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Über Menschlichkeit in finsteren Zeiten - die weltweit gefeierte Parabel des Ukrainers Ilya Kaminsky. "Es ist ein Buch des sehr alten Wissens über etwas, das gerade erst geschieht." Marie Schmidt, SZ online
"Wir lebten glücklich während des Krieges", schreibt prophetisch der Ukrainer Ilya Kaminsky in seiner weltweit gefeierten Parabel. Als ein tauber Junge, der einem Puppenspiel zusieht, von Soldaten erschossen wird, leisten die Bewohner der okkupierten Stadt Vasenka Widerstand: Sie stellen sich taub und koordinieren ihren Protest in der Gebärdensprache. Unter den Oppositionellen sind auch…mehr

Produktbeschreibung
Über Menschlichkeit in finsteren Zeiten - die weltweit gefeierte Parabel des Ukrainers Ilya Kaminsky. "Es ist ein Buch des sehr alten Wissens über etwas, das gerade erst geschieht." Marie Schmidt, SZ online

"Wir lebten glücklich während des Krieges", schreibt prophetisch der Ukrainer Ilya Kaminsky in seiner weltweit gefeierten Parabel. Als ein tauber Junge, der einem Puppenspiel zusieht, von Soldaten erschossen wird, leisten die Bewohner der okkupierten Stadt Vasenka Widerstand: Sie stellen sich taub und koordinieren ihren Protest in der Gebärdensprache. Unter den Oppositionellen sind auch Alfonso und Sonya, die ein Kind erwarten. Vasenka ist ein Kriegsschauplatz, aber auch ein Ort, an dem geliebt wird, wo Menschen einander Zeichen der Solidarität geben. Kaminskys Buch konfrontiert uns mit Kriegsbildern von unheimlicher Kraft: Es ist zugleich Liebesgeschichte, eine Elegie und ein dringendes Plädoyer gegen das Schweigen.
Autorenporträt
Ilya Kaminsky, geboren 1977 in der ehemaligen Sowjetunion, wanderte 1993 in die USA aus. Er ist ein ukrainisch-russisch-jüdisch-amerikanischer Dichter, Kritiker, übersetzer und Lyrik-Professor. Bekannt wurde er durch die Gedichtsammlungen "Tanzen in Odessa" und Republik der Taubheit (Hanser, 2022), für die er zahlreiche Auszeichnungen erhielt. Sein Werk wurde bislang in über zwanzig Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensentin Marie Schmidt liest den Gedichtband des in den USA lebenden, in Odessa geborenen Dichters Ilya Kaminsky mit Spannung. Wie durch die Zeit gefallen kommen die Verse über tote Kinder in den Straßen zu ihr und erinnern sie an die Gewalt in der Ukraine gerade jetzt, obwohl der Autor über Jahre an dem Text gearbeitet hat, wie sie weiß. Die "fragile Klarheit" und emotionale Direktheit der Verse verblüfft die Rezensentin noch in der Übersetzung von Anja Kampmann. Kaminskys Symbolik für den Krieg, dessen Auswirkungen im Text das Schicksal eines Puppenspielers, seiner Geliebten und seiner Arbeitgeberin bestimmen, findet Schmidt stark. Mit einer solchen Bildsprache werden Erinnerungen an den Krieg erst möglich, ahnt Schmidt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.2022

Nur noch Türrahmen
Ilya Kaminskys Lyrikband "Republik der Taubheit"

Ilya Kaminsky, 1977 in Odessa in eine jüdische Familie geboren, ist ein shooting star der neuen amerikanischen Lyrik. Die Eltern, die 1993 mit ihm in die USA emigriert waren, hatten Ilya die Neue Welt und die neue Sprache nahegebracht, in der er schon bald dichtete und übersetzte. Er veröffentlichte zwei Gedichtbände, "Dancing in Odessa" (2004) und "Deaf Republic"(2019); beide wurden mehrfach als Bücher des Jahres gerühmt und in zwanzig Sprachen übersetzt. Auf Deutsch erschien bislang aber nur das Odessa-Buch in einem Kleinverlag. Jetzt bringt Hanser "Deaf Republic" als einsprachige Ausgabe in der Übersetzung der Lyrikerin Anja Kampmann. Sie ersetzte des Dichters schlichten Titel durch das deutlich ambitioniertere "Republik der Taubheit".

