»Look« ist ein sehr persönliches, berührendes Buch über Mode, Rollenbilder und darüber, wie wir uns und andere sehen. Die Erzählerin Ida beschreibt, wie unwohl sie sich gefühlt hat in weiblichen Rollen und Kleidern und dass sie die Uneindeutigkeit vorzieht, die einem Mode ermöglicht. So leichtfüßig, sinnlich und intelligent, dass die Lektüre einem luziden Gespräch gleicht, voller Esprit und Erkenntnis.»'Look' ist voller Weisheiten über Kleidung, Textilien und Geschlecht und fühlt sich so befreiend an, als würdeman eines Morgens aufwachen und sich in jemand anderen verwandeln: in sich selbst.«Weekendadvisen»Ein wunderschönes Buch über die transformative Sinnlichkeit von Mode.« Katja Eichinger»Ich habe das Gefühl, mich wunderbar unterhalten zu haben und zugleich um einiges klüger geworden zu sein, und das ist doch ein großartiges Kompliment für ein Buch.« Gabriele Haefs»Look ist ein wunderbares Buch, weil es zu behaupten wagt, dass das Zweideutige gar nicht chaotisch ist, sondern vielleicht einfach offener, dynamischer, komplexer.« Informationen
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.12.2022Flirrend jung
Die feinen Nichtigkeiten nicht nur registrieren, sondern sich von ihnen berühren lassen: Luka Holmegaards radikal
subjektiver Essay „Look“ über die fantastischen Möglichkeiten der Mode – und ihre realen Grenzen
VON TANJA REST
Es muss ein Buch über Mode sein, so viel steht fest. Auf dem Cover prangt unter den verschlungenen Titel-Lettern („Look“) eine offene Knopflochleiste, drinnen Nahaufnahmen von Säumen, Nähten, Kragen, Falten. Auf der Rückseite das wohlwollende Zitat einer anderen Autorin, die auch mal ein Buch über Mode geschrieben hat. Über Mode hat man viele Bücher gelesen, die meisten sind einander ähnlich. Sie erzählen entweder die unerhörte Geschichte eines berühmten Designers, eines glanzvollen Couturehauses, oder sie nehmen sich Phänomene der Mode kapitelweise vor. Dieses Buch aber beginnt so: „Am 4. Januar 2016 treffe ich in der Schule ein, in der ich wohnen und arbeiten werde. Ich schreibe in mein Tagebuch: Über die anderen hier kann ich nicht sagen, dass sie so oder so sind. Ich selbst trage Schwarz, Marineblau und Pflaumenblau, meine Haut ist trocken.“ Das ist eine Überraschung und außerdem sonderbar. Also toll.
Über das Ich erfährt man auf den folgenden 170 Seiten, dass es „nicht ganz dreißig“ ist, eine Trennung hinter sich hat und Ida heißt – wie die Autorin, bevor sie sich in Luka umbenannte. Ida lebt in Dänemark und arbeitet mal als Lehrerin, mal als Autorin oder gar nicht, je nachdem, was ihre Stresserkrankung gerade zulässt. Je nachdem, was auch die Verwirrung über ihr Geschlecht gerade zulässt. Sie schreibt: „Ich weiß nicht, ob ich im verkehrten Körper auf die Welt gekommen bin, ich weiß nicht, ob ich im richtigen Körper auf die Welt gekommen bin, welcher Körper sollte mein verkehrter, welcher mein richtiger sein.“ Je nach Lesart weiß man am Ende des Buches nicht viel mehr über Ida. Oder einfach alles, was wichtig ist. Erzählt, wenn man es denn so nennen will, wird diese Geschichte in scheinbar zusammenhanglosen Fragmenten wie flüchtig hingeworfene Notizen und Momentaufnahmen. Eine Ordnung ist nicht erkennbar, wohl gar nicht intendiert. Aber nach und nach – und da sind wir jetzt doch bei der Mode – verbinden sich die Erzählstränge zu einem fragilen Bedeutungsgeflecht, so, wie hauchfeine Fäden in einem Stück Seide zusammenfinden. Die Technik des hier vorliegenden Textes, sie entspricht haargenau der Technik des Webens.
