Wie der Nazi Heinz Felfe zum Spitzenagenten des KGB im BND wurde
Die Skrupellosigkeit des Doppelspions Heinz Felfe erschütterte die BRD in ihren Grundfesten. Bis 1945 war der SS-Obersturmführer im Sicherheitsdienst tätig, unterwanderte danach als V-Mann von MI6 und dem Vorläufer des BND kommunistische Organisationen - um sich 1951 auch noch vom KGB anwerben zu lassen. Der Auftrag: Eindringen in die von der CIA geführte Organisation Gehlen. Ein Motiv: pure Geldgier. Im BND stieg er ironischerweise bis zum Leiter der Gegenspionage Sowjetunion auf und verriet alles und jeden an Moskau. 1961 wurde Felfe enttarnt und verhaftet, siedelte aber schon 1969 nach einem Agentenaustausch in die DDR über, wo er wieder Karriere machte: Er arbeitete für die Stasi, schrieb für den KGB ein Enthüllungsbuch und lehrte bis 1991 Kriminalistik an der Humboldt-Universität.
Die Skrupellosigkeit des Doppelspions Heinz Felfe erschütterte die BRD in ihren Grundfesten. Bis 1945 war der SS-Obersturmführer im Sicherheitsdienst tätig, unterwanderte danach als V-Mann von MI6 und dem Vorläufer des BND kommunistische Organisationen - um sich 1951 auch noch vom KGB anwerben zu lassen. Der Auftrag: Eindringen in die von der CIA geführte Organisation Gehlen. Ein Motiv: pure Geldgier. Im BND stieg er ironischerweise bis zum Leiter der Gegenspionage Sowjetunion auf und verriet alles und jeden an Moskau. 1961 wurde Felfe enttarnt und verhaftet, siedelte aber schon 1969 nach einem Agentenaustausch in die DDR über, wo er wieder Karriere machte: Er arbeitete für die Stasi, schrieb für den KGB ein Enthüllungsbuch und lehrte bis 1991 Kriminalistik an der Humboldt-Universität.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.09.2019Maulwurf vom Dienst
Bodo Hechelhammer hat die Karriere des Mehrfach-Agenten Heinz Felfe akribisch untersucht.
Dass einer für den BND und gleichzeitig für die Sowjets arbeiten konnte, hat mit der NS-Zeit zu tun
VON WILLI WINKLER
Acht Jahre hat sich Bodo Hechelhammer mit Heinz Felfe befasst, nämlich „um als BND-Mitarbeiter zu begreifen, warum ein früherer Kollege Geheimnis- und Landesverrat begangen hat. Selbstkritisch muss ich eingestehen“, schreibt er in seiner Danksagung, „dass acht Jahre zu viel waren.“
Das stimmt und auch wieder nicht, denn einer musste den Job ja machen, und niemand ist dafür besser ausgerüstet als der ehemalige BND-Agent Hechelhammer, der seiner Behörde heute als Chefhistoriker dient. Als solcher hat er exklusiven Zugriff auf das BND-Archiv, aus dem er rekonstruieren konnte, wie der gelernte Feinmechaniker Felfe erst für das Reichssicherheitshauptamt (RSHA), anschließend für den britischen Geheimdienst, dann den sowjetischen, schließlich den westdeutschen Auslandsgeheimdienst und die ostdeutsche Staatssicherheit arbeitete. „Vor allem aber arbeitete er immer für sich selbst“, lautet das vorweggenommene Fazit.
Um das zu erkennen, braucht es allerdings keine acht Jahre. Mit fast übermenschlicher Geduld hat Hechelhammer die BND- und Stasiakten (nicht jedoch die sowjetischen Unterlagen) ausgewertet, mit den letzten Zeitzeugen gesprochen, er hat nicht nur jeden Urlaub verzeichnet, den sich Felfe gönnte, sondern weiß jeweils das genaue Datum der Abreise, wen er dabei mitnahm oder am Ferienort traf oder wann genau er weshalb den Urlaub vorzeitig abbrach. Heinz Felfe bleibt trotzdem eine mausgraue Gestalt, die in bester deutscher Tradition in jedem System mitarbeiten konnte, solange ihm ein geregeltes Ein- und Auskommen gesichert war.
