An inside account of Fox News offers insight into its operations and influence, covering the original launch of the cable news network by Roger Ailes and Rupert Murdoch and the ways in which Fox has become a dominant force in American politics.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.02.2014Der Mann, der die Fakten neu erfand
Roger Ailes hat Fox News zum erfolgreichsten Nachrichtensender Amerikas gemacht. Er gilt als skrupellos und psychopathisch. Nun ist ein Enthüllungsbuch über ihn erschienen. Es wurde zum Bestseller - und Ailes bleibt seltsam zahm. Warum nur?
Für seinen Kampf mit dem mächtigsten und skrupellosesten Nachrichtenmann des amerikanischen Fernsehens kaufte sich der Autor Gabriel Sherman, 33, zwei neue Sakkos, die er seit 14 Tagen abwechselnd in den Talkshows trägt, eines blau und eines grau. Sein Buch über Fox-News-Gründer Roger Ailes, 73, stieg derweil auf Platz neun der "New York Times"-Bestseller-Liste. Und nicht mal "Fifty Shades of Grey" erzeugte ein derart umfassendes Medienecho wie "The Loudest Voice in the Room: How the Brilliant, Bombastic Roger Ailes Built Fox News and Divided a Country".
Nun ist Roger Ailes auch nicht irgendein Fernsehboss. Er ist der Visionär hinter Fox News und gilt als Erfinder einer neuen Art von Journalismus, die sich nicht mehr an die langweiligen Grenzen von Fakten und Wahrheit hält, sondern die Welt so präsentiert, wie es der eigenen politischen Agenda am besten dient. In einer wenige Wochen alten Umfrage konnten Zuschauer, die regelmäßig Fox News konsumieren, durchschnittlich nur eine von fünf Fragen zum politischen Geschehen korrekt beantworten. Ob die Amerikaner Massenvernichtungswaffen im Irak gefunden haben? 85 Prozent der Fox-Gucker stimmten zu. Das CNN-Publikum schaffte immerhin zwei korrekte Antworten. In Ailes' Paralleluniversum wird wochenlang diskutiert, ob Präsident Obama in Afrika oder Indonesien zur Welt kam und wie viele Rentner er mit seiner Gesundheitsreform töten will. Seit 1996 erzählt Fox News der Zielgruppe, was sie hören will, und wurde so zum erfolgreichsten Nachrichtensender des Landes, der jährlich eine Milliarde Dollar Nettogewinn erzielt und doppelt so viele Leute erreicht wie CNN und MSNBC zusammen. Das ist Ailes' Verdienst. Er gilt außerdem als Weltklasse-Psychopath, der Mitarbeiter und Konkurrenten drangsaliert, anschreit, körperlich bedroht und nach Gutdünken bestraft.
Sherman interviewte in drei Jahren 612 Personen für sein Buch, und er liefert frische Anekdoten. Ailes bot einer Mitarbeiterin eine Beförderung und hundert Dollar pro Woche extra an, wenn sie ihm bei Bedarf sexuell zur Verfügung stehe; in einer Affäre aus den neunziger Jahren, als Ailes noch bei NBC wütete, beklagten Mitarbeiter, dass sie sogar um das Wohl ihrer Familien fürchteten, wenn die Firma sie nicht vor Ailes schützte. Man einigte sich auf großzügige Abfindungen und ein Gelöbnis der Mitarbeiter, zu schweigen. Sie hielten sich dran - bis Sherman anrief. Nur mit einer Person sprach der Reporter nicht. Mit Ailes. "Ich reichte mindestens zwölf Anfragen ein, aber ich erhielt nur Drohungen." Zwei Mal begegneten sich die beiden auf Partys. Beim ersten Treffen schubste Ailes' Leibwächter Sherman zu Boden, beim zweiten sprach der Fernsehboss mit seinem verschwitzten Speckgesicht: "Ich empfehle dir, den härtesten Schlag gegen mich zu setzen, den du in dir hast. Dann habe ich den Rest meines Lebens Zeit, dich fertigzumachen." Immerhin beunruhigte ihn Shermans Projekt genug, um eilig eine eigene Biographie ("Off Camera") in Auftrag zu geben, die ihn als Wohltäter beschreibt. Das Buch enthält amüsante Beleidigungen. Newt Gingrich? "Ein dummer Schwanz." Joe Biden? "Dumm wie ein Aschenbecher." Nobelpreisträger Paul Krugman? "Bekifftes Schwein, aber man darf nichts sagen, weil er ein paar Auszeichnungen bekommen hat."
