Klimawandel, Artensterben, Ernährung: Sind wir radikal genug?
Die ökologischen Widersprüche verschärfen sich, die politischen Auseinandersetzungen um Klimawandel, Artensterben, Ernährung, ja unsere ganze Lebens- und Produktionsweise werden härter. Die Ökologie ist endgültig kein Thema mehr unter anderem, sie wird zum zentralen Aggregatzustand der Politik.
Warum ist das so? Im nicht enden wollenden Sommer 2018 ist den Bürgerinnen und Bürgern die schwache ökologische Bilanz der Merkel-Jahre ins Bewusstsein getreten. Die Grünen konnten deswegen ihre demoskopischen Werte verdoppeln.
Hinzu kommt, dass klimapolitisch immer öfter Stunden der Wahrheit anstehen: Verkehrswende, Energiewende, Agrarwende - die Eingriffe, die nötig sind, um die Erderwärmung leidlich zu begrenzen, sind tief, die anstehenden Veränderungen werden reale Verlierer und Gewinner haben, sie bergen Chancen und Schmerzen. Kein Wunder, dass der Streit nun ins politische Zentrum rückt und alle anderen Themen neu beleuchtet - von der sozialen Gerechtigkeit bis zur Demokratie und den Menschenrechten.
Die politische Kultur des Landes ist darauf nicht vorbereitet. Immer noch wird nicht nach einer Politik für die Probleme gesucht, sondern umgekehrt: Die Probleme werden so zurechtgestutzt, dass sie auf die Politik passen, die wir kennen. Diese Verdrängung der ökologischen Herausforderung aber neurotisiert unsere Gesellschaft. Bernd Ulrich zeigt, wie es gelingen kann, diese Blockade zu überwinden und neue Freiheiten und neue Zuversicht zu gewinnen.
Die ökologischen Widersprüche verschärfen sich, die politischen Auseinandersetzungen um Klimawandel, Artensterben, Ernährung, ja unsere ganze Lebens- und Produktionsweise werden härter. Die Ökologie ist endgültig kein Thema mehr unter anderem, sie wird zum zentralen Aggregatzustand der Politik.
Warum ist das so? Im nicht enden wollenden Sommer 2018 ist den Bürgerinnen und Bürgern die schwache ökologische Bilanz der Merkel-Jahre ins Bewusstsein getreten. Die Grünen konnten deswegen ihre demoskopischen Werte verdoppeln.
Hinzu kommt, dass klimapolitisch immer öfter Stunden der Wahrheit anstehen: Verkehrswende, Energiewende, Agrarwende - die Eingriffe, die nötig sind, um die Erderwärmung leidlich zu begrenzen, sind tief, die anstehenden Veränderungen werden reale Verlierer und Gewinner haben, sie bergen Chancen und Schmerzen. Kein Wunder, dass der Streit nun ins politische Zentrum rückt und alle anderen Themen neu beleuchtet - von der sozialen Gerechtigkeit bis zur Demokratie und den Menschenrechten.
Die politische Kultur des Landes ist darauf nicht vorbereitet. Immer noch wird nicht nach einer Politik für die Probleme gesucht, sondern umgekehrt: Die Probleme werden so zurechtgestutzt, dass sie auf die Politik passen, die wir kennen. Diese Verdrängung der ökologischen Herausforderung aber neurotisiert unsere Gesellschaft. Bernd Ulrich zeigt, wie es gelingen kann, diese Blockade zu überwinden und neue Freiheiten und neue Zuversicht zu gewinnen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.2019Was sollen wir tun?
Revolutionen sind angesagt und große Erzählungen gefragt, aber auch Ratschläge für den Alltag werden präsentiert: Eine Auswahl neuer Bücher zum Klimawandel.
Von Joachim Müller-Jung
Die Ernsthaftigkeit, mit der plötzlich über Klimapolitik verhandelt wird, die diesen Namen auch verdient, hat offenbar etwas Erschreckendes, ja Verstörendes. Wie soll man regieren, handeln und überhaupt leben, oder wie die Scharfmacher rumoren: besser nicht leben, wenn nun offenkundig jede Tonne an Treibhausgas in der Atmosphäre zählt? Stillstand, Schrumpfung, Verzicht bis zum Äußersten, alles in Frage stellen, was die Moderne so bequem und den Menschen so frei gemacht hat: Mit solchen Zuspitzungen wird nicht mehr gespart, um noch den Bruch zu verhindern mit dem, was der Schweizer Autor Christoph Keller in seinem Buch "Benzin aus Luft - Eine Reise in die Klimazukunft" (Rotpunktverlag) "die real gelebte Normalität" unserer Welt nennt. Eine verrückte Normalität.
Es wird also polarisiert nach Strich und Faden in der Klimadebatte, und das lässt sich ebenso wie an der entsprechenden Protestkultur auf der Straße und an den sozialen Medien auch an den Neuerscheinungen auf dem Sachbuchmarkt ablesen: Der Kampfgeist ist hellwach. Jedenfalls war über Revolutionen, Kampf und Ratschläge für die Rettung des Planeten schon lange nicht mehr so viel Populäres und Grundsätzliches zu lesen wie in diesem Herbst. Dreh- und Angelpunkt, man könnte auch sagen: die Motivationsfigur schlechthin, ist Greta Thunberg und die Protestbewegung #FridaysForFuture.
Mit ihrer Panikrede auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos Anfang des Jahres, einer der schon erstaunlich vielen Höhepunkte im Leben der jungen Klimaaktivistin, hat die Schwedin den emotionalen Ton angeschlagen, der dreißig Jahre lang in der Ära der Sonntagsreden zum Klimawandel gefehlt hatte: "Erwachsene sagen ständig: ,Wir sind es den jungen Leuten schuldig, ihnen Hoffnung zu machen.' Aber ich will eure Hoffnung nicht. Ich will nicht, dass ihr hoffnungsvoll seid. Ich will, dass ihr in Panik geratet. Ich will, dass ihr die gleiche Angst habt, die ich täglich verspüre, und dann will ich, dass ihr handelt."