Hechelhammer ist Mittelalterhistoriker und deshalb mit Quellenarbeit vertraut, aber kein besonders eleganter Schreiber. In onkelhafter Manier erblickt Felfe 1918 das berühmte „Licht der Welt“, wird dann zum „kleinen Heinz“, und irgendwann „läuteten die Hochzeitsglocken“. Dresden kann nicht Dresden sein, sondern ist die „geliebte Heimatstadt“, Felfe der „Naturfreund“ und der „Familienmensch“, bei dem sich aber – bei einem Geheimdienstler nicht furchtbar überraschend – die „Geheimdienstarbeit wie ein roter Faden als eigentliche Lebenskonstante erweist“.
Der rote Faden beginnt bei der Kriminalpolizei und wird dann ins RSHA gesponnen, wo Felfe zum Sicherheitsdienst (SD), also zur Geheimpolizei gehört. Er schwört die vorgeschriebenen Eide auf Hitler, aber nach dem Krieg lässt sich der „überzeugte Nationalsozialist“ vom sowjetischen Geheimdienst gewinnen und erhält den Auftrag, sich in die Organisation Gehlen zu bewerben. In dieser Vorläuferorganisation des BND bewährt er sich vorschriftsmäßig als Antikommunist und steigt, durch östliches Spielmaterial bestens versorgt, in der Bundesbehörde bald zum Leiter der Spionageabwehr auf.
Immer wieder hatte es Warnungen gegeben, dass beim BND ein Maulwurf wühle, der gleichzeitig für die andere Seite im Kalten Krieg arbeite. Reinhard Gehlen persönlich nahm seinen eifrigen Mitarbeiter gegen den Vorwurf, der habe doch beim SD gewirkt, in Schutz; seine Vorgeschichte sei ihm „im Wesentlichen“ bekannt. Zum Ärger der neidischen Kollegen traf Felfe neun Mal persönlich mit dem sonst so misstrauischen Gehlen zusammen, dem er mit freundlicher Unterstützung aus Moskau den Lageplan der KGB-Zentrale in Berlin beschaffen konnte.
Seine Enttarnung 1961 lieferte den schlimmsten Skandal für den BND, von da an war es auch mit der chronischen Überschätzung Gehlens vorbei, zu dem nur noch Marion Gräfin Dönhoff (Zeit) und Hans Detlev Becker (Spiegel) halten wollten. Felfe kam vor Gericht, wurde zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt, aber bereits Anfang 1969 gegen 21 in der DDR inhaftierte politische Gefangene ausgetauscht.
In der DDR verwandelte sich Felfe als Schützling des Großen Moskauer Bruders in einen typischen Bonzen, forderte und bekam ein Haus und ein auffälliges Westauto; Reparaturen und die Beschaffung von Ersatzteilen oblagen auf Moskaus Weisung ebenfalls der Staatssicherheit. Sogar für eine neue Frau sorgte die Stasi. Selbstverständlich wurde auch er überwacht, aber er konnte sich einige Frechheiten herausnehmen, zum Beispiel bei einer Pressekonferenz bei der Veröffentlichung seiner Memoiren die fehlende Reisefreiheit beklagen. Dem KGB war es auch zu verdanken, dass Felfe in zäher Arbeit diese nicht besonders aufregende Autobiografie angefertigt hatte. Sie sollte vom Erfolg des russischen Geheimdienstes künden, dem es gelungen war, einen Spion in der Zentrale des gegnerischen Bundesnachrichtendienstes zu platzieren.
