Ein Buch von radikaler Wahrheit und unvergesslicher Intensität
»Ich möchte dir für immer die Möglichkeit nehmen, nicht zu wissen, wer ich war. Du sollst erfahren, wie es deiner Familie in Deutschland ging, wie der letzte Sommer meiner Jugend war, bevor fast alle meine Freunde verschwunden sind. Du sollst wissen, wie es war, als deine alten Freunde mir auf die Schulter klopften und sagten, ich würde irgendwann werden wie du: Held einer gescheiterten Revolution. Ich werde diese Geschichten aufschreiben.«
Necati Öziri schreibt eine Familiengeschichte über einen Sohn, eine Mutter und eine Schwester, deren Leben und Körper gezeichnet sind von sozialen und politischen Umständen. Und er schreibt über einen abwesenden Vater. Ein Roman von radikaler Wahrheit, Wut, Kraft, Liebe und Sehnsucht.
___ Nominiert für die Shortlist des Deutschen Buchpreises ___
»Was für ein großartiges Gefühlsgewitter!« Sasha Marianna Salzmann
»Für alle, die auch wissen, wie es ist, einen abwesenden Vater endgültig zu verlieren oder an kalten Orten Seelenverwandte zu finden oder bei angehaltenem Atem zwischen Leben und Tod zu schweben, ist Necati Öziris betörendes Debüt ein Triumph.« Sharon Dodua Otoo
»Was für ein schönes, trauriges, humorvolles, intensives, herzzerreißendes und toll erzähltes Buch. Beim Lesen habe ich viel über Männlichkeit nachgedacht und über abwesende Väter. Große Empfehlung!« Linus Giese
»Ich möchte dir für immer die Möglichkeit nehmen, nicht zu wissen, wer ich war. Du sollst erfahren, wie es deiner Familie in Deutschland ging, wie der letzte Sommer meiner Jugend war, bevor fast alle meine Freunde verschwunden sind. Du sollst wissen, wie es war, als deine alten Freunde mir auf die Schulter klopften und sagten, ich würde irgendwann werden wie du: Held einer gescheiterten Revolution. Ich werde diese Geschichten aufschreiben.«
Necati Öziri schreibt eine Familiengeschichte über einen Sohn, eine Mutter und eine Schwester, deren Leben und Körper gezeichnet sind von sozialen und politischen Umständen. Und er schreibt über einen abwesenden Vater. Ein Roman von radikaler Wahrheit, Wut, Kraft, Liebe und Sehnsucht.
___ Nominiert für die Shortlist des Deutschen Buchpreises ___
»Was für ein großartiges Gefühlsgewitter!« Sasha Marianna Salzmann
»Für alle, die auch wissen, wie es ist, einen abwesenden Vater endgültig zu verlieren oder an kalten Orten Seelenverwandte zu finden oder bei angehaltenem Atem zwischen Leben und Tod zu schweben, ist Necati Öziris betörendes Debüt ein Triumph.« Sharon Dodua Otoo
»Was für ein schönes, trauriges, humorvolles, intensives, herzzerreißendes und toll erzähltes Buch. Beim Lesen habe ich viel über Männlichkeit nachgedacht und über abwesende Väter. Große Empfehlung!« Linus Giese
»`Vatermal´ ist Familiengeschichte, Gesellschaftskritik und ein Porträt dieses Landes.« Sieba Abadi Der Spiegel 20231216
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
"Salopp", wie mal eben elegant aus dem Ärmel geschüttelt, so wirkt Necati Öziris "Vatermal" auf Judith von Sternburg - zumindest auf den ersten Blick. Auf den zweiten erkennt die Rezensentin, dass es sich tatsächlich um eine sorgfältig durchdachte Erzählung handelt, die eine bedrückende und "hochdramatische" Geschichte auf erfrischend humorvolle Weise erzählt. In locker lakonischem Ton, mit brillanten Dialogen durchsetzt, berichtet der sterbende Ich-Erzähler Arda aus seinem Leben und dem seiner Familie, die seit dem Verschwinden des Vaters immer weiter auseinanderbricht. Von der Alkoholsucht der Mutter zu lesen, ihrem Versuch, "deutscher als jede Deutsche" zu sein, von seiner Schwester, die sich von ihrer Familie abgewandt hat, von Ardas Ambitionen und vom Fehlen des Vaters, der im Buch vor allem als Leerstelle erscheint, das ist erschütternd und berührend, weil es authentisch ist. Und zwar nicht, da man einige Parallelen zwischen seinem Erzähler und seinem Autor vermuten darf, betont die hingerissene Rezensentin, sondern weil dieser Roman auf wahrhaft Wahrhaftiges erzählt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.07.2023„Ich breche nachts den Stern von euerm Benz“
Muss es immer authentisch sein? In Necati Öziris Romandebüt rechnet der Erzähler mit seinem türkischen Vater ab und führt den Deutschen ihre Erwartungen vor
„In seinen Texten ist natürlich immer alles wahr.“ Wer sich im Klappentext von seinem Verlag so ankündigen lässt, der sendet eine doppelte Botschaft: Zunächst, dass hier jemand Literatur liefert, die garantiert auf eigener Erfahrung beruht. Im Stockwerk darüber jedoch wohnt die Ironie, kenntlich an den übertriebenen Floskeln „natürlich“, „immer“, „alles“, die die gängigen Erwartung an das Authentische unterläuft. Nicht ironisch, sondern als ernstliches Problem präsentiert sich hingegen das „wahr“. Was ist Wahrheit? Für Necati Öziri lautet die Antwort offensichtlich: etwas, das ohne Form nicht zu haben ist.
