Quo vadis, FDP? Mit Christian Lindner an der Spitze will die FDP bei den Bundestagswahlen ein strahlendes Comeback feiern. Doch wofür steht die Partei überhaupt?Einer, der weiß, wie es um die Liberalen steht, ist Gerhard Papke. Sieben Jahre war er FDP-Fraktionsvorsitzender im Landtag von Nordrhein-Westfalen, von 2012 bis 2017 Landtagsvizepräsident. Er war politischer Weggefährte von Jürgen Möllemann und Guido Westerwelle und viele Jahre enger Vertrauter von Christian Lindner.Doch dann kommt es zwischen beiden zum Bruch. Weil er mit der politischen Linie Lindners nicht mehr einverstanden ist, verzichtet Papke nach 17 Jahren im Parlament auf eine erneute Kandidatur bei den Landtagswahlen im Mai 2017.In diesem Buch spricht Gerhard Papke erstmals über die Entwicklung der FDP und die Politik Christian Lindners aus der Perspektive eines langjährigen Weggefährten. Und er schildert anhand konkreter Beispiele aus seiner Erfahrung das Spannungsfeld von politischer Überzeugung und taktischer Beliebigkeit, die er für eine wesentliche Ursache der Parteienskepsis hält: »Wenn Parteien der Mut fehlt, Probleme beim Namen zu nennen, ruiniert das ihre Glaubwürdigkeit.«
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.08.2017Bedenke auch das Ende, FDP!
G. Papke über C. Lindner
Memoiren von Landespolitikern finden selten einen größeren Leserkreis. Bei den Erinnerungen des früheren Vorsitzenden der FDP-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag dürfte das anders sein. Denn bei Gerhard Papke geht es in weiten Teilen um den aktuellen FDP-Star Christian Lindner, dessen Aufstieg kaum jemand so nah erlebt hat wie er. Papke und der 18 Jahre jüngere Lindner waren eng befreundet, planten lange Zeit gemeinsam ihre politischen Karrieren. Papke ist mittlerweile ein dezidierter Lindner-Skeptiker: Die FDP unter Lindner stehe in der Gefahr, das alte Unheil der Beliebigkeit und der Fokussierung auf eine Führungsperson zu wiederholen. Lindner betone immer seinen Charakter als Teamspieler, in Wahrheit sei sein Machtanspruch aber umfassend. "Ich habe keinen Bundesvorsitzenden der FDP erlebt, der die Partei in einem vergleichbaren Maß unter seine Kontrolle bringen möchte wie er."
Zwar wollte Papke, der in Düsseldorf zuletzt stellvertretender Parlamentspräsident war und im Mai nach 17 Jahren im Streit mit Lindner aus dem Landtag schied, kein Abrechnungsbuch schreiben. Seine Kritik ist gleichwohl fundamental. Er wirft dem Bundesvorsitzenden vor, die Chance ungenutzt zu lassen, mit konturierten Positionen zu Themen wie Zuwanderung, Integration und Islamismus, enttäuschte Wähler der (rechten) Mitte an die FDP zu binden. Die von Lindner nach dem Debakel von 2013 wiederaufgerichtete Partei bezeichnet Papke als "kunstvolle Inszenierung". Gerne gebrauche Lindner das Wort "Mut", doch es sei nicht Handlungsprinzip beim Umgang mit herausfordernden Themen, sondern "Element einer stylischen Werbebotschaft": "Lindners Tonalität folgt überaus geschmeidig dem Zeitgeist. In die neue FDP lässt sich vieles hineininterpretieren. Sie wird zur Projektionsfläche unterschiedlicher Erwartungen." Systematisch trimme er die FDP auf das Format internetaffiner Jugendlichkeit. Nicht zufällig spiele das Thema Digitalisierung eine zentrale Rolle. Sie stehe methodisch für einen dynamischen Entwicklungsprozess, der Modernität ausstrahle, aber nicht zielgerichtet sei. Veränderung werde geradezu ein Wert an sich.
