Herbst 1968, vor der Küste Südwestenglands: Donald Crowhurst sticht als einer von neun Teilnehmern des 'Golden Globe Race' in See, um als Erster ohne Zwischenstopp die Welt zu umrunden. Trotz mangelnder Segelerfahrung scheint er am schnellsten voranzukommen, und die Öffentlichkeit feiert ihn bereits als Sieger. Doch acht Monate später wird sein verlassener Trimaran auf dem Atlantik entdeckt. Nur die Log- und Tagebücher befinden sich noch an Bord. Wer war dieser Mann, dessen Aufzeichnungen ein dunkles Geheimnis bergen? Und was ist auf See geschehen, dass er für immer verschollen blieb? Ron Hall und Nicholas Tomalin haben die letzte Fahrt des Donald Crowhurst sowie seine Vorgeschichte fesselnd rekonstruiert. Ein journalistisches Meisterstück über Genie und Wahnsinn - und einen unglaublichen Betrugsversuch.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.01.2017Aus dem Innenleben eines gescheiterten Seehelden
Ron Hall und Nicholas Tomalin erzählen die Geschichte des Donald Crowhurst, der eine Weltumsegelung vortäuschte und doch nicht mehr zurückkehrte
Zeitnot und Geldmangel, Unerfahrenheit und Selbstüberschätzung sind keine guten Voraussetzungen für ein Segelrennen um die Welt, solo, nonstop, ohne jede Hilfe von außen. Das gilt heute noch genauso wie im Jahr 1968, als ein Mann namens Donald Crowhurst, mäßig erfolgreicher Geschäftsmann und Freizeitsegler, zum Golden Globe Race der Zeitung "Sunday Times" aufbrach. Es muss damals jedem klar gewesen sein: ein Irrsinn. Aber niemand hielt ihn davon ab, ins Verderben zu segeln.
Es ging um den Ruhm für die schnellste Einhand-Weltumsegelung und 5000 Pfund Preisgeld, eine hübsche Summe seinerzeit. Crowhurst, talentierter Tüftler, bewunderter Charismatiker, intellektueller Spaßvogel, aber auch ein Blender, war klamm. Die Geschäfte seiner kleinen Elektronik-Firma Electron Utilisation, deren einziges Produkt ein Funkpeilgerät für die Navigation auf See war, liefen nicht besonders, er hatte eine Familie zu ernähren, sah eine Chance. Enormen Wirbel verursachte das Rennen, Britannien befand sich im Segelfieber, neun Männer meldeten sich an. Crowhurst, ohne jede Hochseeerfahrung, sah sich schon als Seeheld in die Geschichte eingehen. Alles andere als ein haushoher Sieg, rechnete er vor, sei unwahrscheinlich.
Als er am 31. Oktober 1968 in See stach, war seine Siegesgewissheit dahin. An Bord seines zusammengeschusterten Zwölf-Meter-Trimarans aus Sperrholz und Fiberglas herrschten haarsträubende Zustände. Die frustrierende Überführungsfahrt voller tragikomischer Pannen von der Werft zum Ausgangshafen von Teignmouth hatte zwei Wochen gedauert und nicht drei Tage, wie veranschlagt. Gelegenheit, seine "Teignmouth Electron" zu erproben, hatte Crowhurst nicht. Er fuhr mit einer Baustelle los, in aller Eile von Helfern mit Ausrüstung und Verpflegung vollgestopft. Crowhurst war sich der Gefahren bewusst, die auf ihn warteten, hatte sich einen Kenterschutz ausgedacht in Form eines aufblasbaren Schlauchs in der Mastspitze und überdies für die damalige Zeit geradezu revolutionäre elektronische Systeme. Nichts von alldem hatte rechtzeitig installiert werden können. Die letzte Nacht an Land lag er weinend im Bett, wie später sein Ehefrau Clare wissen ließ. Crowhurst war verzweifelt wegen seiner "Seifenkiste, die bestenfalls für die Themse taugt". Aber er fand nicht den Mut zum Abbruch.
