Vor Jahren veränderte sich Peter Crumbs Leben durch einen vernichtenden Akt der Gewalt. Jetzt vernichtet er wahllos und brutal Leben und plant akribisch die Woche, die seine letzte sein soll.
Jonny Glynn gelingt ein schizophrenes Kunststück zwischen Gewalt und Mitgefühl, Horror und Melancholie, das unbarmherzig auf ein moralisches Vakuum unserer Gesellschaft zeigt.
"Sieben Tage" ist eine erschütternd mitreißende Beschreibung eines von der Gesellschaft abgesplitterten Individuums, einer wilden Seele - eine faszinierende Jekyll und Hyde-Geschichte unserer Zeit. Ein schockierender Roman, dunkel und furchteinflößend, makaber und faszinierend.
Jonny Glynn gelingt ein schizophrenes Kunststück zwischen Gewalt und Mitgefühl, Horror und Melancholie, das unbarmherzig auf ein moralisches Vakuum unserer Gesellschaft zeigt.
"Sieben Tage" ist eine erschütternd mitreißende Beschreibung eines von der Gesellschaft abgesplitterten Individuums, einer wilden Seele - eine faszinierende Jekyll und Hyde-Geschichte unserer Zeit. Ein schockierender Roman, dunkel und furchteinflößend, makaber und faszinierend.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Franziska Augstein zurrt ihre Besprechung an zwei Referenzpunkten fest, an Ethan und Joel Coens Film "No Country for Old Men", durch den ebenfalls ein unkaputtbarer perverser Serienkiller stapft, und Dostojewskis "Schuld und Sühne", das Jonny Glyn mit seinem Erstling "Sieben Tage" postmodern kommentiert. Augstein fragt sich pflichtschuldigst, warum sie dranbleibt, auch als Mord auf Mord folgt, einer grausiger als der andere. Voyeurismus ist es nicht, diagnostiziert sie. Die Anziehung zwischen ihr und diesem Buch gründe vielmehr auf Glynns eleganter Feder und den Monologen des Psychopathen, die schön zwischen Sarkasmus, Geschwätz und Kaltschnäuzigkeit lavieren. Der Londoner Glynn verstehe es zudem, die bluttriefende Mordtour zu einem "kompositorischen Meisterstück" zu verschmelzen. Nur Henning Ahrens' Übersetzung trübt den Glanz ein wenig. Sie ist nach Auskunft der Rezensentin zwar "flott", aber schlampig.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.08.2008Amok einer Butterblume
Jonny Glynns Debüt über einen Identitätsgestörten
Eine Seele zersplittert. Ihre Einzelteile stacheln sich gegenseitig an, verachten, fürchten und brauchen einander. Jahre später kommen die Aggressionen zum Ausbruch: Peter Crumb läuft durch London und tötet Menschen. Nicht direkt wahllos. Aber nach ganz eigener Logik, in der die aktuelle Schlagzeile der "Daily Mail" und seine Intuition eine große Rolle spielen.
Sieben Tage hat er noch zu leben, das steht von Anfang an fest, auch wenn kein Grund genannt wird. Für diese sieben Tage ist nur noch wenig Selbsterhaltungstrieb übrig. Es reicht gerade, um die Orte zu meiden, wo die Polizei wahrscheinlich nach ihm suchen wird. Peter Crumb ist ein getriebener Narzisst mit multipler Identitätsstörung, der anfangs an "Dr. Jekyll und Mr. Hyde" erinnert. Doch bald wird klar: "Ich bin kein guter Mensch. Ich bin kein schlechter Mensch." Denn jeder ist beides, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen.
Es ist wahrhaftig kein leichtes Sujet, das sich der Brite Jonny Glynn für seinen ersten Roman ausgesucht hat. Auch die Perspektive aus einer der Persönlichkeiten von Peter Crumb ist ungewöhnlich, doch der Autor meistert sie mit viel Sprachgefühl. Vielschichtig lässt sich das Buch lesen, und Glynn hat den Anfängerfehler vermieden, alle aufgestauten Ideen der letzten Jahre hineinzupacken. "Sieben Tage" ist stringent, packend, manchmal von subtiler Komik - und manchmal sehr brutal. In einer Szene geht Crumb mit einer Prostituierten in einen Hinterhof, hat Sex mit ihr und versucht danach, sie von ihrem Gewerbe abzubringen. Nur wenige Sekunden später wechselt seine Verfassung wieder, und er verprügelt sie auf brutalste Weise. Glynn schont seine Leser nicht, er geht inhaltlich und sprachlich ins Detail: "Zwei Vorderzähne waren gebrochen und baumelten vom Gaumen. Speichel und Blut liefen ihr übers Kinn . . . Sie regte sich nicht, lebte aber noch. Sie stieß ein leises, fast lautloses ,Uff' aus, und dann furzte sie."