Apropos Taubheit: Auch bei Kaminsky - wie so oft bei Dichtern - ist ein Ereignis der Kindheit von besonderer Bedeutung. Mit vier Jahren wurde Ilya durch Mumps taub. Das wird im Buch nicht eigens erwähnt, doch nicht bloß im Titel, auch im Text ist mehrfach von Taubheit die Rede, etwa: "Taube haben etwas zu sagen, / was nicht einmal sie selbst hören können." Aber was sagt das Buch, und wie sagt es, was es sagt?

"Republik der Taubheit" ist zwar in freien Versen geschrieben, doch kein eigentliches Gedichtbuch. Es gibt vor, ein Theaterstück zu sein, und nennt zu Beginn die "Dramatis personae". Darauf folgen zwei Akte, die in einer besetzten Stadt spielen: "1. Die Einwohner der Stadt erzählen die Geschichte von Sonya und Alfonso, 2. Die Einwohner der Stadt erzählen die Geschichte von Momma Galya."

Der erste Teil ist eine ergreifende Liebesgeschichte: Der Puppenspieler Alfonso Barabinski macht der Kollegin Sonya ein Kind. Sie kommt durch die Soldateska zu Tode, und Alfonso ersticht einen der Soldaten, um schließlich erhängt zu werden. Mehr noch berührt die Passage, in der ein Offizier der Besatzungsarmee den tauben Jungen Petya erschießt: "Ich sah, wie der Offizier zielte, wie der taube Junge Eisen und Feuer schluckte mit seinem Mund - / sein Gesicht auf dem Asphalt, / diese Karte aus Knochen und offenen Adern."

Die zweite Geschichte handelt von Momma Galya Armolinskaya. Sie, die Besitzerin der Puppenbühne, wirkt wie eine Figur aus einer ins Bittere gewendeten Commedia dell'Arte. Sie ist es, die den Protest gegen die Besatzer beginnt. "Sie zieht an einem Zigarettenstummel und brüllt einen Soldaten an: 'Geh heim! Du hast deine Frau nicht geküsst, seit Noah in See stach!'" Momma Galya bewegt sich in der zerstörten Stadt wie in einer komisch-ruinösen Szene: "Das Kind wie einen gebrochenen Arm tragend, schleicht Galya über den Marktplatz. Von den gesprengten Gebäuden in der Tetnastraße stehen nur noch Türrahmen. Türen und Puppen, die von den Klinken baumeln, eine für jeden erschossenen Bürger."

Es gibt viele Momente in Kaminskys Poem, die uns an die Zerstörungs- und Entsetzensbilder aus dem gegenwärtigen Krieg in der Ukraine erinnern. Dabei dürfte "Deaf Republic" womöglich auf Berichte und Eindrücke aus der Zeit der Krim- Okkupation zurückgehen. Wie auch immer, das Poem des Jahres 2019 wirkt wie Prophetie. Doch Kaminsky ist weder Prophet noch Aktualitätenreporter. Er meidet den puren Horror, er begnügt sich mit Andeutungen, Schnappschüssen, Verzögerungen: "Etwas rennt die Straße hinunter, stürzt, kommt nicht wieder hoch." Oder: "Schnee fällt, und die Hunde laufen durch die Straße wie Sanitäter." Kaminskys Aussparungen dienen einem konzentrierten Blick auf das Ganze der Welt. Die okkupierte Stadt ist die Bühne für die Akteure einer tieferen Wirklichkeit. "Unser Land ist die Bühne: wenn Patrouillen marschieren, sitzen wir auf unseren Händen."

Die Welt des Puppenspiels transzendiert den Mechanismus eines wirklichen Krieges. Der Dichter lässt uns nicht vergessen, dass auch wir Leser Zuschauer sind, nämlich solche, die im Frieden leben. Es kann durchaus ein Land sein, in dem ein Polizist einen Mann durchs Autofenster erschießt, weil er nicht sofort den Führerschein ausgehändigt bekommt. Also etwa Amerika, "das Land des Geldes". Auch hier kann die Sache mit dem toten Jungen passieren. "Unser Land ist eines, in dem ein Junge, der von der Polizei erschossen wurde, stundenlang / auf dem Gehsteig liegt."

Kaminsky ist durchaus ein Kritiker des Kapitalismus, des "großartigen Lands des Geldes". So reiht sich der Dichter aus Odessa in die amerikanische Tradition seit Walt Whitman und Ezra Pound ein. Mehr noch, er schreibt an alle, die noch in den Ländern des Friedens leben: "Ich setze mich hin, um dir zu schreiben und zu sagen, was ich weiß." Wir lesen sein Buch von der Taubheit mit Rührung und Bewunderung. HARALD HARTUNG

Ilya Kaminsky: "Republik der Taubheit".

