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Ein labyrinthartiges Hotel in Osteuropa, ein Seiltänzerpärchen, ein deutscher Geschäftsmann namens Feuchtmaier, ein Kind und eine Handvoll weiterer bizarrer Charaktere, die sich alle äußerst sonderbar verhalten; dazu ein rätselhafter Erzähler in seinem hilflosen Bemühen, ihre Geschichte in den Griff zu bekommen - das ist das Personal, das wie Marionetten an unsichtbaren Fäden auf einer Bühne schwebt.Alles in diesem Erzählkosmos gerät außer Kontrolle, die Figuren führen ein bedrohliches Eigenleben, sie verwandeln und verdoppeln sich, tauchen an anderen Orten, zu anderen Zeiten wieder auf,…mehr

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Produktbeschreibung
Ein labyrinthartiges Hotel in Osteuropa, ein Seiltänzerpärchen, ein deutscher Geschäftsmann namens Feuchtmaier, ein Kind und eine Handvoll weiterer bizarrer Charaktere, die sich alle äußerst sonderbar verhalten; dazu ein rätselhafter Erzähler in seinem hilflosen Bemühen, ihre Geschichte in den Griff zu bekommen - das ist das Personal, das wie Marionetten an unsichtbaren Fäden auf einer Bühne schwebt.Alles in diesem Erzählkosmos gerät außer Kontrolle, die Figuren führen ein bedrohliches Eigenleben, sie verwandeln und verdoppeln sich, tauchen an anderen Orten, zu anderen Zeiten wieder auf, beginnen ihre eigenen Geschichten zu erfinden, und selbst der Puppenspieler, der Erzähler, scheint von einer unbekannten Macht gesteuert zu sein.Magdalena Tulli schreibt von einer tiefen, dem Menschen innewohnenden Traurigkeit, seiner Verlorenheit in einer Welt zwischen Tradition und Moderne, der durch herkömmliches Erzählen nicht beizukommen ist, und schickt uns zugleich auf eine phantastische Reise durch die letzten hundert Jahre der europäischen Geschichte.
Autorenporträt
Magdalena Tulli, geboren 1955, lebt als freie Autorin und Übersetzerin aus dem Italienischen in Warschau. Sie gehört zu den bedeutendsten Schriftstellern der polnischen Gegenwartsliteratur. Auf Deutsch sind bislang zwei Romane erschienen; Träume und Steine (1997) und In Rot (2000) Esther Kinsky arbeitet seit 1988 als literarische Übersetzerin aus dem Polnischen, Russischen und Englischen. Sie lebt in Battonya, Ungarn.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.06.2009

Schweigen geht auch nicht

Das literarische Chaos ist perfekt: Die polnische Autorin Magdalena Tulli hat mit "Getriebe" einen sehr verrätselten Antiroman geschrieben.

Sie gilt als literarische Einzelgängerin, publiziert selten, hat einen Stil, der sich mit dem Wort "Lesevergnügen" nur bedingt umschreiben lässt, und doch wird sie für jede schriftstellerische Tat wie kaum eine andere polnische Autorin gefeiert: Magdalena Tulli, von der Kritik gern als Meisterin der phantasmagorischen Prosa respektive des magischen Realismus apostrophiert. Die 53 Jahre alte promovierte Biologin, die einen Teil ihrer Kindheit in Mailand verbrachte und heute als freie Schriftstellerin und Übersetzerin in Warschau lebt, gab ihr Debüt 1995 mit "Steine und Träume", das in Deutschland 1998 erschien. In der Erzählung zeigte sie erstmals ihre Vorliebe für literarische Chiffren und Rätsel. Sie zeichnete darin eine Stadt, die sich sowohl als Warschau in einem bestimmten historischen Moment als auch als die Stadt im Allgemeinen interpretieren ließ. Und in dem 1998 im Original und 2000 auf Deutsch erschienenen Roman "In Rot" führte sie Figuren vor, die diverse Höhepunkte der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts personifizierten und so den immer gleichen Handlungsort zu deren eindrucksvoller Metapher machten.

Eine weitere symbolische Bilderwelt entwirft Magdalena Tulli in "Getriebe", das mit den früheren Büchern sowohl die traumartige Beschaffenheit der Erzählmaterie, die poetische Sprache und der Hang zu einer dezenten, doch stets spürbaren Ironie als auch die vielen Möglichkeiten der Gattungszuordnung und der Interpretation verbindet. Ist es ein Roman? Ein Essay? Handelt es von der Krise des postmodernen Romans? Von der Unerfüllbarkeit des Wunsches, für die Welt eine adäquate Erzählform zu finden? Von der Undurchsichtigkeit dieser Welt und Sinnlosigkeit unserer Existenz? "Welten erschaffen! Nichts ist leichter als das. Angeblich werden sie aus dem Ärmel geschüttelt." Wie ironisch die ersten Sätze des Romans gemeint sind, begreift der Leser insofern schnell, als Tulli sofort dazu übergeht, seine Illusionen bezüglich der demiurgischen Möglichkeiten eines Autors zu zerstören: Sie konstruiert eine Handlung, die nur der Ansatz einer Handlung bleibt, entwirft Situationen, die einen hypothetischen Charakter haben, erfindet Figuren, die ein eigenes Leben führen.