Wem bereits diese Zeilen missfallen, der sollte "Sieben Tage" niemals aufschlagen. Doch wer bereit ist, sich für eine Weile in die irre Welt des Peter Crumb zu begeben, wird fasziniert sein. Wie eine Taucherglocke wirkt sein Bewusstsein, wenn er sich durch London treiben lässt und in den öffentlichen Verkehrsmitteln mit anderen Menschen aneinandergerät. Indirekt wird so seine Wirkung deutlich: ein Penner, der sich in der U-Bahn in die Hose macht. Er selbst allerdings verachtet die Penner. Mal ist er wütend, mal gibt er sich rechtschaffen, häufig ist er auf der Suche nach Trost. Keine dieser Gemütsregungen hält er lange durch. Nur ein Motiv bleibt gleich: die Zerstörungswut, die auch vor ihm selbst nicht haltmacht.
Zu den größten Stärken des Romans gehört der geschickte Umgang mit den verschiedenen Personen in Crumbs Körper. Manchmal ist über einen längeren Zeitraum hinweg einer am Ruder, bei anderen Gelegenheiten wechselt es innerhalb eines Satzes. "Er bat sie herein, sagte ihr, ich hätte gerade eine Kanne Tee gekocht, und führte sie ins Wohnzimmer." An dieser Stelle ist das Ich die weiche Seite, doch später kehrt sich das um - niemand ist nur schlecht oder nur gut. Das hat Glynn mit seinem Debüt auf beeindruckende Weise literarisch ausgemalt.
JULIA BÄHR
Jonny Glynn: "Sieben Tage". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Henning Ahrens. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008. 262 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jonny Glynns Debüt über einen Identitätsgestörten
Eine Seele zersplittert. Ihre Einzelteile stacheln sich gegenseitig an, verachten, fürchten und brauchen einander. Jahre später kommen die Aggressionen zum Ausbruch: Peter Crumb läuft durch London und tötet Menschen. Nicht direkt wahllos. Aber nach ganz eigener Logik, in der die aktuelle Schlagzeile der "Daily Mail" und seine Intuition eine große Rolle spielen.
Sieben Tage hat er noch zu leben, das steht von Anfang an fest, auch wenn kein Grund genannt wird. Für diese sieben Tage ist nur noch wenig Selbsterhaltungstrieb übrig. Es reicht gerade, um die Orte zu meiden, wo die Polizei wahrscheinlich nach ihm suchen wird. Peter Crumb ist ein getriebener Narzisst mit multipler Identitätsstörung, der anfangs an "Dr. Jekyll und Mr. Hyde" erinnert. Doch bald wird klar: "Ich bin kein guter Mensch. Ich bin kein schlechter Mensch." Denn jeder ist beides, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen.
Es ist wahrhaftig kein leichtes Sujet, das sich der Brite Jonny Glynn für seinen ersten Roman ausgesucht hat. Auch die Perspektive aus einer der Persönlichkeiten von Peter Crumb ist ungewöhnlich, doch der Autor meistert sie mit viel Sprachgefühl. Vielschichtig lässt sich das Buch lesen, und Glynn hat den Anfängerfehler vermieden, alle aufgestauten Ideen der letzten Jahre hineinzupacken. "Sieben Tage" ist stringent, packend, manchmal von subtiler Komik - und manchmal sehr brutal. In einer Szene geht Crumb mit einer Prostituierten in einen Hinterhof, hat Sex mit ihr und versucht danach, sie von ihrem Gewerbe abzubringen. Nur wenige Sekunden später wechselt seine Verfassung wieder, und er verprügelt sie auf brutalste Weise. Glynn schont seine Leser nicht, er geht inhaltlich und sprachlich ins Detail: "Zwei Vorderzähne waren gebrochen und baumelten vom Gaumen. Speichel und Blut liefen ihr übers Kinn . . . Sie regte sich nicht, lebte aber noch. Sie stieß ein leises, fast lautloses ,Uff' aus, und dann furzte sie."
Wem bereits diese Zeilen missfallen, der sollte "Sieben Tage" niemals aufschlagen. Doch wer bereit ist, sich für eine Weile in die irre Welt des Peter Crumb zu begeben, wird fasziniert sein. Wie eine Taucherglocke wirkt sein Bewusstsein, wenn er sich durch London treiben lässt und in den öffentlichen Verkehrsmitteln mit anderen Menschen aneinandergerät. Indirekt wird so seine Wirkung deutlich: ein Penner, der sich in der U-Bahn in die Hose macht. Er selbst allerdings verachtet die Penner. Mal ist er wütend, mal gibt er sich rechtschaffen, häufig ist er auf der Suche nach Trost. Keine dieser Gemütsregungen hält er lange durch. Nur ein Motiv bleibt gleich: die Zerstörungswut, die auch vor ihm selbst nicht haltmacht.
Zu den größten Stärken des Romans gehört der geschickte Umgang mit den verschiedenen Personen in Crumbs Körper. Manchmal ist über einen längeren Zeitraum hinweg einer am Ruder, bei anderen Gelegenheiten wechselt es innerhalb eines Satzes. "Er bat sie herein, sagte ihr, ich hätte gerade eine Kanne Tee gekocht, und führte sie ins Wohnzimmer." An dieser Stelle ist das Ich die weiche Seite, doch später kehrt sich das um - niemand ist nur schlecht oder nur gut. Das hat Glynn mit seinem Debüt auf beeindruckende Weise literarisch ausgemalt.
JULIA BÄHR
Jonny Glynn: "Sieben Tage". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Henning Ahrens. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008. 262 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main