Stoffe, Schnitte, „Looks“ spielen eine wichtige Rolle für Ida: Sie stehen für all die Variationen ihrer selbst, sie beschreiben auch die anderen. Da ist der cremefarbene Max-Mara-Mantel, der eine Zeit lang Halt gibt und dann nicht mehr: „Ich möchte in dem Mantel verschwinden, sodass nur er übrig bleibt.“ Da ist das Herrenhemd, das sie beim Schreiben trägt: „Die Knöpfe sitzen auf der rechten Seite, damit die Hand bequem zur Brust greifen und eine Waffe ziehen kann.“ Der verlorene Liebhaber ist ihr in Gestalt einer Jacke in Erinnerung: „Eine dunkelgrüne englische Wachsjacke. Halblang, sie reicht bis zum Oberschenkel. Aus einer Art beschichtetem oder zumindest teilweise wasserabweisendem Stoff, und ziemlich abgetragen, an den Ärmelöffnungen speckig. Solch eine Jacke hat er, in den ich verliebt bin.“ Wer hätte nicht einmal ein Kleidungsstück fest in den Arm genommen und seinen Duft geatmet, nachdem der Mensch, der es einst trug, gestorben oder fortgegangen ist?
Lose eingestreut dazwischen: die Hoch- und Populärkultur. „Die Leiden des jungen Werther“, „Der Fänger im Roggen“, „American Gigolo“ mit Richard Gere im Armani-Anzug, die Casting-Show „Ru Paul’s Drag Race“ und immer wieder, natürlich, „Orlando“ – der Roman von Virginia Woolf genauso wie die Verfilmung mit Tilda Swinton. Was hat das Personal all dieser Werke von sich preisgegeben über die Kleidung, was verhüllt? Wo exakt haben sie mittels Stoff, Schnitt und Look ihr Geschlecht verortet, und war es das tatsächliche Geschlecht oder nur Maskerade, für die Blicke der anderen zurechtgeschneidert? Das wäre potenzieller Stoff für Proseminare in Fashion oder Gender Studies. Luka Holmegaard aber erzählt das radikal subjektiv. Ihr Blick bleibt an noch so kleinen, scheinbar banalen Details hängen, den abgerundeten Nähten eines Sechzigerjahre-Mantels, der Schleife an einem Rückenausschnitt, weißen Flecken auf welkenden Rosenblättern. Und obwohl es kein frohes Buch ist: Dass hier jemand schreibt, der alle diese feinen Nichtigkeiten nicht nur registriert, sondern sich berühren lässt von ihnen, das hat etwas Tröstliches.
Die besten Texte über Mode – zuletzt etwa Elke Heidenreichs „Männer in Kamelhaarmänteln“ oder Katja Eichingers „Mode und andere Neurosen“ – handeln immer von Menschen. Weshalb auch die zuletzt so gefeierten Mode-Ausstellungen nur begrenzt funktionieren, weil die Kleider dort an Puppen hängen, leblos wie erfroren. Als stehe ihre Bedeutung bis in alle Ewigkeit fest. Ein Kleid, von zwei lebenden Menschen getragen, wird aber unweigerlich zu zwei Kleidern, das gerade ist das Spannende. Mode ist nicht verallgemeinerbar, genauso wenig ist es das Geschlecht: Es passt nicht allen gleichermaßen gut. Es muss auch nicht. Wie könne man das in einer Kultur, die von abschließenden Lösungen besessen ist, bloß begreiflich machen, fragt Luka Holmegaard. „Dass das, was wie die Unordnung anderer Menschen aussieht, nicht etwas zu sein braucht, was überwunden und aufgeräumt werden muss?“
Anders gesagt: „Look“, das in Dänemark ein überraschender Erfolg war, ist ein anstrengendes Buch. Unsortiert, hemmungslos empfindsam, flirrend jung. Es ist ein verzweifeltes Ringen um Halt, Haltung, Ordnung, dessen Scheitern hier ausgestellt wird. Und obwohl man es nicht im strengen Sinn als „Mode-Buch“ bezeichnen möchte, so finden sich darin doch einige zeitlose Wahrheiten über die fantastischen Möglichkeiten und realen Grenzen von Mode. „Was weiß man über einen Menschen, indem man seine Kleidung, seinen Look liest? Mein spontaner Gedanke: immer etwas und immer weniger als zunächst angenommen.“ Wie schön.