Das Phänomen Thunberg überlagert derzeit alles Klein-Klein im politischen Raum. Sie setzt die Maßstäbe. Elf Reden von ihr, von ihrem ersten Auftritt auf dem Klimamarsch von Stockholm bis zur Dankesrede für die Verleihung der Goldenen Kamera, sind nun als schmales Buch erschienen. Es ist nicht das einzige Buch über Thunberg. Aber es liefert in der Authentizität der unkommentierten Reden ein gutes Bild von der Stimmungslage auf den zahlreichen klimapolitischen Bühnen dieser Tage.
Tatsächlich ist die Frage nach Authentizität zum großen Thema geworden. Wer über das Klima schreibt, befragt sich zuerst selbst. Der Selbstbezug des Menschen, der in den klimatologischen Schriften regelhaft außer Acht gelassen wird, weil Subjektivität in der auch von Greta immer wieder befragten "grundsoliden Wissenschaft" nichts zu suchen hat, er bekommt in der neuen ökologischen Literatur eine ausgesprochen starke Rolle. Bernd Ulrich geht damit besonders virtuos zu Werke. Sein Buch mit dem Titel "Alles wird anders" ist für den altgedienten Redakteur der "Zeit" und Babyboomer, der sich lange als Vertreter der "sanftesten und grünsten Generation" hielt, die in Deutschland an der Macht war, ein Geständnis.
Ulrich ist ein Wiedererweckter der ersten Umweltbewegung. Wie fast alle Autoren, die sich ernsthaft mit der notwendigen Wende zu einer klimaschonenden Lebens- und Wirtschaftsweise beschäftigen, geht der gebürtige Ruhrpottler mit den Verdrängungsmechanismen - auch den eigenen - hart ins Gericht. Seine eigene Wende hat er durch die Umstellung auf vegane Ernährung konsequent betrieben. Die Klappe aufreißen wolle er trotzdem nicht: "Dies ist nicht das Buch von einem, der es richtig macht, sondern nur von einem, der sich nichts mehr vormachen will, nicht von einem, der besser sein will als andere, sondern es besser machen will als bisher". Das könnte zur Maxime globaler Klimapolitik taugen, denn was getan wurde, es reicht nicht: "Grüne Tonne, grüne Lunge, grüne Partei, grüne Energie", resümiert Ulrich das Umweltbewusstsein bis dato, "nur eben der Natur geht es unter dem Strich immer schlechter".
Ulrich entlarvt die rhetorischen Tricks, mit denen das, was Bundeskanzlerin Merkel als "die größte Menschheitsfrage" und ihre Nachfolgerin im Amt der Parteichefin als "eines der ganz großen existentiellen Zukunftsthemen" bezeichnen, in den politischen Zirkeln seit Jahrzehnten verhandelt wird, die vielen Varianten des "Leugnens" und "Portionierens" in der Klimapolitik. Und deshalb warnt er nicht nur vor dem "Weiter so", sondern vor der Illusion, die man sich vor allem auf Seiten der, wie er sie nennt, "naiven Liberalen" macht. Denn nicht nur die Kosten eines ungebremsten Klimawandel werden sehr schnell auf die Gesellschaft und den freiheitlich-demokratischen Staat zurückschlagen. Es droht auch die Freiheit verlorenzugehen, wenn die beschleunigte Erderwärmung jede ökologische Stabilität zunichte macht: Die Temperaturkurve des Planeten als Kurve der menschlichen Unfreiheit. "Die Optionen nehmen dramatisch ab, die Zwänge nehmen rasant zu." Das heißt für Ulrich: Je früher gegengesteuert wird, desto freier bleibt der Mensch. Dass diese Erkenntnis politisch noch nicht ausreichend durchgedrungen ist, beklagt nicht nur Ulrich. Und auch dass der Aufschub entschiedenen Handelns Folgen hat, sickert erst allmählich in die Politik und in die Gesellschaft ein, trotz UN-Konventionen und Klimaabkommen.
Zu langsam setzen sich diese Einsichten durch, das treibt viele Autoren um. Aber wie sollte man das Ruder herumreißen, ohne die Menschen (und Wähler) zu verlieren? "Extinction Rebellion" positioniert sich da klar: Die noch junge, in London gegründete, aber schon auf fast allen Kontinenten vertretene Umweltbewegung hat sich in ihrem Handbuch "Wann, wenn nicht wir*" festgelegt: Radikal raus aus der Fossilwirtschaft, sich der Politik frontal, wenn auch gewaltfrei entgegenstellen, keine Zeit mehr verlieren.
Verglichen damit reduziert der amerikanische Schriftsteller Jonathan Safran Foer seinen Widerstand gegen das "Weiter so" auf den moralisch durchdachten Aufruf zur Mäßigung. Nach seinem erfolgreichen "Tiere essen" will Foer seine Leser nun davon überzeugen, auch fürs Klima weniger Fleisch zu essen. Allzu radikale Polarisierung hält er für Gift in der Debatte, ein neues "Wir" sei der richtige Weg in den notwendigen strukturellen Wandel: "Man kann sich am besten davor drücken, eine schwierige Aufgabe anzugehen, indem man so tut, als gäbe es nur zwei Optionen." Will sagen: Jeder kann etwas bewirken.