Die DDR machte Felfe zum Professor in Kriminalistik, aber das war eher eine Sinekure. Schließlich war Felfe als Spion (die westliche Version) und als „Kundschafter des Friedens“ (die östliche) acht Jahre im Gefängnis gesessen. Vor der Habilitation war ihm bereits der Doktortitel geschenkt worden. Für die Dissertation hatte er sich bei der Spiegel-Serie „Pullach intern“ bedient, die wiederum im besten Benehmen mit dem BND entstanden war. Zu diesem zirkulären Informationsfluss passt, dass Hechelhammer das Spiegel-Gespräch von 1986, in dem Felfe für sein Buch „Im Dienst des Gegners“ warb, als „gesteuertes Interview“ bezeichnet. Nur wer da wessen Werkzeug war, wird nicht aufgeklärt.
Das Geheimnis von Felfes Erfolgskarriere benennt Hechelhammer dann doch, wenn er es auch etwas ungeschickt formuliert: „Immer wieder drohte Felfe in seiner Nachkriegskarriere über seine SD-Tätigkeit zu stolpern, obwohl Nachrichtendienste davon wussten und sich schützend vor ihn stellten.“ Felfe konnte quer durch alle Systeme Spion bleiben, weil er beim RSHA gedient hatte. Im westdeutschen Sicherheitsapparat, beim BND, beim Bundesamt für Verfassungsschutz ebenso wie beim Bundeskriminalamt bedeutete die vorangegangene Tätigkeit im RSHA kein Einstellungshindernis. Ein SS-Rang mag heute als Schandfleck gelten, bei der Organisation Gehlen war das ein Befähigungsnachweis. Felfe gehörte zu den sogenannten Charlottenburgern, die im Dritten Reich ihre Ausbildung als Kriminalisten erfahren hatten. Später stellten sie die jüngere Generation nicht nur im BKA, weil sie sich als besonders nützlich erweisen hatten. BKA-Chef Paul Dickopf war, wie es sein Nachfolger Horst Herold formulierte, „mindestens Tripelagent“; bis zuletzt bezog er ein ansehnliches zweites Gehalt von der CIA. Es waren die Leute, die, in Konrad Adenauers unsterblicher Formulierung, „von der Geschichte von früher her etwas verstehen“.
So verdienstvoll Hechelhammers Arbeit ist und so erschöpfend Felfes Leben hier dokumentiert ist, es fehlt ein Heinz-Felfe-Musical, Arbeitstitel: „Wie es euch gefällt“.
1969 übersiedelte Felfe in
die DDR. Sogar für eine neue
Frau sorgte dort die Stasi
Im Untergrund: Wenn es im Kalten Krieg mal gefährlich wurde, standen auf dem BND-Gelände in Pullach auch Bunkeranlagen bereit.
Foto: Alessandra Schellnegger
Bodo V. Hechelhammer:
Spion ohne Grenzen. Heinz Felfe. Agent in sieben Geheimdiensten. Piper-Verlag, München 2019.
416 Seiten, 24 Euro.
E-Book: 18,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Bodo Hechelhammer hat die Karriere des Mehrfach-Agenten Heinz Felfe akribisch untersucht.
Dass einer für den BND und gleichzeitig für die Sowjets arbeiten konnte, hat mit der NS-Zeit zu tun
VON WILLI WINKLER
Acht Jahre hat sich Bodo Hechelhammer mit Heinz Felfe befasst, nämlich „um als BND-Mitarbeiter zu begreifen, warum ein früherer Kollege Geheimnis- und Landesverrat begangen hat. Selbstkritisch muss ich eingestehen“, schreibt er in seiner Danksagung, „dass acht Jahre zu viel waren.“
Das stimmt und auch wieder nicht, denn einer musste den Job ja machen, und niemand ist dafür besser ausgerüstet als der ehemalige BND-Agent Hechelhammer, der seiner Behörde heute als Chefhistoriker dient. Als solcher hat er exklusiven Zugriff auf das BND-Archiv, aus dem er rekonstruieren konnte, wie der gelernte Feinmechaniker Felfe erst für das Reichssicherheitshauptamt (RSHA), anschließend für den britischen Geheimdienst, dann den sowjetischen, schließlich den westdeutschen Auslandsgeheimdienst und die ostdeutsche Staatssicherheit arbeitete. „Vor allem aber arbeitete er immer für sich selbst“, lautet das vorweggenommene Fazit.
