»Alice im Wunderland fürs 21. Jahrhundert.« Frank Hertweck, SWR Lesenswert
Karen sucht ein WG-Zimmer und landet in einer Band, von der nur der Name existiert. Mit PUNK wollen Lambert und Ezra beweisen, dass das immer noch geht: mit drei Akkorden ohne groß Aufhebens Musik machen und dabei eine coole Figur abgeben. Ein Wettbewerb steht an und Karen soll dem rauen Duo mit ihrer Kopfstimme intellektuellen Schliff verleihen. Lambert, klassischer Nerd, ist für technische Details zuständig, während der romantische Analogiker Ezra Original-Instrumente aus der Punk-Zeit beisteuert. Karen spielt keines davon, droht aber, mit ihrem Gefühlsüberschwang alles aus dem Konzept zu bringen.
PUNK ist ihre persönliche Geschichte der Band, und noch nie wurde von den Verheißungen der Musik so unwiderstehlich erzählt. Ein Allheilmittel!
»Mit diesem Buch erinnert Eckhart Nickel daran, was für Energien sich freisetzen, wenn man alle Vorsicht fallen lässt und einfach springt.« JohannaAdorján
»Nickel ist ein wortgewandter Fabulierer.« DLF
Karen sucht ein WG-Zimmer und landet in einer Band, von der nur der Name existiert. Mit PUNK wollen Lambert und Ezra beweisen, dass das immer noch geht: mit drei Akkorden ohne groß Aufhebens Musik machen und dabei eine coole Figur abgeben. Ein Wettbewerb steht an und Karen soll dem rauen Duo mit ihrer Kopfstimme intellektuellen Schliff verleihen. Lambert, klassischer Nerd, ist für technische Details zuständig, während der romantische Analogiker Ezra Original-Instrumente aus der Punk-Zeit beisteuert. Karen spielt keines davon, droht aber, mit ihrem Gefühlsüberschwang alles aus dem Konzept zu bringen.
PUNK ist ihre persönliche Geschichte der Band, und noch nie wurde von den Verheißungen der Musik so unwiderstehlich erzählt. Ein Allheilmittel!
»Mit diesem Buch erinnert Eckhart Nickel daran, was für Energien sich freisetzen, wenn man alle Vorsicht fallen lässt und einfach springt.« JohannaAdorján
»Nickel ist ein wortgewandter Fabulierer.« DLF
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Erika Thomalla fühlt sich wohl in Eckhart Nickels neuem Roman. Der spielt in einer Welt, in der Musik verboten wurde, weil ein sonderbares Störgeräusch umgeht, stattdessen werden Menschen dazu angehalten, ihr Gemüt zu besänftigen und rundum achtsam zu sein. Widerstand formiert sich dagegen in einer WG, die aus den Brüdern Esra und Lambert sowie deren neue Mitbewohnerin Karen besteht. Gemeinsam gründen die drei auch ein klandestines Bandprojekt. Nickel spielt in seinem Buch eine vergangene Rebellion, die des Punk, gegen eine als gleichförmig empfundene Gegenwart der allseitigen Rücksichtnahme aus, aber darauf reduzieren lässt sich das Buch auch wieder nicht, meint die Rezensentin. Das liegt ihrer Ansicht nach vor allem daran, dass Nickel faszinierende Figuren kreiert. Gerade deren Sprache, in der es von nerdigem Fachvokabular, aber auch von Ausdrücken der gegenwärtigen Jugendsprache nur so wimmelt, hat es ihr angetan. Gern hätte sie noch mehr Zeit mit den drei verbracht, bekennt sie.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.08.2024Maximaler Wahnsinn
Handelt es sich bei den endlosen, nahezu unverständlichen Popreferenz-Exkursen in Eckhart Nickels Roman „Punk“ um einen Geheimcode? Ein Blick zurück aus dem Jahr 2276.
Das Voynich-Manuskript ist eine Handschrift, die um 1400 verfasst wurde. Es ist in einer anscheinend indoeuropäisch geprägten, aber komplett unbekannten Sprache verfasst. Seit Jahrhunderten versuchen Wissenschaftler vergeblich, es zu entschlüsseln. Jungen Akademikern wird davon abgeraten, es als Forschungsthema zu wählen, denn es gilt als „career killer“.