Was dieses literarische Chaos perfekt macht, ist die Situation des Erzählers, der denselben Gesetzen zu unterliegen scheint wie seine literarischen Kreationen: Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als die ihm zugeschriebene Rolle zu spielen. Er wird schon "beim bloßen Gedanken an den nächsten Satz müde", würde am liebsten weggehen und die Handlung ihrem Schicksal überlassen, doch er kann es nicht: Seine Rolle besteht ja darin, sie zu erzählen. Also wandert er durch die labyrinthartigen Korridore des alten Hotels, in dem er wohnt, und versucht, die Erzählung in Gang zu bringen. Er erfindet eine Figur nach der anderen, da ein Seiltänzerpaar, dort ein Kind, dann wiederum einen deutschen Geschäftsmann, setzt sich selbst in Szene, um besser die Kontrolle über alles zu behalten. Doch die Geschichten, die er erzählt, wollen sich schon deshalb zu keinem logischen Ganzen zusammenfügen, weil sie immer wieder von ihm, dem Lustlosen, unterbrochen und in Frage gestellt werden. Denn wozu erzählt er sie eigentlich? "Um das Auge mit ihrem Schillern zu erfreuen, wenn sie zitternd wie Seifenblasen aufsteigen?" Er weiß doch, noch "während sie emporsteigen, sind sie schon so gut wie versunken".

Ein Buch über die schöpferischen Qualen eines Schriftstellers also? Nicht ganz. Es geht wohl vielmehr um die Unzulänglichkeit der Sprache und die Übersetzbarkeit der Welt im Allgemeinen. Sie zu erzählen, in welcher Form auch immer, bedeutet laut Magdalena Tulli, sich in das "Getriebe" der Sprache hineinzwängen zu lassen, obwohl man weiß, dass diese unfähig ist, die Welt treu wiederzugeben, weil sie selbst ein Teil dieser Welt ist. Nicht zufällig lässt sie die Erzählräume nahtlos in reale Räume übergehen. Die Handlung verzweigt sich "in alle Richtungen, die Korridore, die das Foyer kreuzen, scheinen keine Enden zu haben, man kann sich ihre unzähligen immer weiteren Verästelungen vorstellen, alle gleichermaßen vollgestopft und nach Desinfektionsmittel riechend".

Schuld an der "Unerzählbarkeit" der Welt ist für Magdalena Tulli auch die Historie, die bewirkt, dass manche Worte von vornherein eine schlechte Konnotation haben, zu sehr mit negativer Bedeutung befrachtet sind. Sobald man etwa die Massenmorde thematisiert, die Judenvernichtung oder die Massaker in Afrika, muss man auf ein bestimmtes Vokabular zurückgreifen, die dem Thema zugeschriebenen Worte und Wendungen gebrauchen. Das macht das ohnehin komplizierte Verhältnis zwischen Realität und Sprache nicht gerade einfacher.

Was also tun? Schweigen? Auch das hält Magdalena Tulli für gefährlich. Sie weiß: "Die Stille ist wie ein grenzenloser Ozean, in dem Welten versinken." Deshalb sollte man sie trotz allem irgendwie benennen, denn die Unzulänglichkeit ist immer noch besser als nichts. Das Schweigen würde nämlich bedeuten, dass uns zusammen mit dem Begreifen der Welt auch die Wahrheit über unser Leben fehlt. In diesem Sinne ist "Getriebe" kein erfreuliches Buch - es führt uns zu deutlich die Nichtigkeit unseres Daseins und den Mangel an dessen metaphysischem Sinn vor Augen. Doch zugleich hat es etwas Tröstliches an sich: Man weiß genauso wenig die Antwort auf die Frage nach der Bedeutung des Lebens wie auf die, warum man schreibt. Doch muss man das eigentlich wissen? Man tut das eine wie das andere - und das ist gut so.

MARTA KIJOWSKA

Magdalena Tulli: "Getriebe". Roman. Aus dem Polnischen von Esther Kinsky. Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2008. 160 S., 18,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nicht unbedingt ein Lesevergnügen, meint Marta Kijowska angesichts von Magdalena Tullis Werk. Doch zum Glück ist das Geschmackssache. Und Kijowska stellt rasch klar, was diesen Roman (oder ist es ein Essay?) dennoch lesenswert macht. Die Unzulänglichkeit des Daseins und des Sagens nämlich hat sie selten derart gut dargestellt (gesagt) gefunden. Tulli, so erklärt die Rezensentin, macht das mit Poesie und Ironie. Und so, dass Erzählräume und reale Räume ununterscheidbar werden, der Erzähler seine eigenen Geschichten anzweifelt und das ohnehin schwierige Verhältnis von Realität und Sprache vollends chaotisch wird. Dass sich das immerhin vermitteln lässt, scheint der Rezensentin Trost zu spenden.

© Perlentaucher Medien GmbH