Mordfälle in Wien, Mordfälle in der Provinz. Das ist nicht schön, und schön ist auch nicht, dass der Brenner sie lösen muss. Denn dabei wird er meistens schlimm durch die Mangel gedreht. Aber er kann es nicht lassen. Denn man darf eines nicht vergessen: Ein Detektiv bleibt ein Detektiv.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.03.2010Wolf Haas
Ausgerechnet im Marianum soll etwas passiert sein. Dort, „wo der brave Bauernbub als Zehnjähriger auf der einen Seite hinein und acht Jahre später als halbfertiger Pfarrer auf der anderen Seite wieder heraus” kommt. Natürlich meint Wolf Haas in seinem Roman „Silentium” auch dieses „ausgerechnet” ironisch, bevor er in seiner wunderbar schnoddrig-sarkastischen Salzburger Art – Thomas Bernhard ist da nicht weit – das ganze moralinsaure verheuchelte Treiben dieses Priesteranwärter-Internats offenlegt. Dafür schickt er den Detektiv Brenner vor, einen ausgemusterten Kriminaler, den jedes Detail im Marianum an seine Zeit in der Polizeikaserne erinnert. Alles Übrige nimmt Brenner mit österreichischer Gelassenheit, die Untersuchung der Duschräume fällt dennoch gründlich aus. „Es war nicht gern gesehen, dass die Knaben nackt herumliefen”, berichtet der Präfekt. „Die Verführung”, antwortet Brenner. „Wenn man der Verführung einen Kopf abschlägt, wachsen zwei nach”, sagt der Präfekt. Aber weil das Internat in Salzburg liegt, spielen natürlich auch die Festspiele herein und die Tatsache, dass die besten Tenöre nur noch durch Bereitstellung williger Jungfrauen herzulocken sind. Und am Ende? Gibt es grauslich zugerichtete Leichen. HELMUT MAURÓ
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Ausgerechnet im Marianum soll etwas passiert sein. Dort, „wo der brave Bauernbub als Zehnjähriger auf der einen Seite hinein und acht Jahre später als halbfertiger Pfarrer auf der anderen Seite wieder heraus” kommt. Natürlich meint Wolf Haas in seinem Roman „Silentium” auch dieses „ausgerechnet” ironisch, bevor er in seiner wunderbar schnoddrig-sarkastischen Salzburger Art – Thomas Bernhard ist da nicht weit – das ganze moralinsaure verheuchelte Treiben dieses Priesteranwärter-Internats offenlegt. Dafür schickt er den Detektiv Brenner vor, einen ausgemusterten Kriminaler, den jedes Detail im Marianum an seine Zeit in der Polizeikaserne erinnert. Alles Übrige nimmt Brenner mit österreichischer Gelassenheit, die Untersuchung der Duschräume fällt dennoch gründlich aus. „Es war nicht gern gesehen, dass die Knaben nackt herumliefen”, berichtet der Präfekt. „Die Verführung”, antwortet Brenner. „Wenn man der Verführung einen Kopf abschlägt, wachsen zwei nach”, sagt der Präfekt. Aber weil das Internat in Salzburg liegt, spielen natürlich auch die Festspiele herein und die Tatsache, dass die besten Tenöre nur noch durch Bereitstellung williger Jungfrauen herzulocken sind. Und am Ende? Gibt es grauslich zugerichtete Leichen. HELMUT MAURÓ
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.07.2015Du, glückliches Österreich, morde
Inschpektor gibt's kaan! Mag Wolf Haas in einer eigenen Liga spielen, andere Autoren haben auch seltsame Ermittler. Und mit Abgründen kennen sich Autoren unseres Nachbarlandes seit jeher gut aus.
In Österreich gibt es zwar Polizeikommissariate, aber der Dienstgrad "Kommissar" existiert nicht. Spätestens seit der satirischen Fernsehserie "Kottan ermittelt" (Buch: Helmut Zenker, Regie: Peter Patzak; ausgestrahlt zwischen 1976 und 1983) dürfte das allgemein bekannt sein. Der titelgebende Serienheld, der Kriminalbeamte Adolf Kottan, bekleidete den Rang eines Majors. Schreibt jemand eine Geschichte, die in Österreich spielt und in welcher der Polizei auch irgendeine Rolle zugedacht ist, sollten diese Dienstgrade eventuell berücksichtigt werden. Zumindest die Leser könnten daraus Schlüsse ziehen, wie ernst es der Autor oder die in geringerer Zahl vertretene Autorin mit dem Sujet meint, ob und wie sorgfältig recherchiert wurde und Ähnliches. Über die Qualität sagt das freilich noch nicht viel aus.