Öziri ist 1988 im Ruhrgebiet geboren und hat frühzeitig zur Bühne gefunden, als Dramaturg und Stückeschreiber für das Maxim-Gorki-Theater und andere große Häuser. Auch die Geschichte – seine Geschichte –, die er hier erzählt, wurde von ihm schon fürs Theater bearbeitet, in „Get deutsch or die tryin’“. Dass der Titel nunmehr „Vatermal“ lautet, lässt die Chancen und Schwierigkeiten erahnen, die sich ergeben, wenn man einen Stoff von der Bühne in den Roman transponiert. Auf der Bühne agiert ein Mensch als Figur, und alle können ihm dabei zuschauen; im Roman muss, fern vom unmittelbaren Publikum, eine Erzählstimme gefunden werden. Diese Stimme darf sich der Vergangenheit des „Es war einmal“ überlassen, aber sie läuft dabei Gefahr, uferlos und sentimental zu sein. Das titelgebende Vatermal ist eine historische Reminiszenz: das Einzige, was der Ich-Erzähler Arda, der es auf seiner Wange trägt, von seinem abwesenden Vater ererbt und behalten hat.
Um seine Geschichte zu fokussieren, hat der Autor eine Rahmenhandlung gesetzt. Arda liegt im Krankenhaus, im letzten Stadium einer unheilbaren Autoimmunkrankheit. Von hier aus richtet er das Wort an seinen Vater, der die Familie verlassen hat, als sein Sohn und seine Tochter Aylin noch klein waren. Arda weiß nicht, wie er ihn anreden soll. Vater? Baba, wie es türkische Kinder tun? Schließlich entscheidet er sich für den Vornamen, Metin, und damit für die Distanz.
In der Familie ist alles schiefgelaufen, was schieflaufen kann. Metin ist mit seiner Ehefrau Ümran, Ardas Mutter, aus der Türkei nach Deutschland geflohen, nachdem er Blutrache für seinen Bruder genommen hatte, der von politischen Gegnern getötet worden war. Überwältigt von Heimweh, kehrt er in die Türkei zurück, obwohl er weiß, dass am Flughafen die Handschellen klicken werden. Nach der Zeit im Gefängnis gründet er noch mal eine neue Familie in der Türkei, während seine alte Familie in Deutschland im Chaos versinkt.
Ümran kommt morgens ohne die Hilfe ihrer Kinder nicht mehr aus dem Bett, und wenn sie nicht sofort ihre Zigaretten findet, schreit sie die Kinder an. Die Verhältnisse bewirken, dass auch der juristische Status der Familie im Unklaren bleibt und alle miteinander lange, demütigende Tage im Ausländeramt verbringen müssen. Erst spät, unter großen Mühen und nicht ohne Trickserei erhält Arda die Einbürgerungsurkunde. Doch auch dann noch bewegt er sich im sozialen Niemandsland. Für die „Kartoffeln“, die ethnischen Deutschen, bleibt er ein Fremder, den sie verhöhnen und fürchten. Seine Mutter und seine Schwester reden längst kein Wort mehr miteinander und achten darauf, einander nicht zu begegnen, wenn sie Arda im Krankenhaus besuchen.