Um das zu erkennen, braucht es allerdings keine acht Jahre. Mit fast übermenschlicher Geduld hat Hechelhammer die BND- und Stasiakten (nicht jedoch die sowjetischen Unterlagen) ausgewertet, mit den letzten Zeitzeugen gesprochen, er hat nicht nur jeden Urlaub verzeichnet, den sich Felfe gönnte, sondern weiß jeweils das genaue Datum der Abreise, wen er dabei mitnahm oder am Ferienort traf oder wann genau er weshalb den Urlaub vorzeitig abbrach. Heinz Felfe bleibt trotzdem eine mausgraue Gestalt, die in bester deutscher Tradition in jedem System mitarbeiten konnte, solange ihm ein geregeltes Ein- und Auskommen gesichert war.
Hechelhammer ist Mittelalterhistoriker und deshalb mit Quellenarbeit vertraut, aber kein besonders eleganter Schreiber. In onkelhafter Manier erblickt Felfe 1918 das berühmte „Licht der Welt“, wird dann zum „kleinen Heinz“, und irgendwann „läuteten die Hochzeitsglocken“. Dresden kann nicht Dresden sein, sondern ist die „geliebte Heimatstadt“, Felfe der „Naturfreund“ und der „Familienmensch“, bei dem sich aber – bei einem Geheimdienstler nicht furchtbar überraschend – die „Geheimdienstarbeit wie ein roter Faden als eigentliche Lebenskonstante erweist“.
Der rote Faden beginnt bei der Kriminalpolizei und wird dann ins RSHA gesponnen, wo Felfe zum Sicherheitsdienst (SD), also zur Geheimpolizei gehört. Er schwört die vorgeschriebenen Eide auf Hitler, aber nach dem Krieg lässt sich der „überzeugte Nationalsozialist“ vom sowjetischen Geheimdienst gewinnen und erhält den Auftrag, sich in die Organisation Gehlen zu bewerben. In dieser Vorläuferorganisation des BND bewährt er sich vorschriftsmäßig als Antikommunist und steigt, durch östliches Spielmaterial bestens versorgt, in der Bundesbehörde bald zum Leiter der Spionageabwehr auf.
Immer wieder hatte es Warnungen gegeben, dass beim BND ein Maulwurf wühle, der gleichzeitig für die andere Seite im Kalten Krieg arbeite. Reinhard Gehlen persönlich nahm seinen eifrigen Mitarbeiter gegen den Vorwurf, der habe doch beim SD gewirkt, in Schutz; seine Vorgeschichte sei ihm „im Wesentlichen“ bekannt. Zum Ärger der neidischen Kollegen traf Felfe neun Mal persönlich mit dem sonst so misstrauischen Gehlen zusammen, dem er mit freundlicher Unterstützung aus Moskau den Lageplan der KGB-Zentrale in Berlin beschaffen konnte.
Seine Enttarnung 1961 lieferte den schlimmsten Skandal für den BND, von da an war es auch mit der chronischen Überschätzung Gehlens vorbei, zu dem nur noch Marion Gräfin Dönhoff (Zeit) und Hans Detlev Becker (Spiegel) halten wollten. Felfe kam vor Gericht, wurde zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt, aber bereits Anfang 1969 gegen 21 in der DDR inhaftierte politische Gefangene ausgetauscht.
