Ein großes Thema in einem kleinen Text zu fangen: das ist eine Herausforderung, an der sich sportlicher Ehrgeiz entzünden kann. Oder auch ein Gewitter von Geistesblitzen. Michel de Montaigne hat es vor 500 Jahren vorgemacht: »Kein Buch zu schreiben, wo eine Seite hinreicht, und kein Kapitel, wo ein Wort eben die Dienste tut«. Nichts bieten als den reinen Essay! Abhandlungen, Fußnoten und Kommentare, kurz: die ganze gelehrte (und oft genug dumme) Gründlichkeit in der Ich-Form überlisten. Mit zwanzig Mini-Essays gibt Hans Magnus Enzensberger dieser kleinen schwierigen Form einen besonderen Dreh hin zur Mythoskopie des Alltäglichen«: Okkultes wie Geld und Unwahrscheinliches wie »Sechs Millionen Experten«: nichts weniger als »Unlösbare Probleme« und »Normale Wunder« erledigen sich hier im Fünf-Seiten-Takt. Wovon die Rede ist oder doch sein sollte, darüber verfügt dieses Panoptikum der lebenden Wachsfiguren und normalen Sensationen souverän. Die Einladung aber geht an alle: »Treten Sie ein, Sie werden es nicht bereuen.«
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensent Klaus Bittermann würdigt Hans Magnus Enzensberger als großen Essayisten, dessen Texte er für ihre Eleganz, ihren auch bei komplexen Sachverhalten plaudernden Ton und ihre überraschenden Einfälle sehr schätzt. Zwei der hier versammelten Kurzessays stellt der Rezensent dabei besonders heraus: Einen über den Volkskunde-Boom um 1800, der laut Enzensberger die Sehnsucht nach dem Nationalstaat und damit auch die großen Katastrophen des 20. Jahrhunderts befördert habe. Und einen zweiten über die Forderung nach Transparenz, die den Boom der Verschwörungstheorien mitzuverantworten habe. Alles in allem zeigt sich Bittermann, dass Enzensbergers Ideen vielleicht nicht ganz neu sind, doch sei er ein Meister der gedanklichen Präzision und Überzeugungskraft, der auf ein beeindruckendes Wissen zurückgreifen könne. Umso schöner, so Bittermann, dass Enzensberger mit seinem Wissen nicht protze und überdies eine stilistisch glänzende Gelassen- und Gewitztheit an den Tag lege, die gegen Weltverdruss und Fatalismus immunisiere. Er ist, so der Rezensent gänzlich unfeierlich, "in Deutschland vielleicht der Beste".
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Falsch wäre der Eindruck, in diesen Essays ereifere sich ein Moralist. Es geht nicht um Moral, sondern um die Mores der Menschen. Zu unserem Vergnügen ist Enzensberger dabei unfähig, zwischen groß und klein zu unterscheiden. Enzensberger registriert nicht nur die täglichen Katastrophen, er staunt ebenso über das Ausmaß der geordneten Verhältnisse.« Wolf Lepenies DIE WELT 20121006
»Hans Magnus Enzensberger ist ein Mann, der gerne denkt - und dank der wunderbaren Vermittlung seines Wissens der beste Lehrmeister, den ein neugieriger Mensch haben kann.«