Jein ist eine deutsch-türkische Graphic Novel über Kultur, Politik, Identität, Kunst und den ganzen Rest.
Die Protagonistin Elâ Wolf ist Künstlerin, Berlinerin und Halbtürkin. Wobei letzteres ihrer Meinung nach nichts mit ihrer Kunst und eigentlich auch nichts mit dem Rest ihres Lebens zu tun hat.
Bis zum 16. April 2017, dem Tag des berüchtigten Verfassungsreferendums, mit dem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Demokratie in der Türkei aushebelte. Mit dem Sieg der "JA"-Fraktion sieht sich Elâ zum ersten Mal mit der politischen Wirklichkeit in ihrer zweiten Heimat konfrontiert. So stellt sich ihr immer dringlicher die Frage, ob sie sich mit der gesellschaftlichen Lage künstlerisch auseinandersetzen muss, und falls ja, auf welche Weise.
"Jein" ist sowohl der Titel von Büke Schwarz' Graphic-Novel-Debüt als auch der Titel einer in der Geschichte stattfindenden Kunstausstellung. Jein steht häufig im engen Zusammenhang mit Entscheidungsschwäche, oder Vermeidungsverhalten. Heutzutage scheint es verpönt zu sein, essentielle Fragen in der Politik, Kunst oder anderen Bereichen mit Jein zu beantworten. Eine klare Positionierung wird eingefordert, auch wenn die Zusammenhänge komplex sind, und genau das ist auch die persönliche Herausforderung, der sich Elâ Wolf stellen muss, als sie mit anderen Berliner KünstlerInnen die Ausstellung "Jein" plant. Als wäre das nicht schon genug, taucht überraschend ihr konservativer Vater auf und sie wird zu weiteren Entscheidungen genötigt.
Büke Schwarz' Comicerzählung beleuchtet zum einen die Deutsch-Türken und ihren Umgang mit der Veränderung ihrer Heimat und wie stark die Zensurverschärfungen Erdogans und seine Politik Einfluss auf sie hierzulande haben. Zum anderen gibt "Jein" Einblicke in die Kunstwelt und ihr ambivalentes Verhältnis zur Politik, besonders in Zeiten politischer Umbrüche.
In ihrem Debüt zeichnet Büke Schwarz mit bemerkenswerter Lockerheit und Klarheit eine unterhaltsame, humorvolle Geschichte ohne Scheuklappen, ohne dabei zeitaktuelle Fragen nach kultureller Identität und politischer Partizipation aus den Augen zu verlieren.
Die Protagonistin Elâ Wolf ist Künstlerin, Berlinerin und Halbtürkin. Wobei letzteres ihrer Meinung nach nichts mit ihrer Kunst und eigentlich auch nichts mit dem Rest ihres Lebens zu tun hat.
Bis zum 16. April 2017, dem Tag des berüchtigten Verfassungsreferendums, mit dem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Demokratie in der Türkei aushebelte. Mit dem Sieg der "JA"-Fraktion sieht sich Elâ zum ersten Mal mit der politischen Wirklichkeit in ihrer zweiten Heimat konfrontiert. So stellt sich ihr immer dringlicher die Frage, ob sie sich mit der gesellschaftlichen Lage künstlerisch auseinandersetzen muss, und falls ja, auf welche Weise.
"Jein" ist sowohl der Titel von Büke Schwarz' Graphic-Novel-Debüt als auch der Titel einer in der Geschichte stattfindenden Kunstausstellung. Jein steht häufig im engen Zusammenhang mit Entscheidungsschwäche, oder Vermeidungsverhalten. Heutzutage scheint es verpönt zu sein, essentielle Fragen in der Politik, Kunst oder anderen Bereichen mit Jein zu beantworten. Eine klare Positionierung wird eingefordert, auch wenn die Zusammenhänge komplex sind, und genau das ist auch die persönliche Herausforderung, der sich Elâ Wolf stellen muss, als sie mit anderen Berliner KünstlerInnen die Ausstellung "Jein" plant. Als wäre das nicht schon genug, taucht überraschend ihr konservativer Vater auf und sie wird zu weiteren Entscheidungen genötigt.