In der DDR verwandelte sich Felfe als Schützling des Großen Moskauer Bruders in einen typischen Bonzen, forderte und bekam ein Haus und ein auffälliges Westauto; Reparaturen und die Beschaffung von Ersatzteilen oblagen auf Moskaus Weisung ebenfalls der Staatssicherheit. Sogar für eine neue Frau sorgte die Stasi. Selbstverständlich wurde auch er überwacht, aber er konnte sich einige Frechheiten herausnehmen, zum Beispiel bei einer Pressekonferenz bei der Veröffentlichung seiner Memoiren die fehlende Reisefreiheit beklagen. Dem KGB war es auch zu verdanken, dass Felfe in zäher Arbeit diese nicht besonders aufregende Autobiografie angefertigt hatte. Sie sollte vom Erfolg des russischen Geheimdienstes künden, dem es gelungen war, einen Spion in der Zentrale des gegnerischen Bundesnachrichtendienstes zu platzieren.
Die DDR machte Felfe zum Professor in Kriminalistik, aber das war eher eine Sinekure. Schließlich war Felfe als Spion (die westliche Version) und als „Kundschafter des Friedens“ (die östliche) acht Jahre im Gefängnis gesessen. Vor der Habilitation war ihm bereits der Doktortitel geschenkt worden. Für die Dissertation hatte er sich bei der Spiegel-Serie „Pullach intern“ bedient, die wiederum im besten Benehmen mit dem BND entstanden war. Zu diesem zirkulären Informationsfluss passt, dass Hechelhammer das Spiegel-Gespräch von 1986, in dem Felfe für sein Buch „Im Dienst des Gegners“ warb, als „gesteuertes Interview“ bezeichnet. Nur wer da wessen Werkzeug war, wird nicht aufgeklärt.
Das Geheimnis von Felfes Erfolgskarriere benennt Hechelhammer dann doch, wenn er es auch etwas ungeschickt formuliert: „Immer wieder drohte Felfe in seiner Nachkriegskarriere über seine SD-Tätigkeit zu stolpern, obwohl Nachrichtendienste davon wussten und sich schützend vor ihn stellten.“ Felfe konnte quer durch alle Systeme Spion bleiben, weil er beim RSHA gedient hatte. Im westdeutschen Sicherheitsapparat, beim BND, beim Bundesamt für Verfassungsschutz ebenso wie beim Bundeskriminalamt bedeutete die vorangegangene Tätigkeit im RSHA kein Einstellungshindernis. Ein SS-Rang mag heute als Schandfleck gelten, bei der Organisation Gehlen war das ein Befähigungsnachweis. Felfe gehörte zu den sogenannten Charlottenburgern, die im Dritten Reich ihre Ausbildung als Kriminalisten erfahren hatten. Später stellten sie die jüngere Generation nicht nur im BKA, weil sie sich als besonders nützlich erweisen hatten. BKA-Chef Paul Dickopf war, wie es sein Nachfolger Horst Herold formulierte, „mindestens Tripelagent“; bis zuletzt bezog er ein ansehnliches zweites Gehalt von der CIA. Es waren die Leute, die, in Konrad Adenauers unsterblicher Formulierung, „von der Geschichte von früher her etwas verstehen“.
So verdienstvoll Hechelhammers Arbeit ist und so erschöpfend Felfes Leben hier dokumentiert ist, es fehlt ein Heinz-Felfe-Musical, Arbeitstitel: „Wie es euch gefällt“.
1969 übersiedelte Felfe in
die DDR. Sogar für eine neue
Frau sorgte dort die Stasi
Im Untergrund: Wenn es im Kalten Krieg mal gefährlich wurde, standen auf dem BND-Gelände in Pullach auch Bunkeranlagen bereit.
Foto: Alessandra Schellnegger
Bodo V. Hechelhammer:
Spion ohne Grenzen. Heinz Felfe. Agent in sieben Geheimdiensten. Piper-Verlag, München 2019.