Der Detektivroman mit einem Profi-Ermittler, egal ob "hardboiled" oder "Gentleman", ist in Österreich zwar auffallend unterrepräsentiert, viel häufiger sind Polizisten die Hauptfiguren der Kriminalgeschichten. Aber dann tauchen da so Typen wie "der Brenner", "der Lemming" oder "der Metzger" auf. Simon Brenner ist der Protagonist in mittlerweile acht Romanen von Wolf Haas. Eben erhielt der Autor für sein Gesamtwerk den Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (F.A.Z. vom 7. Juli). Drei seiner Krimis, darunter gleich der erste Auftritt Brenners in "Auferstehung der Toten" von 1997, wurden mit dem Deutschen Krimi-Preis, wenn auch nur einmal mit dem ersten Platz ("Komm süßer Tod", 1999), ausgezeichnet.
Vier Bücher um den ehemaligen Polizeiinspektor, Sanitätswagenfahrer, Gelegenheitsprivatdetektiv und seit "Brennerova" (2014) Pensionisten wurden, jeweils mit Josef Hader in der Titelrolle, verfilmt, fünf Brenner-Krimis als Hörspiel inszeniert. Die Filme finden sich unter den fünfzehn erfolgreichsten Österreichs. Das im gesamten deutschen Sprachraum anhaltende Interesse konnte man am Anfang mit dem Reiz des Exotischen erklären. Simon Brenner wirkt nicht besonders sympathisch, gewiss nicht überragend intelligent, verfügt aber über Intuition und brutale Entschlossenheit. Haas lässt die Geschichten von einem auktorialen Erzähler kommentieren, der den Leser wiederholt direkt anspricht - "frage nicht!" In "Das ewige Leben" (in diesem Frühjahr in den Kinos) stirbt der Protagonist überraschend, nur um sechs Jahre später in "Der Brenner und der liebe Gott" unbeirrt weiterzumachen.
Der ebenfalls unangepasste Ermittler Leopold Wallisch, genannt "Lemming", wird, wie weiland Brenner, aus dem Polizeidienst gemobbt, forscht aber auch weiterhin Verbrechen und anderen Kleinigkeiten nach. Erst als Angestellter einer Detektivagentur, bald, karrieretechnisch immer weiter absteigend, eher zufällig und zuletzt in eigener Sache. Die Reihe um den Wiener Detektiv wider Willen begann 2004 mit "Der Fall des Lemming", der im folgenden Jahr mit dem Friedrich-Glauser-Preis für den besten Erstlingsroman geehrt wurde.
Nach lediglich vier Krimis versetzte Stefan Slupetzky, der auch Kinderbücher und Theaterstücke verfasst und als Illustrator tätig ist, seinen Wallisch derart in Rage, dass nach "Lemmings Zorn" (2009) eigentlich nichts mehr für diese Figur folgen kann. Slupetzky wechselt das Genre insofern, als sein bislang jüngstes Werk "Polivka hat einen Traum" von den unorthodoxen Nachforschungen eines Bezirksinspektors, also eines Polizeibeamten, handelt.
Mit einer Laufbahn bei der Polizei hat Willibald Adrian Metzger gar nichts am Hut. Der von Thomas Raab geschaffene Restaurator ist tatsächlich Hobbydetektiv und wird seit seiner ersten Mission in "Der Metzger muss nachsitzen" (2007) eher von den Verbrechen in seiner geliebten Arbeit gestört. Nach mittlerweile sechs Fällen und einer auf offenbar zu wenig Interesse gestoßenen und daher gestoppten Fernsehserie ist ungewiss, wann es mit ihm weitergeht. Aufgeben will Raab seine Lieblingsfigur aber keineswegs, wie er auch in einem Interview versicherte. Jedoch: "Die Metzger-Frequenz wird möglicherweise kein Jahresrhythmus mehr sein."
Raab ist wagemutig genug, innerhalb der einzelnen Bände mit Stil und Blickwechsel zu experimentieren. Während die Fälle von tristen Milieustudien bis zu kaltblütigen Komplotten ein breites Feld des Genres abdecken, trifft man sonst eher selten auf ganze Kapitel, die von Fischen in einem Aquarium, das sich allerdings an einem Tatort befindet, will sagen, zum Tatort wird, erzählt werden.