Womit eine der zentralen ethischen Fragen in den Klimadebatten angesprochen ist, die in vielen Klima-Büchern ihren Widerhall findet: die Frage nach kollektivem oder individuellem Handeln. Wie viel Verantwortung trägt der Einzelne im täglichen Leben, was kann er tun, damit die ökologische Erosion im Großen wirkungsvoll gebremst und die Erwärmung eingedämmt wird? Foer beantwortet die Systemfrage für sich mit einer Metapher: "Ein einzelner Autofahrer kann keinen Stau verursachen. Aber ohne einzelne Autofahrer gibt es keinen Stau. Wir stecken im Verkehr fest, weil wir der Verkehr sind."
Hier ist auf Cyril Dions Büchlein hinzuweisen, eines in Frankreich inzwischen gut bekannten Filmautors und Aktivisten, der mit seiner "Kurzen Anleitung zur Rettung der Erde" um eine neue große "gemeinsame Fiktion" kämpft. Der Begriff Fiktion überrascht im ersten Moment, doch Dion geht es darum, mit neuen Ideen Emotionen zu wecken - und damit Massen zu mobilisieren, welche die Trägheit des politischen Prozesses überwinden helfen sollen. Neue "Narrative" müssten dafür her. Er ist geradezu verliebt in die Idee, mit einer kollektiven Idee von der klimafreundlichen Zukunft "Berge zu versetzen" und die Revolution zu starten.
Wie viele Klimaforscher, Aktivisten und Autoren sieht sich der Franzose von den Politikern seines Landes betrogen. Er erinnert an die vielen vergeblichen Anläufe für ein grünes Wachstum, angestoßen mit viel Tamtam vom Staatspräsidenten: "Nicolas Sarkozy rief damals zu einer ,ökologischen Revolution' auf, unterstützte das Prinzip einer Kohlendioxidsteuer, unterstrich, dass ,unser Wachstumsmodell zum Scheitern verurteilt' sei, und verteidigte das Prinzip der Vorsorge, die als ein Prinzip der Verantwortung verstanden werden muss." Das ist zwölf Jahre her. Statt aber zu tun, was er angekündigt hatte, regierte Sarkozy unter dem Diktat kurzfristiger Interessen und der nächsten Wahlen. Gerade diese Interessen werden für Dion von einem Narrativ gestützt, das uns bis heute präge und um Konsum, Unterhaltung, Wohlstand kreise.
Die Revolution beginnt für Dion deshalb klein, mit einem neuen Enthusiasmus jedes Einzelnen, der sich im Alltäglichen wie in seinem politischen Engagement für eine naturverträglichere Zukunft einsetzt. Er hofft sozusagen auf ansteckende Ideale, die eine politische Lawine zur Klimawende hin auszulösen vermögen: "Unser einziger Ausweg besteht darin, Räume für eine Zusammenarbeit zwischen Abgeordneten, Unternehmern und Bürgern zu schaffen."
Freilich, in solchen Räumen versammeln sich schon heute ziemlich viele Menschen. Nur zwei Zahlen: Mehr als sechstausend Unternehmen weltweit mit einem gemeinsamen Umsatz, der das Bruttoinlandsprodukt Chinas und der Vereinigten Staaten zusammen übersteigt, haben sich nach Paris offiziell neue Klimaziele gegeben. Außerdem lebt schon einer von fünf Weltbürgern in einer der zehntausend Städte und Regionen, die die UN-Klimaziele stützen. Deshalb auch dürften Ratgeber für ein klimaverträgliches Leben, wie sie etwa mit "Meine Reise nach Utopia" (Utopia GmbH) - eine Art Nachhaltigkeitshandbuch für den Alltag - nun vorliegen, durchaus auf Nachfrage stoßen. Meist sind sie auch, wie das Kinderbuch "50 kleine Revolutionen, mit denen du die Welt schöner machst", geradezu unaufgeregt und unideologisch und lassen die Klimapolitik als Streitthema fast vergessen. Ein anderes Beispiel liefert der großformatige Cartoonband "So geht Planet!" (Der Gestalten Verlag), der reich illustriert die für den Alltag relevanten Daten aus Ökologie, Klimatologie und Technik liefert und damit gewissermaßen die Faktenbasis für neue Ideen schafft.
In gewisser Weise leistet das auch der amerikanische Technikphilosoph Christopher Preston. Allerdings ist Prestons Utopie einer nachhaltigen Existenz des Homo sapiens völlig ungetrübt von dem Gedanken, noch zu retten, was gerettet werden kann. Er schließt sich damit Teilen des politischen Lagers an, die in künftigen Innovationen und einer rein technischen Lösung der Klimakrise die eigentliche Herausforderung sehen. Für Preston sind wir im Begriff, ins "synthetische Zeitalter" überzugehen. Diese neue schöpferische Epoche - er nennt sie "Plastozän" - schließt jede denkbare Manipulation der Atmosphäre, der Ökosysteme, ja auch der Organismen und des Menschen ein. "Die Erde und viele ihrer grundlegenden Prozesse werden ihre Unabhängigkeit von uns verlieren. Dann wird unsere Umwelt in einem sehr realen und endgültigen Sinn ihrer Natürlichkeit beraubt. Die Biosphäre wird vollständig der Technosphäre untergeordnet."
Das ist für Preston nicht etwa die Apokalypse, sondern der direkte Ausgang des Menschen aus der gegenwärtigen ökologischen Unmündigkeit in die Rolle des ultimativen Planetenverwalters. Kinder haben darf dann jeder so viele, wie er möchte, und Emissionen spielen keine Rolle mehr. Das ist zugegeben sehr langfristig gedacht. Doch alle dafür nötigen Technologien sind schon in der Pipeline der Weltingenieure.
Greta Thunberg: "Ich will, dass ihr in Panik geratet". Meine Reden zum Klimaschutz.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2019. 64 S., br., 7,- [Euro].