Was diesem Buch zur Wahrheit verhilft, liegt in seiner Sprache. Die Zeit der „Kanak Sprak“, mit der Feridun Zaimoglu im gleichnamigen Buch von 1995 mit einer deutschtürkischen Kunstsprache Distanz markierte, ist lange vorbei. Zaimoglu selbst hat sich längst davon abgewandt und hat inzwischen in historischen Romanen ein altertümelndes Hyperhochdeutsch benutzt. Öziri hält sich von solchen Versuchen mit Idiomen fern und setzt auf eine nüchterne Standardsprache, die sich gleichwohl auf indirekte Weise für emotionale Kräfte offenhält: „Allerdings ist sie nicht müde, weil es noch so früh ist, sondern weil sie immer müde ist. Ihre dunklen Locken hängen bis in die Margarineschale vor ihr, und sie trägt immer noch das schwarze Minnie-Maus-Shirt, das sie seit letzter Woche nicht mehr ausgezogen hat, nicht mal zum Schlafen.“ Mit diesen zwei Details fängt der Erzähler den mentalen Zustand der Schwester Aylin ein, die vor Erschöpfung und Gleichgültigkeit ihr Haar besudelt und sich verzweifelt an ein infantiles Wunschbild klammert.
In die Margarineschale hängen die Locken übrigens deswegen, weil an Tagen, an denen die Familie aufs Amt muss, immer Massen von Broten geschmiert werden, die dann keiner essen mag: ein unaufdringliches Symbol für die Unsinnigkeit einer ganzen Lebenslage. Aber die entmutigende Öde dieser Vorgänge verleitet den Erzähler nicht zur Rolle des Opfers und Anklägers. Bevor er die Einbürgerungsurkunde bekommt, muss er einen Text von 300 Zeichen Länge schreiben, um seine Deutschkenntnisse nachzuweisen, und liefert das Folgende ab: „Ich werde eure Töchter vögeln, bis sie arabisch sprechen. Ich klaue euren Söhnen die Praktikumsplätze, mache sie drogenabhängig und verkaufe ihre Organe auf dem Basar. Ich breche nachts den Stern von euerm Benz und trage ihn an meiner Halbmondkette. Ich will kein Arzt oder Anwalt werden, ich werde Superstar oder arbeitslos.“
„Sehr witzig“, kommentiert der Sachbearbeiter, der einen Wackeldackel auf dem Schreibtisch stehen hat. Da er außer einem Kommafehler nichts zu bemängeln findet, bleibt ihm nichts übrig, als das Dokument auszustellen. Dem Erzähler aber ist es gelungen, seine Integrationsbereitschaft zugleich unter Beweis zu stellen und zu verweigern und den Widerspruch ironisch abzufedern: Arabisch werden die Töchter bei ihm bestimmt nicht lernen, höchstens Türkisch. Danach ist Arda „officially Kartoffel“.
In seinem Sprachhabitus gelingen dem Buch eine Fülle lebendiger, emotional starker und sogar spannender Szenen, etwa wenn Aylin mit ihrer Freundin im Kaufhaus Klamotten stehlen geht und dabei, wie es heißt, mit dem ganzen Körper lügt, um die Detektive hinters Licht zu führen (klappt leider doch nicht). Doch interessanterweise greift Öziris Sprache nicht, wenn er Türken untereinander Türkisch reden lässt: „Gottchen, seid ihr drei Landeier etwa allein unterwegs?“ Das klingt weder deutsch noch türkisch, sondern eher wie der gereifte Zaimoglu. Aber es lässt sich daran ablesen, dass es so etwas wie eine Gratwanderung eigentlich nicht geben kann. Der Grat ist zu schmal. Öziri steht, auch wenn er das womöglich nicht will, eindeutig auf der Seite der offiziellen Kartoffel.
BURKHARD MÜLLER
Der Sachbearbeiter im
Ausländeramt bescheinigt dann
doch: „officially Kartoffel“
Necati Öziri ist 1988 in Datteln geboren. 2021 las er im Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis.
Foto: Robert Schittko/picture alliance/dpa/LST Kärnten
Necati Öziri:
Vatermal. Roman.
Claassen, Berlin 2023. 304 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Muss es immer authentisch sein? In Necati Öziris Romandebüt rechnet der Erzähler mit seinem türkischen Vater ab und führt den Deutschen ihre Erwartungen vor
„In seinen Texten ist natürlich immer alles wahr.“ Wer sich im Klappentext von seinem Verlag so ankündigen lässt, der sendet eine doppelte Botschaft: Zunächst, dass hier jemand Literatur liefert, die garantiert auf eigener Erfahrung beruht. Im Stockwerk darüber jedoch wohnt die Ironie, kenntlich an den übertriebenen Floskeln „natürlich“, „immer“, „alles“, die die gängigen Erwartung an das Authentische unterläuft. Nicht ironisch, sondern als ernstliches Problem präsentiert sich hingegen das „wahr“. Was ist Wahrheit? Für Necati Öziri lautet die Antwort offensichtlich: etwas, das ohne Form nicht zu haben ist.
