen mit einigen Kollegen den Wirecard-Konzern zu Fall gebracht. Sein Buch über einen der größten Finanzskandale in der deutschen Geschichte ist ein sehr persönliches. "House of Wirecard" liest sich spannend wie ein Krimi, erst recht die Kapitel, in denen der Autor selbst in den Mittelpunkt des Geschehens rückt. Ohne jede Larmoyanz erzählt McCrum, wie er bedroht und eingeschüchtert wurde, wie die Münchner Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Verdachts auf Marktmanipulation ermittelte, wie sich auch die Bundesanstalt für Finanzaufsicht (Bafin) auf die Seite des damaligen Dax-Konzerns und deutschen Vorzeigeunternehmens schlug. McCrum stand wie ein Krimineller da. "Mehr als einmal glaubte ich, meine Karriere sei zu Ende", schreibt McCrum im Vorwort zur deutschen Ausgabe. "House of Wirecard" ist nicht nur die detailliert aufgearbeitete Geschichte vom Aufstieg und Fall des Technologieunternehmens im Münchner Vorort Aschheim, es ist auch die Geschichte eines 43 Jahre alten britischen Reporters, der mithilfe von Whistleblowern und Kollegen beharrlich recherchiert zu den Machenschaften der zwielichtigen Wirecard-Manager - und am Ende recht behält. In ein paar Monaten wird Markus Braun, damals Vorstandschef von Wirecard, und zwei weiteren Topmanagern in München der Prozess gemacht. In 700 Aktenbänden hat die Staatsanwaltschaft Beweise für "Marktmanipulation und Untreue" zusammengetragen. Einiges davon geht auf McCrums Recherchen zurück. hpe.
Dan McCrum: House of Wirecard - Wie ich den größten Wirtschaftsbetrug Deutschlands aufdeckte und einen Dax-Konzern zu Fall brachte. Econ Verlag, Berlin 2022, 464 Seiten, 25 Euro.
Thomas Piketty
Der lange Weg zur Gleichheit
Der linke französische Starökonom Thomas Piketty ist bekannt für seine schweren tausendseitigen Bücher. Mit seinem neuen Buch "Eine kurze Geschichte der Gleichheit" hat der Bestsellerautor auf rund 260 Seiten eine Art Resümee vorgelegt, das gut in seinen Kosmos einführt. Piketty beginnt nicht mit dem oft strapazierten Bild der Schere zwischen Arm und Reich, die immer weiter auseinandergehe - im Gegenteil, er überrascht gleich zu Beginn mit der Aussage, langfristig gebe es durchaus einen Trend zur Gleichheit. Die Welt im Jahr 2020 sei viel egalitärer als 1950 oder 1900, die ihrerseits in zahlreichen Hinsichten schon egalitärer war als die Welt von 1850 oder 1789, schreibt Piketty. Erreicht worden sei dies aber nur dank sozialer Kämpfe, die möglich gemacht hätten, Institutionen zu stürzen. Seinem Antikapitalismus bleibt er treu, er warnt vor verfrühtem Jubel. Er träumt weiter von einem Minimalerbe für alle in Höhe von 120 000 Euro, deutlich höheren Steuern und einer "Entmarktung" der Wirtschaft. Dennoch lesenswert. tine.
Thomas Piketty: Eine kurze Geschichte der Gleichheit. C.H. Beck Verlag,
München 2022, 264 Seiten, 25 Euro.
Achim Wambach
Die Kosten des Klimaschutzes
"Klima muss sich lohnen", schreibt der Ökonom Achim Wambach in seinem Buch, in dem er der Frage nachgeht, welche Dinge jetzt tatsächlich helfen im Kampf gegen den Klimawandel und welche nicht. Sein Buch ist zweifellos ein Plädoyer für mehr Klimaschutz, aber vor allem für mehr ökonomische Vernunft dabei. Wambach sieht in erster Linie die Politik in der Pflicht, der Einzelne sei mit den komplexen Wirkungszusammenhängen leider oft überfordert. Tun muss freilich jeder etwas, doch vieles, was gut gemeint sei, helfe dem Klimaschutz wenig, argumentiert der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Der Kauf von Ökostrom oder eine Pflicht zum Bau von Solardächern helfe wenig, schreibt Wambach und erklärt auch die Gründe. Eine intelligente Straßenmaut, der Verzicht auf Flüge ins außereuropäische Ausland, der Bau von Radschnellwegen und ein geringerer Fleischkonsum hülfen viel mehr. Um zu verstehen, warum das so ist, muss man die Mechanik des Emissionshandels durchschauen, die Wambach in seinem Buch gut erklärt. tine.