„Welcher Körper sollte
mein verkehrter, welcher
mein richtiger sein.“
Luka Holmegaard:
Look. Aus dem
Dänischen von
André Wilkening.
Weissbooks,
Berlin 2022.
176 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Die feinen Nichtigkeiten nicht nur registrieren, sondern sich von ihnen berühren lassen: Luka Holmegaards radikal
subjektiver Essay „Look“ über die fantastischen Möglichkeiten der Mode – und ihre realen Grenzen
VON TANJA REST
Es muss ein Buch über Mode sein, so viel steht fest. Auf dem Cover prangt unter den verschlungenen Titel-Lettern („Look“) eine offene Knopflochleiste, drinnen Nahaufnahmen von Säumen, Nähten, Kragen, Falten. Auf der Rückseite das wohlwollende Zitat einer anderen Autorin, die auch mal ein Buch über Mode geschrieben hat. Über Mode hat man viele Bücher gelesen, die meisten sind einander ähnlich. Sie erzählen entweder die unerhörte Geschichte eines berühmten Designers, eines glanzvollen Couturehauses, oder sie nehmen sich Phänomene der Mode kapitelweise vor. Dieses Buch aber beginnt so: „Am 4. Januar 2016 treffe ich in der Schule ein, in der ich wohnen und arbeiten werde. Ich schreibe in mein Tagebuch: Über die anderen hier kann ich nicht sagen, dass sie so oder so sind. Ich selbst trage Schwarz, Marineblau und Pflaumenblau, meine Haut ist trocken.“ Das ist eine Überraschung und außerdem sonderbar. Also toll.
Über das Ich erfährt man auf den folgenden 170 Seiten, dass es „nicht ganz dreißig“ ist, eine Trennung hinter sich hat und Ida heißt – wie die Autorin, bevor sie sich in Luka umbenannte. Ida lebt in Dänemark und arbeitet mal als Lehrerin, mal als Autorin oder gar nicht, je nachdem, was ihre Stresserkrankung gerade zulässt. Je nachdem, was auch die Verwirrung über ihr Geschlecht gerade zulässt. Sie schreibt: „Ich weiß nicht, ob ich im verkehrten Körper auf die Welt gekommen bin, ich weiß nicht, ob ich im richtigen Körper auf die Welt gekommen bin, welcher Körper sollte mein verkehrter, welcher mein richtiger sein.“ Je nach Lesart weiß man am Ende des Buches nicht viel mehr über Ida. Oder einfach alles, was wichtig ist. Erzählt, wenn man es denn so nennen will, wird diese Geschichte in scheinbar zusammenhanglosen Fragmenten wie flüchtig hingeworfene Notizen und Momentaufnahmen. Eine Ordnung ist nicht erkennbar, wohl gar nicht intendiert. Aber nach und nach – und da sind wir jetzt doch bei der Mode – verbinden sich die Erzählstränge zu einem fragilen Bedeutungsgeflecht, so, wie hauchfeine Fäden in einem Stück Seide zusammenfinden. Die Technik des hier vorliegenden Textes, sie entspricht haargenau der Technik des Webens.