Aus dem Englischen von Anja Kampmann. Carl Hanser Verlag, München 2022. 112 S., geb., 22,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.07.2022

Die Zeit
vergeht nicht
Ein Jahrzehnt hat der ukrainisch-amerikanische
Dichter Ilya Kaminsky an dem schmalen Epos
„Republik der Taubheit“ geschrieben.
Vom Angriffskrieg auf die Ukraine konnte er
dabei noch nichts wissen. Oder doch?
VON MARIE SCHMIDT
Die Sowjetunion, sagt Ilya Kaminsky, sei für ihn ein Land ohne Ton gewesen. Er habe sie mit den Augen zerfallen hören. 1993 verließen seine Eltern mit ihm Odessa, die Familie ging in die USA. Im Jahr darauf starb sein Vater, und erst danach, mit 16 Jahren, begann Ilya Hörgeräte zu tragen. „Ich werde nie seine Stimme hören“, schreibt Kaminsky als erwachsener amerikanischer Dichter im Magazin der New York Times. Er erzählt da, wie er selbst 25 Jahre nach der Emigration und im Jahr nach dem Tod der Mutter zurück nach Odessa fuhr: „Ich habe nicht wirklich das Gefühl, ich sei zurück, bis ich die Hörgeräte abschalte.“ Erst in die tonlose Stadt kamen die Geschichten zurück, die er als Junge von den Lippen der Erwachsenen abgelesen hatte.
Auch mit diesem Text über eine in der Ukraine wiedergefundene, traumatische Familiengeschichte hatte sich Ilya Kaminsky einen Namen gemacht, als 2019 sein dritter Lyrikband „Deaf Republic“ herauskam und ein enormer Erfolg wurde: ein schmales Epos über die Gewalt einer Besatzungsmacht und die Zähigkeit des Glücks. Auch das Ergebnis eines Lebensalters: Kaminsky hatte ein Jahrzehnt lang daran gearbeitet. Insofern kann er beim Schreiben nichts gewusst haben von dem Krieg, in den hinein jetzt die deutsche Übersetzung „Republik der Taubheit“ erschienen ist, wie der moderne Mythos zur Stunde. Oder doch? Vorne in dem Buch gibt es eine Tafel der „Dramatis Personae“, darauf stehen ganz oben die „Einwohner der Stadt Vasenka“. Ein fiktiver Ort. Eines der ersten Gedichte beginnt so: „Unser Land ist die Bühne. Seit die Soldaten in die Stadt einmarschierten, sind öffentliche Versammlungen verboten.“ Genauer wird nicht benannt, wo und wann das spielt, die Geschichte bekommt archetypische Dimensionen: Trotz des Versammlungsverbots sehen die Bewohner sich ein Puppentheater an, als Soldaten auftauchen. Ein Junge, aufgekratzt vom Spiel, spuckt in Richtung der Besatzer und liegt dann erschossen auf der Straße. Mit dem Schuss, der ihn tötet, verlieren die Leute ihr Gehör: „Unser Land erwachte am nächsten Morgen und weigerte sich, die Soldaten zu hören“, ist der erste Satz des Prosagedichts „Taubheit, ein Aufstand, beginnt“.
Die fragile Klarheit seiner Sätze und seine direkte Gefühlssprache lassen Kaminskys Symbolik im englischen Original vertraut wirken. Wie etwas, das man wiedererkennt, obwohl man es zum ersten Mal liest. Eine Erlebnisform, an der Mythen, aber auch die amerikanische Popkultur Anteil haben. Im Deutschen mit seiner verwurzten Syntax ist so eine tiefe Einfachheit kaum herzustellen. Aber die Lyrikerin Anja Kampmann, die „Republik der Taubheit“ übersetzt hat, ist selbst eine Meisterin der schweren Nüchternheit.
So bleiben auch in der deutschen Version die Kontraste hoch: „Etwas in der Luft verlangt zu viel von uns. / Die Welt ist still. / Die Wachen am Turm essen Gurkenbrote.“ Kaminsky verwendet das Nicht-Hören in diesem Buch, wie in seiner Kindheitsgeschichte, als Schutzfunktion aber auch als Fähigkeit, als Gegenmacht. Gezeichnete Gesten der Gebärdensprache werden zum Teil der Gedichte. Gegen diese Symbolik zeichnen sich die Szenen des Krieges scharf ab. Und unweigerlich heften sie sich heute vor dem inneren Auge an Nachrichtenbilder: Wie Butcha nach dem Abzug der Russen aussah, Mariupol unter Bomben, eine Familie, niedergemetzelt auf der Flucht. „Sie schießen“, schreibt Kaminsky, „während eine Gruppe von Frauen flieht in den geblähten Nüstern der Suchscheinwerfer / – möge Gott ein Foto davon haben –“.
Man sieht durch diese Gedichte, wie neu und alt diese Bilder sind. So sehr man sich im Westen erschrocken und dann relativ schnell gewöhnt hat an die Nachrichten vom Angriffskrieg, so sehr hier die Rede von einer „Zeitenwende“ eine gewisse Plausibilität hatte, so schmerzlich bekannt war all das leider für die Ukraine, oder Schriftsteller wie Ilya Kaminsky, die mit diesem Land immer verbunden waren. Seine Literatursprache und er sind zwar nach einem Vierteljahrhundert ganz und gar amerikanisch. Aber immer wenn wieder Krieg ist, wird er zum Übersetzer. Dann schreibt Ilya Kaminsky an Dichter in der Ukraine und gibt der lesenden Welt weiter, was sie sehen und hören.
Als Russland 2014 die Krim besetzte, fragte er die russischsprachigen Freunde: Stimmt es, dass ihr in der Ukraine unterdrückt werdet und beschützt werden müsst? Alles Legenden, antwortete die Lyrikerin Anastasia Afanasieva aus Charkiw und der Dichter Boris Khersonsky sagte, er habe an der Universität von Odessa bisher problemlos auf Russisch unterrichtet, aber jetzt werde er Ukrainisch weiter lehren, aus Solidarität.
