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Svenja Flaßpöhler plädiert für eine neue Weiblichkeit. Erst wenn Frauen sich selbst und ihre Lust als potente Größe begreifen, befreien sie sich aus der Opferrolle. Erst wenn sie Autonomie nicht bloß einfordern, sondern wagen sie zu leben, sind sie wahrhaft selbstbestimmt. Und nur so kann das Geschlechterverhältnis gelingen.

Produktbeschreibung
Svenja Flaßpöhler plädiert für eine neue Weiblichkeit. Erst wenn Frauen sich selbst und ihre Lust als potente Größe begreifen, befreien sie sich aus der Opferrolle. Erst wenn sie Autonomie nicht bloß einfordern, sondern wagen sie zu leben, sind sie wahrhaft selbstbestimmt. Und nur so kann das Geschlechterverhältnis gelingen.
Autorenporträt
Svenja Flaßpöhler, geboren 1975, ist Chefredakteurin des "Philosophie Magazins". Die promovierte Philosophin war Literaturkritikerin in der Fernsehsendung "Buchzeit" (3Sat) und leitende Redakteurin beim "Deutschlandfunk Kultur", wo sie die Sendung "Sein und Streit" moderierte. Mit Wolfram Eilenberger, Gert Scobel und Jürgen Wiebicke verantwortet sie das Programm der "Phil.cologne". Ihre Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt, zuletzt erschien von ihr das vielbesprochene Buch "Verzeihen". Svenja Flaßpöhler lebt mit ihrer Familie in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.05.2018