Stoffe, Schnitte, „Looks“ spielen eine wichtige Rolle für Ida: Sie stehen für all die Variationen ihrer selbst, sie beschreiben auch die anderen. Da ist der cremefarbene Max-Mara-Mantel, der eine Zeit lang Halt gibt und dann nicht mehr: „Ich möchte in dem Mantel verschwinden, sodass nur er übrig bleibt.“ Da ist das Herrenhemd, das sie beim Schreiben trägt: „Die Knöpfe sitzen auf der rechten Seite, damit die Hand bequem zur Brust greifen und eine Waffe ziehen kann.“ Der verlorene Liebhaber ist ihr in Gestalt einer Jacke in Erinnerung: „Eine dunkelgrüne englische Wachsjacke. Halblang, sie reicht bis zum Oberschenkel. Aus einer Art beschichtetem oder zumindest teilweise wasserabweisendem Stoff, und ziemlich abgetragen, an den Ärmelöffnungen speckig. Solch eine Jacke hat er, in den ich verliebt bin.“ Wer hätte nicht einmal ein Kleidungsstück fest in den Arm genommen und seinen Duft geatmet, nachdem der Mensch, der es einst trug, gestorben oder fortgegangen ist?
Lose eingestreut dazwischen: die Hoch- und Populärkultur. „Die Leiden des jungen Werther“, „Der Fänger im Roggen“, „American Gigolo“ mit Richard Gere im Armani-Anzug, die Casting-Show „Ru Paul’s Drag Race“ und immer wieder, natürlich, „Orlando“ – der Roman von Virginia Woolf genauso wie die Verfilmung mit Tilda Swinton. Was hat das Personal all dieser Werke von sich preisgegeben über die Kleidung, was verhüllt? Wo exakt haben sie mittels Stoff, Schnitt und Look ihr Geschlecht verortet, und war es das tatsächliche Geschlecht oder nur Maskerade, für die Blicke der anderen zurechtgeschneidert? Das wäre potenzieller Stoff für Proseminare in Fashion oder Gender Studies. Luka Holmegaard aber erzählt das radikal subjektiv. Ihr Blick bleibt an noch so kleinen, scheinbar banalen Details hängen, den abgerundeten Nähten eines Sechzigerjahre-Mantels, der Schleife an einem Rückenausschnitt, weißen Flecken auf welkenden Rosenblättern. Und obwohl es kein frohes Buch ist: Dass hier jemand schreibt, der alle diese feinen Nichtigkeiten nicht nur registriert, sondern sich berühren lässt von ihnen, das hat etwas Tröstliches.
Die besten Texte über Mode – zuletzt etwa Elke Heidenreichs „Männer in Kamelhaarmänteln“ oder Katja Eichingers „Mode und andere Neurosen“ – handeln immer von Menschen. Weshalb auch die zuletzt so gefeierten Mode-Ausstellungen nur begrenzt funktionieren, weil die Kleider dort an Puppen hängen, leblos wie erfroren. Als stehe ihre Bedeutung bis in alle Ewigkeit fest. Ein Kleid, von zwei lebenden Menschen getragen, wird aber unweigerlich zu zwei Kleidern, das gerade ist das Spannende. Mode ist nicht verallgemeinerbar, genauso wenig ist es das Geschlecht: Es passt nicht allen gleichermaßen gut. Es muss auch nicht. Wie könne man das in einer Kultur, die von abschließenden Lösungen besessen ist, bloß begreiflich machen, fragt Luka Holmegaard. „Dass das, was wie die Unordnung anderer Menschen aussieht, nicht etwas zu sein braucht, was überwunden und aufgeräumt werden muss?“
Anders gesagt: „Look“, das in Dänemark ein überraschender Erfolg war, ist ein anstrengendes Buch. Unsortiert, hemmungslos empfindsam, flirrend jung. Es ist ein verzweifeltes Ringen um Halt, Haltung, Ordnung, dessen Scheitern hier ausgestellt wird. Und obwohl man es nicht im strengen Sinn als „Mode-Buch“ bezeichnen möchte, so finden sich darin doch einige zeitlose Wahrheiten über die fantastischen Möglichkeiten und realen Grenzen von Mode. „Was weiß man über einen Menschen, indem man seine Kleidung, seinen Look liest? Mein spontaner Gedanke: immer etwas und immer weniger als zunächst angenommen.“ Wie schön.
„Welcher Körper sollte
mein verkehrter, welcher
mein richtiger sein.“
Luka Holmegaard:
Look. Aus dem
Dänischen von
André Wilkening.
Weissbooks,
Berlin 2022.
