Produktdetails
- Verlag: Claassen Verlag
- Seitenzahl: 455
- Abmessung: 39mm x 145mm x 221mm
- Gewicht: 705g
- ISBN-13: 9783546002493
- ISBN-10: 3546002490
- Artikelnr.: 09784482
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.02.2002Endlich mal ein Afrikaführer, der nichts auf den Kopf fallen läßt
Die jüngste Etappe im Prozeß der Zivilisation: Der Streßforscher Robert M. Sapolsky macht sich mit dem Leben von Pavianen vertraut
"Der Pavianhorde schloß ich mich in meinem einundzwanzigsten Lebensjahr an. Als Heranwachsender hatte ich nie mit der Möglichkeit gespielt, ein Steppenpavian zu werden; ich hatte vielmehr geglaubt, aus mir würde ein Berggorilla." Der Neurophysiologe Robert M. Sapolsky hat schon als Kind andächtig die Dioramen im Naturgeschichtlichen Museum zu New York betrachtet. Seine Studien über das Phänomen Streß verschlagen ihn in die Savannen Kenias, denn Paviane haben eine andere Form von Sozialorganisation als Gorillas, und sie sind nicht vom Aussterben bedroht. In gewisser Weise geht es den Pavianen ähnlich wie den Menschen in der Industriegesellschaft unseres Jahrhunderts. Sie verwenden nur wenige Stunden am Tag für die Beschaffung von Nahrung, die sie reichlich vorfinden, und es gibt wenig Freßfeinde. Sie haben somit genügend Zeit, sich gegenseitig das Leben schwerzumachen. Unter Streß leiden sie also eher wegen psychischer als physischer Ursachen.
Sapolsky beobachtet die Tiere, lernt ihre gesellschaftliche Stellung kennen und betäubt sie, um ihnen Blutproben zu entnehmen. Er erkennt das Zusammenspiel zwischen Rang und Ausschüttung von Streßhormonen und analysiert die hormonellen Regelkreise. Wer in der Hackordnung auf den oberen Ranglistenplätzen steht, lebt streßfreier und gesünder. Aggressivität, Einschüchterung anderer und das Drangsalieren von Schwächeren nach persönlichen Niederlagen sorgen für einen gesunden Hormonhaushalt. Dabei scheint es für die Evolution gar nicht notwendig zu sein, eine Rangordnung aufzubauen. Das Alphamännchen, der Rottenboß, hat weder den größten Fortpflanzungserfolg, noch beschützt es die Gruppe; und die erfahrenen Weibchen wissen am besten, wo es was zu fressen gibt. Die Hackordnung scheint sich einfach automatisch einzustellen, wenn mehrere Männchen zusammentreffen. Sapolsky wird mit den Tieren der Horde vertraut. Damit endet das erste Kapitel, und es folgen Schilderungen der Begegnungen des Autors mit den menschlichen Bewohnern seiner afrikanischen Umgebung.
Der Student aus Amerika muß sich an die Gepflogenheiten seines Gastgeberlandes gewöhnen. Er erkennt die absurden Situationen, die durch die Grenzziehungen früherer Kolonialmächte entstanden sind. Wenn die Kisii beispielsweise wegen eines Rinderdiebstahls mit den Massai im Osten kämpfen, so ist das ein akzeptierter Zustand, kämpfen sie hingegen mit den Massai im Süden, so provozieren sie einen internationalen Zwischenfall, indem sie die Grenze zu Tansania überqueren. Die kenianisch-tansanische Grenze folgt dem alten Grenzverlauf zwischen Britisch-Ostafrika und der deutschen Kolonie Tanganjika.
Neben seinen Tierbeobachtungen unternimmt Sapolsky einige Reisen in andere Länder Ostafrikas. Seine Neugier treibt ihn gleich nach dem Sturz Idi Amins nach Uganda, eine andere Reise führt ihn nach Sudan. Dort verbringt er seine erste Nacht in einem abgelegenen Dorf, wo er sein Zelt im Hof der Polizeistation aufschlagen darf. Als er dort eine Toilette sucht, aber nicht findet, erkundigt er sich bei seinem Gastgeber, dem Dorfpolizisten. Der führt ihn mitten auf die Dorfstraße und fordert ihn auf, daselbst seine Notdurft zu verrichten, während er mit lauter Stimme auf Sapolsky einredet: "Wir sind hier im Sudan! Sie sind unser Freund! Wir sind eine freie Nation! Tun Sie sich keinen Zwang an!" Längst hat sich die gesamte Einwohnerschaft des Dorfes versammelt, um den Weißen zu begutachten, der sich im Strahl der Taschenlampe des Dorfpolizisten erleichtert.
