Lisa kann keine Kinder bekommen, wird verlassen, rastet aus. Laura fiebert ihrer Hochzeit entgegen, dem Höhepunkt jedes weiblichen Lebens. Barbara ist verloren seit sie Witwe geworden ist, ein kleiner Hund hilft. Verena erbt eine Luxusvilla mit Seeblick, sie steigt auf. Jolie wird entlassen und schwanger. Petra findet die Liebe und zieht um. Tina hat große Angst und trifft eine Entscheidung.In ihrem zweiten Roman feiert Jovana Reisingers die Frauen, die sie nach Frauenzeitschriften benennt. Sie zeigt auf, welchen Rollenzwängen und welcher Gewalt Frauen in unserer Gesellschaft unterworfen sind. Und es werden Tipps, Tricks und Geschlechterstereotype verhandelt. Es ist ein Text über weibliche Wut und Ausdauer mit teils bösem Humor, der jedoch nie seine Protagonistinnen verurteilt.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.03.2021Triumph im Frauengame
Jovana Reisingers Episodenroman „Spitzenreiterinnen“
über den Terror erfolgreicher Weiblichkeit
VON MARIE SCHMIDT
Nicht glücklich werden ist keine Option. Zumal doch, wie es im letzten Satz von Jovana Reisingers Roman heißt, „jetzt die Stunde der Frauen“ schlägt. Besonders in Weltgegenden, in denen die Emanzipation die Verhältnisse umgekehrt hat und Frauen ein höheres Sozialprestige, ein wacheres Selbstbewusstsein und die allgemein freiere Wahl zugetraut wird als Männern. Sagen wir, in Bayern und Österreich, wo die neun Hauptfiguren von „Spitzenreiterinnen“ wohnen, und es einem ja eigentlich überhaupt nur gut gehen kann: „An was für einem wunderschönen Fleck Erde ich lebe, denkt sich Barbara, das hier ist das Paradies.“ Diese Frauen genießen einen gewissen Wohlstand, und sie sind das Zentrum ihrer Welt. Merkwürdig ist nur der fiese Unterton in diesem Buch, seine Brutalität gegen Lisa, Brigitte, Tina und Barbara.
Jovana Reisinger, 1989 geboren, macht Filme und Musikvideos, hatte mit „Men in Trouble“ gerade ihre erste Einzelausstellung in der Kunsthalle Osnabrück. In ihrem zweiten Buch, einem Episodenroman, heißen alle Frauen nach Frauenzeitschriften, und damit zieht sie die Folie einer Vorstellungswelt auf, vor der das Leben ihrer Figuren von permanenten Urteilen durchzogen ist, die über sie getroffen werden.
Man wüsste furchtbar gern, von welcher Instanz die Frauen dermaßen geprüft werden, aber Jovana Reisinger versteckt die urteilenden Stimmen so kunstvoll im Text, dass man sich nach ihnen umdrehen will, wie nach einem Echo, bis einem schwindlig wird. Oft, so sind zeitgemäße Frauenpsychologien, kommen sie von innen.
Dann ist die Erzählung nah am Bewusstsein der „Spitzenreiterinnen“: „Sie kriegt wieder alles, was sie will. Und ich kriege nichts. Jetzt hat sie einen Mann“, denkt Verena: „Das ist eine Niederlage. Laura gewinnt im Frauengame.“ Manchmal sagen auch Mütter, Tanten, Schwiegermütter, was sie für die Wahrheit halten: „‚Was bringt die Galeristin einer Gesellschaft?‘, fragt die Tante und zieht dabei die Augenbraue hoch. ‚Und was bringt deren Assistentin der Gesellschaft?‘, schiebt sie hinterher. ‚Eben‘, schließt die Tante, ‚niemand weiß, dass es dich gibt. Meine Schusterin ist relevanter als du.‘“
Männer heißen in diesem Buch nur mit Anfangsbuchstaben, D., F. oder A. Die Erzählerin hält Distanz zu ihnen, sie sind nur Kulisse, aber auch aus der kommt es aggressiv: „Hing sein Penis leblos in der Gegend rum, konnte er ihr in vier Sprachen erklären, dass ihr Mundgeruch, ihre schlechte Figur, ihre ungeschickten Hände oder ihre fehlende Motivation der Grund dafür waren.“ Die Übergänge von verbaler zu physischer Gewalt sind fließend, und als in der Geschichte von Tina die Polizei kommt, um sie und ihre Kinder ins Frauenhaus zu bringen, tönt es aus der Beamtin: „Sie verabscheut diese familiären Konflikte. Sie glaubt, ihr könne so etwas nie passieren. Sie würde niemals in so einer Beziehung landen.“ Reisinger verkleidet die Urteile auch in praktische Weisheiten: „Wer nicht schön ist, hat sich nicht genug angestrengt. Oder nicht genügend Geld in anständige Schminke investiert. Da wurde an der falschen Stelle gespart. Keine gute Grundlage, um zu altern.“ Das klingt witzig, weil es so stereotyp ist, aber womöglich entfaltet es dadurch gerade seine normative Wirkung. An etwas, das so oft gesagt wird, muss etwas dran sein. Überhaupt enthält dieser Roman eine beeindruckende Sammlung von Lifestyle-Phrasen, wobei der Leitspruch des Kapitalismus, „Jeder ist doch seines eigenen Glückes Schmied“, nicht fehlen darf, so wenig wie: „Wer schön sein will, muss leiden.“