Ähnlich wie der Schwede Håkan Nesser, der seine Van-Veeteren-Krimis in einem fiktiven Skandinavien ansiedelt, legt sich auch Raab nicht auf geographisch genau Bestimmbares fest. Im südlichen deutschsprachigen Raum wohl, mit starken slawischen Einsprengseln, wenn man etwa an Metzgers Freundin Djurkovic denkt, aber ob Wien oder eventuell sogar München, bleibt in der Schwebe.
Da ist Martin Mucha schon sehr viel eindeutiger. Der gebürtige Grazer verbreitet über seinen Serienhelden, den kiffenden, teinabhängigen Philologen und Ich-Erzähler Arno Linder, eine Hassliebe zur österreichischen Hauptstadt, die ihresgleichen sucht. Dieser Tage erschien mit "Liebessiegel" der fünfte Band um Linder, der nun endlich eine Professorenstelle an der Universität Wien erlangt hat. Die etwas unsauberen Umstände, die dazu geführt haben, erfährt man aus dem Vorgängerroman. Mit der Polizei kriegt es der nie an Minderwertigkeitskomplexen leidende Linder meist als Verdächtiger zu tun, kommt aber immer und oft mit nicht nur einem sprichwörtlichen blauen Auge davon. Man liest die Reihe am besten als Satire.
Die Unterabteilung des historischen Krimis bedient seit "Die Naschmarktmorde" (2009) der Wiener Gerhard Loibelsberger, allerdings aus gleichsam amtlicher Sicht. Er lässt seinen Polizeiinspector Nechyba in der Hauptstadt der Donaumonarchie vor dem Ersten Weltkrieg nicht nur Gewaltverbrechen aufklären, sondern zeichnet mit diesem ebenfalls nicht völlig angepassten Beamten (böhmische Wurzeln, kocht leidenschaftlich - Loibelsberger verfasst nebenbei Gourmetführer und Kochbücher) auch ein gut recherchiertes Bild der damaligen tristen gesellschaftlichen Verhältnisse.
Aber, pass auf, weil: interessant! Bisher begegneten wir in diesem Österreich-Rundblick nur Männern, sowohl bei den Autoren als auch bei den Ermittlern. Dorothea Zanon, verantwortlich für Lektorat und Programm des Innsbrucker Haymon Verlages, relativiert: "Es gibt - generell - weniger Autorinnen als Autoren. Das mag auch damit zu tun haben, dass ein Schriftstellerleben auf Dauer durchzuhalten schwierig ist. Dieser Beruf ist, wenn er ernst genommen wird, mit einem Familienleben schwer bis kaum zu vereinbaren." Bleibt unausgesprochen, dass die Hauptlast zumindest eines traditionellen Familienlebens nach wie vor von der Frau getragen wird.
Dem entspricht auch, so Zanon weiter, "dass es neuerdings zwar mehr Neueinsteigerinnen gibt, aber wesentlich weniger arrivierte Krimiautorinnen". Sie hat da einen guten Überblick, landen doch wöchentlich bis zu zwei Dutzend Manuskripte, darunter "natürlich auch zahlreiche Kriminalromane", hoffnungsvoller Jungautorinnen und -autoren auf den Schreibtischen im Lektorat. Immerhin verweist sie darauf, dass gerade bei Haymon mit Edith Kneifl die erste Friedrich-Glauser-Preisträgerin (1992 für "Zwischen zwei Nächten", Milena Verlag 1991) unter Vertrag steht. Kneifls Produktivität ist beinahe erschreckend: kaum ein Jahr seither ohne Kriminalroman oder zumindest mehrere Kurzgeschichten.
Mit Alfred Komarek und seiner Reihe um den spröden Gendarmerieinspektor Simon Polt, die im niederösterreichischen Waldviertel an der tschechischen Grenze spielt, ist Haymon das Stammhaus des Regionalkrimis, Komarek wohl dessen erster und wichtigster Erzähler. Seine meist bedrückenden, wenig kriminalistischen, aber stark an den Menschen interessierten Geschichten bedienen kein für die Tourismuswirtschaft verwertbares Klischee. In der Fülle der zahlreichen Salzburger-Festspiel-, Narzissenfest- oder sonstigen ländlichen Brauchtumsmordberichte sucht man nach einer würdigen Polt-Nachfolge bislang vergeblich.