Öziri ist 1988 im Ruhrgebiet geboren und hat frühzeitig zur Bühne gefunden, als Dramaturg und Stückeschreiber für das Maxim-Gorki-Theater und andere große Häuser. Auch die Geschichte – seine Geschichte –, die er hier erzählt, wurde von ihm schon fürs Theater bearbeitet, in „Get deutsch or die tryin’“. Dass der Titel nunmehr „Vatermal“ lautet, lässt die Chancen und Schwierigkeiten erahnen, die sich ergeben, wenn man einen Stoff von der Bühne in den Roman transponiert. Auf der Bühne agiert ein Mensch als Figur, und alle können ihm dabei zuschauen; im Roman muss, fern vom unmittelbaren Publikum, eine Erzählstimme gefunden werden. Diese Stimme darf sich der Vergangenheit des „Es war einmal“ überlassen, aber sie läuft dabei Gefahr, uferlos und sentimental zu sein. Das titelgebende Vatermal ist eine historische Reminiszenz: das Einzige, was der Ich-Erzähler Arda, der es auf seiner Wange trägt, von seinem abwesenden Vater ererbt und behalten hat.
Um seine Geschichte zu fokussieren, hat der Autor eine Rahmenhandlung gesetzt. Arda liegt im Krankenhaus, im letzten Stadium einer unheilbaren Autoimmunkrankheit. Von hier aus richtet er das Wort an seinen Vater, der die Familie verlassen hat, als sein Sohn und seine Tochter Aylin noch klein waren. Arda weiß nicht, wie er ihn anreden soll. Vater? Baba, wie es türkische Kinder tun? Schließlich entscheidet er sich für den Vornamen, Metin, und damit für die Distanz.
In der Familie ist alles schiefgelaufen, was schieflaufen kann. Metin ist mit seiner Ehefrau Ümran, Ardas Mutter, aus der Türkei nach Deutschland geflohen, nachdem er Blutrache für seinen Bruder genommen hatte, der von politischen Gegnern getötet worden war. Überwältigt von Heimweh, kehrt er in die Türkei zurück, obwohl er weiß, dass am Flughafen die Handschellen klicken werden. Nach der Zeit im Gefängnis gründet er noch mal eine neue Familie in der Türkei, während seine alte Familie in Deutschland im Chaos versinkt.
Ümran kommt morgens ohne die Hilfe ihrer Kinder nicht mehr aus dem Bett, und wenn sie nicht sofort ihre Zigaretten findet, schreit sie die Kinder an. Die Verhältnisse bewirken, dass auch der juristische Status der Familie im Unklaren bleibt und alle miteinander lange, demütigende Tage im Ausländeramt verbringen müssen. Erst spät, unter großen Mühen und nicht ohne Trickserei erhält Arda die Einbürgerungsurkunde. Doch auch dann noch bewegt er sich im sozialen Niemandsland. Für die „Kartoffeln“, die ethnischen Deutschen, bleibt er ein Fremder, den sie verhöhnen und fürchten. Seine Mutter und seine Schwester reden längst kein Wort mehr miteinander und achten darauf, einander nicht zu begegnen, wenn sie Arda im Krankenhaus besuchen.
Was diesem Buch zur Wahrheit verhilft, liegt in seiner Sprache. Die Zeit der „Kanak Sprak“, mit der Feridun Zaimoglu im gleichnamigen Buch von 1995 mit einer deutschtürkischen Kunstsprache Distanz markierte, ist lange vorbei. Zaimoglu selbst hat sich längst davon abgewandt und hat inzwischen in historischen Romanen ein altertümelndes Hyperhochdeutsch benutzt. Öziri hält sich von solchen Versuchen mit Idiomen fern und setzt auf eine nüchterne Standardsprache, die sich gleichwohl auf indirekte Weise für emotionale Kräfte offenhält: „Allerdings ist sie nicht müde, weil es noch so früh ist, sondern weil sie immer müde ist. Ihre dunklen Locken hängen bis in die Margarineschale vor ihr, und sie trägt immer noch das schwarze Minnie-Maus-Shirt, das sie seit letzter Woche nicht mehr ausgezogen hat, nicht mal zum Schlafen.“ Mit diesen zwei Details fängt der Erzähler den mentalen Zustand der Schwester Aylin ein, die vor Erschöpfung und Gleichgültigkeit ihr Haar besudelt und sich verzweifelt an ein infantiles Wunschbild klammert.
