Russland beginnt einen Angriffskrieg gegen die Ukraine, nur wenige Monate zuvor erleben die USA in Afghanistan ein außenpolitisches Debakel, und längst ist der Systemrivale China zur entscheidenden Supermacht aufgestiegen - der Westen steckt in einer nie da gewesenen Krise. Dabei schien der Siegeszug noch vor kurzem unaufhaltsam: Nach dem Ende des Kalten Krieges setzte sich im ehemaligen Ostblock die demokratische Marktwirtschaft durch, Russland wurde vom Feind zum Partner, selbst China wandte sich dem Kapitalismus zu. Dann die große Wende: Die Terroranschläge von 9/11 erschütterten den Westen, der amerikanische «War on Terror» destabilisierte eine ganze Weltregion, der «Arabische Frühling» brachte am Ende nur neue Autokratien hervor, und mit der Annexion der Krim verschärfte sich die Konfrontation mit Russland. Anstelle einer liberalen Weltordnung ist eine neue Weltunordnung entstanden.
Peter R. Neumann, international gefragter Experte für Terrorismus und Geopolitik, zeigt, wie dies geschehen konnte und was jetzt passieren muss. Ein schonungsloser Blick auf die aktuelle Lage des Westens, der sich auf fatale Weise selbst überschätzt hat.
Peter R. Neumann, international gefragter Experte für Terrorismus und Geopolitik, zeigt, wie dies geschehen konnte und was jetzt passieren muss. Ein schonungsloser Blick auf die aktuelle Lage des Westens, der sich auf fatale Weise selbst überschätzt hat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2022Nachhaltige Zeitenwende
Die Welt ist multipolar - passen wir uns an: Peter Neumann gibt dem Westen einen pragmatischen Leitfaden an die Hand
Von Thomas Speckmann
Es ist gar nicht lange her, da galt es in Europa als schick, sich eine multipolare Weltordnung zu wünschen. Selten dürfte ein Wunsch aus Europa in der Staatengemeinschaft derart aufmerksam erhört worden sein. Und selten dürften die Folgen eines Wunsches derart gravierend gewesen sein - nicht zuletzt für Europa selbst. Es leidet mit am stärksten an einer Welt, die zunehmend aus einer Vielzahl von Machtzentren besteht - in Europa zunächst wirtschaftlich zu spüren, dann gesellschaftlich und politisch, schließlich militärisch, auf dem Balkan und in der Ukraine.
So mancher wird sich inzwischen die "alte" Welt zurückwünschen - wenn schon nicht unilateral, dann zumindest bipolar geordnet. Doch diese Welt gibt es nicht mehr. Und sie dürfte in absehbarer Zeit auch keine Renaissance erleben. Stattdessen muss Europa versuchen, in der "neuen Weltunordnung", wie auch Peter Neumann die "neue" Welt nennt, zu überleben. Dazu hat der Professor am King's College London eine Art Leitfaden geschrieben. Auch er verwendet dabei den Begriff "Zeitenwende". Bei ihm ist es allerdings eine doppelte, zeitlich versetzte: zunächst gegen die liberale Moderne nach dem Ende des alten Kalten Krieges und nun als Gegenbewegung des Westens gegen seine Feinde.
Neumann zieht eine ernüchternde Bilanz der ersten Zeitenwende: Osteuropa sei zwar demokratisch geworden. Aber die meisten Nachfolgestaaten der Sowjetunion - inklusive Russland - seien nach ein oder zwei freien Wahlen zu autokratischen Herrschaftsformen zurückgekehrt. Der Versuch, den Nahen Osten mit militärischer Gewalt zu demokratisieren, sei gescheitert. Und der Arabische Frühling habe nicht zu mehr Demokratie geführt, sondern zu einem Revival von Diktatoren und Dschihadisten. Auch China sei trotz Handel und Dialog nicht freier und demokratischer geworden, sondern habe sein autoritäres Herrschaftsmodell gefestigt.