176 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Unter dem Pseudonym Ida veröffentlichte die Dänin Luka Holmegaard bereits zwei Romane, nun ist Ida die Hauptfigur ihres aktuellen Buches, das Rezensentin Verena Lueken so recht keinem Genre zuordnen kann. Zum Teil erscheint ihr der Text wie ein autofiktionaler, sehr persönlicher Bericht, in dem ihr die non-binäre Ida vom erschöpfenden Lehreralltag, Gesichtsverlust, Einsamkeit und Liebesleid erzählt. Dann wieder liest Lueken einen zwischen Nüchternheit und Erzähllust mäandernden Essay über Mode, Körper und Verwandlung, in dem sie die Stofflichkeit verschiedener Materialien nicht zuletzt dank zahlreicher Abbildungen nachvollziehen kann. Und schließlich ist der Text eine "Suchbewegung", in dem Holmegaard über Gedichte von Emily Dickinson, überJ.D. Salinger, Roland Barthes, Maggie Nelson oder Ann Carson nachdenkt, informiert die Kritikerin. Vor allem aber ist "Look" ein wahres "Erzählkunstwerk", schließt Lueken.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.01.2023Bestrickend queer
Schaut, wie locker ist diese Kombination
aus Selbsterfindung
und Mode: Luka
Holmegaards "Look"
ist ein Erzählkunstwerk.
Kleider, zugeschnitten, um die Körper wunschgemäß zu modulieren, die sie bedecken, "formen unsere Herzen, unsere Hirne, unsere Zungen, wie es ihnen gefällt". So schrieb Virginia Woolf 1928 in ihrem Roman "Orlando", und diese Sätze stellt Luka Holmegaard dem Buch "Look" voran, das als Gattungsbezeichnung (oder Untertitel?) "Lesarten" trägt. Wir haben es also, obwohl die Sache wie eine Erzählung, ein Roman vielleicht, beginnt, mit einer anderen Sorte Text zu tun. Es passt zu diesem Buch, dass sich diese Sorte nicht eindeutig benennen lässt. Sie nimmt vielmehr eine Zwischenposition ein zwischen all den anderen Sorten, denen der Text seitenweise nahekommt - einem autofiktionalen Bericht, der außerordentlich persönlich wird, einer Liebesgeschichte, die zart und unbestimmt bleibt, und einem mal nüchternen, mal leidenschaftlichen erzählerischen Essay über Kleidung und darüber, was sie mit dem Geschlecht zu tun hat, mit Selbstfindung jenseits traditioneller Unterscheidungen, mit Arbeit, mit der Sprache und dem Schreiben, und auch mit Erschöpfung.
Denn die Person mit Namen Ida, die hier erzählt und die sich zunehmend jenseits binärer Geschlechterkategorien verortet, ist zunächst vor allem dies: erschöpft. Von der Arbeit in einem Lehrerkollegium, die auf Selbstausbeutung beruht. Von gemischten Gefühlen einem Mann in einer gewachsten Barbourjacke gegenüber. Von der Erfahrung, "immer wieder das Gesicht zu verlieren". Erschöpft möglicherweise auch davon, Gedanken in Sätzen zu formulieren wie diesem: "Sich anzuziehen bedeutet immer, sich mit der Arbeit anderer anzuziehen. Mit der Zeit anderer."
Ida war auch der Name, unter dem Luka Holmegaard zwei vorangegangene Romane, "EMMA, EMMA" aus dem Jahr 2015 und "Graceland" von 2017, veröffentlicht hatte. "Look" ist also auch eine Art Coming-out ohne große Ansage, ohne nach außen getragenes Drama, leise, aber bestimmt. Wobei es durchaus - wie das "Orlando"-Motto, das zum Motiv wird, nahelegt - um eine Verwandlung geht: um die Verwandlung von Materialien in Textilien, von Körpern durch Kleidung, von Kleidung durch diejenigen, die sie tragen.