Büke Schwarz' Comicerzählung beleuchtet zum einen die Deutsch-Türken und ihren Umgang mit der Veränderung ihrer Heimat und wie stark die Zensurverschärfungen Erdogans und seine Politik Einfluss auf sie hierzulande haben. Zum anderen gibt "Jein" Einblicke in die Kunstwelt und ihr ambivalentes Verhältnis zur Politik, besonders in Zeiten politischer Umbrüche.
In ihrem Debüt zeichnet Büke Schwarz mit bemerkenswerter Lockerheit und Klarheit eine unterhaltsame, humorvolle Geschichte ohne Scheuklappen, ohne dabei zeitaktuelle Fragen nach kultureller Identität und politischer Partizipation aus den Augen zu verlieren.
buecher-magazin.deAm 16. April 2017 stimmte eine knappe Mehrheit der Türkinnen und Türken für eine Verfassungsreform, die ihrem Präsidenten Recep Tayyip Erdoan nahezu diktatorische Macht verlieh. Auch in Deutschland wurde die Entscheidung kontrovers diskutiert, Millionen gingen auf die Straße, immer wieder kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. Inmitten dieser Atmosphäre wird Büke Schwarz’ Protagonistin Elâ, Malerin, Berlinerin und Halbtürkin, im Rahmen eines Stipendiums dazu eingeladen, mit vier anderen eine Ausstellung zu organisieren. Elâ sieht sich nicht als politische Künstlerin. Die Geschichten, die sie mit ihren Bildern erzählt, sind zugleich persönlich und universell. Doch es scheint unmöglich, sich nicht zu positionieren. Die Gruppe beschließt: „Es wollen doch immer alle voneinander wissen, wo der andere steht. (…) Aber diesmal verweigern wir die Aussage und nennen unsere Ausstellung JEIN!“ Als Elâ in einem Fernsehinterview doch Position bezieht, wird sie zur Zielscheibe der „Evet!“-Fraktion, die Erdoan Griff nach der Macht unterstützt. Büke Schwarz zeichnet ein nuanciertes Bild einer gespaltenen Gesellschaft und arbeitet präzise heraus, wie schwierig und notwendig es ist, den gesellschaftlichen Dialog aufrechtzuerhalten, ohne die eigenen Ideale zu verraten. Dabei findet sie selbst in tiefernsten Szenen Liebe, Hoffnung und zeichnerischen Witz, etwa, als Elâ, schockiert vom Wahlergebnis, die Enden des Panels zu sich zieht, sich darin einwickelt wie in eine Decke und schließlich ganz verschwindet. Ein schönes politisches Buch voller kluger Einfälle.
© BÜCHERmagazin, Elisabeth Dietz (ed)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.03.2020Das Private ist urpolitisch
Büke Schwarz zeichnet mit "Jein" einen beeindruckenden autobiographisch grundierten Comic
Es gibt Debüts, die verblüffen. "Jein" von Büke Schwarz ist eines. Der Band, erschienen beim Berliner Jaja Verlag, ist eine der schönsten Künstlerselbstbetrachtungen, die der deutsche Comic hervorgebracht hat. Wie nahe das Geschehen von "Jein" am realen Leben von Büke Schwarz ist, kann man zwar nur vermuten, aber mit ihrer Protagonistin Evâ Wolf teilt sie den biographischen Hintergrund als Kind einer türkischen Familie, das seinen deutschen Nachnamen durch die zweite Ehe der Mutter bekam. Büke Schwarz ist auch Künstlerin wie Evâ Wolf, lebt wie diese in Berlin; sie kennt also Szenerie und Lebensumstände ihrer Protagonistin aus eigener Anschauung. Das trägt zur Eindringlichkeit des Geschehens entscheidend bei.