Innerhalb des Westens erkennt Neumann eine Erosion demokratischer Werte und den Aufstieg antiliberaler Kräfte, die nicht selten - und nicht zufällig - mit Putins Russland sympathisierten. Er zitiert den "Demokratieindex" des "Economist", der 2021 den schlechtesten Wert seit 15 Jahren verzeichnete: Nur 6,4 Prozent der Weltbevölkerung lebten in "vollständigen Demokratien". Mehr als die Hälfte, 54,3 Prozent, befanden sich in Ländern, die als "autoritär" oder "hybrid" klassifiziert werden.
Vor diesem Hintergrund und ganz unabhängig vom Ausgang des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine sieht Neumann keinen Anlass, von einer baldigen "Wiedergeburt der Freiheit" zu träumen. Im Gegenteil: Er mahnt zur Vorsicht. In seiner Bilanz der ersten Zeitenwende haben die "naiven, oftmals völlig unrealistischen Ideen westlicher Politikeliten" ganz erheblich dazu beigetragen, dass die "quasi-hegemoniale Stellung", die der Westen nach Ende des alten Kalten Krieges innehatte, Schritt für Schritt verloren ging und dass antiliberale Kräfte - sowohl innerhalb als auch außerhalb des Westens - immer stärker wurden. Ein Weiter-so unter diesen Bedingungen sei gefährlich, wenn nicht sogar fatal. Wenn der Westen sich und seine Errungenschaften erhalten wolle, müsse er sich dringend neu erfinden, und zwar als "nachhaltige Moderne".
Die heute ausgerufene Zeitenwende versieht Neumann mit Leitideen für eine solche Moderne. Bislang macht er drei westliche Denkschulen aus: die Antiimperialisten, die den Westen abschaffen wollten; die Liberalen, die an die selbstheilenden Kräfte der Moderne glaubten; die Realisten oder Neorealisten, die sich für interessengeleitete Politik einsetzten. Keine dieser Antworten ist für Neumann überzeugend: Die Vision der Antiimperialisten missachte die Errungenschaften des Westens. Die Liberalen täten so, als sei alles in Ordnung. Die Realisten oder Neorealisten wollten den Westen zu einer Abkehr von den Werten zwingen, die ihn definierten.
Dem stellt Neumann einen Ansatz gegenüber, durch den der Westen viel zielgerichteter aus seinen Fehlern lernen soll: Statt sich von seinen Werten abzuwenden, müsse er sie neu interpretieren. Das vom Autor erhoffte Ergebnis: eine Moderne, die liberale und pluralistische Werte beibehalte, aber in ihrer Umsetzung ehrlicher, pragmatischer und inklusiver handele. Im Ergebnis wäre dies das Gegenteil einer sich selbst zerstörenden Moderne - eine nachhaltige Moderne.
In ihr Zentrum stellt Neumann den Anspruch von Ehrlichkeit. Nach Jahrzehnten des gescheiterten "Demokratie-Exports" sollten westliche Eliten endlich akzeptieren, dass nicht alle Gesellschaften so denken oder sein wollten wie sie. Nach seiner Beobachtung bestimmen Religion, Nationalismus und ethnische Identität die politischen Präferenzen - und das Handeln - vieler Menschen mindestens genauso stark wie das Streben nach einem liberalen Regierungssystem. Dass es dem Westen schwerfalle, diese Kräfte zu verstehen, habe es seinen Gegnern leichter gemacht, sie für ihre eigenen Zwecke zu mobilisieren.
Zu Ehrlichkeit gehört für Neumann auch, sich eigener Defizite bewusst zu werden. Die liberale Demokratie bezeichnet er als ein "starkes und gerechtes System". Jedoch zeige sie auch Schwächen wie die Kurzfristigkeit demokratischer Zyklen oder die Offenheit für Manipulation von außen. Vor allem aber neigten liberale Demokratien dazu, sich selbst für den Nabel der Welt zu halten: "Ewiger Friede" sei nicht erreicht, bloß weil sich westliche Gesellschaften dies wünschten. Und Globalisierung führe nicht automatisch dazu, dass alle vom Westen abhängig würden, sondern könne auch das Gegenteil zur Folge haben. Ein Westen, der nach dieser Definition ehrlicher mit anderen und sich selbst wäre, könnte in dieser Betrachtung bescheidener und gleichzeitig konsequenter sein, da er verstünde, dass liberale Werte zwar universal seien, aber durch jeweils unterschiedliche politische, historische und kulturelle Erfahrungen gefiltert würden.
