Ihr Debütroman »Das Herz ist ein einsamer Jäger« machte Carson McCullers über Nacht weltberühmt. Das Leben des einstigen shooting-stars der US-amerikanischen Literatur der Vierzigerjahre wird hier in Rückblenden vom fiktiven Freund der Autorin, dem Schriftsteller Ben Jackson, erzählt: ihre behütete Kindheit und Jugend in Georgia, die ersten Schreibversuche, ihre turbulente Ehe, ihr Durchbruch als Schriftstellerin, die kreative Hochphase in New York und nicht zuletzt die schwere Krankheit, die ihr Leben zunehmend beeinträchtigte und viel zu früh beendete.Ein einfühlsamer Entwicklungs- und Künstlerroman, der von Liebe und Verlust, von Gelingen und Scheitern erzählt und das Spannungsfeld zwischen Literatur und Leben intensiv beleuchtet.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.02.2017Alles ist fremd, und alles liebe ich
Porträt mit Weichzeichner: Barbara Landes begibt sich mit einer Romanbiographie auf die Suche nach Carson McCullers.
Zwei taubstumme, einander liebende Männer. Ein Soldat, den sein Begehren nachts ans Bett einer schlafenden Offiziersgattin treibt. Eine robuste Riesin, die einen Zwerg liebt und von ihm zerstört wird. Eine jungenhafte Zwölfjährige, ein tomboy, die ihren Bruder auf Hochzeitsreise begleiten möchte. Suchende, ausweglos Liebende, Einsame, die scheitern am Versuch, die Einsamkeit zu durchbrechen: So sind die Helden beschaffen in den Romanen der großen amerikanischen Schriftstellerin Carson McCullers, die am kommenden Sonntag hundert geworden wäre und vor fünfzig Jahren starb. Als eine der Ersten erfand sie Charaktere, die mit ihrem queeren Begehren und verwischten Geschlechtergrenzen das literarische Repertoire revolutionierten.
Vor ihr hatten weiße Autoren auch kaum glaubhafte afroamerikanische Charaktere geschaffen. Gemeinsam mit Tennessee Williams, der zu ihren engsten Freunden zählte (beide teilten ein Sommerhaus auf Nantucket, wo sie zuweilen am selben Tisch gearbeitet haben sollen), erweiterte sie die Literatur zudem um einen Handlungsort, der heute zu den literarischen Klassikern zählt, wenn es um Melancholie und die Dürftigkeit menschlicher Existenz geht: das staubige, öde Städtchen im amerikanischen Süden. Immer ist Sommer, Hitze lastet auf den Verandas, Steppenroller wehen durch die Straßen, Gin rinnt durch die Kehlen. Wenn ein McCullers-Roman so beginnt, ist sicher, dass es in diesem Städtchen zu einer Krise kommen wird, die am Ende nicht nur die Figuren, sondern auch die Leser wesentlich verändert haben wird.
Wegen ihrer existentiellen Haltung wurde McCullers oft mit Sartre verglichen. Mit Salinger verband sie die Getriebenheit der Figuren, deren oft tragisch endende Suche nach sich selbst. Ein ausgeprägtes Bewusstsein dafür, selbst nirgendwo dazuzugehören, ließ McCullers ein tiefes Gespür entwickeln für Menschen, die am gesellschaftlichen Rand lebten und in der Literatur bestenfalls in den Dunkelbereichen vorkamen. Vorbilder fand sie im russischen Realismus. Dostojewski oder Tolstoi beschreiben eine rigide gesellschaftliche Ordnung, die der entspreche, die sie in den Südstaaten beobachte, schrieb sie 1941 in Klaus Manns Exilzeitschrift "Decision". "Die Südstaatler und die Russen sind beides ,Typen', insofern sie bestimmte wiedererkennbare und nationalbedingte psychologische Eigenschaften besitzen. Vergnügungssüchtig, phantasievoll, faul und gefühlsbetont - da gibt es auf jeden Fall eine geschwisterliche Ähnlichkeit." Stilistisch fühlte sie sich Isak Dinesen nah, die sie verehrte und der zuliebe sie ein Essen mit Marilyn Monroe veranstaltete, weil die damals siebzigjährige dänische Autorin den Wunsch geäußert hatte, neben McCullers auch Monroe auf ihrer Amerika-Reise kennenzulernen.