MARTIN LHOTZKY
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Inschpektor gibt's kaan! Mag Wolf Haas in einer eigenen Liga spielen, andere Autoren haben auch seltsame Ermittler. Und mit Abgründen kennen sich Autoren unseres Nachbarlandes seit jeher gut aus.
In Österreich gibt es zwar Polizeikommissariate, aber der Dienstgrad "Kommissar" existiert nicht. Spätestens seit der satirischen Fernsehserie "Kottan ermittelt" (Buch: Helmut Zenker, Regie: Peter Patzak; ausgestrahlt zwischen 1976 und 1983) dürfte das allgemein bekannt sein. Der titelgebende Serienheld, der Kriminalbeamte Adolf Kottan, bekleidete den Rang eines Majors. Schreibt jemand eine Geschichte, die in Österreich spielt und in welcher der Polizei auch irgendeine Rolle zugedacht ist, sollten diese Dienstgrade eventuell berücksichtigt werden. Zumindest die Leser könnten daraus Schlüsse ziehen, wie ernst es der Autor oder die in geringerer Zahl vertretene Autorin mit dem Sujet meint, ob und wie sorgfältig recherchiert wurde und Ähnliches. Über die Qualität sagt das freilich noch nicht viel aus.
Der Detektivroman mit einem Profi-Ermittler, egal ob "hardboiled" oder "Gentleman", ist in Österreich zwar auffallend unterrepräsentiert, viel häufiger sind Polizisten die Hauptfiguren der Kriminalgeschichten. Aber dann tauchen da so Typen wie "der Brenner", "der Lemming" oder "der Metzger" auf. Simon Brenner ist der Protagonist in mittlerweile acht Romanen von Wolf Haas. Eben erhielt der Autor für sein Gesamtwerk den Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (F.A.Z. vom 7. Juli). Drei seiner Krimis, darunter gleich der erste Auftritt Brenners in "Auferstehung der Toten" von 1997, wurden mit dem Deutschen Krimi-Preis, wenn auch nur einmal mit dem ersten Platz ("Komm süßer Tod", 1999), ausgezeichnet.
Vier Bücher um den ehemaligen Polizeiinspektor, Sanitätswagenfahrer, Gelegenheitsprivatdetektiv und seit "Brennerova" (2014) Pensionisten wurden, jeweils mit Josef Hader in der Titelrolle, verfilmt, fünf Brenner-Krimis als Hörspiel inszeniert. Die Filme finden sich unter den fünfzehn erfolgreichsten Österreichs. Das im gesamten deutschen Sprachraum anhaltende Interesse konnte man am Anfang mit dem Reiz des Exotischen erklären. Simon Brenner wirkt nicht besonders sympathisch, gewiss nicht überragend intelligent, verfügt aber über Intuition und brutale Entschlossenheit. Haas lässt die Geschichten von einem auktorialen Erzähler kommentieren, der den Leser wiederholt direkt anspricht - "frage nicht!" In "Das ewige Leben" (in diesem Frühjahr in den Kinos) stirbt der Protagonist überraschend, nur um sechs Jahre später in "Der Brenner und der liebe Gott" unbeirrt weiterzumachen.
Der ebenfalls unangepasste Ermittler Leopold Wallisch, genannt "Lemming", wird, wie weiland Brenner, aus dem Polizeidienst gemobbt, forscht aber auch weiterhin Verbrechen und anderen Kleinigkeiten nach. Erst als Angestellter einer Detektivagentur, bald, karrieretechnisch immer weiter absteigend, eher zufällig und zuletzt in eigener Sache. Die Reihe um den Wiener Detektiv wider Willen begann 2004 mit "Der Fall des Lemming", der im folgenden Jahr mit dem Friedrich-Glauser-Preis für den besten Erstlingsroman geehrt wurde.
Nach lediglich vier Krimis versetzte Stefan Slupetzky, der auch Kinderbücher und Theaterstücke verfasst und als Illustrator tätig ist, seinen Wallisch derart in Rage, dass nach "Lemmings Zorn" (2009) eigentlich nichts mehr für diese Figur folgen kann. Slupetzky wechselt das Genre insofern, als sein bislang jüngstes Werk "Polivka hat einen Traum" von den unorthodoxen Nachforschungen eines Bezirksinspektors, also eines Polizeibeamten, handelt.