"Look" beschreibt eine Suchbewegung, es wird viel gelaufen und nachgedacht über andere Texte, über Gedichte von Emily Dickinson, über den "Fänger im Roggen", über Roland Barthes, Deborah Levy, über Maggie Nelson und Ann Carson, was teilweise naheliegend ist, teilweise nicht so sehr. Orte werden gewechselt, Museen besucht, und dazwischen stehen immer wieder einmal meist doppelseitige Abbildungen von Stofffetzen, Kleidungsfragmenten, ein Revers schräg versetzt neben einer Brusttasche etwa, ein Stück Strick, dessen genaue Position an einem Pullover, einer Jacke nicht auszumachen ist, ein vergrößertes Stück Kunstleder. Es sind Illustrationen, die nichts illustrieren, sondern manchmal wie in einem Musikstück eine Markierung setzen, eine Pause etwa, ein Dacapo, eine Verlangsamung, andere Male funktionieren wie in einem Quilt die Nähte, zwischen Gedanken und Beobachtungen und den Gefühlen, die mit ihnen einhergehen.
An einer Stelle zitiert Luka Holmegaard, was Ann Carson über Ovid im Exil (in "Irdischer Durst") schrieb, der sich "in Trauer wie in ein Gewand" hüllte, Nacht für Nacht. Holmegaard interpretiert das so: "Die Traurigkeit anzuziehen, bedeutet auch, sie sichtbar zu machen und sie gleichzeitig zu spüren. Die Traurigkeit wie ein Kleidungsstück anzuziehen bedeutet, ihr eine Form und Möglichkeit zu geben, regelmäßig zu werden. Es geht weniger darum, traurig sein zu wollen, als darum, die große Traurigkeit des Exils zu gestalten, einzudämmen und sichtbar zu machen. Trauer wird zu einem Stoff gewebt und jeden Tag übergestreift, damit sie nicht alles überflutet." Auf diese Überlegungen folgt eine Doppelseite mit der Abbildung breiter Plissées, deren Regelmäßigkeit gestört ist durch den runden Abdruck möglicherweise eines Ellbogens oder eines Knies.
Dies ist also kein Buch über Mode. Vermutlich ist deshalb der Titel unübersetzt geblieben. Denn welches deutsche Wort könnte umfassen, was "Look" alles bedeuten kann? "Stil" wäre zu eng gefasst; "Sehen" oder "Schau her" träfen es nicht, "Aussehen" auch nicht, und doch ist all dies in dem Titel enthalten, der dem Text wie ein lockeres und doch konturierendes Stück Stoff übergeworfen wurde, was heißen soll: Der Text entfaltet sich im Bedeutungsraum des Titels; er beschreibt sowohl die Funktion eines weißen Angorapullis als Teil einer Uniform, was einigermaßen überraschend ist, als auch die Qualitäten bestimmter Modemarken (Batsheva Hay tritt wiederholt auf), erzählt von Ausstellungsbesuchen etwa einer Anni-Albers-Schau, in der er Verbindendes zwischen dem Fadenlauf und der Struktur von Sätzen findet, und tröpfelt langsam aus in einem heißen Sommer mit der Beschreibung eines rostroten Sommerkleids und dem Ausprobieren verschiedener neuer Pronomen. "Ida, xier schläft gern und entspannt sich." Oder: "Ida, hen schreibt ein paar wirklich . . . kurze Bücher." Der da spricht, ist Kasper, Idas Freund.
Helfen Kleider gegen die Einsamkeit? Luka Holmegaard stellt die Frage nicht explizit. Doch aus den Absätzen, in denen er über Idas Familie, die Mutter, die Großmutter schreibt, über ihre Kleider, darüber, wie sie nähten und dann gut angezogen in tadellosen Wohnzimmern standen, gerüstet für die Welt, aber nie Teil von ihr - in diesen Passagen liegt eine abgrundtiefe Verlassenheit dieser Frauen und ihrer Töchter.