Die Stadt Nairobi ist selbst vielen Kenianern unbekannt. Wer sein ganzes Leben im Umkreis von allenfalls fünfzig Kilometern um sein Heimatdorf verbracht hat, kann sich kaum vorstellen, was Hochhäuser sind, Häuser, in deren Etagen jeweils die Bewohner seines Dorfes Platz hätten. Was mögen die Bewohner des unteren Dorfes wohl tun, daß ihnen nicht der Dung der Rinder aus dem oberen Dorf auf den Kopf fällt? Sapolsky begleitet einen seiner Helfer in die Hauptstadt und erlebt mit ihm solch wundersame Dinge wie Fahrstühle oder Speiseeis. Sapolsky schildert viele seltsame Erlebnisse, enthält sich aber jeglicher Wertung. Die westliche Zivilisation dringt immer weiter in die entlegenen Landesteile Kenias vor, beispielsweise durch die wachsende Zahl von Touristencamps.
In einem dieser Camps nimmt die Tragödie für Sapolskys Paviane ihren Ausgang. Die Hotelbetreiber haben eine Deponie errichtet, auf der sie auch ihre Küchenabfälle entsorgen. Die Paviane finden schnell heraus, daß dies für sie eine reiche Nahrungsquelle ist. Die rinderzüchtenden Massai finden in dem Camp einen großen Abnehmer für ihr Rindfleisch. Da in Kenia die (für den Menschen relativ harmlose) Rinder-Tuberkulose verbreitet ist, hat das Camp natürlich einen Fleischbeschauer, der die angelieferte Ware prüft. Der Fleischbeschauer verdient jedoch mehr Geld, wenn er sich von den Massai bestechen läßt, die ihm das Fleisch kranker Tiere anbieten. Schließlich ist Sapolsky gezwungen, als erster die Ausbreitung der Rinder-Tbc in einer freilebenden Pavianpopulation zu beschreiben: "Sie wirkt nicht so wie beim Menschen, wo Hans Castorp jahrelang auf der faulen Haut liegen und seine ausufernden philosophischen Gedanken zu Papier bringen kann." Die männlichen Tiere seiner Horde sterben nach und nach, nur die ältesten, die sich nicht mehr auf der Deponie mit den Vertretern anderer Horden um die besten Stücke balgen können, überleben.
HARTMUT HÄNSEL
Robert M. Sapolsky: "Mein Leben als Pavian". Erinnerungen eines jungen Primaten. Aus dem Amerikanischen von Ulrich Enderwitz. Claassen Verlag, München 2001. 432 S., Abb., geb., 20,95.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die jüngste Etappe im Prozeß der Zivilisation: Der Streßforscher Robert M. Sapolsky macht sich mit dem Leben von Pavianen vertraut
"Der Pavianhorde schloß ich mich in meinem einundzwanzigsten Lebensjahr an. Als Heranwachsender hatte ich nie mit der Möglichkeit gespielt, ein Steppenpavian zu werden; ich hatte vielmehr geglaubt, aus mir würde ein Berggorilla." Der Neurophysiologe Robert M. Sapolsky hat schon als Kind andächtig die Dioramen im Naturgeschichtlichen Museum zu New York betrachtet. Seine Studien über das Phänomen Streß verschlagen ihn in die Savannen Kenias, denn Paviane haben eine andere Form von Sozialorganisation als Gorillas, und sie sind nicht vom Aussterben bedroht. In gewisser Weise geht es den Pavianen ähnlich wie den Menschen in der Industriegesellschaft unseres Jahrhunderts. Sie verwenden nur wenige Stunden am Tag für die Beschaffung von Nahrung, die sie reichlich vorfinden, und es gibt wenig Freßfeinde. Sie haben somit genügend Zeit, sich gegenseitig das Leben schwerzumachen. Unter Streß leiden sie also eher wegen psychischer als physischer Ursachen.
Sapolsky beobachtet die Tiere, lernt ihre gesellschaftliche Stellung kennen und betäubt sie, um ihnen Blutproben zu entnehmen. Er erkennt das Zusammenspiel zwischen Rang und Ausschüttung von Streßhormonen und analysiert die hormonellen Regelkreise. Wer in der Hackordnung auf den oberen Ranglistenplätzen steht, lebt streßfreier und gesünder. Aggressivität, Einschüchterung anderer und das Drangsalieren von Schwächeren nach persönlichen Niederlagen sorgen für einen gesunden Hormonhaushalt. Dabei scheint es für die Evolution gar nicht notwendig zu sein, eine Rangordnung aufzubauen. Das Alphamännchen, der Rottenboß, hat weder den größten Fortpflanzungserfolg, noch beschützt es die Gruppe; und die erfahrenen Weibchen wissen am besten, wo es was zu fressen gibt. Die Hackordnung scheint sich einfach automatisch einzustellen, wenn mehrere Männchen zusammentreffen. Sapolsky wird mit den Tieren der Horde vertraut. Damit endet das erste Kapitel, und es folgen Schilderungen der Begegnungen des Autors mit den menschlichen Bewohnern seiner afrikanischen Umgebung.
Der Student aus Amerika muß sich an die Gepflogenheiten seines Gastgeberlandes gewöhnen. Er erkennt die absurden Situationen, die durch die Grenzziehungen früherer Kolonialmächte entstanden sind. Wenn die Kisii beispielsweise wegen eines Rinderdiebstahls mit den Massai im Osten kämpfen, so ist das ein akzeptierter Zustand, kämpfen sie hingegen mit den Massai im Süden, so provozieren sie einen internationalen Zwischenfall, indem sie die Grenze zu Tansania überqueren. Die kenianisch-tansanische Grenze folgt dem alten Grenzverlauf zwischen Britisch-Ostafrika und der deutschen Kolonie Tanganjika.