Evâ Wolf bekommt 2017 von einer Berliner Kunstmäzenin einen Preis zugesprochen. Er ist mit einer Ausstellung verbunden, die sie gemeinsam mit drei weiteren Laureaten bestücken soll. In die Zeit der Vorbereitung fällt das türkische Verfassungsreferendum vom 16. April 2017, in dem eine knappe Mehrheit der Wähler die von Staatspräsident Erdogan vorgeschlagenen Reformen billigte, mit denen er seine Macht festigte. Größer als in der Türkei war die Zustimmung unter den in Deutschland lebenden Türken, was für deren liberale Landsleute oder Deutsche wie Büke Schwarz, die sich dem Land ihrer Vorfahren und seiner Kultur biographisch nahe fühlen, schwer zu ertragen war. Entsprechend stark nimmt der Wahlausgang die fiktive Evâ Wolf mit. In den unterschiedlichen künstlerischen Konzepten ihrer Preisträgerkollegen wird für die Künstlerin darüber hinaus die Differenz in der Verquickung von Politischem und Ästhetischem sichtbar.
Die Benennung des Comics mit "Jein" verdankt sich nicht nur dem für die Gemeinschaftsausstellung schließlich gewählten Titel, sondern mehr noch der Zerrissenheit der Protagonistin zwischen Deutschland und der Türkei. Das wird auf dem Umschlag des Bandes ganz deutlich, dem in großer, aber nahezu unsichtbarer Blindprägung die türkischen Worte "evet" (ja) und "hayir" (nein) eingedruckt sind, angeordnet genau unter dem deutschen Titelschriftzug "Jein", links und rechts einer Bruchlinie, die sich von oben bis unten durch die Zeichnung zieht und das Cover-Motiv in eine Berliner und eine Istanbuler Hälfte teilt. Spaltung also ist das Thema, und zwar eine Spaltung, die sich durch Evâ Wolfs ganzes Selbstverständnis zieht.
Es geht aber in "Jein" nicht nur ernsthaft zu. Das zweite Kapitel, "Manifesto" betitelt, nach dem gleichnamigen Essayfilm von Julian Rosefeldt mit Cate Blanchett in der Hauptrolle, ist das am genauesten Beobachtete und dabei am komischsten Erzählte, was seit langem in einem deutschen Comic zu lesen war: eine furiose, eingebettete Kurzgeschichte, nur acht Seiten lang, und auf den letzten beiden zeichnet Büke Schwarz, als hätte sie bei der Arbeit daran gerade Catherine Meurisse für sich entdeckt. Stilistisch und inhaltlich ein Genuss.
Büke Schwarz versteht es zudem meisterhaft, die formalen Prinzipien des Comics für ihre Charakterisierung von Evâ Wolf zu nutzen. Panel-Ränder etwa können aus Schutzbedürfnis von der Protagonistin eingefaltet und um sich herum geschlungen werden - wie eine Schutzschicht. Und dass die Geschichte bis auf farbig aquarellierte Kapitelauftakte konsequent in Schwarzweiß erzählt wird, obwohl angesichts von Evâ Wolfs - im Comic nie genau gezeigter - Malerei Farbe nahegelegen hätte, zeigt Büke Schwarz' Distinktionsbedürfnis bei ihren eigenen beiden Ausdrucksformen. Es wäre bedauerlich, wenn sie sich nach "Jein" wieder ganz ihrer "normalen" Kunst widmen würde. Auch wenn sie nach der Fertigstellung sicher gedacht haben wird, sie hätte alles in ihrem Comic erzählt, was ihr auf den Nägeln brennt. Aber heute dürfte etwas ganz anderes Büke Schwarz umtreiben, und wir bekämen in Zukunft gerne davon erzählt.
ANDREAS PLATTHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Büke Schwarz zeichnet mit "Jein" einen beeindruckenden autobiographisch grundierten Comic
Es gibt Debüts, die verblüffen. "Jein" von Büke Schwarz ist eines. Der Band, erschienen beim Berliner Jaja Verlag, ist eine der schönsten Künstlerselbstbetrachtungen, die der deutsche Comic hervorgebracht hat. Wie nahe das Geschehen von "Jein" am realen Leben von Büke Schwarz ist, kann man zwar nur vermuten, aber mit ihrer Protagonistin Evâ Wolf teilt sie den biographischen Hintergrund als Kind einer türkischen Familie, das seinen deutschen Nachnamen durch die zweite Ehe der Mutter bekam. Büke Schwarz ist auch Künstlerin wie Evâ Wolf, lebt wie diese in Berlin; sie kennt also Szenerie und Lebensumstände ihrer Protagonistin aus eigener Anschauung. Das trägt zur Eindringlichkeit des Geschehens entscheidend bei.