In die Margarineschale hängen die Locken übrigens deswegen, weil an Tagen, an denen die Familie aufs Amt muss, immer Massen von Broten geschmiert werden, die dann keiner essen mag: ein unaufdringliches Symbol für die Unsinnigkeit einer ganzen Lebenslage. Aber die entmutigende Öde dieser Vorgänge verleitet den Erzähler nicht zur Rolle des Opfers und Anklägers. Bevor er die Einbürgerungsurkunde bekommt, muss er einen Text von 300 Zeichen Länge schreiben, um seine Deutschkenntnisse nachzuweisen, und liefert das Folgende ab: „Ich werde eure Töchter vögeln, bis sie arabisch sprechen. Ich klaue euren Söhnen die Praktikumsplätze, mache sie drogenabhängig und verkaufe ihre Organe auf dem Basar. Ich breche nachts den Stern von euerm Benz und trage ihn an meiner Halbmondkette. Ich will kein Arzt oder Anwalt werden, ich werde Superstar oder arbeitslos.“
„Sehr witzig“, kommentiert der Sachbearbeiter, der einen Wackeldackel auf dem Schreibtisch stehen hat. Da er außer einem Kommafehler nichts zu bemängeln findet, bleibt ihm nichts übrig, als das Dokument auszustellen. Dem Erzähler aber ist es gelungen, seine Integrationsbereitschaft zugleich unter Beweis zu stellen und zu verweigern und den Widerspruch ironisch abzufedern: Arabisch werden die Töchter bei ihm bestimmt nicht lernen, höchstens Türkisch. Danach ist Arda „officially Kartoffel“.
In seinem Sprachhabitus gelingen dem Buch eine Fülle lebendiger, emotional starker und sogar spannender Szenen, etwa wenn Aylin mit ihrer Freundin im Kaufhaus Klamotten stehlen geht und dabei, wie es heißt, mit dem ganzen Körper lügt, um die Detektive hinters Licht zu führen (klappt leider doch nicht). Doch interessanterweise greift Öziris Sprache nicht, wenn er Türken untereinander Türkisch reden lässt: „Gottchen, seid ihr drei Landeier etwa allein unterwegs?“ Das klingt weder deutsch noch türkisch, sondern eher wie der gereifte Zaimoglu. Aber es lässt sich daran ablesen, dass es so etwas wie eine Gratwanderung eigentlich nicht geben kann. Der Grat ist zu schmal. Öziri steht, auch wenn er das womöglich nicht will, eindeutig auf der Seite der offiziellen Kartoffel.
BURKHARD MÜLLER
Der Sachbearbeiter im
Ausländeramt bescheinigt dann
doch: „officially Kartoffel“
Necati Öziri ist 1988 in Datteln geboren. 2021 las er im Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis.
Foto: Robert Schittko/picture alliance/dpa/LST Kärnten
Necati Öziri:
Vatermal. Roman.
Claassen, Berlin 2023. 304 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.09.2023Aylin heißt jetzt Yvonne
Necati Öziris Roman "Vatermal" schildert eine Ruhrgebietsjugend
Als es fast geschafft ist, als zur Einbürgerung des achtzehnjährigen türkischstämmigen Arda nur noch ein letztes Dokument fehlt, reicht es dem jungen Mann. Er ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, seine Familie lebt hier, er hat die Geburtsurkunde seiner Mutter und die eigene in die Behörde mitgebracht und dem Sachbearbeiter, einem Herrn Kozminski, vorgelegt. Er hat sogar eidesstattlich bekundet, dass er seit Jahren keinen Kontakt mehr zu seinem Vater hat, was für Ardas Einbürgerung eine Rolle spielt - "Vater gegen Pass. Guter Tausch", denkt der Abiturient. Dann aber verlangt Kozminski einen "schriftlichen Sprachnachweis" von ihm, "mindestens 300 Zeichen". Und bekommt einen Text, den er "sehr witzig" findet. Zwei Grammatikfehler moniert er noch, dann bekommt Arda seinen Pass.
Der aus dem Stegreif geschriebene satirische Text aber kommt in die Akte. Wer immer sie einmal aufschlägt, wird darin alle Klischees wiederfinden, gegen die junge Männer wie Arda in Deutschland zu kämpfen haben. "Ich klaue euren Söhnen den Praktikumsplatz, mach sie drogenabhängig und verkaufe ihre Organe auf dem Basar", heißt es dort und schließlich: "Ich will kein Arzt oder Anwalt werden, ich werde Superstar oder arbeitslos." Eben mit dem Text, der zur Grundlage seiner Einbürgerung werden soll, unterläuft Arda das ganze Verfahren und weist damit wiederum nach, dass er nicht nur mit der Gesellschaft und ihren Vorurteilen vertraut ist, in der er längst lebt, sondern auch, dass er deren Sprache perfekt genug beherrscht, um in ihr die Ängste zu beschreiben, die sich an ihn knüpfen. Inhaltlich ist der Text eine einzige Warnung, formal erfüllt er die Anforderungen zur Einbürgerung spielend.
