Sie lernen sich im ersten Jahr an der prestigeträchtigen Edwards University kennen. Die allseits beliebte Phoebe erzählt niemandem, dass sie sich die Schuld am Tod ihrer Mutter gibt. Will fügt sich als mittelloser Stipendiat nur schwer an der elitären Hochschule ein und verschweigt, aus welch einfachen Verhältnissen er stammt. Sicher fühlt er sich nur in seiner Liebe zu Phoebe. Von Trauer und Schuldgefühlen getrieben, gerät Phoebe in den Bann einer christlichen Sekte, an deren Spitze der ebenso charismatische wie rätselhafte John Leal steht. Will erkennt in ihm von Anfang an einen Scharlatan, muss aber hilflos mitansehen, wie sich Phoebe immer weiter radikalisiert - bis hin zu einem Terrorakt, bei dem niemand unschuldig bleibt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.01.2020Schätze, die ich mir vom Mond gestohlen hatte
Die amerikanische Autorin R. O. Kwon benutzt ihren Campusroman "Die Brandstifter" als psychoanalytisches Spielbrett
Vor der Gewalt steht das Begehren. Will liebt Phoebe, die ihn ein bisschen zurückliebt, sich aber zugleich für John interessiert, der sie als Anhängerin seiner Sekte gewinnen möchte. Gravitationszentrum dieses Arrangements ist nicht etwa die Frau, an der beide Männer zerren, sondern deren Rivalität. Die Geschichte dazu stammt von R. O. Kwon, trägt den Namen "Die Brandstifter" und verwandelt sich von harmlosem Campus-Geplänkel an der amerikanischen Ostküste in ein Trauerspiel. Schon auf der zweiten Seite deutet Will in einem an Phoebe gerichteten Rückblick an, wo die Reise hingeht: "Gebäude stürzten ein. Menschen starben. Du hast mir einmal vorgeworfen, ich hätte noch nicht mal versucht, dich zu verstehen. Aber hier bin ich. Ich versuche es."
Damit ist der Roman als Persönlichkeitsanalyse näher charakterisiert, wobei im Verlauf der psychologischen Tiefenbohrung dichter hermeneutischer Nebel aufsteigt. Der Plot ist scheinbar aus Sicht der drei Protagonisten erzählt; tatsächlich jedoch erreichen uns immer nur die Gedanken Wills, den wir schnell als zuverlässig unzuverlässigen Erzähler abstempeln. Spricht er von seiner Freundin, muss er sich "Einzelheiten dazudenken", zitiert er sie wörtlich, fügt er an: "sagte sie wahrscheinlich".
Dabei wäre es aufschlussreich zu erfahren, was sie genau vermeldet, denn ihre Beichten und Bekenntnisse legt sie im Kreis von Johns studentischer Glaubensgemeinschaft ab. Der Messias wiederum gibt als vertrauensbildende Maßnahme andauernd seine Erleuchtungsgeschichte zum Besten: Er engagierte sich für eine Aktivistengruppe in China, wurde von nordkoreanischen Agenten entführt, landete in einem Straflager, erlebte dort unbeschreibliche Greueltaten und wunderte sich über die Verehrung, die der verantwortliche Diktator dennoch genießt. "Man stelle sich nur vor", sinnierte er, "der Tyrann wäre so ehrenwert, wie seine Jünger das glaubten." Kaum flammte dieser Geistesblitz auf, schon verdichtete er sich zu einem problematischen Berufswunsch - charismatischer Guru. Ob all dies genau so, ganz anders oder gar nicht passierte, bleibt, wie vieles in diesem Buch, unklar.
Phoebe erweist sich für John als leichte, weil seelisch schwer angeschlagene Beute. Ihre Mutter flüchtete vor dem Vater (allzeit gewaltbereiter Pfarrer) von Korea in die Vereinigten Staaten, wo sie bei einem Autounfall unter entsetzlichen Bedingungen verstarb. Obwohl sich Phoebe nun vor allem für Alkohol, Männer und College-Partys erwärmt, schleicht sich der Glaube als moralischer Schattenriss fortwährend in ihr Leben. Kein Wunder, denn ein Teil des koreanischen Selbstverständnisses fußt auf der Religiosität der Bevölkerung. Der kleine Staat "entsandte mehr christliche Missionare ins Ausland als jede andere Nation, mit Ausnahme der USA".