Barbara Landes hat mit ihrer "Ballade vom Wunderkind" nun den Versuch unternommen, das kurze, intensive Leben von Carson McCullers in einen Roman zu übersetzen. Romanbiographien stehen vor der Schwierigkeit eines Spagats. Sie müssen die biographische Person glaubwürdig machen und sie zugleich in eine anschauliche Handlung einbinden. Dieses Genre ist - wie der historische Roman - oft dem Vorwurf der Verzerrung ausgesetzt, kann allerdings eine überzeugende Annäherung sein an ein Leben, das hätte gewesen sein können. Peter Härtling gelang das in seinen Romanbiographien über Franz Schubert oder Friedrich Hölderlin, Klaus Mann auf stärker subjektivierende Weise in "Symphonie Pathétique" über Tschaikowsky.
Barbara Landes erzählt die Geschichte vom früh hochbegabten Kind, das in einer Kleinstadt in West Georgia als Lula Carson Smith, Tochter eines Uhrmachers, aufwuchs, von der Mutter voraussetzungslos als Genie betrachtet und erzogen wurde, zunächst eisern eine Karriere als Pianistin verfolgte, sich dann aber, auch der schwachen Gesundheit geschuldet, fürs Schreiben entschied und mit ihrem Debüt "Das Herz ist ein einsamer Jäger" im Alter von 23 Jahren schon durchschlagenden Erfolg hatte.
Als Erzähler bei Landes fungiert ein unbegabter Schriftsteller, den die Autorin an die tragische Gestalt des Ken Harris aus McCullers' Kurzgeschichte "Wer hat den Wind gesehen?" anlehnt. Hier heißt er Ben und soll nach McCullers' Tod die Grabrede halten. Im Oktober 1967 sitzt er am Schreibtisch des McCullerschen Hauses in Nyack, während im Wohnzimmer die tote Schriftstellerin aufgebahrt ist, und versucht, geplagt von Selbstzweifeln, anhand seiner Erinnerungen die Rede zu schreiben. Dabei beruft er sich vor allem auf Gehörtes und Gelesenes wie Auszüge aus McCullers' unvollendeter Autobiographie "Illuminations and Night Glare". Innerhalb dieses erzählerischen Rahmens spult sich das Leben von McCullers szenenhaft ab: der erste, falsch diagnostizierte Rheumaanfall 1932, der lebenslange Folgen hatte, die Künstler-WG in Brooklyn, wo sie W. H. Auden, Isherwood und Dalí kennenlernte, die desaströse Ehe mit dem trunksüchtigen Reeves McCullers, den sie zweimal heiratete und der später Selbstmord beging, die einschneidende Begegnung mit der Schweizer Autorin Annemarie Schwarzenbach und den Geschwistern Mann, ihr zweijähriger Aufenthalt in der Künsterkolonie Yaddo, wo sie "Member of the Wedding" schrieb, ihre Alkoholexzesse, mehrere Schlaganfälle, ihre linksseitige Lähmung und das Ringen mit dem letzten Roman "Uhr ohne Zeiger".
Schon auf den ersten Seiten wirkt der Erzähler wie ein Handlanger von Landes. Sein Schlagabtausch mit Ida Reeder, der afroamerikanischen Pflegerin und engen Freundin Carsons, oder mit Mary Mercer, der langjährigen Therapeutin, ist mehr ein "telegraphing"; Informationsvermittlung an die Leser. Als Figur bleibt Ben blass. Umso deutlicher wird die Hilfskonstruktion, mit der Barbara Landes die eigene Imagination ihrer Heldin erzählerisch absichert; McCullers ist die Erfindung einer erfundenen Figur. Als solche wirkt sie seltsam gezähmt. Die exzentrische, getriebene, gegen Krankheit kämpfende, ehrgeizige, von Zeitgenossen oft als kindlich beschriebene, selbstzerstörerische und lebenssüchtige McCullers mit der zigarettenrauhen Stimme, die gern Kurzhaarschnitt und Männerhemden trug, obsessiv Frauen nachstellte, häufig in Dreiecksbeziehungen lebte und wie keine andere das Grausame im Romantischen beschreiben konnte, erscheint im Weichzeichner einer beinahe romantisierenden Betrachtung. Widersprüche, Abgründe sind geglättet oder verwässern in leichtgängigen Schilderungen. Die Persönlichkeit scheint eingedampft aufs Maß des Gewöhnlichen, ganz im Gegensatz zum Vorhaben, eine Ballade vom Außergewöhnlichen zu erzählen.