Der Sachbearbeiter Kozminski jedenfalls, an dem Arda in dieser Situation zum ersten Mal einen leichten polnischen Akzent wahrnimmt, scheint ein ähnliches Bild von dem Verfahren - Arda nennt die Besuche bei der Behörde "geraubte Zeit" - zu haben, das Arda gerade durchläuft. Es gehe dabei nicht um den jungen Mann, sagt er: "Das sind Bestimmungen der Bundesrepublik Deutschland und entweder wir ziehen das jetzt durch, oder Sie verlassen dieses Büro so staatenlos, wie Sie gekommen sind."
Arda erzählt diese Episode aus dem Abstand von einigen Jahren in einer Situation existenzieller Bedrohung. Eine Autoimmunkrankheit hat den Studenten in kürzester Zeit auf die Intensivstation eines Krankenhauses gebracht; ob er überleben wird, ist offen. In diesem Moment blickt er zurück - auf das, was gewesen ist, und das, was hätte sein können, wenn sein Vater die Familie nicht schon so früh verlassen hätte, dass der Junge ihn nie kennenlernen konnte.
An diesen abwesenden Vater, Metin, richtet Arda nun seine Worte, die er vom Krankenbett aus in seinen Laptop tippt - Vermächtnis oder Erinnerungsstütze, je nachdem, wie die Sache ausgeht, bei der es allerdings nicht viel Hoffnung zu geben scheint. Dabei zeigt sich Arda als Erzähler von Necati Öziris Roman "Vatermal" durchaus skrupulös, er hält inne, setzt mehrfach an, prüft, was er berichtet hat, auf ein verklärendes Wunschdenken hin, verwirft und holt lieber neu aus. Er unterscheidet deutlich zwischen dem, was er selbst erlebte und daher mit größerer Sicherheit erzählen kann, und dem anderen, das er gehört hat oder sich auch nur vorstellt. Die Grenzen dieser Bereiche respektiert er und findet doch zu einer kohärenten Erzählung einer vorläufigen Lebensgeschichte.
Vor allem aber setzt seine dramatische Situation auch bei seiner Mutter und seiner älteren Schwester Aylin etwas in Gang. Die beiden sind sich spinnefeind, seit Aylin nach einem Streit die Wohnung verlassen hat und von einer deutschen Pflegefamilie aufgenommen wurde. Inzwischen hat sie ihren Namen in "Yvonne" geändert, eine Banklehre gemacht und sich in eine Polizistin verliebt, mit der sie zusammenlebt. Dass ihr Vater, dem sie sich viel näher fühlte als der Mutter, damals gegangen ist und den Kontakt abgebrochen hat, hat sie tief getroffen, immerhin bildete sie zusammen mit Arda dessen Kindheit über "ein eingespieltes Team", bis sie das Versprechen brach, das sie der Mutter gegeben hatte: nicht auch noch zu gehen. Nun, auf der Intensivstation, gehen sie sich weiterhin aus dem Weg.
Necati Öziri, Jahrgang 1988, der als Dramaturg arbeitet und 2021 einen Ausschnitt aus diesem Roman in Klagenfurt vorgetragen hat, greift dabei auf sein 2017 uraufgeführtes Theaterstück "Get Deutsch or Die Tryin'" zurück, ohne dass man dem Roman diese Herkunft anmerken würde. Entstanden ist ein großer Text, der von seinem Ausgangspunkt mit einer erklärten Absicht auf einen Adressaten zielt und doch allmählich weit darüber hinausgeht, dass ein Sterbenskranker dem abwesenden Vater erzählen will, welchen Sohn er verpasst hat.
Stattdessen werden Schicht um Schicht Erinnerungsfragmente einer Ruhrgebietsjugend um die Jahrtausendwende besichtigt und auserzählt: frühe Bilder der verzweifelten, trinkenden Mutter, die außer der Abwesenheit des Vaters noch einen weiteren Grund zur Verzweiflung hat, den sie bis zum Ende des Romans für sich behält; die Freunde vom Bahnhofsvorplatz und ihre Familien; latente und manifeste Ausländerfeindlichkeit; schließlich der stille Tod einer Frau, die Arda sein Leben lang gekannt hatte.