Papke beklagt, dass die Halbwertszeiten von politischen Positionen, die aus einer eher traditionellen Haltung resultieren, rapide abnähmen. Als ein Beispiel nennt er den Beschluss der FDP zur Legalisierung von Cannabis. Zum Bruch mit Lindner kam es jedoch über ein Thesenpapier, das Papke 2014 gemeinsam mit einem Parteifreund veröffentlichte. In Anbetracht der wachsenden Bedrohung durch den Islamismus müsse es "eine Werteoffensive und die Rückbesinnung auf die wehrhafte Demokratie" geben, hieß es im Papier. Deutschland habe darauf verzichtet, eindeutige Regeln für Zuwanderung und gesellschaftliche Integration zu formulieren; schärfere Einwanderungs- und Asylnormen seien nötig. Wer dauerhaftes Aufenthaltsrecht wolle, müsse sich vorbehaltlos zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen. Deutschland sei auf die Bedrohung durch den Islamismus schlecht vorbereitet und müsse in Zukunft beim Aufbau einer internationalen Sicherheitsarchitektur eine aktivere Rolle übernehmen.
Der Pressedienst der FDP-Bundespartei verbreitete das sogenannte Islamismuspapier in voller Länge, Lindner teilte den Text auf seinem Facebook-Account. Doch dann erschienen in der Regionalpresse Kommentare, in denen der FDP vorgeworfen wurde, sie wolle nach rechts rücken und spiele mit ausländerfeindlichen Ressentiments. Der Vorwurf war grotesk. Gleichwohl distanzierte sich die Parteiführung in der Öffentlichkeit hektisch von dem Papier. Und intern wurde Papke "regelrecht in den Senkel" gestellt. Kein Trost dürfte für ihn sein, dass sich das "Islamismuspapier" heute - nach der dramatischen Zuspitzung der Flüchtlingskrise, mehreren IS-Anschlägen in Deutschland und der Wahl des irrlichternden Trump zum amerikanischen Präsidenten - wie eine (gewissenhafte) Auflistung von Selbstverständlichkeiten liest.
Manche werden Papke gekränkte Eitelkeit als Motiv für sein Buch unterstellen. Andere werden ihm vorhalten, ein Werk mit dem kassandrahaften Titel "Noch eine Chance für die FDP?" habe sich schon vor seinem Erscheinen erledigt. Denn der Erfolg gebe Lindner doch recht - Mitte Mai hat die FDP so gut wie nie zuvor bei einer NRW-Landtagswahl abgeschnitten, und die Rückkehr in der Bundestag Ende September scheint mittlerweile ein Selbstläufer zu sein. Freilich hat die FDP mehrfach in ihrer jüngeren Geschichte erlebt, dass auch bei einer Partei Hochmut vor dem Fall kommt - sei es bei Jürgen Möllemanns "Projekt 18" oder nach ihrem fulminanten Wahlerfolg 2009 unter Guido Westerwelle, den Papke griffig als "missverstanden" bezeichnet. Auch darüber schreibt der Zeitzeuge Papke in lesenswerter Weise aus der Perspektive eines Insiders.
REINER BURGER
Gerhard Papke: Noch eine Chance für die FDP? Erinnerungen und Gedanken eines Weggefährten. FinanzBuch Verlag, München 2017. 232 S., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
G. Papke über C. Lindner
Memoiren von Landespolitikern finden selten einen größeren Leserkreis. Bei den Erinnerungen des früheren Vorsitzenden der FDP-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag dürfte das anders sein. Denn bei Gerhard Papke geht es in weiten Teilen um den aktuellen FDP-Star Christian Lindner, dessen Aufstieg kaum jemand so nah erlebt hat wie er. Papke und der 18 Jahre jüngere Lindner waren eng befreundet, planten lange Zeit gemeinsam ihre politischen Karrieren. Papke ist mittlerweile ein dezidierter Lindner-Skeptiker: Die FDP unter Lindner stehe in der Gefahr, das alte Unheil der Beliebigkeit und der Fokussierung auf eine Führungsperson zu wiederholen. Lindner betone immer seinen Charakter als Teamspieler, in Wahrheit sei sein Machtanspruch aber umfassend. "Ich habe keinen Bundesvorsitzenden der FDP erlebt, der die Partei in einem vergleichbaren Maß unter seine Kontrolle bringen möchte wie er."