Ein nachhaltiger Westen wäre pragmatischer und würde sich bei jeder Entscheidung fragen, ob die Absichten mit den vorhandenen Mitteln wirklich zu erreichen seien. Neumann verdeutlicht dies an aktuellen Beispielen: Einem pragmatischen Westen wäre früher klar geworden, dass das Ziel eines sicheren, stabilen und - mehr oder weniger - demokratischen Afghanistan illusorisch gewesen sei. Ein solcher Westen hätte verstanden, dass eine turbokapitalistische Schocktherapie die Entstehung von Demokratie in Russland nicht fördern würde, sondern behindern. Und ein solcher Westen wäre inklusiver: Er nähme gerade die Bedürfnisse derjenigen ernst, deren wirtschaftlicher, politischer und psychologischer Verlust durch Veränderungen die Grundlage für die nächste gesellschaftliche Gegenreaktion sein könnte. Dies wird nach Neumanns Prognose besonders wichtig sein, wenn in den kommenden Jahrzehnten die Weltwirtschaft nach ökologischen Prinzipien umgebaut werde - ein gigantischer Prozess, der auf allen Kontinenten Gewinner, aber auch Verlierer hervorbringen wird.
Umso mehr fordert er die nachhaltige Moderne. Sie soll die liberale Moderne effektiver machen, wobei deren Sinn und Zweck niemals aus dem Blick geraten dürfe: die Förderung von Menschenrechten, Freiheit und Wohlstand, also jener Errungenschaften, die den Westen zum besten und erfolgreichsten Gesellschaftssystem in der Geschichte habe werden lassen. Daher dürfe auch eine ehrlichere, pragmatischere und inklusivere Moderne keine "faulen Kompromisse" mit ihren Feinden eingehen. Wer das pluralistische Gesellschaftsmodell ablehne, bekämpfe oder ein Gegenmodell zu ihm propagiere, könne kein permanenter Partner sein. Wer sich aber in Richtung Pluralismus bewege, solle willkommen geheißen werden. Dadurch würde es auch leichter, gemeinsame Interessen zu identifizieren und robuste Allianzen zu schmieden. Eine neue multipolare Weltordnung, die sich auch Europa wünschen dürfte - nach all den ernüchternden Erfahrungen mit der gegenwärtigen Multipolarität.
Peter R. Neumann: "Die neue Weltunordnung". Wie sich der Westen selbst zerstört.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2022. 336 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Welt ist multipolar - passen wir uns an: Peter Neumann gibt dem Westen einen pragmatischen Leitfaden an die Hand
Von Thomas Speckmann
Es ist gar nicht lange her, da galt es in Europa als schick, sich eine multipolare Weltordnung zu wünschen. Selten dürfte ein Wunsch aus Europa in der Staatengemeinschaft derart aufmerksam erhört worden sein. Und selten dürften die Folgen eines Wunsches derart gravierend gewesen sein - nicht zuletzt für Europa selbst. Es leidet mit am stärksten an einer Welt, die zunehmend aus einer Vielzahl von Machtzentren besteht - in Europa zunächst wirtschaftlich zu spüren, dann gesellschaftlich und politisch, schließlich militärisch, auf dem Balkan und in der Ukraine.
So mancher wird sich inzwischen die "alte" Welt zurückwünschen - wenn schon nicht unilateral, dann zumindest bipolar geordnet. Doch diese Welt gibt es nicht mehr. Und sie dürfte in absehbarer Zeit auch keine Renaissance erleben. Stattdessen muss Europa versuchen, in der "neuen Weltunordnung", wie auch Peter Neumann die "neue" Welt nennt, zu überleben. Dazu hat der Professor am King's College London eine Art Leitfaden geschrieben. Auch er verwendet dabei den Begriff "Zeitenwende". Bei ihm ist es allerdings eine doppelte, zeitlich versetzte: zunächst gegen die liberale Moderne nach dem Ende des alten Kalten Krieges und nun als Gegenbewegung des Westens gegen seine Feinde.
