Was ist eigentlich so bahnbrechend an Miles Davis, visionär an Bob Dylan, originell an Patti Smith, Norah Jones oder Coldplay? Immer und überall werden die gleichen Alben gelobt. Das ist langweilig und oftmals reine Geschmacksache. Sky Nonhoff bürstet die Pop-Geschichte gewaltig gegen den Strich. Witzig, intelligent und an luzider Bösartigkeit kaum zu übertreffen!
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.05.2005Von der Erotik des Drillbohrers
Es gibt noch keine "Musik BILD", sonst könnte sie genau mit diesem Versprechen aufmachen: "Die meistüberschätzten Platten der Popgeschichte". Das erinnert die Leser gleich an ähnliche Serviceversprechen wie etwa die "zehn unverkäuflichsten Gebrauchten" oder die "zehn besten Diäten". Und weil man's auf deutsch vielleicht nicht begreift, steht's für die ganz Dummen noch mal auf englisch oben drüber: "Don't believe the HYPE". Sky Nonhoff, Jahrgang 1962, hat ein Buch aus der Zeile gemacht, das nostalgischen Reiz auf alle ausüben wird, die den neunziger Jahren, Nick Hornby und all dem anderen nachtrauern. Ein Buch, das selber die Golden Oldies Show ist, die es zu kritisieren meint. In dieser Tradition hat Sky Nonhoff auch noch einige Gastschreiber dazugebeten, und das ist dann ungefähr, als ob Cindy und Bert noch mal singen dürften oder "Boney M". Jedenfalls haben alle eine Jam Session gemacht und sind dabei richtig mutig und frech geworden. Das hat ihnen Iggy Pop ja auch erlaubt, als er sagte, daß nicht der Tod tötet, sondern Langeweile und Gleichgültigkeit. Langeweile und Gleichgültigkeit. Langeweile und Gleichgültigkeit. Der "totale Pop" der Neuzeit nimmt den Autoren die Luft zum Atmen und die Lust zum Hören. Deshalb stellen sie die Uhren der Rock- und Popgeschichte auf Null, indem sie alles abräumen, was einmal als klassisch gut galt. Herrlich, dieser Aufbruch! Nieder mit den Klassikern! Das ist originell. Genau der Ruf, der dem stupiden Musikbusiness sicher böse in den Ohren gellt. Also dann: Neil Youngs "Harvest" ist, wenn wir genau hinhören, "Musik für dicke Mädchen". Klar, die Schlanken sind nie melancholisch, weil sie ja den Sky kriegen. Dann die "Allman Brothers Band" und ihr Konzert im Filmore East: klingt nach der "Erotik des achtundvierzigfach verstellbaren Drillbohrers". Erotik? Drillbohrer? "Brothers In Arms": genau das "Richtige für Leute mit Kleinkredit", nämlich "durch und durch banale Musik". Großkredit müßte man also haben. Elvis Presley? "Von Anfang an ein Vernichter des Rock 'n' Roll." "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band": auf "neuartige Weise belanglos". Und so geht das weiter und weiter, für jeden Geschmack und jede Altersklasse ist was dabei, ob "R.E.M.", Herbert Grönemeyer, "Guns N' Roses" oder Jimi Hendrix. Nur hätte der Autor besser darüber nachgedacht, daß der Begriff "Hype" erst in den neunziger Jahren Karriere gemacht hat und er insofern einen semantischen Anachronismus begeht, wenn er ihn auf Elvis Presley anwendet. Er kann das natürlich tun, aber er macht doch auf einen Unterschied aufmerksam, der in der unterschiedslosen Verhöhnung durch billige Milieureferenz schlicht wegfällt - und damit genau das, was das Buch interessant hätte machen können. Wenigstens witzig hätte es sein müssen. Ist es aber nicht. Statt dessen ist der Autor so albern, eine Alternativliste anzubieten, wo dann "Help!" von den "Beatles" genauso unwitzig angepriesen wird, wie "Sgt. Pepper" noch mal niedergemacht wird. Das Rezept ist immer das gleiche: Langeweile und Gleichgültigkeit und Langeweile und Gleichgültigkeit und Langeweile und Gleichgültigkeit.