Während der Lektüre von Erhart Nickels Roman „Punk“ wollte ein Gedanke nicht weichen: Würde es künftigen Generationen mit seinem neuen Roman „Punk“ ähnlich ergehen wie uns heute mit dem Voynich-Manuskript? Immerhin ist es ein Buch voller Verweise und Anspielungen – popkulturell, literarisch, sogar auf Nickels eigene Bücher. Halb Roman, halb Playlist, halb Kreuzworträtsel für Popfans. Daher ist dieser Text abgefasst als Warnung eines Professors an seine Studenten im Jahr 2276, nicht zu versuchen, „Punk“ zu entschlüsseln. Dies ist hoffentlich im Sinne Nickels – denn was ist spannender als das Verbotene, angeblich Aussichtslose, vom Verschwinden bedrohte? Übersetzt ins zeitgenössische Deutsch mit Deepl plus Timejump.
„Liebe Studierende, da in den letzten Tagen wieder vermehrt der Wunsch geäußert wurde, sich für Ihre Abschlussarbeiten mit der Entzifferung des berühmten ‚Punk‘, des einzigen Texts, der uns aus dem frühen 21. Jahrhundert geblieben ist, zu befassen, sehe ich mich genötigt, eine empfindliche Warnung auszusprechen: Mit unserem jetzigen Wissensstand und unseren technischen Mitteln ist es meiner Ansicht nach unmöglich, das Werk zu dechiffrieren. Wenn Sie es versuchen, werden Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit Jahre, wenn nicht Jahrzehnte aufwenden, und hätten am Ende doch nichts vorzuweisen. Das ist nicht die Basis, die Sie für Ihr Forschungsprofil wollen. Lange Zeit war umstritten, ob der Text überhaupt echt ist. Wie Sie wissen, sind große Teile des menschlichen Wissens in der Era Segunda verloren gegangen.
‚Punk‘ wurde aufgrund seines mysteriösen Inhaltes lange als Fälschung gehandelt. Allerdings haben Analysen des einzig erhaltenen Exemplars von ‚Punk‘ belegt, dass Druckfarbe und Papier tatsächlich aus den Zwanzigern des 21. Jahrhunderts stammen. Das Papier wurde – wie damals noch üblich – aus Bäumen gemacht, in diesem Fall der sogenannten Kiefer (Pinaceae), einem Nadelholzgewächs, das es seit circa 2100 nicht mehr gibt.
Auch über Nickel selbst ist wenig bekannt. Nach Auffassung der meisten Wissenschaftler muss er ein Zeitgenosse des noch unbekannteren Autors Christian Kracht gewesen sein, dessen Werk leider vollständig verloren ist – dafür existieren merkwürdigerweise zahlreiche Fotos des Mannes. Eine Sekundärquelle berichtet sogar, dass beide Autoren gemeinsam Reiseberichte verfasst haben, aber dafür haben wir keine Belege. Ironie des Schicksals, dass ‚Punk‘ nur überlebte, weil der Astronaut Jean B. Good es bei sich trug, als ein Großteil der Menschheit unterging. Das ist Reiseliteratur im wahrsten Sinne! Die Schrift verläuft – wie damals üblich – von links nach rechts. Es scheint sich um eine Form von Deutsch zu handeln, viele der Begriffe sind jedoch heute nicht mehr zu entschlüsseln. Etwa heißt es an einer Stelle: ‚Wenn wir jetzt tonnenweise Zeit hätten, würde ich ohne Zweifel from scratch anfangen und mir Skizzen zu unseren Outfits machen. Damit wir alle so eine Art Uniform haben können wie DEVO oder KRAFTWERK. Die silbernen Glitzeranzüge zu den leuchtroten Lego-Blumentöpfen, mit denen Devo auf Freedom of Choice den Besitzer ihres Albums anstarren, wären meine erste und wichtigste Referenz. Maximaler Wahnsinn in der Anmutung. Minimaler Aufwand. Wir könnten zu diesem Zweck Mode-Evergreens wie Anorak oder Dufflecoat nehmen und daraus einen new look basteln. Mit Chelsea Boots, Clarks Wallabees, Tassle Loafers oder exzessiven Knie-Sneakers dazu, T-Shirts als Farbakzent darunter. Deko mit Badges zum Finish. Vielleicht auch irgendwelche Helme.‘
Sie sehen: Was auf den ersten Blick wie gewöhnliches Deutsch der Epoche aussieht, wird im Detail völlig unverständlich. Nun waren Texte wie dieser zu Zeiten, in denen die Kryptografie aufblühte, gang und gäbe. Es gibt aus früheren Jahrhunderten überlieferte Schriften, die in einem Code oder einem seltsamen Alphabet geschrieben sind oder die Bilder zur Übermittlung von Nachrichten verwenden. Nun ist das Besondere an ‚Punk‘, dass der Geheimcode in eine zunächst leicht verständliche Handlung eingebettet ist – mutmaßlich zur Tarnung, oder um die Verbreitung der Schrift zu vereinfachen.