Neumann zieht eine ernüchternde Bilanz der ersten Zeitenwende: Osteuropa sei zwar demokratisch geworden. Aber die meisten Nachfolgestaaten der Sowjetunion - inklusive Russland - seien nach ein oder zwei freien Wahlen zu autokratischen Herrschaftsformen zurückgekehrt. Der Versuch, den Nahen Osten mit militärischer Gewalt zu demokratisieren, sei gescheitert. Und der Arabische Frühling habe nicht zu mehr Demokratie geführt, sondern zu einem Revival von Diktatoren und Dschihadisten. Auch China sei trotz Handel und Dialog nicht freier und demokratischer geworden, sondern habe sein autoritäres Herrschaftsmodell gefestigt.
Innerhalb des Westens erkennt Neumann eine Erosion demokratischer Werte und den Aufstieg antiliberaler Kräfte, die nicht selten - und nicht zufällig - mit Putins Russland sympathisierten. Er zitiert den "Demokratieindex" des "Economist", der 2021 den schlechtesten Wert seit 15 Jahren verzeichnete: Nur 6,4 Prozent der Weltbevölkerung lebten in "vollständigen Demokratien". Mehr als die Hälfte, 54,3 Prozent, befanden sich in Ländern, die als "autoritär" oder "hybrid" klassifiziert werden.
Vor diesem Hintergrund und ganz unabhängig vom Ausgang des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine sieht Neumann keinen Anlass, von einer baldigen "Wiedergeburt der Freiheit" zu träumen. Im Gegenteil: Er mahnt zur Vorsicht. In seiner Bilanz der ersten Zeitenwende haben die "naiven, oftmals völlig unrealistischen Ideen westlicher Politikeliten" ganz erheblich dazu beigetragen, dass die "quasi-hegemoniale Stellung", die der Westen nach Ende des alten Kalten Krieges innehatte, Schritt für Schritt verloren ging und dass antiliberale Kräfte - sowohl innerhalb als auch außerhalb des Westens - immer stärker wurden. Ein Weiter-so unter diesen Bedingungen sei gefährlich, wenn nicht sogar fatal. Wenn der Westen sich und seine Errungenschaften erhalten wolle, müsse er sich dringend neu erfinden, und zwar als "nachhaltige Moderne".
Die heute ausgerufene Zeitenwende versieht Neumann mit Leitideen für eine solche Moderne. Bislang macht er drei westliche Denkschulen aus: die Antiimperialisten, die den Westen abschaffen wollten; die Liberalen, die an die selbstheilenden Kräfte der Moderne glaubten; die Realisten oder Neorealisten, die sich für interessengeleitete Politik einsetzten. Keine dieser Antworten ist für Neumann überzeugend: Die Vision der Antiimperialisten missachte die Errungenschaften des Westens. Die Liberalen täten so, als sei alles in Ordnung. Die Realisten oder Neorealisten wollten den Westen zu einer Abkehr von den Werten zwingen, die ihn definierten.
Dem stellt Neumann einen Ansatz gegenüber, durch den der Westen viel zielgerichteter aus seinen Fehlern lernen soll: Statt sich von seinen Werten abzuwenden, müsse er sie neu interpretieren. Das vom Autor erhoffte Ergebnis: eine Moderne, die liberale und pluralistische Werte beibehalte, aber in ihrer Umsetzung ehrlicher, pragmatischer und inklusiver handele. Im Ergebnis wäre dies das Gegenteil einer sich selbst zerstörenden Moderne - eine nachhaltige Moderne.
In ihr Zentrum stellt Neumann den Anspruch von Ehrlichkeit. Nach Jahrzehnten des gescheiterten "Demokratie-Exports" sollten westliche Eliten endlich akzeptieren, dass nicht alle Gesellschaften so denken oder sein wollten wie sie. Nach seiner Beobachtung bestimmen Religion, Nationalismus und ethnische Identität die politischen Präferenzen - und das Handeln - vieler Menschen mindestens genauso stark wie das Streben nach einem liberalen Regierungssystem. Dass es dem Westen schwerfalle, diese Kräfte zu verstehen, habe es seinen Gegnern leichter gemacht, sie für ihre eigenen Zwecke zu mobilisieren.