Achim Wambach: Klima muss sich
lohnen. Verlag Herder, Freiburg 2022,
160 Seiten, 16 Euro.
Patrick Radden Keefe
Eine Familie und ihre Rolle in der Opioid-Epidemie
Es ist eine besonders düstere Familiensaga: Patrick Radden Keefe erzählt in "Imperium der Schmerzen" auf mehr als 600 Seiten die Geschichte der Sacklers, deren Name wie kein anderer mit der Opioid-Epidemie in den USA in Verbindung gebracht wird. Ihr Unternehmen brachte vor gut 25 Jahren das Schmerzmittel Oxycontin heraus, das als Wurzel der Drogenkrise in Amerika gilt. Obwohl es stärker als Morphin ist, wurde es nicht nur Schwerstkranken gegeben, sondern auf breiter Front zur Behandlung von Schmerzen eingesetzt, und viele Menschen wurden süchtig danach. Keefe holt weit aus und konzentriert sich erst einmal auf Arthur Sackler, den ältesten von drei Söhnen europäischer Einwanderer, der in den Sechzigerjahren zu einem Pionier der aggressiven Vermarktung von Medikamenten wie dem Beruhigungsmittel Valium wurde. Darin sieht der Autor das Modell, dem später auch Purdue mit Oxycontin folgte, wenngleich das Unternehmen selbst von Arthurs Brüdern Raymond und Mortimer und deren Familien kontrolliert wurde. Die Sacklers werden als geldgieriger Clan beschrieben, der sich der Suchtgefahr seines Produkts bewusst war, aber keinerlei Verantwortung übernahm. Keefe hat für sein Buch, das am kommenden Montag auch auf Deutsch erscheint, massenweise Gerichtsdokumente ausgewertet und mit früheren Purdue-Mitarbeitern gesprochen, die Sacklers selbst kooperierten nicht mit ihm. lid.
Patrick Radden Keefe: Imperium der
Schmerzen. Wie eine Familiendynastie die
weltweite Opioid-Krise auslöste, Hanser Verlag, München 2022, 640 Seiten, 36 Euro.
Oded Galor
Wie wir reich wurden
Jahrtausendelang lebten fast alle Menschen an der Grenze zum Existenzminimum. Erst mit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert ist der Wohlstand großer Teile der Menschheit sprunghaft angestiegen. Wie genau ist es dazu gekommen? Der Reichtum kam innerhalb sehr kurzer Zeit, doch Oded Galor zeigt, dass sich der Prozess unter der Oberfläche lange anbahnte. Der israelische Wirtschaftswissenschaftler nimmt uns in seinem faszinierenden Buch mit auf eine Reise durch die Wirtschaftsgeschichte von der Steinzeit bis heute. Warum geht es einigen Ländern heute so viel besser als anderen? Sind heute dieselben Länder reich wie vor tausend Jahren? Und wenn es andere sind: Warum sind manche Länder auf- und andere abgestiegen? Galor spürt in seinem Buch den Kräften nach, die nicht nur für einzelne Epochen eine Rolle spielen, sondern für die gesamte Wirtschaftsgeschichte: dem Zusammenspiel von Bildung und technischem Fortschritt, Kinderarbeit, Kolonialismus, Sklaverei, Geschlechterrollen, Demokratieverständnis, Protestantismus und Bevölkerungsvielfalt. Auch die Geographie hatte maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung. tine.
Oded Galor: The Journey of Humanity - Die Reise der Menschheit durch die Jahrtausende. Über die Entstehung
von Wohlstand und Ungleichheit,
dtv, München 2022, 384 Seiten, 26 Euro.