Pierdomenico Baccalario: "50 kleine Revolutionen, mit denen du die Welt (ein bisschen) schöner machst". Illustrationen von Anton Gionato Ferrari.
A. d. Italienischen von S. Marzolff. dtv, München 2019. 192 S., br., 12,95 [Euro].
Bernd Ulrich: "Alles wird anders". Das Zeitalter der Ökologie.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019.
224 S., br., 16,- [Euro].
Jonathan Safran Foer: "Wir sind das Klima". Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können.
A. d. Engl. von St. Jacobs und J. Schönherr. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2019. 336 S., geb., 22,- [Euro].
Cyril Dion: "Kurze Anleitung zur Rettung der Erde". Wofür wir heute kämpfen müssen.
Aus dem Englischen von Ute Kruse-Ebeling. ReclamVerlag, Ditzingen 2019. 173 S., geb., 18,- [Euro].
Christopher J. Preston: "Sind wir noch zu retten?"Wie wir mit neuen Technologien die Natur verändern können.
Aus dem Englischen von S. Vogel. Springer Verlag, Berlin / Heidelberg 2019. 288 S., Abb., br., 22,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Revolutionen sind angesagt und große Erzählungen gefragt, aber auch Ratschläge für den Alltag werden präsentiert: Eine Auswahl neuer Bücher zum Klimawandel.
Von Joachim Müller-Jung
Die Ernsthaftigkeit, mit der plötzlich über Klimapolitik verhandelt wird, die diesen Namen auch verdient, hat offenbar etwas Erschreckendes, ja Verstörendes. Wie soll man regieren, handeln und überhaupt leben, oder wie die Scharfmacher rumoren: besser nicht leben, wenn nun offenkundig jede Tonne an Treibhausgas in der Atmosphäre zählt? Stillstand, Schrumpfung, Verzicht bis zum Äußersten, alles in Frage stellen, was die Moderne so bequem und den Menschen so frei gemacht hat: Mit solchen Zuspitzungen wird nicht mehr gespart, um noch den Bruch zu verhindern mit dem, was der Schweizer Autor Christoph Keller in seinem Buch "Benzin aus Luft - Eine Reise in die Klimazukunft" (Rotpunktverlag) "die real gelebte Normalität" unserer Welt nennt. Eine verrückte Normalität.
Es wird also polarisiert nach Strich und Faden in der Klimadebatte, und das lässt sich ebenso wie an der entsprechenden Protestkultur auf der Straße und an den sozialen Medien auch an den Neuerscheinungen auf dem Sachbuchmarkt ablesen: Der Kampfgeist ist hellwach. Jedenfalls war über Revolutionen, Kampf und Ratschläge für die Rettung des Planeten schon lange nicht mehr so viel Populäres und Grundsätzliches zu lesen wie in diesem Herbst. Dreh- und Angelpunkt, man könnte auch sagen: die Motivationsfigur schlechthin, ist Greta Thunberg und die Protestbewegung #FridaysForFuture.
Mit ihrer Panikrede auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos Anfang des Jahres, einer der schon erstaunlich vielen Höhepunkte im Leben der jungen Klimaaktivistin, hat die Schwedin den emotionalen Ton angeschlagen, der dreißig Jahre lang in der Ära der Sonntagsreden zum Klimawandel gefehlt hatte: "Erwachsene sagen ständig: ,Wir sind es den jungen Leuten schuldig, ihnen Hoffnung zu machen.' Aber ich will eure Hoffnung nicht. Ich will nicht, dass ihr hoffnungsvoll seid. Ich will, dass ihr in Panik geratet. Ich will, dass ihr die gleiche Angst habt, die ich täglich verspüre, und dann will ich, dass ihr handelt."
Das Phänomen Thunberg überlagert derzeit alles Klein-Klein im politischen Raum. Sie setzt die Maßstäbe. Elf Reden von ihr, von ihrem ersten Auftritt auf dem Klimamarsch von Stockholm bis zur Dankesrede für die Verleihung der Goldenen Kamera, sind nun als schmales Buch erschienen. Es ist nicht das einzige Buch über Thunberg. Aber es liefert in der Authentizität der unkommentierten Reden ein gutes Bild von der Stimmungslage auf den zahlreichen klimapolitischen Bühnen dieser Tage.
Tatsächlich ist die Frage nach Authentizität zum großen Thema geworden. Wer über das Klima schreibt, befragt sich zuerst selbst. Der Selbstbezug des Menschen, der in den klimatologischen Schriften regelhaft außer Acht gelassen wird, weil Subjektivität in der auch von Greta immer wieder befragten "grundsoliden Wissenschaft" nichts zu suchen hat, er bekommt in der neuen ökologischen Literatur eine ausgesprochen starke Rolle. Bernd Ulrich geht damit besonders virtuos zu Werke. Sein Buch mit dem Titel "Alles wird anders" ist für den altgedienten Redakteur der "Zeit" und Babyboomer, der sich lange als Vertreter der "sanftesten und grünsten Generation" hielt, die in Deutschland an der Macht war, ein Geständnis.
Ulrich ist ein Wiedererweckter der ersten Umweltbewegung. Wie fast alle Autoren, die sich ernsthaft mit der notwendigen Wende zu einer klimaschonenden Lebens- und Wirtschaftsweise beschäftigen, geht der gebürtige Ruhrpottler mit den Verdrängungsmechanismen - auch den eigenen - hart ins Gericht. Seine eigene Wende hat er durch die Umstellung auf vegane Ernährung konsequent betrieben. Die Klappe aufreißen wolle er trotzdem nicht: "Dies ist nicht das Buch von einem, der es richtig macht, sondern nur von einem, der sich nichts mehr vormachen will, nicht von einem, der besser sein will als andere, sondern es besser machen will als bisher". Das könnte zur Maxime globaler Klimapolitik taugen, denn was getan wurde, es reicht nicht: "Grüne Tonne, grüne Lunge, grüne Partei, grüne Energie", resümiert Ulrich das Umweltbewusstsein bis dato, "nur eben der Natur geht es unter dem Strich immer schlechter".