Das literarische Potential, biographische Daten in die Vielschichtigkeit, das Eigenartige und Unausgewogene eines Lebens zu übersetzen und Stimmungen, Ahnungen, emotionale Verfasstheiten zu evozieren, wird nicht ausgeschöpft. Was hätte das denn für ein Mensch sein können, der sich da nach dem Mittelnamen Carson nannte; ein Name, der nicht zuletzt auf die Cowboylegende Kit Carson anspielt? Wie mögen sich für Carson die Monate in Yaddo angefühlt haben, die keine reine Sommerfrische des Schreibens waren, sondern auch eine schon morgens vom Gin bestimmte Flucht vor der Gewalt und der Entfremdung von Reeves, zu der wiederum der Komponist David Diamond verholfen hatte? Diamond lebte mit Reeves und Carson zusammen und pflegte zu beiden ein erotisches Verhältnis. Was könnte es auf sich gehabt haben mit der blinden Verrücktheit nach der berühmten Katherine Anne Porter, auch Stipendiatin in Yaddo, die meinte, sich vor McCullers schützen zu müssen? Auch das Nervenzehrende der Liebe zu Annemarie Schwarzenbach bleibt bei Landes ausgespart; beide Frauen verbanden auffallende biographische Parallelen, Suchtverhalten und ein geistig-künstlerischer Gleichklang, der bis hinein in literarische Themen und sprachliche Formulierungen reichte, wie Alexandra Lavizzari in ihrem anschaulichen Doppelporträt "Fast eine Liebe" von 2008 verdeutlicht hat. Und bewirkten die ständigen körperlichen Anfechtungen eine gewisse Selbstüberhöhung, die im Fall von Frauen allemal mehr Aufmerksamkeit erregt als im Fall von Männern?
Oder war es die fordernde Mutter? Gore Vidal provozierte sie zu folgendem Kommentar in einem Essay über Tennessee Williams: "Ich konnte keine seiner Freundinnen ausstehen, von Carson McCullers über Jane Bowles bis zu Anna Magnani . . . Carson redete nur von ihrem Werk. Von seiner Größe. Der wehmütige Südstaatensingsang hörte nie auf: ,Hast du mein großartiges Stück gesehen? Hat dir mein großartiges Stück gefallen? Werde ich den Pulitzerpreis gewinnen?' (Did ya lahk muh lovely play? Am Ah gonna win the Pew-litzuh prahzz?)"
Mit der existentiellen Wucht ihrer Literatur ist diese erfundene McCullers kaum in Einklang zu bringen. Der Roman über eine Autorin, die Sätze schrieb, so schlicht und abgründig wie "Alles ist fremd, und alles liebe ich" steht auch zum hundertsten Jubiläum noch aus. Ebenso eine erfrischende, vollständige Neuübersetzung ihrer Werke.
ANTJE R? VIC STRUBEL.
Barbara Landes: "Die Ballade vom Wunderkind Carson McCullers". Roman.
Verlag Ebersbach & Simon, Berlin 2016. 224 S., geb., 19,95 [Euro].
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Porträt mit Weichzeichner: Barbara Landes begibt sich mit einer Romanbiographie auf die Suche nach Carson McCullers.
Zwei taubstumme, einander liebende Männer. Ein Soldat, den sein Begehren nachts ans Bett einer schlafenden Offiziersgattin treibt. Eine robuste Riesin, die einen Zwerg liebt und von ihm zerstört wird. Eine jungenhafte Zwölfjährige, ein tomboy, die ihren Bruder auf Hochzeitsreise begleiten möchte. Suchende, ausweglos Liebende, Einsame, die scheitern am Versuch, die Einsamkeit zu durchbrechen: So sind die Helden beschaffen in den Romanen der großen amerikanischen Schriftstellerin Carson McCullers, die am kommenden Sonntag hundert geworden wäre und vor fünfzig Jahren starb. Als eine der Ersten erfand sie Charaktere, die mit ihrem queeren Begehren und verwischten Geschlechtergrenzen das literarische Repertoire revolutionierten.
Vor ihr hatten weiße Autoren auch kaum glaubhafte afroamerikanische Charaktere geschaffen. Gemeinsam mit Tennessee Williams, der zu ihren engsten Freunden zählte (beide teilten ein Sommerhaus auf Nantucket, wo sie zuweilen am selben Tisch gearbeitet haben sollen), erweiterte sie die Literatur zudem um einen Handlungsort, der heute zu den literarischen Klassikern zählt, wenn es um Melancholie und die Dürftigkeit menschlicher Existenz geht: das staubige, öde Städtchen im amerikanischen Süden. Immer ist Sommer, Hitze lastet auf den Verandas, Steppenroller wehen durch die Straßen, Gin rinnt durch die Kehlen. Wenn ein McCullers-Roman so beginnt, ist sicher, dass es in diesem Städtchen zu einer Krise kommen wird, die am Ende nicht nur die Figuren, sondern auch die Leser wesentlich verändert haben wird.