Nicht immer lässt Ailes Drohungen auch Taten folgen, aber oft genug, um sich vor seinen Ankündigungen zu fürchten. Im Keller des Fox-Gebäudes betreibt er den sogenannten "Brainroom", in dem Mitarbeiter, die eigentlich recherchieren und Fakten prüfen sollen, Akten anlegen zum Lebenswandel feindlich gesinnter Journalisten. Mal versorgten die Fox-Leute einen Reporter mit fingierten Informationen, um ihn nach Erscheinen des Artikels zu diskreditieren; von einem anderen veröffentlichten sie peinliche Fotos im Netz. Ailes setzt den Sicherheitsdienst der Konzernmutter News Corporation als seine persönliche Stasi ein. An seinem Wohnort in Upstate New York kaufte er die örtliche Zeitung, ernannte seine Frau zur Herausgeberin und finanzierte einem Kandidaten den Bürgermeisterwahlkampf, der seine Wünsche für neue Bebauungspläne unterstützte. Die Opposition beschwerte sich, dass die Stadt von Ailes' Agenten wimmelte - und gewann die Wahl.
Für Sherman interessierte sich der Brainroom intensiv. "Es war verrückt", sagt eine Mitarbeiterin anonym in "The Loudest Voice", "da konnten Schulschießereien und Attentate passieren. Sie wollten, dass wir jeden Schritt von Gabriel verfolgen." Der Brainroom versuchte, Sherman falsche Interviewpartner unterzujubeln. "Ich musste höllisch aufpassen, mit wem ich redete, denn ich wusste, wie groß die Gefahr war, einer falschen Quelle aufzusitzen." So erschien das Buch fast ein Jahr verspätet. Die Schlussredakteure vom Verlag Random House brauchten lange, um Einzelheiten zu prüfen: Wie hat Ailes Mitt Romneys Wahlkampf aus der Fox-Zentrale gesteuert? Wie verlief der Wahlabend im November 2000, als ein Cousin von George W. Bush die Berichterstattung leitete und ständig mit Gouverneur Jeb Bush in Florida telefonierte? So kamen am Ende mehr als hundert Seiten Fußnoten zusammen.
Zum Erscheinen des Buchs heuerte Random House dann zwei politische Berater an, die erfahren sind in der Abwehr von Schmierenkampagnen. Bislang blieben die heftigen Attacken gegen Sherman jedoch aus. Er scheint gut vorbereitet, sein Privatleben bietet keine Angriffsfläche, und die Fakten im Buch sind offenbar so gut recherchiert, dass selbst der Brainroom keine Fehler findet. Das offizielle Statement von Fox News: "Alles in dem Buch ist falsch. Wir haben es nicht gelesen. Aber die einzige Wahrheit ist, dass Gabe keinen Zugang zu Roger hatte und er die Fakten nie von uns hat prüfen lassen." Einige Moderatoren pöbelten auf Twitter und Facebook, und Ailes erklärte dem "Hollywood Reporter": "Sherman ist ein linker Schmierer, der meinen Namen beschmutzen will." Mehr nicht.
Wenn Ailes "The Loudest Voice" lesen würde, könnte er feststellen, dass Sherman nicht an Abrechnung gelegen ist, sondern an einer Erklärung: Was treibt Roger Ailes? Die Antwort fällt Sherman nicht leicht, weil er Sympathie für seine Hauptfigur empfindet. "Der Mann ist eine der wichtigsten lebenden Persönlichkeiten, ein amerikanisches Original", sagt Sherman. In einem Dorf in Ohio aufgewachsen, schaffte Ailes in Chicago den Durchbruch beim Fernsehen. Als Wahlkampfmanager führte er Nixon, Reagan und George H. W. Bush ins Weiße Haus. Sein Motto: Attackieren und Zerstören. Ailes führte neue Umgangsformen in die Politik ein. Vor einer Debatte zwischen Bush und Dukakis flüsterte er dem späteren Präsidenten ins Ohr: "Wenn du nicht mehr weiterweißt, nenne ihn Tierficker." Dukakis hatte 18 Jahre zuvor in Massachusetts das Verbot der Sodomie aufgehoben.
Reputationen und Existenzen zu zerstören fiel Ailes nie schwer. Woher diese zwanghafte Neigung, Konflikte zu sähen und Angst zu verbreiten, stammt, lässt sich womöglich auch aus einer schwierigen Kindheit erklären. Ailes hatte es nicht leicht mit seinem Vater. Er ist Bluter und mehrmals in seinem Leben fast verblutet. Ailes war acht, als sein Vater ihn aufforderte, vom Hochbett zu springen. Der Vater machte einen Schritt zur Seite und ließ den Sohn auf den Boden fallen, wo er sich verletzte. "Siehst du", sagte der Vater, "du darfst niemandem trauen. Absolut niemandem."