Ulrich entlarvt die rhetorischen Tricks, mit denen das, was Bundeskanzlerin Merkel als "die größte Menschheitsfrage" und ihre Nachfolgerin im Amt der Parteichefin als "eines der ganz großen existentiellen Zukunftsthemen" bezeichnen, in den politischen Zirkeln seit Jahrzehnten verhandelt wird, die vielen Varianten des "Leugnens" und "Portionierens" in der Klimapolitik. Und deshalb warnt er nicht nur vor dem "Weiter so", sondern vor der Illusion, die man sich vor allem auf Seiten der, wie er sie nennt, "naiven Liberalen" macht. Denn nicht nur die Kosten eines ungebremsten Klimawandel werden sehr schnell auf die Gesellschaft und den freiheitlich-demokratischen Staat zurückschlagen. Es droht auch die Freiheit verlorenzugehen, wenn die beschleunigte Erderwärmung jede ökologische Stabilität zunichte macht: Die Temperaturkurve des Planeten als Kurve der menschlichen Unfreiheit. "Die Optionen nehmen dramatisch ab, die Zwänge nehmen rasant zu." Das heißt für Ulrich: Je früher gegengesteuert wird, desto freier bleibt der Mensch. Dass diese Erkenntnis politisch noch nicht ausreichend durchgedrungen ist, beklagt nicht nur Ulrich. Und auch dass der Aufschub entschiedenen Handelns Folgen hat, sickert erst allmählich in die Politik und in die Gesellschaft ein, trotz UN-Konventionen und Klimaabkommen.
Zu langsam setzen sich diese Einsichten durch, das treibt viele Autoren um. Aber wie sollte man das Ruder herumreißen, ohne die Menschen (und Wähler) zu verlieren? "Extinction Rebellion" positioniert sich da klar: Die noch junge, in London gegründete, aber schon auf fast allen Kontinenten vertretene Umweltbewegung hat sich in ihrem Handbuch "Wann, wenn nicht wir*" festgelegt: Radikal raus aus der Fossilwirtschaft, sich der Politik frontal, wenn auch gewaltfrei entgegenstellen, keine Zeit mehr verlieren.
Verglichen damit reduziert der amerikanische Schriftsteller Jonathan Safran Foer seinen Widerstand gegen das "Weiter so" auf den moralisch durchdachten Aufruf zur Mäßigung. Nach seinem erfolgreichen "Tiere essen" will Foer seine Leser nun davon überzeugen, auch fürs Klima weniger Fleisch zu essen. Allzu radikale Polarisierung hält er für Gift in der Debatte, ein neues "Wir" sei der richtige Weg in den notwendigen strukturellen Wandel: "Man kann sich am besten davor drücken, eine schwierige Aufgabe anzugehen, indem man so tut, als gäbe es nur zwei Optionen." Will sagen: Jeder kann etwas bewirken.
Womit eine der zentralen ethischen Fragen in den Klimadebatten angesprochen ist, die in vielen Klima-Büchern ihren Widerhall findet: die Frage nach kollektivem oder individuellem Handeln. Wie viel Verantwortung trägt der Einzelne im täglichen Leben, was kann er tun, damit die ökologische Erosion im Großen wirkungsvoll gebremst und die Erwärmung eingedämmt wird? Foer beantwortet die Systemfrage für sich mit einer Metapher: "Ein einzelner Autofahrer kann keinen Stau verursachen. Aber ohne einzelne Autofahrer gibt es keinen Stau. Wir stecken im Verkehr fest, weil wir der Verkehr sind."
Hier ist auf Cyril Dions Büchlein hinzuweisen, eines in Frankreich inzwischen gut bekannten Filmautors und Aktivisten, der mit seiner "Kurzen Anleitung zur Rettung der Erde" um eine neue große "gemeinsame Fiktion" kämpft. Der Begriff Fiktion überrascht im ersten Moment, doch Dion geht es darum, mit neuen Ideen Emotionen zu wecken - und damit Massen zu mobilisieren, welche die Trägheit des politischen Prozesses überwinden helfen sollen. Neue "Narrative" müssten dafür her. Er ist geradezu verliebt in die Idee, mit einer kollektiven Idee von der klimafreundlichen Zukunft "Berge zu versetzen" und die Revolution zu starten.
Wie viele Klimaforscher, Aktivisten und Autoren sieht sich der Franzose von den Politikern seines Landes betrogen. Er erinnert an die vielen vergeblichen Anläufe für ein grünes Wachstum, angestoßen mit viel Tamtam vom Staatspräsidenten: "Nicolas Sarkozy rief damals zu einer ,ökologischen Revolution' auf, unterstützte das Prinzip einer Kohlendioxidsteuer, unterstrich, dass ,unser Wachstumsmodell zum Scheitern verurteilt' sei, und verteidigte das Prinzip der Vorsorge, die als ein Prinzip der Verantwortung verstanden werden muss." Das ist zwölf Jahre her. Statt aber zu tun, was er angekündigt hatte, regierte Sarkozy unter dem Diktat kurzfristiger Interessen und der nächsten Wahlen. Gerade diese Interessen werden für Dion von einem Narrativ gestützt, das uns bis heute präge und um Konsum, Unterhaltung, Wohlstand kreise.