Im Frühsommer 2022 fragte Kaminsky Dichter in Butcha, Charkiw, Kiew, wie sie mit dem Krieg leben. Da erzählten sie, dass sie ihre Erinnerungen verlieren. Die aus Papier, Schriftstücke und Fotos ihrer Familien auf der Flucht, aber auch die im Kopf: „Alles, was vor diesem Moment war, wurde unwichtig“, schreibt Siarhei Prylutski über eine Bombennacht in Butcha. „Einerseits hat die Kriegszeit keine Zeit“, erklärt Oleh Kotsarev, „andererseits verbringt man sie mit nervösen Versuchen, nach vorne zu schauen.“ Die Zeit vergehe nicht, sagt Daryna Gladun: „Ich bin jetzt unendlich alt und nur ein paar Jahre alt.“ Die Berichte sind auf der Website der Paris Review erschienen.
Wenn Erinnerungen wieder möglich sind und eine starke Symbolsprache wie die von Ilya Kaminsky versucht, ein Gerüst dafür zu geben, rührt die Erschütterung an eine noch tiefere Schicht. In der Handlung von „Republik der Taubheit“ bekommen die Puppenspieler Sonya und Alfonso inmitten des Wahnsinns ein Kind. Momente der Intimität und noch eine andere Art der existenziellen Verletzlichkeit entstehen. Weil die Grauen des Krieges sich mit dem Verzicht auf das Hinhören aber nicht beenden lassen, kommen beide Eltern ums Leben. Die Besitzerin des Puppentheaters, Momma Galya, nimmt das Baby zu sich: „ich, die ich mit 53 Jahren / den Gedanken an ein Kind aufgegeben hatte“. Ihre Zärtlichkeit für das kleine Mädchen steht in scharfem Kontrast zu der Gewalt, die sie auf sich zieht. Hinter dieser Geschichte zeichnet sich auch die Familienerinnerung ab, die Kaminsky in Odessa gesucht hat. Das Kind, das gegen alle Wahrscheinlichkeit überlebt, ist darin sein Vater. Das hat er ihm von den Lippen abgelesen: Wie ein ukrainischer Unbekannter den jüdischen Jungen vor der Deportation bewahrt, indem er ihn im entscheidenden Moment als sein Kind ausgibt. Die Eltern des Jungen sind stalinistischen Säuberungen zum Opfer gefallen. Seine Erinnerungen setzen im Jahr 1941 ein, als sein Adoptivvater von der Front desertiert, um seine Frau und den Jungen zu sehen. Er kommt in eine Stadt unter deutschen Besatzern. Dass er auch später nicht inhaftiert wird, hat damit zu tun, dass er während eines Bombardements sein Gehör verloren hat. Taubheit schützt ihn. Genau dieses Detail verschweigt der überlebende Adoptivsohn aber später, selbst Vater, seinem Sohn Ilya Kaminsky. Noch als der durch eine Mumps-Infektion, die ein sowjetischer Arzt für eine Erkältung hält, mit fünf Jahren selbst taub wird.
Die Historikerinnen Franziska Davies und Ekaterina Makhotina haben in einem Buch mit dem Titel „Offene Wunden Osteuropas“ gerade erst eindrucksvoll beschrieben, wie die Erinnerungslandschaft besonders auch der Ukraine vielfach überschrieben ist von Wellen der Gewalt, der Besetzung, des Massenmords und der Fremdherrschaft. Wie wenig darüber in Deutschland bekannt ist, aller Erinnerungskultur zum Trotz, auf die man sich so viel zugute hält. Und das obwohl die Vernichtung der europäischen Juden durch die Deutschen genau dort begonnen hat mit dem, was in der Geschichtsschreibung heute „Holocaust by Bullets“ heißt.
Der enorme Eindruck, den Ilya Kaminskys Lyrikzyklus „Republik der Taubheit“ macht, kommt daher: Dass sein einfaches Bild – Soldaten schießen, ein Kind liegt tot auf der Straße, „Die Stadt schaut zu“ – durch die Zeitebenen fällt, an der russischen Gewalt heute haftenbleibt, mit der sowjetischen Herrschaft zu tun bekommt und in den Verbrechen der deutschen Besatzer wiedererkennbar wird.
Es ist ein Buch des sehr alten Wissens über etwas, das gerade erst geschieht. Seine Leitmetapher – sich eine Wahrnehmung abschneiden, um zu überleben – steht auch für die Schuld des Davonkommens und Zuschauens. Ganz am Anfang und am Ende des Bandes schreibt der Amerikaner Ilya Kaminsky aus der Perspektive des Exils: „in der Straße des Geldes in der Stadt des Geldes im Land des Geldes, / unserem großartigen Land des Geldes, lebten wir (vergib uns) / glücklich während des Krieges.“
Es ist ein Buch des sehr
alten Wissens über etwas, das
gerade erst geschieht
Ilya Kaminsky: Republik der Taubheit. Aus dem Englischen von Anja Kampmann. Hanser, München 2022.
99 Seiten, 22 Euro.
Das Puppentheater ist in Ilya Kaminskys „Republik der Taubheit“ ein Ort des Widerstands. Und ein Puppentheater hat die Geschichte des Buches auch auf die Bühne gebracht, hier in Maribor in Slowenien.
Foto: Boštjan Lah for Maribor Puppet Theatre
Ilya Kaminsky lebt zurzeit in
Atlanta.
Foto: R.Hart/mauritius/Alamy
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"Fulminant bringt Ilya Kaminsky Hoffnung, Auflehnung und Ohnmacht in Sprachbilder, die man nicht mehr vergisst." Hansruedi Kugler, St. Galler Tagblatt, 13.06.2022