416 Seiten, 24 Euro.
E-Book: 18,99 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.2019Blicke in den Abgrund
Ein Topagent arbeitet für die Gegenseite. Der Fall Felfe - Katastrophe für den Bundesnachrichtendienst
Von Peter Sturm
Geheimdienste haben ein Problem. Wenn sie überhaupt eine "Presse" haben, dann meist eine schlechte. Bekannt werden eben in der Regel meist Skandale und/oder Pannen. Das mag zum niedrigen Ansehen in der Öffentlichkeit beitragen. Dieses Buch passt in einer Hinsicht perfekt in dieses Szenario, berichtet es doch über den größten anzunehmenden Unfall, der einem Dienst passieren kann. Der Leiter der Abteilung Gegenspionage im Bundesnachrichtendienst, Heinz Felfe, wusste von Amts wegen alles über Operationen im Ostblock. Dumm nur, dass er zugleich für den sowjetischen Dienst arbeitete. Er verriet also alles und jeden an seine sowjetischen Auftraggeber.
Angesichts einer solchen Katastrophe könnte man verstehen, wenn auch der "neue" BND den Fall Felfe nur mit ganz spitzen Fingern anfasste. Aber ausgerechnet der Haushistoriker des Dienstes hat sich des Themas angenommen. Herausgekommen ist - angesichts dieser Konstellation eigentlich wider Erwarten - keine Schönfärberei, sondern eine ziemlich schonungslose Auflistung von menschlichen und am Rande auch organisatorischen Abgründen innerhalb des Dienstes.
Der Fall Felfe hat, wie vieles im frühen BND, eine "braune" Vorgeschichte. Der gebürtige Dresdner war während des Krieges Mitglied im "Sicherheitsdienst" der SS. Das verschleierte er nach 1945 mit zunehmendem Erfolg, wobei er, wenn er völlig offen gewesen wäre, unter seinen Kollegen so manchen mit der gleichen Lebensgeschichte getroffen hätte.
Diese Erkenntnis ist nicht neu. Inwieweit Hechelhammer die komplette Überlieferung zum Thema hat auswerten können, lässt sich von außen nicht beurteilen. Das Bild, das er zeichnet, ist jedenfalls klar konturiert. Es ist sogar so klar, dass der Leser von der ersten Seite an weiß, was er über den Protagonisten zu denken hat. Dabei kommentierte sich dessen Lebensgeschichte eigentlich von selbst.
Das Jahr 1945 war für Felfe sowohl materiell als auch für den überzeugten Nationalsozialisten emotional ein tiefer Einschnitt. Er blieb sicherheitshalber in der britischen Besatzungszone und holte seine Familie aus Dresden in den Westen. Beruflich blieb er "in der Branche". Für den britischen Geheimdienst bespitzelte er die Kommunistische Partei. Eigentlich strebte er aber den Status als ordentlicher Beamter an. Obwohl er seinen Lebenslauf "entpolitisierte", führten seine Bewerbungen zu nichts. Das nachlassende Interesse seiner Auftraggeber gefährdete Felfes Lebensgrundlage. Also versuchte er, seine Erkenntnisse anderen zu verkaufen. Parallel dazu bemühte er sich beharrlich um eine "richtige" berufliche Karriere - immer mit "gereinigtem" Lebenslauf.
Zu einer Schlüsselfigur der Geschichte des Heinz Felfe wurde Hans Clemens, wie Felfe früher beim SD. Dessen Frau lebte weiter in Dresden. Clemens ließ sich vom sowjetischen Geheimdienst anwerben. Über ihn kam Felfe auch an den sowjetischen Dienst, der sich sehr für die "Organisation Gehlen", den Vorläufer des BND, interessierte. Als Felfe in die Organisation Gehlen eintrat, war er Moskau schon verpflichtet.
Die Geschichte seiner Enttarnung zog sich über Jahre hin. Den Ausschlag gab ein polnischer Überläufer, der den Amerikanern verriet, in einer BND-Reisegruppe, die 1956 auf CIA-Kosten die Vereinigten Staaten bereiste, sei ein "Maulwurf" gewesen. Da Felfe zwar ein skrupelloser, aber eben auch ein fähiger Spion war, gestaltete sich die Beweisführung schwierig. Hinzu kam, dass der frühe BND alles andere als eine effizient arbeitende, moderne Behörde war. Erst 1961 konnte Felfe enttarnt werden.