Die Revolution beginnt für Dion deshalb klein, mit einem neuen Enthusiasmus jedes Einzelnen, der sich im Alltäglichen wie in seinem politischen Engagement für eine naturverträglichere Zukunft einsetzt. Er hofft sozusagen auf ansteckende Ideale, die eine politische Lawine zur Klimawende hin auszulösen vermögen: "Unser einziger Ausweg besteht darin, Räume für eine Zusammenarbeit zwischen Abgeordneten, Unternehmern und Bürgern zu schaffen."
Freilich, in solchen Räumen versammeln sich schon heute ziemlich viele Menschen. Nur zwei Zahlen: Mehr als sechstausend Unternehmen weltweit mit einem gemeinsamen Umsatz, der das Bruttoinlandsprodukt Chinas und der Vereinigten Staaten zusammen übersteigt, haben sich nach Paris offiziell neue Klimaziele gegeben. Außerdem lebt schon einer von fünf Weltbürgern in einer der zehntausend Städte und Regionen, die die UN-Klimaziele stützen. Deshalb auch dürften Ratgeber für ein klimaverträgliches Leben, wie sie etwa mit "Meine Reise nach Utopia" (Utopia GmbH) - eine Art Nachhaltigkeitshandbuch für den Alltag - nun vorliegen, durchaus auf Nachfrage stoßen. Meist sind sie auch, wie das Kinderbuch "50 kleine Revolutionen, mit denen du die Welt schöner machst", geradezu unaufgeregt und unideologisch und lassen die Klimapolitik als Streitthema fast vergessen. Ein anderes Beispiel liefert der großformatige Cartoonband "So geht Planet!" (Der Gestalten Verlag), der reich illustriert die für den Alltag relevanten Daten aus Ökologie, Klimatologie und Technik liefert und damit gewissermaßen die Faktenbasis für neue Ideen schafft.
In gewisser Weise leistet das auch der amerikanische Technikphilosoph Christopher Preston. Allerdings ist Prestons Utopie einer nachhaltigen Existenz des Homo sapiens völlig ungetrübt von dem Gedanken, noch zu retten, was gerettet werden kann. Er schließt sich damit Teilen des politischen Lagers an, die in künftigen Innovationen und einer rein technischen Lösung der Klimakrise die eigentliche Herausforderung sehen. Für Preston sind wir im Begriff, ins "synthetische Zeitalter" überzugehen. Diese neue schöpferische Epoche - er nennt sie "Plastozän" - schließt jede denkbare Manipulation der Atmosphäre, der Ökosysteme, ja auch der Organismen und des Menschen ein. "Die Erde und viele ihrer grundlegenden Prozesse werden ihre Unabhängigkeit von uns verlieren. Dann wird unsere Umwelt in einem sehr realen und endgültigen Sinn ihrer Natürlichkeit beraubt. Die Biosphäre wird vollständig der Technosphäre untergeordnet."
Das ist für Preston nicht etwa die Apokalypse, sondern der direkte Ausgang des Menschen aus der gegenwärtigen ökologischen Unmündigkeit in die Rolle des ultimativen Planetenverwalters. Kinder haben darf dann jeder so viele, wie er möchte, und Emissionen spielen keine Rolle mehr. Das ist zugegeben sehr langfristig gedacht. Doch alle dafür nötigen Technologien sind schon in der Pipeline der Weltingenieure.
Greta Thunberg: "Ich will, dass ihr in Panik geratet". Meine Reden zum Klimaschutz.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2019. 64 S., br., 7,- [Euro].
Pierdomenico Baccalario: "50 kleine Revolutionen, mit denen du die Welt (ein bisschen) schöner machst". Illustrationen von Anton Gionato Ferrari.
A. d. Italienischen von S. Marzolff. dtv, München 2019. 192 S., br., 12,95 [Euro].
Bernd Ulrich: "Alles wird anders". Das Zeitalter der Ökologie.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019.
224 S., br., 16,- [Euro].
Jonathan Safran Foer: "Wir sind das Klima". Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können.
A. d. Engl. von St. Jacobs und J. Schönherr. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2019. 336 S., geb., 22,- [Euro].
Cyril Dion: "Kurze Anleitung zur Rettung der Erde". Wofür wir heute kämpfen müssen.
Aus dem Englischen von Ute Kruse-Ebeling. ReclamVerlag, Ditzingen 2019. 173 S., geb., 18,- [Euro].
Christopher J. Preston: "Sind wir noch zu retten?"Wie wir mit neuen Technologien die Natur verändern können.
Aus dem Englischen von S. Vogel. Springer Verlag, Berlin / Heidelberg 2019. 288 S., Abb., br., 22,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.10.2019Ende der Illusionen
Bernd Ulrichs schwungvolle und schonungslose Klimakrisen-Reflexion
„Dies ist nicht das Buch von einem, der es richtig macht, sondern nur von einem, der sich nichts mehr vormachen will“, schreibt Bernd Ulrich, stellvertretender Chefredakteur der Zeit, im Vorwort zu seinem Buch „Alles wird anders – das Zeitalter der Ökologie“. Tatsächlich ist das Werk ein großes Desillusionierungs-Projekt, zuweilen schwer zu ertragen in seiner Schonungslosigkeit. Es ist ein buchgewordenes „Das kann ja wohl alles nicht wahr sein“, das dem Leser da um die Ohren gehauen wird.
Stimmt, es ist wirklich unfassbar, wie wir die Natur vernichten, das Klima aufheizen, unsere Lebensgrundlagen zerstören und uns dabei auch noch kollektiv einreden, das sei schon alles irgendwie in Ordnung so. Es ist aber doch wahr, leider. Also stellt sich die Frage: Wie konnte es nur so weit kommen?