Die Tarnhandlung verläuft folgendermaßen: ‚Karen‘, die Hauptfigur, beschreibt eine ‚Aufführung‘ – vermutlich ein altertümliches Opferritual – ihrer älteren Zwillingsschwester, die diese abbricht. Die Schwestern scheinen ein schwieriges, von Konkurrenz geprägtes Verhältnis zueinander zu haben. Zeitgleich mit dem Abbruch des ‚Konzertes‘ – es ist unklar, ob als Folge des Scheiterns der Schwester – taucht ein merkwürdiges Phänomen auf: ‚der weiße Lärm‘. Dabei handelt es sich um eine mysteriöse akustische Naturerscheinung oder auch Waffe, die die Figuren des Buches einholt.
Karen macht sich auf Suche nach einer Zuflucht und findet sie bei zwei jungen Männern, die eine Heimstatt teilen. Ab da wird es mysteriös. Nickel ergeht sich seitenlang in der Schilderung einer geheimen, eventuell satanistischen Kulturtechnik, die er ‚Musik‘ nennt. Sie ist im Buch aufgrund des ‚weißen Lärms‘ kürzlich verboten worden und deswegen vom Verschwinden bedroht. Sie ist so gefährlich, dass die drei Protagonisten sie in einer geheimen Kammer ausüben müssen. Ihre Gespräche drehen sich hauptsächlich um die Praktizierenden dieser sibyllinischen ‚Musik‘, deren Formeln und Verweise auf frühere Großmeister der Kunst, Werkzeuge, mit denen sie angeblich ausgeübt wird (eines nennt sich beispielsweise: Gitarre). Kurz: Geheimwissen.
Generationen von Wissenschaftlern – und, liebe Studierende, angehenden Wissenschaftlern wie Ihnen – haben versucht herauszufinden, was diese ‚Musik‘ sein soll, und sind gescheitert. Es gibt keine Quellen dazu, keine Aufzeichnungen, nichts. Auch Recherchen zu von Nickel erwähnten kultischen Vereinigungen – The Smiths, New Order, White Rabbits, The Beatles – führen zu nichts. Inzwischen herrscht unter ernst zu nehmenden Forschern Konsens darüber, dass diese ‚Musik‘ nie existiert hat und Nickel sich das Ganze entweder ausgedacht hat oder es sich um einen Code handelt, den nur Eingeweihte entschlüsseln können.
Auch an anderen Stellen verwendet Nickel Geheimcode. In einem späten Kapitel beispielsweise beschreibt ‚Karen‘ über mehrere Absätze hinweg ihre Garderobe: ‚Mein Kleiderschrank hält wenig Überraschungen parat. (...) Ein Fach besteht aus perfekt selbst gebügelten weißen Hemden, die ich etwas zu groß und mit teilweise abenteuerlich spitzen und langen Krägen aus der Herrenabteilung meiner Lieblingsboutique für Second Hand Klamotten hole. Im STOFFWECHSEL finde ich auch die besten Faltenröcke in Dunkelblau und Schwarz, die bei mir an der Kleiderstange hängen. In den drei riesigen Schubladen der Kommode liegen Pullunder mit V-Ausschnitt in Moosgrün, Schwarzblau und Bordeauxrot. Daneben finden sich Kniestrümpfe mit Argylemuster. Das ist der einzige Teil meiner Garderobe, in denen ich mir schrille Farben gönne, in allen Tartanfarbkombinationen. Meine langärmeligen Wollpullover in Schwarz, Beige und Grau haben alle einen Crewneck und liegen ordentlich gefaltet wie in einem Laden übereinander. Das Fach neben den Hemden ist für University- Sweatshirts aus Amerika in Asphaltgrau, Hellblau und Grasgrün, die ich aber nur zu Hause trage, wenn ich es mir mit Tee und dem Buch, das ich gerade lese, im Bett gemütlich mache. Alle T-Shirts und amerikanische Boxershorts liegen in der Schublade direkt bei der Unterwäsche.‘
Es ist für Fachleute offensichtlich, dass ein Autor wie Nickel niemals so viel Platz auf bloße Bekleidung verwenden würde. Zudem gab es in seiner Epoche eine Berufsgruppe namens ‚Lektoren‘, die dafür bezahlt wurden, Texte zu vervollkommenen und Redundanzen aus ihnen zu streichen. Als professionellem Schriftsteller wäre Nickel – sofern er einen solchen ‚Lektoren‘ hatte – dieser scheinbar nutzlos detaillierte Part gestrichen worden.