Acht Jahre später wurde er gegen 21 westliche Agenten ausgetauscht und lebte von nun an in der DDR. Dieser Teil des Buches liest sich fast amüsant. Der sowjetische Geheimdienst und die DDR-Staatssicherheit hatten ihre liebe Mühe mit ihrem "Kundschafter". Der war nicht nur sehr selbstbewusst, sondern hatte vor allem hohe materielle Ansprüche. Alles musste Westniveau haben. Er wurde denn auch mit Ehren und Luxus überhäuft und ruhiggestellt. Seinen propagandistischen Auftrag erfüllte er einerseits als Professor an der Ost-Berliner Humboldt-Universität, andererseits durch die Veröffentlichung seiner Memoiren.
Nach dem Ende der DDR erlebte der alternde Spion noch einmal eine kurze Konjunktur, weil Spionagegeschichten immer und überall ihr Publikum finden. Für diese Spionagegeschichte hat Bruno Hechelhammer mehr - auch zuvor verschlossenes - Material ausgewertet als die Autoren vor ihm. Eine strukturelle Einordnung des Falles in die Geschichte des frühen BND ist dieses Buch aber nicht.
Bodo Hechelhammer: "Spion ohne Grenzen". Heinz Felfe - Agent in sieben Geheimdiensten.
Piper Verlag, München 2019. 416 S., geb., 24.- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Topagent arbeitet für die Gegenseite. Der Fall Felfe - Katastrophe für den Bundesnachrichtendienst
Von Peter Sturm
Geheimdienste haben ein Problem. Wenn sie überhaupt eine "Presse" haben, dann meist eine schlechte. Bekannt werden eben in der Regel meist Skandale und/oder Pannen. Das mag zum niedrigen Ansehen in der Öffentlichkeit beitragen. Dieses Buch passt in einer Hinsicht perfekt in dieses Szenario, berichtet es doch über den größten anzunehmenden Unfall, der einem Dienst passieren kann. Der Leiter der Abteilung Gegenspionage im Bundesnachrichtendienst, Heinz Felfe, wusste von Amts wegen alles über Operationen im Ostblock. Dumm nur, dass er zugleich für den sowjetischen Dienst arbeitete. Er verriet also alles und jeden an seine sowjetischen Auftraggeber.
Angesichts einer solchen Katastrophe könnte man verstehen, wenn auch der "neue" BND den Fall Felfe nur mit ganz spitzen Fingern anfasste. Aber ausgerechnet der Haushistoriker des Dienstes hat sich des Themas angenommen. Herausgekommen ist - angesichts dieser Konstellation eigentlich wider Erwarten - keine Schönfärberei, sondern eine ziemlich schonungslose Auflistung von menschlichen und am Rande auch organisatorischen Abgründen innerhalb des Dienstes.
Der Fall Felfe hat, wie vieles im frühen BND, eine "braune" Vorgeschichte. Der gebürtige Dresdner war während des Krieges Mitglied im "Sicherheitsdienst" der SS. Das verschleierte er nach 1945 mit zunehmendem Erfolg, wobei er, wenn er völlig offen gewesen wäre, unter seinen Kollegen so manchen mit der gleichen Lebensgeschichte getroffen hätte.
Diese Erkenntnis ist nicht neu. Inwieweit Hechelhammer die komplette Überlieferung zum Thema hat auswerten können, lässt sich von außen nicht beurteilen. Das Bild, das er zeichnet, ist jedenfalls klar konturiert. Es ist sogar so klar, dass der Leser von der ersten Seite an weiß, was er über den Protagonisten zu denken hat. Dabei kommentierte sich dessen Lebensgeschichte eigentlich von selbst.