Bernd Ulrich ist nicht der erste, der dieser schmerzlichen Frage nachgeht. „Warum haben wir uns das angetan?“, fragte etwa der US-Journalist Nathaniel Rich im vergangenen Jahr in seinem brillanten und monumentalen Text „Losing Earth“ im New York Times Magazine, in dem er beschrieb, wie nah die Welt schon in den Achtzigerjahren einem verbindlichen Klimaabkommen kam – und versagte. Richs Antwort war schlicht: die Natur des Menschen; die Angst der Politiker vor dramatischen Veränderungen; die Unfähigkeit, die Zukunft auch nur annähernd so ernst zu nehmen wie die Gegenwart.
Rich kam zu diesem simplen Schluss nach einer obsessiven Detailarbeit, für seine Reportage hatte er 18 Monate lang recherchiert und die Ereignisse minutiös rekonstruiert. Bernd Ulrich geht die Sache nun sehr anders an: eher von den großen Linien her als vom Kleinkram. Zum Teil führt ihn dieser Flugstart auf der Metaebene zu interessanten Gedanken. Ein Problem sieht er etwa in der fatalen gedanklichen Verhaftung in der Logik des 20. Jahrhunderts. Oder in der fast zwanghaften Mitte-Orientierung der Politik, mit der die Gesellschaft genau so lange gut gefahren ist, so lange kein Problem wie der Klimawandel sich zeigte, dem man langfristig nur mit radikalem Wandel begegnen kann. Was die Mitte-Position, so Ulrichs Argumentation, quasi zum Extremismus macht. Hinzu kommt die schwierige „moralische Struktur der Klimakrise“: Wenn so harmlose Dinge wie Autofahren so schreckliche Folgen haben, ergibt sich eine Art Schuld-Vakuum, das die einen mit Verdrängung füllen, die anderen mit Vorhaltungen, und nichts ist gewonnen.
Diese Überlegungen, denen man teils mehr und teils weniger zustimmen mag, die aber stets originell sind, sind eine große Stärke des Buches. Es ist eher gehobene Kaffeehausdiskussion als Seminararbeit, eher eine Anregung zur Gesellschafts- und Selbstreflexion als eine Sammlung konkreter Erkenntnisse. Als Zugabe gibt es kräftige Politik- und Medienkritik – wobei nicht ganz klar wird, ob der Autor sich bei letzterer auch selber meint.
Der Schwung hat allerdings auch eine Kehrseite: Mit den Fakten der Klimaforschung nimmt es Ulrich nicht übermäßig genau. Studien tauchen kaum auf, stattdessen immer wieder: Peter Sloterdijk. Oft werden Bücher und Werke anderer Journalisten erwähnt, allerdings von sehr unterschiedlicher Qualität. Die fantastische Recherche von Nathaniel Rich wird gefühlt in einen Topf geworfen mit David Wallace-Wells’ emotionalem Text „Die unbewohnbare Erde“. Dabei hat Wallace-Wells viel Kritik von Klimaforschern geerntet, weil er teils unrealistische Schreckensszenarien als gesicherte Tatsachen darstellt.
Vielleicht ist auch dieser lockere Umgang mit Quellen der Grund, dass viel Missverständliches oder Übertriebenes ins Buch gelangt ist, was den Stand der Forschung angeht. Mal ganz abgesehen von diversen kleineren und größeren Fehlern und Ungenauigkeiten; Biomasse wird mit Kohlenstoffgehalt verwechselt, aus einem Kipppunkt der Westantarktis wird ein drohendes Abschmelzen der Polkappen, und so weiter. Alles kein Drama, aber störend; und wer sich wirklich für Klimazusammenhänge interessiert, sollte vielleicht lieber ein anderes Buch lesen.
Etwas gewöhnungsbedürftig ist auch der Umgang mit dem Thema Fleischkonsum, natürlich ein zentraler Punkt für einen erklärten Veganer. Dabei gäbe es schon auch Argumente für einen – drastisch reduzierten – Fleischkonsum; etwa, weil Menschen anders als Rinder kein Gras verwerten können. Und wer das Töten (und Essen) von Tieren generell ablehnt, sollte vielleicht mal mit einem Förster reden, ohne Jagd ginge es dem Wald nämlich schlecht. Statt solcher pragmatischer Ansätze aber sieht Ulrich im Fleischkonsum den Versuch, „sein eigenes Leben in einem spirituellen Sinne mit fremdem Leben anzureichern“, eine „flatterhafte Mischung aus Schamanismus und Mechanik“. Ist das ernst gemeint, oder ist da jemand der Lust am Formulieren erlegen?
Aber es ist das Buch von einem, der „nicht besser sein will als andere, sondern der es besser machen will als bisher“, wie Ulrich schreibt, und das nimmt man ihm ab. Es ist ein sehr persönlicher Aufruf, hinter der Illusion von Vernunft und Normalität endlich den alltäglichen Wahnsinn unseres Lebens und Wirtschaftens zu begreifen, und entsprechend zu handeln. Und das ist ganz offensichtlich nötiger als je zuvor.
MARLENE WEISS
Bernd Ulrich:
Alles wird anders.
Das Zeitalter der Ökologie. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019.
224 Seiten, 14,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Bernd Ulrichs schwungvolle und schonungslose Klimakrisen-Reflexion
„Dies ist nicht das Buch von einem, der es richtig macht, sondern nur von einem, der sich nichts mehr vormachen will“, schreibt Bernd Ulrich, stellvertretender Chefredakteur der Zeit, im Vorwort zu seinem Buch „Alles wird anders – das Zeitalter der Ökologie“. Tatsächlich ist das Werk ein großes Desillusionierungs-Projekt, zuweilen schwer zu ertragen in seiner Schonungslosigkeit. Es ist ein buchgewordenes „Das kann ja wohl alles nicht wahr sein“, das dem Leser da um die Ohren gehauen wird.
