Was beim Lesen so alles passiert
Wenn ich einen Roman beginne, dann frage ich mich immer, ob es sich lohnt, sich den ersten Satz zu merken: „Der Wolf kam aus den Berge, und mit ihm kamen andere Wölfe, kamen ins Flachland.“
Auch wenn dieser Satz nicht in die Literaturgeschichte eingehen wird, er
ist wichtig für das Verständnis des Buches, denn der Prolog endet mit „Auch ich drang in Gebiete…mehrWas beim Lesen so alles passiert
Wenn ich einen Roman beginne, dann frage ich mich immer, ob es sich lohnt, sich den ersten Satz zu merken: „Der Wolf kam aus den Berge, und mit ihm kamen andere Wölfe, kamen ins Flachland.“
Auch wenn dieser Satz nicht in die Literaturgeschichte eingehen wird, er ist wichtig für das Verständnis des Buches, denn der Prolog endet mit „Auch ich drang in Gebiete vor.“
Weiter geht es mit einem Abschnitt über Insel. Da ich die Bücher von Bonnett gelesen habe, fand ich diesen philosophischen Ansatz spannend, der nicht in einem Kapitel, sondern inselartig über das ganze verteilt wird.
Die Hauptebene fängt erst auf S.10 an, als die Ich-Erzählerin in einer Fabrik eingestellt wird, die ohnehin bald schließt. Auf S.23 werden beide Stränge zum ersten und einzigen Mal verbunden. Der fehlende Putz in der Fabrik hinterlässt freigelegte Stellen, die wie Inseln aussehen. S.24 unten enthält den besten Witz des Buches, der leider zu lang ist, um hier zitiert zu werden. Ab S.35 kommen 3 Bilder mit Löchern. Aber die Löcher sind eher in der Vegetation als im Zaun, durch die der Wolf aufs Fabrikgelände kommen könnte.
An dieser Stelle dachte ich an die Ex-DDR. Eine Fabrik kurz vor ihrem Ende und Wölfe, die von Osten einwandern. Ein Blick bei Wikipedia verriet mir, dass die Autorin aus der Schweiz kommt und dass die Schweizer Berge auch Wölfe haben (siehe erster Satz).
Wikipedia verriet mir weiter, dass Molinari 2017 am Ingeborg-Bachmannpreis teilgenommen hat, also habe ich den Text „Loses Mappe“ gelesen. Ich wunderte mich, dass der Text einerseits ähnlich war (die sinnlose Fabrik, Nachtwächter), andererseits aber im Bachmanntext auch Elemente völlig fehlten (Wölfe und Kollege Clemens). Der vorgetragene Text erinnerte mich an Peter Handke wegen der Langsamkeit, aber genauen Beschreibung der Handlung.
Ab S.61 wird aber der Text aus Klagenfurt Teil des Romans mit dem Unterschied, dass Lose Mitarbeiter und nicht Nachtwächter bei der Firma ist und dass die Fotos der Kleidung des Mannes, der vom Himmel fiel, fehlen. (Vielleicht als Reaktion der Klagenfurter Diskussion.)
Am meisten beeindruckt hat mich der Satz: Ich „wische Zitronenkuchenkrumen von der Tischplatte, die dort gar nicht sind.“ Zentral in diesem Roman ist das Sehen. Kann man Löcher sehen? Der Mann, der vom Himmel fiel, wurde gesehen, aber nicht erkannt. Und was ist mit Krumen, die es nicht gibt?
Im Roman beginnt nun der zweite Teil. Lose wechselt zum Bodenpersonal des Flughafens, Haare werden gefunden. Wolfshaare? 3 Himmelsbilder, wobei die letzten beiden nur ein vergrößerter Ausschnitt des ersten sind, aber keine Rezension schreibt das. Bilder sind für Germanisten wohl Fremdkörper.
Auch eine Inselgeschichte behandelt einen Leuchtturmwärter, der den Himmel kennt.
Unsere Ich-Erzählerin besucht Lose, lernt eine Mechanikerin kennen und kann das Fahrwerk sehen, in dem sich der Mann, der vom Himmel fiel, versteckte.
Teil drei berichtet von einem Phantombild, das der Ich-Erzählerin ähnlich sieht. Wenn sie die Gesuchte wäre, hätte sie im Dorf einen Laden überfallen. Deswegen traut sie sich kaum noch einzukaufen. In eine Wolfsfalle tritt der Koch. Und während ich das Warten auf den Wolf für ein Warten auf Godot hielt, taucht er am Ende doch noch auf.
Auch wenn ich aus Platzgründen auf eine Inhaltsangabe verzichtet habe, nicht alles schildern kann und nicht alles verstanden habe, lohnt es sich diesen Roman ein zweites Mal zu lesen. Da er viele Bilder enthält, ist der Text nur etwa 170 Seiten lang, dennoch inhaltsreich und deswegen 5 Sterne.