"Wenn man 'Republik der Taubheit' liest, am besten laut, wird man hineingezogen in einen Klangraum, in dem das Staunen, die Wut und die Trauer sich mehrdimensional entfalten [...] 'Republik der Taubheit' gilt einer universellen Menschlichkeit." Cornelia Geißler, Berliner Zeitung, 30.05.2022

"Ein derart wirkungsmächtiges politisches Gedicht ist schon lange nicht mehr geschrieben worden. [...] Es scheint, als sei plötzlich die poetische Zentralchiffre für die Auseinandersetzung mit dem Krieg in der Ukraine gefunden." Michael Braun, Tagesspiegel, 24.05.2022

"Ilya Kaminsky findet starke Bilder für unaussprechliche Grausamkeit wie auch für kleines Glück. Seine Sprache mäandert zwischen kritischer Distanz und schuldbehafteter Ambivalenz, mit der er als Ausgewanderter auf seine Heimat im Krieg blickt." Miriam Zeh, Deutschlandfunk Kultur Lesart, 23.05.2022

"Doch was ist ein Mann, eine Frau, ein Kind, was ist Leben im Krieg? 'Die Stille zwischen zwei Bombardements.' Der Krieg vernichtet die Menschen, er vernichtet das Menschliche: Das - und das im Grunde Unbegreifliche daran - macht Kaminskys lyrisches Erzählen einem bis ins Mark spürbar." Anne-Catherine Simon, Die Presse, 21.05.2022