Je weiter diese Erinnerungen niedergeschrieben werden, umso mehr beleuchten sie einander, stellen sich gegenseitig infrage oder ergänzen, was in einem früheren Fragment noch nicht sichtbar war. Das betrifft vor allem die Mutter, die deutlich nuancierter wird, je länger von ihr berichtet wird. Welche Rolle die türkische Kindheit für ihr Leben in Deutschland spielt, wie sehr sie sich bemüht, gerade ihre Tochter vor dem zu beschützen, was sie selbst durchmachen musste, wird ebenso deutlich wie die Tragik, die daraus entsteht, dass sie mit den Kindern hoffnungslos überfordert ist und so Aylin und Arda permanent vor die Frage stellt, wie weit Loyalität der Mutter gegenüber gehen kann.
Der Junge jedenfalls, der sich als den "Klebstoff" empfindet, der die verbliebene Familie zusammenhält, wird mehr und mehr zum Beobachter, einem, der lange nicht spricht und dann umso aufmerksamer einordnet, was er sieht.
"Wir selbst waren einander die Väter, die wir nie hatten", sagt Arda einmal über sich und seine Freunde. Umso mehr erzählt er von den Müttern, ihren Freundinnen und Töchtern. Der nüchterne und doch liebevolle Blick, den er auf sie richtet, überlagert am Ende die Aporie der Vatersuche. Schon deshalb wünscht man der vaterlosen Familie noch eine Zukunft zu dritt. TILMAN SPRECKELSEN
Necati Öziri:
"Vatermal". Roman.
Claassen Verlag, Berlin 2023. 304 S., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Necati Öziris Roman "Vatermal" schildert eine Ruhrgebietsjugend
Als es fast geschafft ist, als zur Einbürgerung des achtzehnjährigen türkischstämmigen Arda nur noch ein letztes Dokument fehlt, reicht es dem jungen Mann. Er ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, seine Familie lebt hier, er hat die Geburtsurkunde seiner Mutter und die eigene in die Behörde mitgebracht und dem Sachbearbeiter, einem Herrn Kozminski, vorgelegt. Er hat sogar eidesstattlich bekundet, dass er seit Jahren keinen Kontakt mehr zu seinem Vater hat, was für Ardas Einbürgerung eine Rolle spielt - "Vater gegen Pass. Guter Tausch", denkt der Abiturient. Dann aber verlangt Kozminski einen "schriftlichen Sprachnachweis" von ihm, "mindestens 300 Zeichen". Und bekommt einen Text, den er "sehr witzig" findet. Zwei Grammatikfehler moniert er noch, dann bekommt Arda seinen Pass.
Der aus dem Stegreif geschriebene satirische Text aber kommt in die Akte. Wer immer sie einmal aufschlägt, wird darin alle Klischees wiederfinden, gegen die junge Männer wie Arda in Deutschland zu kämpfen haben. "Ich klaue euren Söhnen den Praktikumsplatz, mach sie drogenabhängig und verkaufe ihre Organe auf dem Basar", heißt es dort und schließlich: "Ich will kein Arzt oder Anwalt werden, ich werde Superstar oder arbeitslos." Eben mit dem Text, der zur Grundlage seiner Einbürgerung werden soll, unterläuft Arda das ganze Verfahren und weist damit wiederum nach, dass er nicht nur mit der Gesellschaft und ihren Vorurteilen vertraut ist, in der er längst lebt, sondern auch, dass er deren Sprache perfekt genug beherrscht, um in ihr die Ängste zu beschreiben, die sich an ihn knüpfen. Inhaltlich ist der Text eine einzige Warnung, formal erfüllt er die Anforderungen zur Einbürgerung spielend.
Der Sachbearbeiter Kozminski jedenfalls, an dem Arda in dieser Situation zum ersten Mal einen leichten polnischen Akzent wahrnimmt, scheint ein ähnliches Bild von dem Verfahren - Arda nennt die Besuche bei der Behörde "geraubte Zeit" - zu haben, das Arda gerade durchläuft. Es gehe dabei nicht um den jungen Mann, sagt er: "Das sind Bestimmungen der Bundesrepublik Deutschland und entweder wir ziehen das jetzt durch, oder Sie verlassen dieses Büro so staatenlos, wie Sie gekommen sind."
Arda erzählt diese Episode aus dem Abstand von einigen Jahren in einer Situation existenzieller Bedrohung. Eine Autoimmunkrankheit hat den Studenten in kürzester Zeit auf die Intensivstation eines Krankenhauses gebracht; ob er überleben wird, ist offen. In diesem Moment blickt er zurück - auf das, was gewesen ist, und das, was hätte sein können, wenn sein Vater die Familie nicht schon so früh verlassen hätte, dass der Junge ihn nie kennenlernen konnte.