Jeder für sich
Svenja Flaßpöhler geht die weibliche
Solidarisierung entschieden zu weit
VON SUSAN VAHABZADEH
Die Debatte um „Me Too“ begann mit der Enthüllung, Harvey Weinstein habe zahlreiche Frauen vergewaltigt, unter Druck gesetzt, belästigt und in einem eher bizarren Nebenszenario einmal sogar eine unbeteiligte Topfpflanze mit seiner Libido behelligt. Es ging dann in der Folge meist um weit weniger drastische Fälle, die gelegentlich am eigentlichen Punkt, der Belästigung am Arbeitsplatz, vorbeigingen. Das ist ein zentraler Vorwurf der Philosophin Svenja Flaßpöhler in ihrem Buch „Die potente Frau“: Der „Hashtag-Feminismus“ habe pauschalisiert, und so sei in die Öffentlichkeit gezerrt worden, was eine potente Frau selbst hätte lösen sollen. Sie beklagt, dass so viel über sexuelle Belästigung diskutiert wird und so wenig über gleiche Bezahlung von Männern und Frauen. Flaßpöhlers Buch selbst handelt aber auch nicht von gleicher Bezahlung. Die Autorin hat „Me Too“ zum Anlass genommen, über das weibliche Begehren zu schreiben.
Flaßpöhler behauptet zwar, wir befänden uns in einer postpatriarchalischen Gesellschaft, sie weiß aber selbst, dass das nur auf dem Papier stimmt – und sie gehört zu jenen Frauen, die die Verantwortung dafür, dass die gesetzlich festgelegte Gleichberechtigung immer noch nicht verwirklicht ist, vorwiegend bei den Frauen suchen. Selbst wenn sie damit im Einzelnen nicht immer recht hat, vertritt sie also eine sehr wichtige Position. Der Gedanke, die weibliche Hälfte der Bevölkerung sei komplett handlungsunfähig und trage, ein Jahrhundert nach der Einführung des Wahlrechts für Frauen, für gar nichts eine Verantwortung, wäre schrecklich. Warum Svenja Flaßpöhler in ihrem Buch „die Feministinnen“ schreibt, als sei das eine geschlossene Gruppe, der sie keinesfalls angehören will, bleibt allerdings nebulös.
Die potente Frau, die sich Flaßpöhler wünscht, ordnet ihr eigenes Begehren keinen traditionellen Rollenbildern unter, sie schöpft ihre Möglichkeiten aus, auf dem, was Svenja Flaßpöhler einen „dritten Weg“ nennt. Sie unterwirft sich nicht dem traditionellen weiblichen Rollenbild, sie folgt aber auch nicht der Dekonstruktion der Rollenbilder, wie Judith Butler sie angeregt hat. Flaßpöhler will eine neue Phänomenologie, die „leibliche Erfahrungen“ in den Mittelpunkt stellt, die Unterschiede zwischen Männern und Frauen also als Menge jener Empfindungen betrachtet, die sich aufgrund ihrer unleugbaren physischen Unterschiede zwangsläufig ergeben. Das mit der „leiblichen Erfahrung“ ist ein interessanter Gedanke, sie meint damit alles, was mit dem Besitz eines weiblichen Körpers einhergeht, beispielsweise ein Dekolleté, in das andere bisweilen fasziniert hineingucken. Das ist alles schön und gut, auch wenn hier in der Folge Ideen angepriesen werden wie die, der weibliche Orgasmus sei wichtig für die Befruchtung einer Eizelle. Das Gerücht, Frauen würden von richtigen Vergewaltigungen nicht schwanger, und wenn sie schwanger geworden sind, kann es auch keine Vergewaltigung gewesen sein, geistert seit der Antike herum. Das ist nicht nur deswegen ärgerlich, weil Svenja Flaßpöhler bei allen anderen Rückwärtsgewandheit diagnostiziert, nur nicht bei sich selbst.
Während der „Me Too“-Debatte sei angeprangert worden wie im Mittelalter, die Unschuldsvermutung über Bord geworfen worden, Karrieren seien zerstört worden. Als deutsches Beispiel führt die Autorin in Ermangelung von Konkurrenz Dieter Wedel an, denn: Anders als in den USA wurden in Deutschland eben nicht Leute aufgrund eines bloßen Verdachts gefeuert und auf ewig geächtet. Die Recherchen der Zeit in Sachen Wedel waren mehr als nur „Verdachtsberichterstattung“, es wurde mehr als nur ein Fall zitiert, und auch mehr als ein missglückter Flirtversuch. Nicht jeder gescheiterte Flirt ist ein Skandal, und die Wiederholung eines traditionellen Opferverhaltens – Frau klagt, Mann schweigt –, die Svenja Flaßpöhler in der Debatte sieht, ist sicher nicht hilfreich. Aber wenn Frauen zusammenhalten, hat das überhaupt keine Tradition. Und es ist auch kein Opferverhalten.
Auch die Neufassung des Sexualstrafrechts, findet sie, fördere die Viktimisierung. Im Paragrafen 177 werde seit 2016 Frauen der „Wille“ abgesprochen, man unterstelle ihnen „Angststarre“ und zudem gebe es eine Passage über Leute, die in der Äußerung ihres Willens erheblich eingeschränkt sind. In der alten Fassung war zwar nicht dauernd vom Willen, dafür aber vom „Opfer“ statt der „Person“ die Rede. Das ist definitiv nicht das bessere sprachliche Umfeld für Frauen, die Wehrhaftigkeit lernen sollten. Und was die Widerstandsunfähigen betrifft, die dort jetzt auch vorkommen: Nein, damit wird nicht behauptet, erwachsene Frauen seien widerstandsunfähig. Es geht in der Neufassung auch um den Missbrauch von Menschen, die aufgrund einer Behinderung oder Krankheit widerstandsunfähig sind, der bisher im abgeschafften Paragrafen 179 geregelt war.
„Me Too“ muss man nicht dämonisieren, es wurden nicht einfach mal so Karrieren zerstört, zumindest nicht in Europa. Dieter Wedel ist 76 Jahre alt, und Kevin Spacey darf vielleicht bald bei Bernardo Bertolucci spielen, was auch ganz in Ordnung ist, weil moderne Gesellschaften Straftäter – und noch ist Spacey nicht einmal angeklagt – nicht mit lebenslangem Berufsverbot belegen. Ein Recht auf unangetasteten Ruhm und Millionengagen bis zum Lebensende gibt es aber auch nicht. Skandale beenden Filmkarrieren manchmal – auch die von Frauen. Was also ist so gefährlich an einer öffentlichen Debatte, und wie sonst sollte sich irgendetwas weiterentwickeln?
Jeder für sich und Gott gegen alle: Svenja Flaßpöhler plädiert für eine Entsolidarisierung in Sachen Belästigung – was man nicht in der direkten Konfrontation hinbekommt, damit muss man dann leben, denn die öffentliche Debatte ist ein Pranger aus dem Mittelalter. Ewiges Schweigen aber ist vielleicht eine Lösung für die Topfpflanze, an der sich Harvey Weinstein dem Vernehmen nach vergangen hat. Für potente Frauen ist es eher nichts.
Svenja Flaßpöhler: Die potente Frau. Für eine neue Weiblichkeit. Ullstein Verlag, Berlin 2018. 48 Seiten, 8 Euro.
Das Buch sucht einen dritten
Weg zwischen Rollenbildern und
ihrer totalen Dekonstruktion
Nein, es wird nirgendwo
behauptet, Frauen seien des
Widerstands nicht fähig
Eine heimliche „Me Too“-Heldin: die Topfpflanze.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.05.2018