LARS JENSEN
Gabriel Sherman: "The Loudest Voice in the Room", Random House, 560 Seiten
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Roger Ailes hat Fox News zum erfolgreichsten Nachrichtensender Amerikas gemacht. Er gilt als skrupellos und psychopathisch. Nun ist ein Enthüllungsbuch über ihn erschienen. Es wurde zum Bestseller - und Ailes bleibt seltsam zahm. Warum nur?
Für seinen Kampf mit dem mächtigsten und skrupellosesten Nachrichtenmann des amerikanischen Fernsehens kaufte sich der Autor Gabriel Sherman, 33, zwei neue Sakkos, die er seit 14 Tagen abwechselnd in den Talkshows trägt, eines blau und eines grau. Sein Buch über Fox-News-Gründer Roger Ailes, 73, stieg derweil auf Platz neun der "New York Times"-Bestseller-Liste. Und nicht mal "Fifty Shades of Grey" erzeugte ein derart umfassendes Medienecho wie "The Loudest Voice in the Room: How the Brilliant, Bombastic Roger Ailes Built Fox News and Divided a Country".
Nun ist Roger Ailes auch nicht irgendein Fernsehboss. Er ist der Visionär hinter Fox News und gilt als Erfinder einer neuen Art von Journalismus, die sich nicht mehr an die langweiligen Grenzen von Fakten und Wahrheit hält, sondern die Welt so präsentiert, wie es der eigenen politischen Agenda am besten dient. In einer wenige Wochen alten Umfrage konnten Zuschauer, die regelmäßig Fox News konsumieren, durchschnittlich nur eine von fünf Fragen zum politischen Geschehen korrekt beantworten. Ob die Amerikaner Massenvernichtungswaffen im Irak gefunden haben? 85 Prozent der Fox-Gucker stimmten zu. Das CNN-Publikum schaffte immerhin zwei korrekte Antworten. In Ailes' Paralleluniversum wird wochenlang diskutiert, ob Präsident Obama in Afrika oder Indonesien zur Welt kam und wie viele Rentner er mit seiner Gesundheitsreform töten will. Seit 1996 erzählt Fox News der Zielgruppe, was sie hören will, und wurde so zum erfolgreichsten Nachrichtensender des Landes, der jährlich eine Milliarde Dollar Nettogewinn erzielt und doppelt so viele Leute erreicht wie CNN und MSNBC zusammen. Das ist Ailes' Verdienst. Er gilt außerdem als Weltklasse-Psychopath, der Mitarbeiter und Konkurrenten drangsaliert, anschreit, körperlich bedroht und nach Gutdünken bestraft.
Sherman interviewte in drei Jahren 612 Personen für sein Buch, und er liefert frische Anekdoten. Ailes bot einer Mitarbeiterin eine Beförderung und hundert Dollar pro Woche extra an, wenn sie ihm bei Bedarf sexuell zur Verfügung stehe; in einer Affäre aus den neunziger Jahren, als Ailes noch bei NBC wütete, beklagten Mitarbeiter, dass sie sogar um das Wohl ihrer Familien fürchteten, wenn die Firma sie nicht vor Ailes schützte. Man einigte sich auf großzügige Abfindungen und ein Gelöbnis der Mitarbeiter, zu schweigen. Sie hielten sich dran - bis Sherman anrief. Nur mit einer Person sprach der Reporter nicht. Mit Ailes. "Ich reichte mindestens zwölf Anfragen ein, aber ich erhielt nur Drohungen." Zwei Mal begegneten sich die beiden auf Partys. Beim ersten Treffen schubste Ailes' Leibwächter Sherman zu Boden, beim zweiten sprach der Fernsehboss mit seinem verschwitzten Speckgesicht: "Ich empfehle dir, den härtesten Schlag gegen mich zu setzen, den du in dir hast. Dann habe ich den Rest meines Lebens Zeit, dich fertigzumachen." Immerhin beunruhigte ihn Shermans Projekt genug, um eilig eine eigene Biographie ("Off Camera") in Auftrag zu geben, die ihn als Wohltäter beschreibt. Das Buch enthält amüsante Beleidigungen. Newt Gingrich? "Ein dummer Schwanz." Joe Biden? "Dumm wie ein Aschenbecher." Nobelpreisträger Paul Krugman? "Bekifftes Schwein, aber man darf nichts sagen, weil er ein paar Auszeichnungen bekommen hat."