Zu Ehrlichkeit gehört für Neumann auch, sich eigener Defizite bewusst zu werden. Die liberale Demokratie bezeichnet er als ein "starkes und gerechtes System". Jedoch zeige sie auch Schwächen wie die Kurzfristigkeit demokratischer Zyklen oder die Offenheit für Manipulation von außen. Vor allem aber neigten liberale Demokratien dazu, sich selbst für den Nabel der Welt zu halten: "Ewiger Friede" sei nicht erreicht, bloß weil sich westliche Gesellschaften dies wünschten. Und Globalisierung führe nicht automatisch dazu, dass alle vom Westen abhängig würden, sondern könne auch das Gegenteil zur Folge haben. Ein Westen, der nach dieser Definition ehrlicher mit anderen und sich selbst wäre, könnte in dieser Betrachtung bescheidener und gleichzeitig konsequenter sein, da er verstünde, dass liberale Werte zwar universal seien, aber durch jeweils unterschiedliche politische, historische und kulturelle Erfahrungen gefiltert würden.
Ein nachhaltiger Westen wäre pragmatischer und würde sich bei jeder Entscheidung fragen, ob die Absichten mit den vorhandenen Mitteln wirklich zu erreichen seien. Neumann verdeutlicht dies an aktuellen Beispielen: Einem pragmatischen Westen wäre früher klar geworden, dass das Ziel eines sicheren, stabilen und - mehr oder weniger - demokratischen Afghanistan illusorisch gewesen sei. Ein solcher Westen hätte verstanden, dass eine turbokapitalistische Schocktherapie die Entstehung von Demokratie in Russland nicht fördern würde, sondern behindern. Und ein solcher Westen wäre inklusiver: Er nähme gerade die Bedürfnisse derjenigen ernst, deren wirtschaftlicher, politischer und psychologischer Verlust durch Veränderungen die Grundlage für die nächste gesellschaftliche Gegenreaktion sein könnte. Dies wird nach Neumanns Prognose besonders wichtig sein, wenn in den kommenden Jahrzehnten die Weltwirtschaft nach ökologischen Prinzipien umgebaut werde - ein gigantischer Prozess, der auf allen Kontinenten Gewinner, aber auch Verlierer hervorbringen wird.
Umso mehr fordert er die nachhaltige Moderne. Sie soll die liberale Moderne effektiver machen, wobei deren Sinn und Zweck niemals aus dem Blick geraten dürfe: die Förderung von Menschenrechten, Freiheit und Wohlstand, also jener Errungenschaften, die den Westen zum besten und erfolgreichsten Gesellschaftssystem in der Geschichte habe werden lassen. Daher dürfe auch eine ehrlichere, pragmatischere und inklusivere Moderne keine "faulen Kompromisse" mit ihren Feinden eingehen. Wer das pluralistische Gesellschaftsmodell ablehne, bekämpfe oder ein Gegenmodell zu ihm propagiere, könne kein permanenter Partner sein. Wer sich aber in Richtung Pluralismus bewege, solle willkommen geheißen werden. Dadurch würde es auch leichter, gemeinsame Interessen zu identifizieren und robuste Allianzen zu schmieden. Eine neue multipolare Weltordnung, die sich auch Europa wünschen dürfte - nach all den ernüchternden Erfahrungen mit der gegenwärtigen Multipolarität.
Peter R. Neumann: "Die neue Weltunordnung". Wie sich der Westen selbst zerstört.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2022. 336 S., geb., 24,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Ziemlich kalt serviert Rezensent Victor Mauer "Die neue Weltunordnung" des in London lehrenden Politikwissenschaftlers Peter R. Neumann ab. Nichts Neues, nichts Interessantes findet der Rezensent in diesem Buch. Intellektuell geradezu unterfordert fühlt sich Mauer von dem Überblick über die vergangenen dreißig Jahre internationaler Politik. Dass Neumann den Westen für alles verantwortlich mache, auch für Russlands destruktive Politik und Chinas Autoritarismus, geht dem Rezensenten zudem völlig gegen den Strich. Wenn Neumann gegen Idealismus, Neorealismus und Doppelmoral, gegen Fukuyama, Ferguson oder Winkler antritt, dann steigt Maurer aus.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Eine umsichtige, abwägende, präzise Schilderung der Desaster des Westens. Stefan Reinecke taz 20230321