Gut acht Monate später, am 10. Juli 1969, entdeckte ein britisches Postschiff den verlassenen Trimaran mitten im Nordatlantik. Ein Besansegel war gesetzt, der Skipper verschollen. Das Drama schlug hohe Wellen in England. Was an Bord geschehen war, recherchierten die Journalisten Ron Hall und Nicholas Tomalin Anfang der siebziger Jahre für ihr Buch "The Strange Last Voyage of Donald Crowhurst" . Nun wurde es in deutscher Sprache neu aufgelegt. Die Autoren - Hall starb 2014, Tomalin kam als Reporter 1973 im Jom-Kippur-Krieg ums Leben - werteten in detektivischer Kleinarbeit die an Bord gefundenen Logbücher, Notizzettel, Karten und Tonbandaufnahmen (für die BBC) aus, untersuchten die Ausrüstung, befragten Weggefährten Crowhursts und nicht zuletzt dessen Witwe. Das Buch erzählt seine Lebensgeschichte von Anfang an, denn die Tragödie nahm ihren Lauf im Grunde schon, lange bevor er die Leinen löste. So entstand eines der packendsten Lesestücke über das Segeln überhaupt.
Beim Rennen geht von Anfang an alles schief. Crowhurst ist so langsam, dass es rasch peinlich wird, plagt sich mit Lecks und unbrauchbaren Pumpen herum, hält das Boot nur mühsam über Wasser, sucht in der grandiosen Unordnung vergeblich nach Ausrüstungsgegenständen, die beim überstürzten Aufbruch an Land vergessen wurden. Ärger bereiten die Selbststeueranlage, das Chronometer, der Generator.
Während er sich Richtung Äquator repariert, wird ihm klar, dass er mit dieser segelnden Gurke, die zwar vor dem Wind ordentlich läuft, aber miserabel kreuzt, niemals heil die brüllenden Vierziger hinter sich lassen wird, die stürmischen Weiten des Indischen Ozeans. Crowhurst sieht sich vor die Wahl gestellt, weiterzusegeln und sein Leben aufs Spiel zu setzen oder aufzugeben mit der Folge von Blamage und Bankrott. Er beginnt, per Funk sein Vorankommen zu beschönigen. Bald arbeitet er akribisch daran, die Weltumsegelung vorzutäuschen, führt parallel verschiedene Logbücher: hier korrekte, nicht für die Öffentlichkeit gedachte Eintragungen, dort frisierte Angaben, mit denen er die Runde um die Erde simuliert. Wochenlang schippert er vor der südamerikanischen Küste herum, nähert sich den Falklandinseln, passt schließlich den Zeitpunkt ab, an dem er wieder ins Rennen einsteigen kann, um es als Sieger zu beenden.
Doch dazu kommt es nicht. Je mehr er sich der Heimat nähert, desto stärker quälen ihn Zweifel, dass er mit seiner Geschichte durchkommen wird. Gewinnt er den Preis, was nach dem Ausfall fast aller Konkurrenten immer wahrscheinlicher wird, hat er mit Nachprüfungen zu rechnen. Zunehmend leidet Crowhurst unter psychischem Druck, Einsamkeit, den Strapazen des Betrügens, der zu erwartenden Schaulust des Publikums bei seiner Rückkehr, wie die Autoren rekapitulieren. Am Ende lässt er sich ziellos treiben, verliert jedes Gefühl für die Zeit. Als einzige Möglichkeit, den Konsequenzen einer gefälschten Weltumsegelung zu entgehen, meinen de Autoren, habe er den Tod gesehen.
Crowhurst hat den Atlantik nie verlassen, aber bis zum 1. Juli 1969, jenem Tag, an dem er sich vermutlich das Leben nahm, indem er in den Ozean sprang, mehr als 30 000 Kilometer mit seinem Seezwerg gesegelt, Stürmen und allen möglichen Widrigkeiten getrotzt. Eine große Leistung, keine Schande.