Evâ Wolf bekommt 2017 von einer Berliner Kunstmäzenin einen Preis zugesprochen. Er ist mit einer Ausstellung verbunden, die sie gemeinsam mit drei weiteren Laureaten bestücken soll. In die Zeit der Vorbereitung fällt das türkische Verfassungsreferendum vom 16. April 2017, in dem eine knappe Mehrheit der Wähler die von Staatspräsident Erdogan vorgeschlagenen Reformen billigte, mit denen er seine Macht festigte. Größer als in der Türkei war die Zustimmung unter den in Deutschland lebenden Türken, was für deren liberale Landsleute oder Deutsche wie Büke Schwarz, die sich dem Land ihrer Vorfahren und seiner Kultur biographisch nahe fühlen, schwer zu ertragen war. Entsprechend stark nimmt der Wahlausgang die fiktive Evâ Wolf mit. In den unterschiedlichen künstlerischen Konzepten ihrer Preisträgerkollegen wird für die Künstlerin darüber hinaus die Differenz in der Verquickung von Politischem und Ästhetischem sichtbar.
Die Benennung des Comics mit "Jein" verdankt sich nicht nur dem für die Gemeinschaftsausstellung schließlich gewählten Titel, sondern mehr noch der Zerrissenheit der Protagonistin zwischen Deutschland und der Türkei. Das wird auf dem Umschlag des Bandes ganz deutlich, dem in großer, aber nahezu unsichtbarer Blindprägung die türkischen Worte "evet" (ja) und "hayir" (nein) eingedruckt sind, angeordnet genau unter dem deutschen Titelschriftzug "Jein", links und rechts einer Bruchlinie, die sich von oben bis unten durch die Zeichnung zieht und das Cover-Motiv in eine Berliner und eine Istanbuler Hälfte teilt. Spaltung also ist das Thema, und zwar eine Spaltung, die sich durch Evâ Wolfs ganzes Selbstverständnis zieht.
Es geht aber in "Jein" nicht nur ernsthaft zu. Das zweite Kapitel, "Manifesto" betitelt, nach dem gleichnamigen Essayfilm von Julian Rosefeldt mit Cate Blanchett in der Hauptrolle, ist das am genauesten Beobachtete und dabei am komischsten Erzählte, was seit langem in einem deutschen Comic zu lesen war: eine furiose, eingebettete Kurzgeschichte, nur acht Seiten lang, und auf den letzten beiden zeichnet Büke Schwarz, als hätte sie bei der Arbeit daran gerade Catherine Meurisse für sich entdeckt. Stilistisch und inhaltlich ein Genuss.
Büke Schwarz versteht es zudem meisterhaft, die formalen Prinzipien des Comics für ihre Charakterisierung von Evâ Wolf zu nutzen. Panel-Ränder etwa können aus Schutzbedürfnis von der Protagonistin eingefaltet und um sich herum geschlungen werden - wie eine Schutzschicht. Und dass die Geschichte bis auf farbig aquarellierte Kapitelauftakte konsequent in Schwarzweiß erzählt wird, obwohl angesichts von Evâ Wolfs - im Comic nie genau gezeigter - Malerei Farbe nahegelegen hätte, zeigt Büke Schwarz' Distinktionsbedürfnis bei ihren eigenen beiden Ausdrucksformen. Es wäre bedauerlich, wenn sie sich nach "Jein" wieder ganz ihrer "normalen" Kunst widmen würde. Auch wenn sie nach der Fertigstellung sicher gedacht haben wird, sie hätte alles in ihrem Comic erzählt, was ihr auf den Nägeln brennt. Aber heute dürfte etwas ganz anderes Büke Schwarz umtreiben, und wir bekämen in Zukunft gerne davon erzählt.
ANDREAS PLATTHAUS
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