Wegen ihrer existentiellen Haltung wurde McCullers oft mit Sartre verglichen. Mit Salinger verband sie die Getriebenheit der Figuren, deren oft tragisch endende Suche nach sich selbst. Ein ausgeprägtes Bewusstsein dafür, selbst nirgendwo dazuzugehören, ließ McCullers ein tiefes Gespür entwickeln für Menschen, die am gesellschaftlichen Rand lebten und in der Literatur bestenfalls in den Dunkelbereichen vorkamen. Vorbilder fand sie im russischen Realismus. Dostojewski oder Tolstoi beschreiben eine rigide gesellschaftliche Ordnung, die der entspreche, die sie in den Südstaaten beobachte, schrieb sie 1941 in Klaus Manns Exilzeitschrift "Decision". "Die Südstaatler und die Russen sind beides ,Typen', insofern sie bestimmte wiedererkennbare und nationalbedingte psychologische Eigenschaften besitzen. Vergnügungssüchtig, phantasievoll, faul und gefühlsbetont - da gibt es auf jeden Fall eine geschwisterliche Ähnlichkeit." Stilistisch fühlte sie sich Isak Dinesen nah, die sie verehrte und der zuliebe sie ein Essen mit Marilyn Monroe veranstaltete, weil die damals siebzigjährige dänische Autorin den Wunsch geäußert hatte, neben McCullers auch Monroe auf ihrer Amerika-Reise kennenzulernen.
Barbara Landes hat mit ihrer "Ballade vom Wunderkind" nun den Versuch unternommen, das kurze, intensive Leben von Carson McCullers in einen Roman zu übersetzen. Romanbiographien stehen vor der Schwierigkeit eines Spagats. Sie müssen die biographische Person glaubwürdig machen und sie zugleich in eine anschauliche Handlung einbinden. Dieses Genre ist - wie der historische Roman - oft dem Vorwurf der Verzerrung ausgesetzt, kann allerdings eine überzeugende Annäherung sein an ein Leben, das hätte gewesen sein können. Peter Härtling gelang das in seinen Romanbiographien über Franz Schubert oder Friedrich Hölderlin, Klaus Mann auf stärker subjektivierende Weise in "Symphonie Pathétique" über Tschaikowsky.
Barbara Landes erzählt die Geschichte vom früh hochbegabten Kind, das in einer Kleinstadt in West Georgia als Lula Carson Smith, Tochter eines Uhrmachers, aufwuchs, von der Mutter voraussetzungslos als Genie betrachtet und erzogen wurde, zunächst eisern eine Karriere als Pianistin verfolgte, sich dann aber, auch der schwachen Gesundheit geschuldet, fürs Schreiben entschied und mit ihrem Debüt "Das Herz ist ein einsamer Jäger" im Alter von 23 Jahren schon durchschlagenden Erfolg hatte.
Als Erzähler bei Landes fungiert ein unbegabter Schriftsteller, den die Autorin an die tragische Gestalt des Ken Harris aus McCullers' Kurzgeschichte "Wer hat den Wind gesehen?" anlehnt. Hier heißt er Ben und soll nach McCullers' Tod die Grabrede halten. Im Oktober 1967 sitzt er am Schreibtisch des McCullerschen Hauses in Nyack, während im Wohnzimmer die tote Schriftstellerin aufgebahrt ist, und versucht, geplagt von Selbstzweifeln, anhand seiner Erinnerungen die Rede zu schreiben. Dabei beruft er sich vor allem auf Gehörtes und Gelesenes wie Auszüge aus McCullers' unvollendeter Autobiographie "Illuminations and Night Glare". Innerhalb dieses erzählerischen Rahmens spult sich das Leben von McCullers szenenhaft ab: der erste, falsch diagnostizierte Rheumaanfall 1932, der lebenslange Folgen hatte, die Künstler-WG in Brooklyn, wo sie W. H. Auden, Isherwood und Dalí kennenlernte, die desaströse Ehe mit dem trunksüchtigen Reeves McCullers, den sie zweimal heiratete und der später Selbstmord beging, die einschneidende Begegnung mit der Schweizer Autorin Annemarie Schwarzenbach und den Geschwistern Mann, ihr zweijähriger Aufenthalt in der Künsterkolonie Yaddo, wo sie "Member of the Wedding" schrieb, ihre Alkoholexzesse, mehrere Schlaganfälle, ihre linksseitige Lähmung und das Ringen mit dem letzten Roman "Uhr ohne Zeiger".