Da bietet Will eine geeignete Projektionsfläche, ist er doch ein vom Glauben abgefallener Außenseiter, der mit improvisierten Predigten einst seine Mutter zum Christentum bekehrte. Die dunklen Seiten seines wundgescheuerten Gemüts malt R. O. Kwon mit dem Feingefühl der Betroffenen aus, denn als Jugendliche hat auch sie ihr Gottvertrauen verloren - keine Kleinigkeit für ein in Los Angeles aufgewachsenes Kind südkoreanischer Eltern.
Dass wir über John nur wenig erfahren, lässt sich verkraften, da er vor allem für die Figurenkonstellation gebraucht wird. Er ist ein Hindernis, das zwischen Will und Phoebe steht, und ein Vermittler, der dem Konkurrenten den Wert seiner Partnerin erst verdeutlicht. Da die Männer im Bann derselben Begierde stehen, werden sie sich zunehmend ähnlich. Es scheint, als ahme der eine den anderen auf seltsam verquere Weise nach. Wie John, so strickt auch Will an alternativen autobiographischen Fakten, nur möchte er kein Heilsbringer werden, sondern unter den wohlstandsverwahrlosten Ivy-League-Snobs nicht als Prekariatspimpf auffallen.
Der Kulturanthropologe René Girard geht davon aus, dass Konflikte immer wieder entstehen, weil wir einander imitieren. Dieser Vorgang des "mimetischen Begehrens" münde in Gewalt und führe zu sozialen Krisen. Eine Lösung liefere die Religion, da sie über das sakrale Opfer die Ordnung der Gesellschaft wiederherstelle. Viele Passagen der "Brandstifter" lesen sich wie eine skeptische Antwort auf Girards Theorie, denn die hier dargebrachten Opfer verschärfen die Gewaltspirale und zerstören die Möglichkeit transzendenter Erlösung.
All dies präsentiert R. O. Kwon in einer blank geputzten Sprache, die mal wabert und fließt, um dann wieder streng rhythmisch loszugaloppieren. Obwohl die Autorin mühelos Stimmungen heraufbeschwören und szenische Tableaus mit wenigen Sätzen vor unserem inneren Auge entstehen lassen kann, zieht sie es vor, sachlich hingeworfene Aussagen mit Aphorismen und Vergleichen abzuwechseln: "Sie drückte auf den Klingelknopf. Ich hob Phoebes Hand und küsste zerkaute, wie Quarz schimmernde Nägel, würde ich heute, im Nachhinein, sagen - Schätze, die ich mir vom Mond gestohlen hatte." Einmal schildert Will ein Abendessen bei John und stellt fest: "Über weite Strecken ist alles so verschwommen wie auf einem alten Film." Das trifft auch auf den Roman zu, dessen uneigentliche, symbolhaft funkelnde Faktur zeitlos, ja märchenhaft wirkt. Folglich sind die Figuren keine Abkömmlinge der realistischen Erzähltradition, sondern Ideengefäße, die von R. O. Kwon wie auf einem Spielbrett ständig verschoben und neu angeordnet werden.
Kleine, psychoanalytisch leicht zu deutende Einlassungen passen bestens zu diesem Kompositionsprinzip. Wenn sich John die Handtasche von Phoebe schnappt und darin herumwühlt, sucht Will Zuflucht in der entlastenden Wirkung anzüglicher Bilder: "Er tauchte die Finger in den beigegrauen Schlitz der Tasche mit dem schimmernden Satinfutter. Zu gern hätte ich ihn daran gehindert, aber sie ließ es geschehen. Als gehörte die Handtasche ihm." So gerät Phoebe letztlich in Johns libidinöse Fänge, wo sie sich von ihrer Persönlichkeit verabschiedet und radikalisiert. "Die Brandstifter" zeichnet diesen Weg, seine Gründe und Abgründe mit distanziertem Blick nach. Allerdings ist Phoebe am Ende nicht das offene Buch, in dem Will zu Beginn der Handlung lesen möchte, sondern ein nicht zu lösendes Rätsel.