Massimo Bognanni
Cum-ex-Skandal entschlüsselt
Waren die "Cum-ex"-Geschäfte nur eine dubiose Steuergestaltung für Superreiche? Oder der von Bankern und Anwälten knallhart kalkulierte Griff in die Staatskasse? Über die Dauer von mehr als zwei Jahrzehnten, endend mit der Bundestagswahl 2021, baut Massimo Bognanni in "Unter den Augen des Staates" den Spannungsbogen im größten Fall organisierter Steuerhinterziehung in Deutschland auf. Von dem WDR-Journalisten packend und verständlich aufgeschrieben, kann der Leser abwechselnd der Kölner Staatsanwältin Anne Brorhilker bei ihren Cum-ex-Ermittlungen folgen oder sich über das Zögern von Politik, Finanz- und Aufsichtsbehörden echauffieren. Das Buch profitiert immens von diesen Perspektivwechseln. Sie geben ihm Struktur, beim Lesefluss entsteht dadurch kein Bruch. So wie die geschilderten Ermittlungen, Durchsuchungen und letztlich die ersten Strafprozesse am Landgericht Bonn an Fahrt gewinnen, so zeichnet sich "Unter den Augen des Staates" durch einen klaren erzählerischen Faden und seine Verständlichkeit aus. Berichte über das Dividendenstripping waren zuvor Materie für ein Fachpublikum. Bognanni gelingt es, das kriminelle Phänomen "Cum-ex" für eine deutlich breitere Öffentlichkeit greifbar zu machen. Daher hat sich "Unter den Augen des Staates", das zu Beginn des Jahres 2022 erschien, innerhalb weniger Monate zum Standardwerk entwickelt.
Wenige Monate vor Bognanni hatte schon Oliver Schröm ein Buch zu dem Steuerskandal veröffentlicht. In den "Cum-ex-Files" verschiebt der Autor die Erzählebene jedoch stark auf seine Rolle als Investigativjournalist. Schröm, damals noch Journalist beim "Stern" und später Chefredakteur des Recherchekollektivs "Correctiv", stieß 2013 mit Unterstützung eines Hinweisgebers aus der Schweiz auf die Machenschaften von Aktienhändlern, Beratern und Banken. Seine hartnäckige Recherche zur Rolle von Olaf Scholz mündete schließlich noch in einem weiteren Werk zum Thema: Die "Akte Scholz" ist vergangene Woche erschienen und beschäftigt sich mit dessen Zeit als Erstem Bürgermeister von Hamburg und der unterbliebenen Steuernachforderung gegenüber der Warburg-Bank. mj.
Massimo Bognanni: Unter den Augen des Staates. Der größte Steuerraub in der Geschichte der Bundesrepublik, dtv Verlag, München 2022, 285 Seiten, 20 Euro.
Armin Falk
Der Preis des Anstands
Menschen handeln oft eigennützig, obwohl die meisten von uns durchaus anständig sein wollen. Viele von uns haben keinen Organspendeausweis, obwohl sie die Idee eigentlich gut finden; wir fliegen nach Australien in den Urlaub, obwohl uns Klimaschutz wichtig ist; auch beruflich ringen wir um Anerkennung und verlieren dabei im Eifer bisweilen unsere moralischen Skrupel. Warum aber ist es eigentlich so schwer, ein guter Mensch zu sein, fragt der Verhaltensökonom Armin Falk. Der Bonner Ökonom greift dabei auf eine Vielzahl von Labor- und Feldexperimenten zurück, die er selbst und andere Forscher in den vergangenen Jahren durchgeführt haben. Er nimmt seine Leser mit auf eine Spritztour durch die Verhaltenswissenschaft, Falk selbst gehört seit Jahren zu den forschungsstärksten Ökonomen in Deutschland. Er ist überzeugt: Ob wir uns gut oder schlecht verhalten, hängt maßgeblich davon ab, wie uns andere behandeln. Diese Reziprozität belegt er mit etlichen experimentellen Untersuchungen. Das Buch ist dabei leicht verständlich geschrieben. Es geht um die ewige Spannung zwischen Altruismus und Eigennutz, um Gefühle wie Neid, Rachegelüste und Geltungsbedürfnis. Am Ende wird das Buch zu einer Art verhaltensökonomischem Ratgeber mit anschaulichen Tipps zum Weltverbessern. tine.
Armin Falk: Warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein. Siedler, München 2022, 336 Seiten, 24 Euro.
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»Ein grundoptimistisches Buch.« Deutschlandfunk Kultur "Lesart"