Zwar wollte Papke, der in Düsseldorf zuletzt stellvertretender Parlamentspräsident war und im Mai nach 17 Jahren im Streit mit Lindner aus dem Landtag schied, kein Abrechnungsbuch schreiben. Seine Kritik ist gleichwohl fundamental. Er wirft dem Bundesvorsitzenden vor, die Chance ungenutzt zu lassen, mit konturierten Positionen zu Themen wie Zuwanderung, Integration und Islamismus, enttäuschte Wähler der (rechten) Mitte an die FDP zu binden. Die von Lindner nach dem Debakel von 2013 wiederaufgerichtete Partei bezeichnet Papke als "kunstvolle Inszenierung". Gerne gebrauche Lindner das Wort "Mut", doch es sei nicht Handlungsprinzip beim Umgang mit herausfordernden Themen, sondern "Element einer stylischen Werbebotschaft": "Lindners Tonalität folgt überaus geschmeidig dem Zeitgeist. In die neue FDP lässt sich vieles hineininterpretieren. Sie wird zur Projektionsfläche unterschiedlicher Erwartungen." Systematisch trimme er die FDP auf das Format internetaffiner Jugendlichkeit. Nicht zufällig spiele das Thema Digitalisierung eine zentrale Rolle. Sie stehe methodisch für einen dynamischen Entwicklungsprozess, der Modernität ausstrahle, aber nicht zielgerichtet sei. Veränderung werde geradezu ein Wert an sich.
Papke beklagt, dass die Halbwertszeiten von politischen Positionen, die aus einer eher traditionellen Haltung resultieren, rapide abnähmen. Als ein Beispiel nennt er den Beschluss der FDP zur Legalisierung von Cannabis. Zum Bruch mit Lindner kam es jedoch über ein Thesenpapier, das Papke 2014 gemeinsam mit einem Parteifreund veröffentlichte. In Anbetracht der wachsenden Bedrohung durch den Islamismus müsse es "eine Werteoffensive und die Rückbesinnung auf die wehrhafte Demokratie" geben, hieß es im Papier. Deutschland habe darauf verzichtet, eindeutige Regeln für Zuwanderung und gesellschaftliche Integration zu formulieren; schärfere Einwanderungs- und Asylnormen seien nötig. Wer dauerhaftes Aufenthaltsrecht wolle, müsse sich vorbehaltlos zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen. Deutschland sei auf die Bedrohung durch den Islamismus schlecht vorbereitet und müsse in Zukunft beim Aufbau einer internationalen Sicherheitsarchitektur eine aktivere Rolle übernehmen.
Der Pressedienst der FDP-Bundespartei verbreitete das sogenannte Islamismuspapier in voller Länge, Lindner teilte den Text auf seinem Facebook-Account. Doch dann erschienen in der Regionalpresse Kommentare, in denen der FDP vorgeworfen wurde, sie wolle nach rechts rücken und spiele mit ausländerfeindlichen Ressentiments. Der Vorwurf war grotesk. Gleichwohl distanzierte sich die Parteiführung in der Öffentlichkeit hektisch von dem Papier. Und intern wurde Papke "regelrecht in den Senkel" gestellt. Kein Trost dürfte für ihn sein, dass sich das "Islamismuspapier" heute - nach der dramatischen Zuspitzung der Flüchtlingskrise, mehreren IS-Anschlägen in Deutschland und der Wahl des irrlichternden Trump zum amerikanischen Präsidenten - wie eine (gewissenhafte) Auflistung von Selbstverständlichkeiten liest.
Manche werden Papke gekränkte Eitelkeit als Motiv für sein Buch unterstellen. Andere werden ihm vorhalten, ein Werk mit dem kassandrahaften Titel "Noch eine Chance für die FDP?" habe sich schon vor seinem Erscheinen erledigt. Denn der Erfolg gebe Lindner doch recht - Mitte Mai hat die FDP so gut wie nie zuvor bei einer NRW-Landtagswahl abgeschnitten, und die Rückkehr in der Bundestag Ende September scheint mittlerweile ein Selbstläufer zu sein. Freilich hat die FDP mehrfach in ihrer jüngeren Geschichte erlebt, dass auch bei einer Partei Hochmut vor dem Fall kommt - sei es bei Jürgen Möllemanns "Projekt 18" oder nach ihrem fulminanten Wahlerfolg 2009 unter Guido Westerwelle, den Papke griffig als "missverstanden" bezeichnet. Auch darüber schreibt der Zeitzeuge Papke in lesenswerter Weise aus der Perspektive eines Insiders.
REINER BURGER
Gerhard Papke: Noch eine Chance für die FDP? Erinnerungen und Gedanken eines Weggefährten. FinanzBuch Verlag, München 2017. 232 S., 19,99 [Euro].
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