An diesen abwesenden Vater, Metin, richtet Arda nun seine Worte, die er vom Krankenbett aus in seinen Laptop tippt - Vermächtnis oder Erinnerungsstütze, je nachdem, wie die Sache ausgeht, bei der es allerdings nicht viel Hoffnung zu geben scheint. Dabei zeigt sich Arda als Erzähler von Necati Öziris Roman "Vatermal" durchaus skrupulös, er hält inne, setzt mehrfach an, prüft, was er berichtet hat, auf ein verklärendes Wunschdenken hin, verwirft und holt lieber neu aus. Er unterscheidet deutlich zwischen dem, was er selbst erlebte und daher mit größerer Sicherheit erzählen kann, und dem anderen, das er gehört hat oder sich auch nur vorstellt. Die Grenzen dieser Bereiche respektiert er und findet doch zu einer kohärenten Erzählung einer vorläufigen Lebensgeschichte.
Vor allem aber setzt seine dramatische Situation auch bei seiner Mutter und seiner älteren Schwester Aylin etwas in Gang. Die beiden sind sich spinnefeind, seit Aylin nach einem Streit die Wohnung verlassen hat und von einer deutschen Pflegefamilie aufgenommen wurde. Inzwischen hat sie ihren Namen in "Yvonne" geändert, eine Banklehre gemacht und sich in eine Polizistin verliebt, mit der sie zusammenlebt. Dass ihr Vater, dem sie sich viel näher fühlte als der Mutter, damals gegangen ist und den Kontakt abgebrochen hat, hat sie tief getroffen, immerhin bildete sie zusammen mit Arda dessen Kindheit über "ein eingespieltes Team", bis sie das Versprechen brach, das sie der Mutter gegeben hatte: nicht auch noch zu gehen. Nun, auf der Intensivstation, gehen sie sich weiterhin aus dem Weg.
Necati Öziri, Jahrgang 1988, der als Dramaturg arbeitet und 2021 einen Ausschnitt aus diesem Roman in Klagenfurt vorgetragen hat, greift dabei auf sein 2017 uraufgeführtes Theaterstück "Get Deutsch or Die Tryin'" zurück, ohne dass man dem Roman diese Herkunft anmerken würde. Entstanden ist ein großer Text, der von seinem Ausgangspunkt mit einer erklärten Absicht auf einen Adressaten zielt und doch allmählich weit darüber hinausgeht, dass ein Sterbenskranker dem abwesenden Vater erzählen will, welchen Sohn er verpasst hat.
Stattdessen werden Schicht um Schicht Erinnerungsfragmente einer Ruhrgebietsjugend um die Jahrtausendwende besichtigt und auserzählt: frühe Bilder der verzweifelten, trinkenden Mutter, die außer der Abwesenheit des Vaters noch einen weiteren Grund zur Verzweiflung hat, den sie bis zum Ende des Romans für sich behält; die Freunde vom Bahnhofsvorplatz und ihre Familien; latente und manifeste Ausländerfeindlichkeit; schließlich der stille Tod einer Frau, die Arda sein Leben lang gekannt hatte.
Je weiter diese Erinnerungen niedergeschrieben werden, umso mehr beleuchten sie einander, stellen sich gegenseitig infrage oder ergänzen, was in einem früheren Fragment noch nicht sichtbar war. Das betrifft vor allem die Mutter, die deutlich nuancierter wird, je länger von ihr berichtet wird. Welche Rolle die türkische Kindheit für ihr Leben in Deutschland spielt, wie sehr sie sich bemüht, gerade ihre Tochter vor dem zu beschützen, was sie selbst durchmachen musste, wird ebenso deutlich wie die Tragik, die daraus entsteht, dass sie mit den Kindern hoffnungslos überfordert ist und so Aylin und Arda permanent vor die Frage stellt, wie weit Loyalität der Mutter gegenüber gehen kann.
Der Junge jedenfalls, der sich als den "Klebstoff" empfindet, der die verbliebene Familie zusammenhält, wird mehr und mehr zum Beobachter, einem, der lange nicht spricht und dann umso aufmerksamer einordnet, was er sieht.
"Wir selbst waren einander die Väter, die wir nie hatten", sagt Arda einmal über sich und seine Freunde. Umso mehr erzählt er von den Müttern, ihren Freundinnen und Töchtern. Der nüchterne und doch liebevolle Blick, den er auf sie richtet, überlagert am Ende die Aporie der Vatersuche. Schon deshalb wünscht man der vaterlosen Familie noch eine Zukunft zu dritt. TILMAN SPRECKELSEN
Necati Öziri:
"Vatermal". Roman.
Claassen Verlag, Berlin 2023. 304 S., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main