WALTER WILLE
Ron Hall und Nicholas
Tomalin: "Die sonderbare letzte Reise des Donald Crowhurst".
Aus dem Englischen von Barbara Schaden. Malik Verlag, München 2016. 400 S., Abb., geb., 20,- [Euro].
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Ron Hall und Nicholas Tomalin erzählen die Geschichte des Donald Crowhurst, der eine Weltumsegelung vortäuschte und doch nicht mehr zurückkehrte
Zeitnot und Geldmangel, Unerfahrenheit und Selbstüberschätzung sind keine guten Voraussetzungen für ein Segelrennen um die Welt, solo, nonstop, ohne jede Hilfe von außen. Das gilt heute noch genauso wie im Jahr 1968, als ein Mann namens Donald Crowhurst, mäßig erfolgreicher Geschäftsmann und Freizeitsegler, zum Golden Globe Race der Zeitung "Sunday Times" aufbrach. Es muss damals jedem klar gewesen sein: ein Irrsinn. Aber niemand hielt ihn davon ab, ins Verderben zu segeln.
Es ging um den Ruhm für die schnellste Einhand-Weltumsegelung und 5000 Pfund Preisgeld, eine hübsche Summe seinerzeit. Crowhurst, talentierter Tüftler, bewunderter Charismatiker, intellektueller Spaßvogel, aber auch ein Blender, war klamm. Die Geschäfte seiner kleinen Elektronik-Firma Electron Utilisation, deren einziges Produkt ein Funkpeilgerät für die Navigation auf See war, liefen nicht besonders, er hatte eine Familie zu ernähren, sah eine Chance. Enormen Wirbel verursachte das Rennen, Britannien befand sich im Segelfieber, neun Männer meldeten sich an. Crowhurst, ohne jede Hochseeerfahrung, sah sich schon als Seeheld in die Geschichte eingehen. Alles andere als ein haushoher Sieg, rechnete er vor, sei unwahrscheinlich.
Als er am 31. Oktober 1968 in See stach, war seine Siegesgewissheit dahin. An Bord seines zusammengeschusterten Zwölf-Meter-Trimarans aus Sperrholz und Fiberglas herrschten haarsträubende Zustände. Die frustrierende Überführungsfahrt voller tragikomischer Pannen von der Werft zum Ausgangshafen von Teignmouth hatte zwei Wochen gedauert und nicht drei Tage, wie veranschlagt. Gelegenheit, seine "Teignmouth Electron" zu erproben, hatte Crowhurst nicht. Er fuhr mit einer Baustelle los, in aller Eile von Helfern mit Ausrüstung und Verpflegung vollgestopft. Crowhurst war sich der Gefahren bewusst, die auf ihn warteten, hatte sich einen Kenterschutz ausgedacht in Form eines aufblasbaren Schlauchs in der Mastspitze und überdies für die damalige Zeit geradezu revolutionäre elektronische Systeme. Nichts von alldem hatte rechtzeitig installiert werden können. Die letzte Nacht an Land lag er weinend im Bett, wie später sein Ehefrau Clare wissen ließ. Crowhurst war verzweifelt wegen seiner "Seifenkiste, die bestenfalls für die Themse taugt". Aber er fand nicht den Mut zum Abbruch.