MICHAEL JEISMANN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es gibt noch keine "Musik BILD", sonst könnte sie genau mit diesem Versprechen aufmachen: "Die meistüberschätzten Platten der Popgeschichte". Das erinnert die Leser gleich an ähnliche Serviceversprechen wie etwa die "zehn unverkäuflichsten Gebrauchten" oder die "zehn besten Diäten". Und weil man's auf deutsch vielleicht nicht begreift, steht's für die ganz Dummen noch mal auf englisch oben drüber: "Don't believe the HYPE". Sky Nonhoff, Jahrgang 1962, hat ein Buch aus der Zeile gemacht, das nostalgischen Reiz auf alle ausüben wird, die den neunziger Jahren, Nick Hornby und all dem anderen nachtrauern. Ein Buch, das selber die Golden Oldies Show ist, die es zu kritisieren meint. In dieser Tradition hat Sky Nonhoff auch noch einige Gastschreiber dazugebeten, und das ist dann ungefähr, als ob Cindy und Bert noch mal singen dürften oder "Boney M". Jedenfalls haben alle eine Jam Session gemacht und sind dabei richtig mutig und frech geworden. Das hat ihnen Iggy Pop ja auch erlaubt, als er sagte, daß nicht der Tod tötet, sondern Langeweile und Gleichgültigkeit. Langeweile und Gleichgültigkeit. Langeweile und Gleichgültigkeit. Der "totale Pop" der Neuzeit nimmt den Autoren die Luft zum Atmen und die Lust zum Hören. Deshalb stellen sie die Uhren der Rock- und Popgeschichte auf Null, indem sie alles abräumen, was einmal als klassisch gut galt. Herrlich, dieser Aufbruch! Nieder mit den Klassikern! Das ist originell. Genau der Ruf, der dem stupiden Musikbusiness sicher böse in den Ohren gellt. Also dann: Neil Youngs "Harvest" ist, wenn wir genau hinhören, "Musik für dicke Mädchen". Klar, die Schlanken sind nie melancholisch, weil sie ja den Sky kriegen. Dann die "Allman Brothers Band" und ihr Konzert im Filmore East: klingt nach der "Erotik des achtundvierzigfach verstellbaren Drillbohrers". Erotik? Drillbohrer? "Brothers In Arms": genau das "Richtige für Leute mit Kleinkredit", nämlich "durch und durch banale Musik". Großkredit müßte man also haben. Elvis Presley? "Von Anfang an ein Vernichter des Rock 'n' Roll." "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band": auf "neuartige Weise belanglos". Und so geht das weiter und weiter, für jeden Geschmack und jede Altersklasse ist was dabei, ob "R.E.M.", Herbert Grönemeyer, "Guns N' Roses" oder Jimi Hendrix. Nur hätte der Autor besser darüber nachgedacht, daß der Begriff "Hype" erst in den neunziger Jahren Karriere gemacht hat und er insofern einen semantischen Anachronismus begeht, wenn er ihn auf Elvis Presley anwendet. Er kann das natürlich tun, aber er macht doch auf einen Unterschied aufmerksam, der in der unterschiedslosen Verhöhnung durch billige Milieureferenz schlicht wegfällt - und damit genau das, was das Buch interessant hätte machen können. Wenigstens witzig hätte es sein müssen. Ist es aber nicht. Statt dessen ist der Autor so albern, eine Alternativliste anzubieten, wo dann "Help!" von den "Beatles" genauso unwitzig angepriesen wird, wie "Sgt. Pepper" noch mal niedergemacht wird. Das Rezept ist immer das gleiche: Langeweile und Gleichgültigkeit und Langeweile und Gleichgültigkeit und Langeweile und Gleichgültigkeit.
MICHAEL JEISMANN
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