Der subtile Terror der Frauenwelt wird hier offensichtlich zum Zweck der Karikatur und der Kritik versammelt. „Spitzenreiterinnen“ ist ein so komisches wie schreckliches Buch. Reisinger ist dafür mit Miranda July verglichen worden, sie selbst hat im Podcast „Dear Reader“ Gisela Elsner als literarisches Vorbild genannt. Ihre Orientierung am jovialen Frauenzeitschriften-Stil gibt dem Roman etwas Vicki-Baum-haftes, der gezielt verfremdende Einsatz von Dialekt erinnert von ferne an Herbert Achternbusch oder Franz Xaver Kroetz. Es gibt außerdem Szenen wie in einer Fernsehserie von David Schalko. Wie zum Beispiel eine der Frauen, nachdem sie ein Kind verloren hat, alleine in ein Meeresfrüchte-Restaurant geht, vom Kellner Champagner und eine Austernplatte verdonnert bekommt, und am Ende die Touristen und die Schickeria mit Schneckenhäusern und Schalen bewirft: „Lisa schenkt sich nach, sie säuft, sie stößt auf, sie wischt sich mit der fettigen Hand das Gesicht ab. Kräuter zieren ihre Mundwinkel und Wangen. Wo ist die ordentliche Frau hin?“
Die Momente, in denen die Erzählstimme die Teilnahme an ihren Figuren aufgibt, und sich zur Überperspektive aufschwingt, sind die gnadenlosesten: „Diese Frau weint jeden Tag“, heißt es. „Diese arme Frau. Arme Verena. Wie trostlos.“ Wer ist also an den Zivilisationsbeschwerden dieser Frauen schuld? Wen oder was kritisiert der Roman? Der Witz ist, dass man nicht darauf kommt. Dieses Buch ist die denkbar lustigste Version des sonst zwingend humorlosen Satzes: Sexismus ist ein strukturelles Problem.
Jovana Reisinger:
Spitzenreiterinnen.
Roman.
Verbrecher Verlag,
Berlin 2021.
270 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Jovana Reisingers Episodenroman „Spitzenreiterinnen“
über den Terror erfolgreicher Weiblichkeit
VON MARIE SCHMIDT
Nicht glücklich werden ist keine Option. Zumal doch, wie es im letzten Satz von Jovana Reisingers Roman heißt, „jetzt die Stunde der Frauen“ schlägt. Besonders in Weltgegenden, in denen die Emanzipation die Verhältnisse umgekehrt hat und Frauen ein höheres Sozialprestige, ein wacheres Selbstbewusstsein und die allgemein freiere Wahl zugetraut wird als Männern. Sagen wir, in Bayern und Österreich, wo die neun Hauptfiguren von „Spitzenreiterinnen“ wohnen, und es einem ja eigentlich überhaupt nur gut gehen kann: „An was für einem wunderschönen Fleck Erde ich lebe, denkt sich Barbara, das hier ist das Paradies.“ Diese Frauen genießen einen gewissen Wohlstand, und sie sind das Zentrum ihrer Welt. Merkwürdig ist nur der fiese Unterton in diesem Buch, seine Brutalität gegen Lisa, Brigitte, Tina und Barbara.
Jovana Reisinger, 1989 geboren, macht Filme und Musikvideos, hatte mit „Men in Trouble“ gerade ihre erste Einzelausstellung in der Kunsthalle Osnabrück. In ihrem zweiten Buch, einem Episodenroman, heißen alle Frauen nach Frauenzeitschriften, und damit zieht sie die Folie einer Vorstellungswelt auf, vor der das Leben ihrer Figuren von permanenten Urteilen durchzogen ist, die über sie getroffen werden.
Man wüsste furchtbar gern, von welcher Instanz die Frauen dermaßen geprüft werden, aber Jovana Reisinger versteckt die urteilenden Stimmen so kunstvoll im Text, dass man sich nach ihnen umdrehen will, wie nach einem Echo, bis einem schwindlig wird. Oft, so sind zeitgemäße Frauenpsychologien, kommen sie von innen.