So scheint die Einsamkeit den Text zu durchziehen wie die andere große Frage, die tatsächlich gestellt wird: Was könnte ein Zuhause sein? Eine Wohnung in London mit einem Mitbewohner, der Tortillas kocht, und einem Garten, in dem Rhabarber, Kartoffeln, Tomaten, Zwiebeln und verschiedene Kräuter wachsen? Oder ein Anzug mit Weste und Einstecktuch aus dem Secondhand-Laden? Am ehesten vielleicht ein Bademantel aus dunkelblauem Fleece, getragen über der Tageskleidung am Schreibtisch. Er kommt auch dem Raumklima entgegen, wenn es zu teuer ist, richtig zu heizen. VERENA LUEKEN
Luka Holmegaard:
"Look". Lesarten.
Aus dem Dänischen von André Wilkening.
Weissbooks, Berlin 2022. 174 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schaut, wie locker ist diese Kombination
aus Selbsterfindung
und Mode: Luka
Holmegaards "Look"
ist ein Erzählkunstwerk.
Kleider, zugeschnitten, um die Körper wunschgemäß zu modulieren, die sie bedecken, "formen unsere Herzen, unsere Hirne, unsere Zungen, wie es ihnen gefällt". So schrieb Virginia Woolf 1928 in ihrem Roman "Orlando", und diese Sätze stellt Luka Holmegaard dem Buch "Look" voran, das als Gattungsbezeichnung (oder Untertitel?) "Lesarten" trägt. Wir haben es also, obwohl die Sache wie eine Erzählung, ein Roman vielleicht, beginnt, mit einer anderen Sorte Text zu tun. Es passt zu diesem Buch, dass sich diese Sorte nicht eindeutig benennen lässt. Sie nimmt vielmehr eine Zwischenposition ein zwischen all den anderen Sorten, denen der Text seitenweise nahekommt - einem autofiktionalen Bericht, der außerordentlich persönlich wird, einer Liebesgeschichte, die zart und unbestimmt bleibt, und einem mal nüchternen, mal leidenschaftlichen erzählerischen Essay über Kleidung und darüber, was sie mit dem Geschlecht zu tun hat, mit Selbstfindung jenseits traditioneller Unterscheidungen, mit Arbeit, mit der Sprache und dem Schreiben, und auch mit Erschöpfung.
Denn die Person mit Namen Ida, die hier erzählt und die sich zunehmend jenseits binärer Geschlechterkategorien verortet, ist zunächst vor allem dies: erschöpft. Von der Arbeit in einem Lehrerkollegium, die auf Selbstausbeutung beruht. Von gemischten Gefühlen einem Mann in einer gewachsten Barbourjacke gegenüber. Von der Erfahrung, "immer wieder das Gesicht zu verlieren". Erschöpft möglicherweise auch davon, Gedanken in Sätzen zu formulieren wie diesem: "Sich anzuziehen bedeutet immer, sich mit der Arbeit anderer anzuziehen. Mit der Zeit anderer."
Ida war auch der Name, unter dem Luka Holmegaard zwei vorangegangene Romane, "EMMA, EMMA" aus dem Jahr 2015 und "Graceland" von 2017, veröffentlicht hatte. "Look" ist also auch eine Art Coming-out ohne große Ansage, ohne nach außen getragenes Drama, leise, aber bestimmt. Wobei es durchaus - wie das "Orlando"-Motto, das zum Motiv wird, nahelegt - um eine Verwandlung geht: um die Verwandlung von Materialien in Textilien, von Körpern durch Kleidung, von Kleidung durch diejenigen, die sie tragen.
"Look" beschreibt eine Suchbewegung, es wird viel gelaufen und nachgedacht über andere Texte, über Gedichte von Emily Dickinson, über den "Fänger im Roggen", über Roland Barthes, Deborah Levy, über Maggie Nelson und Ann Carson, was teilweise naheliegend ist, teilweise nicht so sehr. Orte werden gewechselt, Museen besucht, und dazwischen stehen immer wieder einmal meist doppelseitige Abbildungen von Stofffetzen, Kleidungsfragmenten, ein Revers schräg versetzt neben einer Brusttasche etwa, ein Stück Strick, dessen genaue Position an einem Pullover, einer Jacke nicht auszumachen ist, ein vergrößertes Stück Kunstleder. Es sind Illustrationen, die nichts illustrieren, sondern manchmal wie in einem Musikstück eine Markierung setzen, eine Pause etwa, ein Dacapo, eine Verlangsamung, andere Male funktionieren wie in einem Quilt die Nähte, zwischen Gedanken und Beobachtungen und den Gefühlen, die mit ihnen einhergehen.