Schon auf den ersten Seiten wirkt der Erzähler wie ein Handlanger von Landes. Sein Schlagabtausch mit Ida Reeder, der afroamerikanischen Pflegerin und engen Freundin Carsons, oder mit Mary Mercer, der langjährigen Therapeutin, ist mehr ein "telegraphing"; Informationsvermittlung an die Leser. Als Figur bleibt Ben blass. Umso deutlicher wird die Hilfskonstruktion, mit der Barbara Landes die eigene Imagination ihrer Heldin erzählerisch absichert; McCullers ist die Erfindung einer erfundenen Figur. Als solche wirkt sie seltsam gezähmt. Die exzentrische, getriebene, gegen Krankheit kämpfende, ehrgeizige, von Zeitgenossen oft als kindlich beschriebene, selbstzerstörerische und lebenssüchtige McCullers mit der zigarettenrauhen Stimme, die gern Kurzhaarschnitt und Männerhemden trug, obsessiv Frauen nachstellte, häufig in Dreiecksbeziehungen lebte und wie keine andere das Grausame im Romantischen beschreiben konnte, erscheint im Weichzeichner einer beinahe romantisierenden Betrachtung. Widersprüche, Abgründe sind geglättet oder verwässern in leichtgängigen Schilderungen. Die Persönlichkeit scheint eingedampft aufs Maß des Gewöhnlichen, ganz im Gegensatz zum Vorhaben, eine Ballade vom Außergewöhnlichen zu erzählen.
Das literarische Potential, biographische Daten in die Vielschichtigkeit, das Eigenartige und Unausgewogene eines Lebens zu übersetzen und Stimmungen, Ahnungen, emotionale Verfasstheiten zu evozieren, wird nicht ausgeschöpft. Was hätte das denn für ein Mensch sein können, der sich da nach dem Mittelnamen Carson nannte; ein Name, der nicht zuletzt auf die Cowboylegende Kit Carson anspielt? Wie mögen sich für Carson die Monate in Yaddo angefühlt haben, die keine reine Sommerfrische des Schreibens waren, sondern auch eine schon morgens vom Gin bestimmte Flucht vor der Gewalt und der Entfremdung von Reeves, zu der wiederum der Komponist David Diamond verholfen hatte? Diamond lebte mit Reeves und Carson zusammen und pflegte zu beiden ein erotisches Verhältnis. Was könnte es auf sich gehabt haben mit der blinden Verrücktheit nach der berühmten Katherine Anne Porter, auch Stipendiatin in Yaddo, die meinte, sich vor McCullers schützen zu müssen? Auch das Nervenzehrende der Liebe zu Annemarie Schwarzenbach bleibt bei Landes ausgespart; beide Frauen verbanden auffallende biographische Parallelen, Suchtverhalten und ein geistig-künstlerischer Gleichklang, der bis hinein in literarische Themen und sprachliche Formulierungen reichte, wie Alexandra Lavizzari in ihrem anschaulichen Doppelporträt "Fast eine Liebe" von 2008 verdeutlicht hat. Und bewirkten die ständigen körperlichen Anfechtungen eine gewisse Selbstüberhöhung, die im Fall von Frauen allemal mehr Aufmerksamkeit erregt als im Fall von Männern?
Oder war es die fordernde Mutter? Gore Vidal provozierte sie zu folgendem Kommentar in einem Essay über Tennessee Williams: "Ich konnte keine seiner Freundinnen ausstehen, von Carson McCullers über Jane Bowles bis zu Anna Magnani . . . Carson redete nur von ihrem Werk. Von seiner Größe. Der wehmütige Südstaatensingsang hörte nie auf: ,Hast du mein großartiges Stück gesehen? Hat dir mein großartiges Stück gefallen? Werde ich den Pulitzerpreis gewinnen?' (Did ya lahk muh lovely play? Am Ah gonna win the Pew-litzuh prahzz?)"
Mit der existentiellen Wucht ihrer Literatur ist diese erfundene McCullers kaum in Einklang zu bringen. Der Roman über eine Autorin, die Sätze schrieb, so schlicht und abgründig wie "Alles ist fremd, und alles liebe ich" steht auch zum hundertsten Jubiläum noch aus. Ebenso eine erfrischende, vollständige Neuübersetzung ihrer Werke.
ANTJE R? VIC STRUBEL.
Barbara Landes: "Die Ballade vom Wunderkind Carson McCullers". Roman.
Verlag Ebersbach & Simon, Berlin 2016. 224 S., geb., 19,95 [Euro].
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