Dann ist die Erzählung nah am Bewusstsein der „Spitzenreiterinnen“: „Sie kriegt wieder alles, was sie will. Und ich kriege nichts. Jetzt hat sie einen Mann“, denkt Verena: „Das ist eine Niederlage. Laura gewinnt im Frauengame.“ Manchmal sagen auch Mütter, Tanten, Schwiegermütter, was sie für die Wahrheit halten: „‚Was bringt die Galeristin einer Gesellschaft?‘, fragt die Tante und zieht dabei die Augenbraue hoch. ‚Und was bringt deren Assistentin der Gesellschaft?‘, schiebt sie hinterher. ‚Eben‘, schließt die Tante, ‚niemand weiß, dass es dich gibt. Meine Schusterin ist relevanter als du.‘“
Männer heißen in diesem Buch nur mit Anfangsbuchstaben, D., F. oder A. Die Erzählerin hält Distanz zu ihnen, sie sind nur Kulisse, aber auch aus der kommt es aggressiv: „Hing sein Penis leblos in der Gegend rum, konnte er ihr in vier Sprachen erklären, dass ihr Mundgeruch, ihre schlechte Figur, ihre ungeschickten Hände oder ihre fehlende Motivation der Grund dafür waren.“ Die Übergänge von verbaler zu physischer Gewalt sind fließend, und als in der Geschichte von Tina die Polizei kommt, um sie und ihre Kinder ins Frauenhaus zu bringen, tönt es aus der Beamtin: „Sie verabscheut diese familiären Konflikte. Sie glaubt, ihr könne so etwas nie passieren. Sie würde niemals in so einer Beziehung landen.“ Reisinger verkleidet die Urteile auch in praktische Weisheiten: „Wer nicht schön ist, hat sich nicht genug angestrengt. Oder nicht genügend Geld in anständige Schminke investiert. Da wurde an der falschen Stelle gespart. Keine gute Grundlage, um zu altern.“ Das klingt witzig, weil es so stereotyp ist, aber womöglich entfaltet es dadurch gerade seine normative Wirkung. An etwas, das so oft gesagt wird, muss etwas dran sein. Überhaupt enthält dieser Roman eine beeindruckende Sammlung von Lifestyle-Phrasen, wobei der Leitspruch des Kapitalismus, „Jeder ist doch seines eigenen Glückes Schmied“, nicht fehlen darf, so wenig wie: „Wer schön sein will, muss leiden.“
Der subtile Terror der Frauenwelt wird hier offensichtlich zum Zweck der Karikatur und der Kritik versammelt. „Spitzenreiterinnen“ ist ein so komisches wie schreckliches Buch. Reisinger ist dafür mit Miranda July verglichen worden, sie selbst hat im Podcast „Dear Reader“ Gisela Elsner als literarisches Vorbild genannt. Ihre Orientierung am jovialen Frauenzeitschriften-Stil gibt dem Roman etwas Vicki-Baum-haftes, der gezielt verfremdende Einsatz von Dialekt erinnert von ferne an Herbert Achternbusch oder Franz Xaver Kroetz. Es gibt außerdem Szenen wie in einer Fernsehserie von David Schalko. Wie zum Beispiel eine der Frauen, nachdem sie ein Kind verloren hat, alleine in ein Meeresfrüchte-Restaurant geht, vom Kellner Champagner und eine Austernplatte verdonnert bekommt, und am Ende die Touristen und die Schickeria mit Schneckenhäusern und Schalen bewirft: „Lisa schenkt sich nach, sie säuft, sie stößt auf, sie wischt sich mit der fettigen Hand das Gesicht ab. Kräuter zieren ihre Mundwinkel und Wangen. Wo ist die ordentliche Frau hin?“
Die Momente, in denen die Erzählstimme die Teilnahme an ihren Figuren aufgibt, und sich zur Überperspektive aufschwingt, sind die gnadenlosesten: „Diese Frau weint jeden Tag“, heißt es. „Diese arme Frau. Arme Verena. Wie trostlos.“ Wer ist also an den Zivilisationsbeschwerden dieser Frauen schuld? Wen oder was kritisiert der Roman? Der Witz ist, dass man nicht darauf kommt. Dieses Buch ist die denkbar lustigste Version des sonst zwingend humorlosen Satzes: Sexismus ist ein strukturelles Problem.
Jovana Reisinger:
Spitzenreiterinnen.
Roman.
Verbrecher Verlag,
Berlin 2021.
270 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Marie Schmidt nennt dies ein gleichermaßen "komisches wie schreckliches Buch". Da hat sich nämlich, so erfahren wir, die Autorin in die Welt der Frauenzeitschriften aufgemacht und beurteilt ihre Protagonistinnen, die exakt nach solchen Medienprodukten benannt sind - Tina, Brigitte, Barbara usw. - nach genau den dort frauen- und (darf man's sagen) küchenpsychologisch breitgetretenen Maximen. Das findet die Kritikerin wahlweise ganz köstlich und ziemlich grausam. Auf der Suche nach der Schuld an all diesem Frauenleid wird sie in diesem Roman nicht fündig - und schließt also, dies sei die witzigste Fassung der Aussage, der Sexismus sei ein "strukturelles Problem".
© Perlentaucher Medien GmbH
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