Stimmt, es ist wirklich unfassbar, wie wir die Natur vernichten, das Klima aufheizen, unsere Lebensgrundlagen zerstören und uns dabei auch noch kollektiv einreden, das sei schon alles irgendwie in Ordnung so. Es ist aber doch wahr, leider. Also stellt sich die Frage: Wie konnte es nur so weit kommen?
Bernd Ulrich ist nicht der erste, der dieser schmerzlichen Frage nachgeht. „Warum haben wir uns das angetan?“, fragte etwa der US-Journalist Nathaniel Rich im vergangenen Jahr in seinem brillanten und monumentalen Text „Losing Earth“ im New York Times Magazine, in dem er beschrieb, wie nah die Welt schon in den Achtzigerjahren einem verbindlichen Klimaabkommen kam – und versagte. Richs Antwort war schlicht: die Natur des Menschen; die Angst der Politiker vor dramatischen Veränderungen; die Unfähigkeit, die Zukunft auch nur annähernd so ernst zu nehmen wie die Gegenwart.
Rich kam zu diesem simplen Schluss nach einer obsessiven Detailarbeit, für seine Reportage hatte er 18 Monate lang recherchiert und die Ereignisse minutiös rekonstruiert. Bernd Ulrich geht die Sache nun sehr anders an: eher von den großen Linien her als vom Kleinkram. Zum Teil führt ihn dieser Flugstart auf der Metaebene zu interessanten Gedanken. Ein Problem sieht er etwa in der fatalen gedanklichen Verhaftung in der Logik des 20. Jahrhunderts. Oder in der fast zwanghaften Mitte-Orientierung der Politik, mit der die Gesellschaft genau so lange gut gefahren ist, so lange kein Problem wie der Klimawandel sich zeigte, dem man langfristig nur mit radikalem Wandel begegnen kann. Was die Mitte-Position, so Ulrichs Argumentation, quasi zum Extremismus macht. Hinzu kommt die schwierige „moralische Struktur der Klimakrise“: Wenn so harmlose Dinge wie Autofahren so schreckliche Folgen haben, ergibt sich eine Art Schuld-Vakuum, das die einen mit Verdrängung füllen, die anderen mit Vorhaltungen, und nichts ist gewonnen.
Diese Überlegungen, denen man teils mehr und teils weniger zustimmen mag, die aber stets originell sind, sind eine große Stärke des Buches. Es ist eher gehobene Kaffeehausdiskussion als Seminararbeit, eher eine Anregung zur Gesellschafts- und Selbstreflexion als eine Sammlung konkreter Erkenntnisse. Als Zugabe gibt es kräftige Politik- und Medienkritik – wobei nicht ganz klar wird, ob der Autor sich bei letzterer auch selber meint.
Der Schwung hat allerdings auch eine Kehrseite: Mit den Fakten der Klimaforschung nimmt es Ulrich nicht übermäßig genau. Studien tauchen kaum auf, stattdessen immer wieder: Peter Sloterdijk. Oft werden Bücher und Werke anderer Journalisten erwähnt, allerdings von sehr unterschiedlicher Qualität. Die fantastische Recherche von Nathaniel Rich wird gefühlt in einen Topf geworfen mit David Wallace-Wells’ emotionalem Text „Die unbewohnbare Erde“. Dabei hat Wallace-Wells viel Kritik von Klimaforschern geerntet, weil er teils unrealistische Schreckensszenarien als gesicherte Tatsachen darstellt.
Vielleicht ist auch dieser lockere Umgang mit Quellen der Grund, dass viel Missverständliches oder Übertriebenes ins Buch gelangt ist, was den Stand der Forschung angeht. Mal ganz abgesehen von diversen kleineren und größeren Fehlern und Ungenauigkeiten; Biomasse wird mit Kohlenstoffgehalt verwechselt, aus einem Kipppunkt der Westantarktis wird ein drohendes Abschmelzen der Polkappen, und so weiter. Alles kein Drama, aber störend; und wer sich wirklich für Klimazusammenhänge interessiert, sollte vielleicht lieber ein anderes Buch lesen.
Etwas gewöhnungsbedürftig ist auch der Umgang mit dem Thema Fleischkonsum, natürlich ein zentraler Punkt für einen erklärten Veganer. Dabei gäbe es schon auch Argumente für einen – drastisch reduzierten – Fleischkonsum; etwa, weil Menschen anders als Rinder kein Gras verwerten können. Und wer das Töten (und Essen) von Tieren generell ablehnt, sollte vielleicht mal mit einem Förster reden, ohne Jagd ginge es dem Wald nämlich schlecht. Statt solcher pragmatischer Ansätze aber sieht Ulrich im Fleischkonsum den Versuch, „sein eigenes Leben in einem spirituellen Sinne mit fremdem Leben anzureichern“, eine „flatterhafte Mischung aus Schamanismus und Mechanik“. Ist das ernst gemeint, oder ist da jemand der Lust am Formulieren erlegen?
Aber es ist das Buch von einem, der „nicht besser sein will als andere, sondern der es besser machen will als bisher“, wie Ulrich schreibt, und das nimmt man ihm ab. Es ist ein sehr persönlicher Aufruf, hinter der Illusion von Vernunft und Normalität endlich den alltäglichen Wahnsinn unseres Lebens und Wirtschaftens zu begreifen, und entsprechend zu handeln. Und das ist ganz offensichtlich nötiger als je zuvor.
MARLENE WEISS
Bernd Ulrich:
Alles wird anders.
Das Zeitalter der Ökologie. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019.
224 Seiten, 14,99 Euro.
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»Ein Appell, sich aus den eigenen Abwehrhaltungen und Verdrängungstaktiken freizustrampeln [...] klug anregend.« umweltnet.schweiz.ch 20191018