Nicht immer lässt Ailes Drohungen auch Taten folgen, aber oft genug, um sich vor seinen Ankündigungen zu fürchten. Im Keller des Fox-Gebäudes betreibt er den sogenannten "Brainroom", in dem Mitarbeiter, die eigentlich recherchieren und Fakten prüfen sollen, Akten anlegen zum Lebenswandel feindlich gesinnter Journalisten. Mal versorgten die Fox-Leute einen Reporter mit fingierten Informationen, um ihn nach Erscheinen des Artikels zu diskreditieren; von einem anderen veröffentlichten sie peinliche Fotos im Netz. Ailes setzt den Sicherheitsdienst der Konzernmutter News Corporation als seine persönliche Stasi ein. An seinem Wohnort in Upstate New York kaufte er die örtliche Zeitung, ernannte seine Frau zur Herausgeberin und finanzierte einem Kandidaten den Bürgermeisterwahlkampf, der seine Wünsche für neue Bebauungspläne unterstützte. Die Opposition beschwerte sich, dass die Stadt von Ailes' Agenten wimmelte - und gewann die Wahl.
Für Sherman interessierte sich der Brainroom intensiv. "Es war verrückt", sagt eine Mitarbeiterin anonym in "The Loudest Voice", "da konnten Schulschießereien und Attentate passieren. Sie wollten, dass wir jeden Schritt von Gabriel verfolgen." Der Brainroom versuchte, Sherman falsche Interviewpartner unterzujubeln. "Ich musste höllisch aufpassen, mit wem ich redete, denn ich wusste, wie groß die Gefahr war, einer falschen Quelle aufzusitzen." So erschien das Buch fast ein Jahr verspätet. Die Schlussredakteure vom Verlag Random House brauchten lange, um Einzelheiten zu prüfen: Wie hat Ailes Mitt Romneys Wahlkampf aus der Fox-Zentrale gesteuert? Wie verlief der Wahlabend im November 2000, als ein Cousin von George W. Bush die Berichterstattung leitete und ständig mit Gouverneur Jeb Bush in Florida telefonierte? So kamen am Ende mehr als hundert Seiten Fußnoten zusammen.
Zum Erscheinen des Buchs heuerte Random House dann zwei politische Berater an, die erfahren sind in der Abwehr von Schmierenkampagnen. Bislang blieben die heftigen Attacken gegen Sherman jedoch aus. Er scheint gut vorbereitet, sein Privatleben bietet keine Angriffsfläche, und die Fakten im Buch sind offenbar so gut recherchiert, dass selbst der Brainroom keine Fehler findet. Das offizielle Statement von Fox News: "Alles in dem Buch ist falsch. Wir haben es nicht gelesen. Aber die einzige Wahrheit ist, dass Gabe keinen Zugang zu Roger hatte und er die Fakten nie von uns hat prüfen lassen." Einige Moderatoren pöbelten auf Twitter und Facebook, und Ailes erklärte dem "Hollywood Reporter": "Sherman ist ein linker Schmierer, der meinen Namen beschmutzen will." Mehr nicht.
Wenn Ailes "The Loudest Voice" lesen würde, könnte er feststellen, dass Sherman nicht an Abrechnung gelegen ist, sondern an einer Erklärung: Was treibt Roger Ailes? Die Antwort fällt Sherman nicht leicht, weil er Sympathie für seine Hauptfigur empfindet. "Der Mann ist eine der wichtigsten lebenden Persönlichkeiten, ein amerikanisches Original", sagt Sherman. In einem Dorf in Ohio aufgewachsen, schaffte Ailes in Chicago den Durchbruch beim Fernsehen. Als Wahlkampfmanager führte er Nixon, Reagan und George H. W. Bush ins Weiße Haus. Sein Motto: Attackieren und Zerstören. Ailes führte neue Umgangsformen in die Politik ein. Vor einer Debatte zwischen Bush und Dukakis flüsterte er dem späteren Präsidenten ins Ohr: "Wenn du nicht mehr weiterweißt, nenne ihn Tierficker." Dukakis hatte 18 Jahre zuvor in Massachusetts das Verbot der Sodomie aufgehoben.
Reputationen und Existenzen zu zerstören fiel Ailes nie schwer. Woher diese zwanghafte Neigung, Konflikte zu sähen und Angst zu verbreiten, stammt, lässt sich womöglich auch aus einer schwierigen Kindheit erklären. Ailes hatte es nicht leicht mit seinem Vater. Er ist Bluter und mehrmals in seinem Leben fast verblutet. Ailes war acht, als sein Vater ihn aufforderte, vom Hochbett zu springen. Der Vater machte einen Schritt zur Seite und ließ den Sohn auf den Boden fallen, wo er sich verletzte. "Siehst du", sagte der Vater, "du darfst niemandem trauen. Absolut niemandem."
LARS JENSEN
Gabriel Sherman: "The Loudest Voice in the Room", Random House, 560 Seiten
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main