Gegen den Hashtag-Feminismus
Forderungen an die Frauen: Svenja Flaßpöhler beschwört eine neue Weiblichkeit

Großangelegte Bewegungen haben die Eigenschaft, Maximen zu generalisieren und Komplexität aufzulösen. MeToo ist ein gutes Beispiel dafür. Zu den vielen Kritikern, die sich seit vergangenem Herbst an der Debatte abarbeiten und damit bisweilen auch für neue, intelligente Perspektiven gesorgt haben, gehört die Philosophin Svenja Flaßpöhler. Ihre These, die von ihr als Hashtag-Feminismus bezeichnete Initiative wiederhole patriarchale Denkmuster, führt sie jetzt in einem schmalen Büchlein mit einem leider pinken Umschlag und einen nach Sexualratgeber klingenden Titel aus. Neben der Kritik an der "Aufmerksamkeitsökonomie" der Bewegung enthält es aber auch Vorschläge, wie man es besser machen könnte.

Von der Vorstellung systematischer Unterdrückung will Flaßpöhler nichts wissen. Nicht in jedem Unternehmen, schreibt sie, sitze ein Weinstein, und dass die großen Skandalfälle in die Zeit vor der Jahrtausendwende zurückgingen, zeige, dass sexuelle Übergriffe nicht das Hauptproblem der heutigen Gesellschaft seien. Stattdessen müsse stärker differenziert werden, in welchen Situationen Frauen Handlungsoptionen blieben - und wo sie womöglich selbst an der Festigung männlicher Macht beteiligt seien. Nur wenn Frauen ihre eigene, weibliche Potenz fänden, könnten sie Autonomie einfordern. Und dass Selbstbestimmung nie ohne Widerstand zu haben war, ließe sich nun einmal geschichtlich belegen.

Flaßpöhler, Chefredakteurin des "Philosophie Magazins", versucht es sich nicht zu einfach zu machen. Sie erkennt an, dass Machtgefüge Spielräume der freien Entscheidung einschränken. Dennoch sieht sie den Handlungsbedarf bei den Frauen: Wer sich belästigt fühle, müsse nicht zuallererst mit körperlicher Gewalt rechnen, und vor diejenigen, die zu jung, unerfahren oder in prekärer Lage seien, könne man sich schützend stellen. Stattdessen werde "alles vom Staat und nichts von den Frauen" erwartet.

Damit sorgt die Autorin selbst für eine verkürzte Darstellung. Ihre Annahme, eine Welt ohne Verführung, die immer auch an Macht gekoppelt ist, sähe trist aus, erinnert an den Aufruf der Schauspielerin Catherine Deneuve und anderer Französinnen gegen die vermeintliche Abschaffung sexueller Freiheiten. Nicht alle MeToo-Verfechterinnen sehnen sich nach einer "reinen" Welt, in der jede Annäherung geregelt ist. Und es soll auch schon Verführung ohne sexistische Sprüche gegeben haben. Hier fehlt die Differenzierung zwischen dem gezielten Einsatz eines übergriffigen Duktus', um Frauen einzuschüchtern, und einer plumpen Anmache.