An einer Stelle zitiert Luka Holmegaard, was Ann Carson über Ovid im Exil (in "Irdischer Durst") schrieb, der sich "in Trauer wie in ein Gewand" hüllte, Nacht für Nacht. Holmegaard interpretiert das so: "Die Traurigkeit anzuziehen, bedeutet auch, sie sichtbar zu machen und sie gleichzeitig zu spüren. Die Traurigkeit wie ein Kleidungsstück anzuziehen bedeutet, ihr eine Form und Möglichkeit zu geben, regelmäßig zu werden. Es geht weniger darum, traurig sein zu wollen, als darum, die große Traurigkeit des Exils zu gestalten, einzudämmen und sichtbar zu machen. Trauer wird zu einem Stoff gewebt und jeden Tag übergestreift, damit sie nicht alles überflutet." Auf diese Überlegungen folgt eine Doppelseite mit der Abbildung breiter Plissées, deren Regelmäßigkeit gestört ist durch den runden Abdruck möglicherweise eines Ellbogens oder eines Knies.
Dies ist also kein Buch über Mode. Vermutlich ist deshalb der Titel unübersetzt geblieben. Denn welches deutsche Wort könnte umfassen, was "Look" alles bedeuten kann? "Stil" wäre zu eng gefasst; "Sehen" oder "Schau her" träfen es nicht, "Aussehen" auch nicht, und doch ist all dies in dem Titel enthalten, der dem Text wie ein lockeres und doch konturierendes Stück Stoff übergeworfen wurde, was heißen soll: Der Text entfaltet sich im Bedeutungsraum des Titels; er beschreibt sowohl die Funktion eines weißen Angorapullis als Teil einer Uniform, was einigermaßen überraschend ist, als auch die Qualitäten bestimmter Modemarken (Batsheva Hay tritt wiederholt auf), erzählt von Ausstellungsbesuchen etwa einer Anni-Albers-Schau, in der er Verbindendes zwischen dem Fadenlauf und der Struktur von Sätzen findet, und tröpfelt langsam aus in einem heißen Sommer mit der Beschreibung eines rostroten Sommerkleids und dem Ausprobieren verschiedener neuer Pronomen. "Ida, xier schläft gern und entspannt sich." Oder: "Ida, hen schreibt ein paar wirklich . . . kurze Bücher." Der da spricht, ist Kasper, Idas Freund.
Helfen Kleider gegen die Einsamkeit? Luka Holmegaard stellt die Frage nicht explizit. Doch aus den Absätzen, in denen er über Idas Familie, die Mutter, die Großmutter schreibt, über ihre Kleider, darüber, wie sie nähten und dann gut angezogen in tadellosen Wohnzimmern standen, gerüstet für die Welt, aber nie Teil von ihr - in diesen Passagen liegt eine abgrundtiefe Verlassenheit dieser Frauen und ihrer Töchter.
So scheint die Einsamkeit den Text zu durchziehen wie die andere große Frage, die tatsächlich gestellt wird: Was könnte ein Zuhause sein? Eine Wohnung in London mit einem Mitbewohner, der Tortillas kocht, und einem Garten, in dem Rhabarber, Kartoffeln, Tomaten, Zwiebeln und verschiedene Kräuter wachsen? Oder ein Anzug mit Weste und Einstecktuch aus dem Secondhand-Laden? Am ehesten vielleicht ein Bademantel aus dunkelblauem Fleece, getragen über der Tageskleidung am Schreibtisch. Er kommt auch dem Raumklima entgegen, wenn es zu teuer ist, richtig zu heizen. VERENA LUEKEN
Luka Holmegaard:
"Look". Lesarten.
Aus dem Dänischen von André Wilkening.
Weissbooks, Berlin 2022. 174 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main