KAI SPANKE
R.O. Kwon: "Die Brandstifter". Roman.
Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger. Liebeskind Verlag, München 2019. 240 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die amerikanische Autorin R. O. Kwon benutzt ihren Campusroman "Die Brandstifter" als psychoanalytisches Spielbrett
Vor der Gewalt steht das Begehren. Will liebt Phoebe, die ihn ein bisschen zurückliebt, sich aber zugleich für John interessiert, der sie als Anhängerin seiner Sekte gewinnen möchte. Gravitationszentrum dieses Arrangements ist nicht etwa die Frau, an der beide Männer zerren, sondern deren Rivalität. Die Geschichte dazu stammt von R. O. Kwon, trägt den Namen "Die Brandstifter" und verwandelt sich von harmlosem Campus-Geplänkel an der amerikanischen Ostküste in ein Trauerspiel. Schon auf der zweiten Seite deutet Will in einem an Phoebe gerichteten Rückblick an, wo die Reise hingeht: "Gebäude stürzten ein. Menschen starben. Du hast mir einmal vorgeworfen, ich hätte noch nicht mal versucht, dich zu verstehen. Aber hier bin ich. Ich versuche es."
Damit ist der Roman als Persönlichkeitsanalyse näher charakterisiert, wobei im Verlauf der psychologischen Tiefenbohrung dichter hermeneutischer Nebel aufsteigt. Der Plot ist scheinbar aus Sicht der drei Protagonisten erzählt; tatsächlich jedoch erreichen uns immer nur die Gedanken Wills, den wir schnell als zuverlässig unzuverlässigen Erzähler abstempeln. Spricht er von seiner Freundin, muss er sich "Einzelheiten dazudenken", zitiert er sie wörtlich, fügt er an: "sagte sie wahrscheinlich".
Dabei wäre es aufschlussreich zu erfahren, was sie genau vermeldet, denn ihre Beichten und Bekenntnisse legt sie im Kreis von Johns studentischer Glaubensgemeinschaft ab. Der Messias wiederum gibt als vertrauensbildende Maßnahme andauernd seine Erleuchtungsgeschichte zum Besten: Er engagierte sich für eine Aktivistengruppe in China, wurde von nordkoreanischen Agenten entführt, landete in einem Straflager, erlebte dort unbeschreibliche Greueltaten und wunderte sich über die Verehrung, die der verantwortliche Diktator dennoch genießt. "Man stelle sich nur vor", sinnierte er, "der Tyrann wäre so ehrenwert, wie seine Jünger das glaubten." Kaum flammte dieser Geistesblitz auf, schon verdichtete er sich zu einem problematischen Berufswunsch - charismatischer Guru. Ob all dies genau so, ganz anders oder gar nicht passierte, bleibt, wie vieles in diesem Buch, unklar.
Phoebe erweist sich für John als leichte, weil seelisch schwer angeschlagene Beute. Ihre Mutter flüchtete vor dem Vater (allzeit gewaltbereiter Pfarrer) von Korea in die Vereinigten Staaten, wo sie bei einem Autounfall unter entsetzlichen Bedingungen verstarb. Obwohl sich Phoebe nun vor allem für Alkohol, Männer und College-Partys erwärmt, schleicht sich der Glaube als moralischer Schattenriss fortwährend in ihr Leben. Kein Wunder, denn ein Teil des koreanischen Selbstverständnisses fußt auf der Religiosität der Bevölkerung. Der kleine Staat "entsandte mehr christliche Missionare ins Ausland als jede andere Nation, mit Ausnahme der USA".