Neben seinen Tierbeobachtungen unternimmt Sapolsky einige Reisen in andere Länder Ostafrikas. Seine Neugier treibt ihn gleich nach dem Sturz Idi Amins nach Uganda, eine andere Reise führt ihn nach Sudan. Dort verbringt er seine erste Nacht in einem abgelegenen Dorf, wo er sein Zelt im Hof der Polizeistation aufschlagen darf. Als er dort eine Toilette sucht, aber nicht findet, erkundigt er sich bei seinem Gastgeber, dem Dorfpolizisten. Der führt ihn mitten auf die Dorfstraße und fordert ihn auf, daselbst seine Notdurft zu verrichten, während er mit lauter Stimme auf Sapolsky einredet: "Wir sind hier im Sudan! Sie sind unser Freund! Wir sind eine freie Nation! Tun Sie sich keinen Zwang an!" Längst hat sich die gesamte Einwohnerschaft des Dorfes versammelt, um den Weißen zu begutachten, der sich im Strahl der Taschenlampe des Dorfpolizisten erleichtert.
Die Stadt Nairobi ist selbst vielen Kenianern unbekannt. Wer sein ganzes Leben im Umkreis von allenfalls fünfzig Kilometern um sein Heimatdorf verbracht hat, kann sich kaum vorstellen, was Hochhäuser sind, Häuser, in deren Etagen jeweils die Bewohner seines Dorfes Platz hätten. Was mögen die Bewohner des unteren Dorfes wohl tun, daß ihnen nicht der Dung der Rinder aus dem oberen Dorf auf den Kopf fällt? Sapolsky begleitet einen seiner Helfer in die Hauptstadt und erlebt mit ihm solch wundersame Dinge wie Fahrstühle oder Speiseeis. Sapolsky schildert viele seltsame Erlebnisse, enthält sich aber jeglicher Wertung. Die westliche Zivilisation dringt immer weiter in die entlegenen Landesteile Kenias vor, beispielsweise durch die wachsende Zahl von Touristencamps.
In einem dieser Camps nimmt die Tragödie für Sapolskys Paviane ihren Ausgang. Die Hotelbetreiber haben eine Deponie errichtet, auf der sie auch ihre Küchenabfälle entsorgen. Die Paviane finden schnell heraus, daß dies für sie eine reiche Nahrungsquelle ist. Die rinderzüchtenden Massai finden in dem Camp einen großen Abnehmer für ihr Rindfleisch. Da in Kenia die (für den Menschen relativ harmlose) Rinder-Tuberkulose verbreitet ist, hat das Camp natürlich einen Fleischbeschauer, der die angelieferte Ware prüft. Der Fleischbeschauer verdient jedoch mehr Geld, wenn er sich von den Massai bestechen läßt, die ihm das Fleisch kranker Tiere anbieten. Schließlich ist Sapolsky gezwungen, als erster die Ausbreitung der Rinder-Tbc in einer freilebenden Pavianpopulation zu beschreiben: "Sie wirkt nicht so wie beim Menschen, wo Hans Castorp jahrelang auf der faulen Haut liegen und seine ausufernden philosophischen Gedanken zu Papier bringen kann." Die männlichen Tiere seiner Horde sterben nach und nach, nur die ältesten, die sich nicht mehr auf der Deponie mit den Vertretern anderer Horden um die besten Stücke balgen können, überleben.
HARTMUT HÄNSEL
Robert M. Sapolsky: "Mein Leben als Pavian". Erinnerungen eines jungen Primaten. Aus dem Amerikanischen von Ulrich Enderwitz. Claassen Verlag, München 2001. 432 S., Abb., geb., 20,95
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Es scheint sich um eine Art Autobiografie zu handeln, doch die Ausführungen von Rezensent Hartmut Hänsel bleiben vage. Man erfährt, dass Stressforscher Robert M. Sapolsky schon als Kind die Dioramen im Naturgeschichtlichen Museum von New York betrachtet hat. Liest, wie ihn seine Stressstudien zu den Pavianen in die Savanne Kenias führten, wo er alsbald Parallelen zwischen Pavian- und Menschenbenehmen beobachtet. Als nächstes skizziert uns der Rezensent, der uns noch immer nicht verraten hat, um was für eine Art Buch es sich hier handelt, wie Sapolsky Absurditäten der postkolonialen politischen Geografie der Region beschreibt. Wie der Forscher auch andere afrikanische Länder bereist und erforscht und unter anderem feststellt, dass viele Afrikaner gar nicht wissen, was Hochhäuser sind und diese für aufeinander gestapelte Dörfer halten. All das klingt spannend und von einer ironischen Distanz Sapolskys zur eigenen Kultur, sogar zur eigenen Spezies durchdrungen. Schade, dass uns der Rezensent nichts Genaueres erzählt.
© Perlentaucher Medien GmbH"
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