Es sei denn – genau. Es handelt sich um Geheimcode. Worauf dieser verweist, ist allerdings nicht mehr nachzuvollziehen. Liebe Studierende: Ich weiß, die Verlockung ist groß, sich mit Nickel und seinem Buch über ‚Musik‘ und ‚geheimen Widerstand‘ zu befassen. Aber wenn es so etwas gegeben hätte, wüssten wir es. ‚Musik‘ ist eine Erfindung von Scharlatanen, ebenso wie diese sogenannte Popliteratur, die früher überall gewesen sein soll, die sich aber nicht belegen lässt. Lesen Sie das Buch, wenn Sie sich für alte Sprachen interessieren – es hat durchaus seinen Witz –, aber machen Sie es sich nicht zur Lebensaufgabe, es zu entschlüsseln. Es wird Ihnen nicht gelingen.
Herzlich, Ihr Professor Punk“
JULIANE LIEBERT
Halb Roman,
halb Playlist, halb
Kreuzworträtsel
Dieses Buch
hat durchaus
seinen Witz
Eckhart Nickel: Punk. Roman.
Piper, München 2024. 208 Seiten, 22 Euro.
Silberne Glitzeranzüge zu leuchtroten Lego-Blumentöpfen: der Schriftsteller Eckhart Nickel.
Foto: Jork Weismann
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Handelt es sich bei den endlosen, nahezu unverständlichen Popreferenz-Exkursen in Eckhart Nickels Roman „Punk“ um einen Geheimcode? Ein Blick zurück aus dem Jahr 2276.
Das Voynich-Manuskript ist eine Handschrift, die um 1400 verfasst wurde. Es ist in einer anscheinend indoeuropäisch geprägten, aber komplett unbekannten Sprache verfasst. Seit Jahrhunderten versuchen Wissenschaftler vergeblich, es zu entschlüsseln. Jungen Akademikern wird davon abgeraten, es als Forschungsthema zu wählen, denn es gilt als „career killer“.
Während der Lektüre von Erhart Nickels Roman „Punk“ wollte ein Gedanke nicht weichen: Würde es künftigen Generationen mit seinem neuen Roman „Punk“ ähnlich ergehen wie uns heute mit dem Voynich-Manuskript? Immerhin ist es ein Buch voller Verweise und Anspielungen – popkulturell, literarisch, sogar auf Nickels eigene Bücher. Halb Roman, halb Playlist, halb Kreuzworträtsel für Popfans. Daher ist dieser Text abgefasst als Warnung eines Professors an seine Studenten im Jahr 2276, nicht zu versuchen, „Punk“ zu entschlüsseln. Dies ist hoffentlich im Sinne Nickels – denn was ist spannender als das Verbotene, angeblich Aussichtslose, vom Verschwinden bedrohte? Übersetzt ins zeitgenössische Deutsch mit Deepl plus Timejump.
„Liebe Studierende, da in den letzten Tagen wieder vermehrt der Wunsch geäußert wurde, sich für Ihre Abschlussarbeiten mit der Entzifferung des berühmten ‚Punk‘, des einzigen Texts, der uns aus dem frühen 21. Jahrhundert geblieben ist, zu befassen, sehe ich mich genötigt, eine empfindliche Warnung auszusprechen: Mit unserem jetzigen Wissensstand und unseren technischen Mitteln ist es meiner Ansicht nach unmöglich, das Werk zu dechiffrieren. Wenn Sie es versuchen, werden Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit Jahre, wenn nicht Jahrzehnte aufwenden, und hätten am Ende doch nichts vorzuweisen. Das ist nicht die Basis, die Sie für Ihr Forschungsprofil wollen. Lange Zeit war umstritten, ob der Text überhaupt echt ist. Wie Sie wissen, sind große Teile des menschlichen Wissens in der Era Segunda verloren gegangen.