Gut acht Monate später, am 10. Juli 1969, entdeckte ein britisches Postschiff den verlassenen Trimaran mitten im Nordatlantik. Ein Besansegel war gesetzt, der Skipper verschollen. Das Drama schlug hohe Wellen in England. Was an Bord geschehen war, recherchierten die Journalisten Ron Hall und Nicholas Tomalin Anfang der siebziger Jahre für ihr Buch "The Strange Last Voyage of Donald Crowhurst" . Nun wurde es in deutscher Sprache neu aufgelegt. Die Autoren - Hall starb 2014, Tomalin kam als Reporter 1973 im Jom-Kippur-Krieg ums Leben - werteten in detektivischer Kleinarbeit die an Bord gefundenen Logbücher, Notizzettel, Karten und Tonbandaufnahmen (für die BBC) aus, untersuchten die Ausrüstung, befragten Weggefährten Crowhursts und nicht zuletzt dessen Witwe. Das Buch erzählt seine Lebensgeschichte von Anfang an, denn die Tragödie nahm ihren Lauf im Grunde schon, lange bevor er die Leinen löste. So entstand eines der packendsten Lesestücke über das Segeln überhaupt.
Beim Rennen geht von Anfang an alles schief. Crowhurst ist so langsam, dass es rasch peinlich wird, plagt sich mit Lecks und unbrauchbaren Pumpen herum, hält das Boot nur mühsam über Wasser, sucht in der grandiosen Unordnung vergeblich nach Ausrüstungsgegenständen, die beim überstürzten Aufbruch an Land vergessen wurden. Ärger bereiten die Selbststeueranlage, das Chronometer, der Generator.
Während er sich Richtung Äquator repariert, wird ihm klar, dass er mit dieser segelnden Gurke, die zwar vor dem Wind ordentlich läuft, aber miserabel kreuzt, niemals heil die brüllenden Vierziger hinter sich lassen wird, die stürmischen Weiten des Indischen Ozeans. Crowhurst sieht sich vor die Wahl gestellt, weiterzusegeln und sein Leben aufs Spiel zu setzen oder aufzugeben mit der Folge von Blamage und Bankrott. Er beginnt, per Funk sein Vorankommen zu beschönigen. Bald arbeitet er akribisch daran, die Weltumsegelung vorzutäuschen, führt parallel verschiedene Logbücher: hier korrekte, nicht für die Öffentlichkeit gedachte Eintragungen, dort frisierte Angaben, mit denen er die Runde um die Erde simuliert. Wochenlang schippert er vor der südamerikanischen Küste herum, nähert sich den Falklandinseln, passt schließlich den Zeitpunkt ab, an dem er wieder ins Rennen einsteigen kann, um es als Sieger zu beenden.
Doch dazu kommt es nicht. Je mehr er sich der Heimat nähert, desto stärker quälen ihn Zweifel, dass er mit seiner Geschichte durchkommen wird. Gewinnt er den Preis, was nach dem Ausfall fast aller Konkurrenten immer wahrscheinlicher wird, hat er mit Nachprüfungen zu rechnen. Zunehmend leidet Crowhurst unter psychischem Druck, Einsamkeit, den Strapazen des Betrügens, der zu erwartenden Schaulust des Publikums bei seiner Rückkehr, wie die Autoren rekapitulieren. Am Ende lässt er sich ziellos treiben, verliert jedes Gefühl für die Zeit. Als einzige Möglichkeit, den Konsequenzen einer gefälschten Weltumsegelung zu entgehen, meinen de Autoren, habe er den Tod gesehen.
Crowhurst hat den Atlantik nie verlassen, aber bis zum 1. Juli 1969, jenem Tag, an dem er sich vermutlich das Leben nahm, indem er in den Ozean sprang, mehr als 30 000 Kilometer mit seinem Seezwerg gesegelt, Stürmen und allen möglichen Widrigkeiten getrotzt. Eine große Leistung, keine Schande.
WALTER WILLE
Ron Hall und Nicholas
Tomalin: "Die sonderbare letzte Reise des Donald Crowhurst".
Aus dem Englischen von Barbara Schaden. Malik Verlag, München 2016. 400 S., Abb., geb., 20,- [Euro].
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"Ein journalisisches Meisterstück über Genie und Wahnsinn - und einen unglaublichen Betrugsversuch.", dieoberoesterreicherin.at, 31.01.2017