Das Jahr 1945 war für Felfe sowohl materiell als auch für den überzeugten Nationalsozialisten emotional ein tiefer Einschnitt. Er blieb sicherheitshalber in der britischen Besatzungszone und holte seine Familie aus Dresden in den Westen. Beruflich blieb er "in der Branche". Für den britischen Geheimdienst bespitzelte er die Kommunistische Partei. Eigentlich strebte er aber den Status als ordentlicher Beamter an. Obwohl er seinen Lebenslauf "entpolitisierte", führten seine Bewerbungen zu nichts. Das nachlassende Interesse seiner Auftraggeber gefährdete Felfes Lebensgrundlage. Also versuchte er, seine Erkenntnisse anderen zu verkaufen. Parallel dazu bemühte er sich beharrlich um eine "richtige" berufliche Karriere - immer mit "gereinigtem" Lebenslauf.
Zu einer Schlüsselfigur der Geschichte des Heinz Felfe wurde Hans Clemens, wie Felfe früher beim SD. Dessen Frau lebte weiter in Dresden. Clemens ließ sich vom sowjetischen Geheimdienst anwerben. Über ihn kam Felfe auch an den sowjetischen Dienst, der sich sehr für die "Organisation Gehlen", den Vorläufer des BND, interessierte. Als Felfe in die Organisation Gehlen eintrat, war er Moskau schon verpflichtet.
Die Geschichte seiner Enttarnung zog sich über Jahre hin. Den Ausschlag gab ein polnischer Überläufer, der den Amerikanern verriet, in einer BND-Reisegruppe, die 1956 auf CIA-Kosten die Vereinigten Staaten bereiste, sei ein "Maulwurf" gewesen. Da Felfe zwar ein skrupelloser, aber eben auch ein fähiger Spion war, gestaltete sich die Beweisführung schwierig. Hinzu kam, dass der frühe BND alles andere als eine effizient arbeitende, moderne Behörde war. Erst 1961 konnte Felfe enttarnt werden.
Acht Jahre später wurde er gegen 21 westliche Agenten ausgetauscht und lebte von nun an in der DDR. Dieser Teil des Buches liest sich fast amüsant. Der sowjetische Geheimdienst und die DDR-Staatssicherheit hatten ihre liebe Mühe mit ihrem "Kundschafter". Der war nicht nur sehr selbstbewusst, sondern hatte vor allem hohe materielle Ansprüche. Alles musste Westniveau haben. Er wurde denn auch mit Ehren und Luxus überhäuft und ruhiggestellt. Seinen propagandistischen Auftrag erfüllte er einerseits als Professor an der Ost-Berliner Humboldt-Universität, andererseits durch die Veröffentlichung seiner Memoiren.
Nach dem Ende der DDR erlebte der alternde Spion noch einmal eine kurze Konjunktur, weil Spionagegeschichten immer und überall ihr Publikum finden. Für diese Spionagegeschichte hat Bruno Hechelhammer mehr - auch zuvor verschlossenes - Material ausgewertet als die Autoren vor ihm. Eine strukturelle Einordnung des Falles in die Geschichte des frühen BND ist dieses Buch aber nicht.
Bodo Hechelhammer: "Spion ohne Grenzen". Heinz Felfe - Agent in sieben Geheimdiensten.
Piper Verlag, München 2019. 416 S., geb., 24.- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Nana Brink liest die vom BND-Chefhistoriker Bodo Hechelhammer genau recherchierte und aufgeschriebene Geschichte des Siebenfach-Agenten Heinz Felfe mit Spannung. Das Phänomen Felfe blitzt für sie allerdings vor allem darin auf, dass der Spion in Hechelhammers Darstellung trotz aller akribisch ausgewerteten Dokumente und Details dennoch blass bleibt, wie sie schreibt, aalglatt schillernd und anpassungsfähig. Am spannendsten findet Brink die Ausführungen über Felfes Zeit beim frühen BND mit seinen Naziseilschaften. Hechelhammers schonungslose Darstellung findet sie bemerkenswert, auch wenn es sich um bereits bekannte Fakten handelt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Die 'braune Vorgeschichte' des BND ist zwar keine neue Erkenntnis, aber es ist das Verdienst seines jetzigen Chefhistorikers Hechelhammer, dass er die Fakten schonungslos auf den Tisch legt.« Deutschlandfunk Kultur "Lesart" 20200111