‚Punk‘ wurde aufgrund seines mysteriösen Inhaltes lange als Fälschung gehandelt. Allerdings haben Analysen des einzig erhaltenen Exemplars von ‚Punk‘ belegt, dass Druckfarbe und Papier tatsächlich aus den Zwanzigern des 21. Jahrhunderts stammen. Das Papier wurde – wie damals noch üblich – aus Bäumen gemacht, in diesem Fall der sogenannten Kiefer (Pinaceae), einem Nadelholzgewächs, das es seit circa 2100 nicht mehr gibt.
Auch über Nickel selbst ist wenig bekannt. Nach Auffassung der meisten Wissenschaftler muss er ein Zeitgenosse des noch unbekannteren Autors Christian Kracht gewesen sein, dessen Werk leider vollständig verloren ist – dafür existieren merkwürdigerweise zahlreiche Fotos des Mannes. Eine Sekundärquelle berichtet sogar, dass beide Autoren gemeinsam Reiseberichte verfasst haben, aber dafür haben wir keine Belege. Ironie des Schicksals, dass ‚Punk‘ nur überlebte, weil der Astronaut Jean B. Good es bei sich trug, als ein Großteil der Menschheit unterging. Das ist Reiseliteratur im wahrsten Sinne! Die Schrift verläuft – wie damals üblich – von links nach rechts. Es scheint sich um eine Form von Deutsch zu handeln, viele der Begriffe sind jedoch heute nicht mehr zu entschlüsseln. Etwa heißt es an einer Stelle: ‚Wenn wir jetzt tonnenweise Zeit hätten, würde ich ohne Zweifel from scratch anfangen und mir Skizzen zu unseren Outfits machen. Damit wir alle so eine Art Uniform haben können wie DEVO oder KRAFTWERK. Die silbernen Glitzeranzüge zu den leuchtroten Lego-Blumentöpfen, mit denen Devo auf Freedom of Choice den Besitzer ihres Albums anstarren, wären meine erste und wichtigste Referenz. Maximaler Wahnsinn in der Anmutung. Minimaler Aufwand. Wir könnten zu diesem Zweck Mode-Evergreens wie Anorak oder Dufflecoat nehmen und daraus einen new look basteln. Mit Chelsea Boots, Clarks Wallabees, Tassle Loafers oder exzessiven Knie-Sneakers dazu, T-Shirts als Farbakzent darunter. Deko mit Badges zum Finish. Vielleicht auch irgendwelche Helme.‘
Sie sehen: Was auf den ersten Blick wie gewöhnliches Deutsch der Epoche aussieht, wird im Detail völlig unverständlich. Nun waren Texte wie dieser zu Zeiten, in denen die Kryptografie aufblühte, gang und gäbe. Es gibt aus früheren Jahrhunderten überlieferte Schriften, die in einem Code oder einem seltsamen Alphabet geschrieben sind oder die Bilder zur Übermittlung von Nachrichten verwenden. Nun ist das Besondere an ‚Punk‘, dass der Geheimcode in eine zunächst leicht verständliche Handlung eingebettet ist – mutmaßlich zur Tarnung, oder um die Verbreitung der Schrift zu vereinfachen.
Die Tarnhandlung verläuft folgendermaßen: ‚Karen‘, die Hauptfigur, beschreibt eine ‚Aufführung‘ – vermutlich ein altertümliches Opferritual – ihrer älteren Zwillingsschwester, die diese abbricht. Die Schwestern scheinen ein schwieriges, von Konkurrenz geprägtes Verhältnis zueinander zu haben. Zeitgleich mit dem Abbruch des ‚Konzertes‘ – es ist unklar, ob als Folge des Scheiterns der Schwester – taucht ein merkwürdiges Phänomen auf: ‚der weiße Lärm‘. Dabei handelt es sich um eine mysteriöse akustische Naturerscheinung oder auch Waffe, die die Figuren des Buches einholt.
Karen macht sich auf Suche nach einer Zuflucht und findet sie bei zwei jungen Männern, die eine Heimstatt teilen. Ab da wird es mysteriös. Nickel ergeht sich seitenlang in der Schilderung einer geheimen, eventuell satanistischen Kulturtechnik, die er ‚Musik‘ nennt. Sie ist im Buch aufgrund des ‚weißen Lärms‘ kürzlich verboten worden und deswegen vom Verschwinden bedroht. Sie ist so gefährlich, dass die drei Protagonisten sie in einer geheimen Kammer ausüben müssen. Ihre Gespräche drehen sich hauptsächlich um die Praktizierenden dieser sibyllinischen ‚Musik‘, deren Formeln und Verweise auf frühere Großmeister der Kunst, Werkzeuge, mit denen sie angeblich ausgeübt wird (eines nennt sich beispielsweise: Gitarre). Kurz: Geheimwissen.