Da bietet Will eine geeignete Projektionsfläche, ist er doch ein vom Glauben abgefallener Außenseiter, der mit improvisierten Predigten einst seine Mutter zum Christentum bekehrte. Die dunklen Seiten seines wundgescheuerten Gemüts malt R. O. Kwon mit dem Feingefühl der Betroffenen aus, denn als Jugendliche hat auch sie ihr Gottvertrauen verloren - keine Kleinigkeit für ein in Los Angeles aufgewachsenes Kind südkoreanischer Eltern.
Dass wir über John nur wenig erfahren, lässt sich verkraften, da er vor allem für die Figurenkonstellation gebraucht wird. Er ist ein Hindernis, das zwischen Will und Phoebe steht, und ein Vermittler, der dem Konkurrenten den Wert seiner Partnerin erst verdeutlicht. Da die Männer im Bann derselben Begierde stehen, werden sie sich zunehmend ähnlich. Es scheint, als ahme der eine den anderen auf seltsam verquere Weise nach. Wie John, so strickt auch Will an alternativen autobiographischen Fakten, nur möchte er kein Heilsbringer werden, sondern unter den wohlstandsverwahrlosten Ivy-League-Snobs nicht als Prekariatspimpf auffallen.
Der Kulturanthropologe René Girard geht davon aus, dass Konflikte immer wieder entstehen, weil wir einander imitieren. Dieser Vorgang des "mimetischen Begehrens" münde in Gewalt und führe zu sozialen Krisen. Eine Lösung liefere die Religion, da sie über das sakrale Opfer die Ordnung der Gesellschaft wiederherstelle. Viele Passagen der "Brandstifter" lesen sich wie eine skeptische Antwort auf Girards Theorie, denn die hier dargebrachten Opfer verschärfen die Gewaltspirale und zerstören die Möglichkeit transzendenter Erlösung.
All dies präsentiert R. O. Kwon in einer blank geputzten Sprache, die mal wabert und fließt, um dann wieder streng rhythmisch loszugaloppieren. Obwohl die Autorin mühelos Stimmungen heraufbeschwören und szenische Tableaus mit wenigen Sätzen vor unserem inneren Auge entstehen lassen kann, zieht sie es vor, sachlich hingeworfene Aussagen mit Aphorismen und Vergleichen abzuwechseln: "Sie drückte auf den Klingelknopf. Ich hob Phoebes Hand und küsste zerkaute, wie Quarz schimmernde Nägel, würde ich heute, im Nachhinein, sagen - Schätze, die ich mir vom Mond gestohlen hatte." Einmal schildert Will ein Abendessen bei John und stellt fest: "Über weite Strecken ist alles so verschwommen wie auf einem alten Film." Das trifft auch auf den Roman zu, dessen uneigentliche, symbolhaft funkelnde Faktur zeitlos, ja märchenhaft wirkt. Folglich sind die Figuren keine Abkömmlinge der realistischen Erzähltradition, sondern Ideengefäße, die von R. O. Kwon wie auf einem Spielbrett ständig verschoben und neu angeordnet werden.
Kleine, psychoanalytisch leicht zu deutende Einlassungen passen bestens zu diesem Kompositionsprinzip. Wenn sich John die Handtasche von Phoebe schnappt und darin herumwühlt, sucht Will Zuflucht in der entlastenden Wirkung anzüglicher Bilder: "Er tauchte die Finger in den beigegrauen Schlitz der Tasche mit dem schimmernden Satinfutter. Zu gern hätte ich ihn daran gehindert, aber sie ließ es geschehen. Als gehörte die Handtasche ihm." So gerät Phoebe letztlich in Johns libidinöse Fänge, wo sie sich von ihrer Persönlichkeit verabschiedet und radikalisiert. "Die Brandstifter" zeichnet diesen Weg, seine Gründe und Abgründe mit distanziertem Blick nach. Allerdings ist Phoebe am Ende nicht das offene Buch, in dem Will zu Beginn der Handlung lesen möchte, sondern ein nicht zu lösendes Rätsel.
KAI SPANKE
R.O. Kwon: "Die Brandstifter". Roman.
Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger. Liebeskind Verlag, München 2019. 240 S., geb., 20,- [Euro].
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