Für die Betrachtung eines gesellschaftlichen Systems, das lange von stereotypen Rollenbildern geprägt war, und der Zwänge und Grenzen der Sozialisierung lässt Flaßpöhler wenig Raum. Ihre Argumentation kreist um den Standpunkt einer Frau, die lebt und denkt wie sie, intellektuell und materiell abgesichert. Einer ihrer zentralen Kritikpunkte, das nachträgliche Anprangern von Fehlverhalten, trifft das Kernproblem der Debatte. Während der sogenannte Hashtag-Feminismus seine Forderungen allerdings an die männlichen Verursacher richtet, muss sie sich vorwerfen lassen, neue Forderungen für Frauen aufzustellen.

Der dekonstruktive Feminismus Judith Butlers hat nach Ansicht der Autorin seinen Anteil an der passiven und negativen Energie dieses neuen Feminismus. Mit der Aufforderung, die natürliche Zweiteilung der Geschlechter zu hinterfragen, sei das "Subjekt Frau" verlorengegangen - und ohne Subjekt keine Potenz. Hier setzt Flaßpöhler mit ihrem eigenen Vorschlag an: Das persönliche Erfahren der Geschlechtlichkeit müsse zu einer neuen Auseinandersetzung zwischen Mann und Frau führen, frei nach dem Prinzip "What is it like to be..."

Zum großen Projekt der Frauen, sich aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit zu befreien, gehöre also ein neuer Zugang zur Weiblichkeit: "Sie begehrt und verführt, befreit sich aus der Objektposition, ist souveränes Subjekt auch der Schaulust. Anstatt die männliche Sexualität zu entwerten, wertet sie die eigene auf." Das hört sich großartig an, vernachlässigt aber die Gelegenheiten, bei denen Frauen aufgrund ihres Berufes oder ihrer sozialen Stellung zu Objekten degradiert werden, ohne sich überhaupt geäußert zu haben. Dass Frauen wie Salma Hayek Opfer von MeToo wurden, zeigt, dass ein selbstbewusstes Auftreten allein nicht immer hilft. Zur Auseinandersetzung über Geschlechterrollen, über kulturhistorisch geprägte Verhaltensmuster von Männern und Frauen gehört auch diese Erkenntnis.

ELENA WITZECK.

Svenja Flaßpöhler: "Die potente Frau". Für eine neue Weiblichkeit.

Ullstein Buchverlage, Berlin 2018.

48 S., geb., 8,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

 Elena Witzeck weiß, dass große Bewegungen dazu neigen, Nuancen und Differenzierungen wegzuspülen, so natürlich auch #MeToo. Theoretisch findet sie es also ganz richtig, wenn sich die Philosophin Svenja Flaßpöhler mit kritischen Interventionen zu Wort meldet und auf Widersprüche oder Schwächen im neuen "Hashtag-Feminismus" hinweist, zum Beispiel dass Frauen hier nicht als Subjekt auftreten, sondern nur als Opfer männlicher Belästigung. Flaßpöhler sieht darin die negative Energie des dekonstruierenden Feminismus von Judith Butler nachschwingen. Witzeck anerkennt diese Einwände zwar als "intelligente Perspektive", will sie dann aber doch nicht gelten lassen und wirft der Autorin vor, ihre Forderungen nur an die Frauen zu richten. Das pinke Cover nimmt die Kritikerin dem Verlag übel.

© Perlentaucher Medien GmbH
"[Dieses Buch] trägt das Potenzial in sich, für das Verhältnis zwischen Mann und Frau dasselbe zu leisten wie das kommunistische Manifest für das Verhältnis zwischen Kapital und Proletariat." ARD Druckfrisch 20180527