Generationen von Wissenschaftlern – und, liebe Studierende, angehenden Wissenschaftlern wie Ihnen – haben versucht herauszufinden, was diese ‚Musik‘ sein soll, und sind gescheitert. Es gibt keine Quellen dazu, keine Aufzeichnungen, nichts. Auch Recherchen zu von Nickel erwähnten kultischen Vereinigungen – The Smiths, New Order, White Rabbits, The Beatles – führen zu nichts. Inzwischen herrscht unter ernst zu nehmenden Forschern Konsens darüber, dass diese ‚Musik‘ nie existiert hat und Nickel sich das Ganze entweder ausgedacht hat oder es sich um einen Code handelt, den nur Eingeweihte entschlüsseln können.
Auch an anderen Stellen verwendet Nickel Geheimcode. In einem späten Kapitel beispielsweise beschreibt ‚Karen‘ über mehrere Absätze hinweg ihre Garderobe: ‚Mein Kleiderschrank hält wenig Überraschungen parat. (...) Ein Fach besteht aus perfekt selbst gebügelten weißen Hemden, die ich etwas zu groß und mit teilweise abenteuerlich spitzen und langen Krägen aus der Herrenabteilung meiner Lieblingsboutique für Second Hand Klamotten hole. Im STOFFWECHSEL finde ich auch die besten Faltenröcke in Dunkelblau und Schwarz, die bei mir an der Kleiderstange hängen. In den drei riesigen Schubladen der Kommode liegen Pullunder mit V-Ausschnitt in Moosgrün, Schwarzblau und Bordeauxrot. Daneben finden sich Kniestrümpfe mit Argylemuster. Das ist der einzige Teil meiner Garderobe, in denen ich mir schrille Farben gönne, in allen Tartanfarbkombinationen. Meine langärmeligen Wollpullover in Schwarz, Beige und Grau haben alle einen Crewneck und liegen ordentlich gefaltet wie in einem Laden übereinander. Das Fach neben den Hemden ist für University- Sweatshirts aus Amerika in Asphaltgrau, Hellblau und Grasgrün, die ich aber nur zu Hause trage, wenn ich es mir mit Tee und dem Buch, das ich gerade lese, im Bett gemütlich mache. Alle T-Shirts und amerikanische Boxershorts liegen in der Schublade direkt bei der Unterwäsche.‘
Es ist für Fachleute offensichtlich, dass ein Autor wie Nickel niemals so viel Platz auf bloße Bekleidung verwenden würde. Zudem gab es in seiner Epoche eine Berufsgruppe namens ‚Lektoren‘, die dafür bezahlt wurden, Texte zu vervollkommenen und Redundanzen aus ihnen zu streichen. Als professionellem Schriftsteller wäre Nickel – sofern er einen solchen ‚Lektoren‘ hatte – dieser scheinbar nutzlos detaillierte Part gestrichen worden.
Es sei denn – genau. Es handelt sich um Geheimcode. Worauf dieser verweist, ist allerdings nicht mehr nachzuvollziehen. Liebe Studierende: Ich weiß, die Verlockung ist groß, sich mit Nickel und seinem Buch über ‚Musik‘ und ‚geheimen Widerstand‘ zu befassen. Aber wenn es so etwas gegeben hätte, wüssten wir es. ‚Musik‘ ist eine Erfindung von Scharlatanen, ebenso wie diese sogenannte Popliteratur, die früher überall gewesen sein soll, die sich aber nicht belegen lässt. Lesen Sie das Buch, wenn Sie sich für alte Sprachen interessieren – es hat durchaus seinen Witz –, aber machen Sie es sich nicht zur Lebensaufgabe, es zu entschlüsseln. Es wird Ihnen nicht gelingen.
Herzlich, Ihr Professor Punk“
JULIANE LIEBERT
Halb Roman,
halb Playlist, halb
Kreuzworträtsel
Dieses Buch
hat durchaus
seinen Witz
Eckhart Nickel: Punk. Roman.
Piper, München 2024. 208 Seiten, 22 Euro.
Silberne Glitzeranzüge zu leuchtroten Lego-Blumentöpfen: der Schriftsteller Eckhart Nickel.
Foto: Jork Weismann
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Der Roman der Stunde« Denis Scheck SWR Kultur - lesenswert 20240929