Mit einer Laufbahn bei der Polizei hat Willibald Adrian Metzger gar nichts am Hut. Der von Thomas Raab geschaffene Restaurator ist tatsächlich Hobbydetektiv und wird seit seiner ersten Mission in "Der Metzger muss nachsitzen" (2007) eher von den Verbrechen in seiner geliebten Arbeit gestört. Nach mittlerweile sechs Fällen und einer auf offenbar zu wenig Interesse gestoßenen und daher gestoppten Fernsehserie ist ungewiss, wann es mit ihm weitergeht. Aufgeben will Raab seine Lieblingsfigur aber keineswegs, wie er auch in einem Interview versicherte. Jedoch: "Die Metzger-Frequenz wird möglicherweise kein Jahresrhythmus mehr sein."
Raab ist wagemutig genug, innerhalb der einzelnen Bände mit Stil und Blickwechsel zu experimentieren. Während die Fälle von tristen Milieustudien bis zu kaltblütigen Komplotten ein breites Feld des Genres abdecken, trifft man sonst eher selten auf ganze Kapitel, die von Fischen in einem Aquarium, das sich allerdings an einem Tatort befindet, will sagen, zum Tatort wird, erzählt werden.
Ähnlich wie der Schwede Håkan Nesser, der seine Van-Veeteren-Krimis in einem fiktiven Skandinavien ansiedelt, legt sich auch Raab nicht auf geographisch genau Bestimmbares fest. Im südlichen deutschsprachigen Raum wohl, mit starken slawischen Einsprengseln, wenn man etwa an Metzgers Freundin Djurkovic denkt, aber ob Wien oder eventuell sogar München, bleibt in der Schwebe.
Da ist Martin Mucha schon sehr viel eindeutiger. Der gebürtige Grazer verbreitet über seinen Serienhelden, den kiffenden, teinabhängigen Philologen und Ich-Erzähler Arno Linder, eine Hassliebe zur österreichischen Hauptstadt, die ihresgleichen sucht. Dieser Tage erschien mit "Liebessiegel" der fünfte Band um Linder, der nun endlich eine Professorenstelle an der Universität Wien erlangt hat. Die etwas unsauberen Umstände, die dazu geführt haben, erfährt man aus dem Vorgängerroman. Mit der Polizei kriegt es der nie an Minderwertigkeitskomplexen leidende Linder meist als Verdächtiger zu tun, kommt aber immer und oft mit nicht nur einem sprichwörtlichen blauen Auge davon. Man liest die Reihe am besten als Satire.
Die Unterabteilung des historischen Krimis bedient seit "Die Naschmarktmorde" (2009) der Wiener Gerhard Loibelsberger, allerdings aus gleichsam amtlicher Sicht. Er lässt seinen Polizeiinspector Nechyba in der Hauptstadt der Donaumonarchie vor dem Ersten Weltkrieg nicht nur Gewaltverbrechen aufklären, sondern zeichnet mit diesem ebenfalls nicht völlig angepassten Beamten (böhmische Wurzeln, kocht leidenschaftlich - Loibelsberger verfasst nebenbei Gourmetführer und Kochbücher) auch ein gut recherchiertes Bild der damaligen tristen gesellschaftlichen Verhältnisse.
Aber, pass auf, weil: interessant! Bisher begegneten wir in diesem Österreich-Rundblick nur Männern, sowohl bei den Autoren als auch bei den Ermittlern. Dorothea Zanon, verantwortlich für Lektorat und Programm des Innsbrucker Haymon Verlages, relativiert: "Es gibt - generell - weniger Autorinnen als Autoren. Das mag auch damit zu tun haben, dass ein Schriftstellerleben auf Dauer durchzuhalten schwierig ist. Dieser Beruf ist, wenn er ernst genommen wird, mit einem Familienleben schwer bis kaum zu vereinbaren." Bleibt unausgesprochen, dass die Hauptlast zumindest eines traditionellen Familienlebens nach wie vor von der Frau getragen wird.
Dem entspricht auch, so Zanon weiter, "dass es neuerdings zwar mehr Neueinsteigerinnen gibt, aber wesentlich weniger arrivierte Krimiautorinnen". Sie hat da einen guten Überblick, landen doch wöchentlich bis zu zwei Dutzend Manuskripte, darunter "natürlich auch zahlreiche Kriminalromane", hoffnungsvoller Jungautorinnen und -autoren auf den Schreibtischen im Lektorat. Immerhin verweist sie darauf, dass gerade bei Haymon mit Edith Kneifl die erste Friedrich-Glauser-Preisträgerin (1992 für "Zwischen zwei Nächten", Milena Verlag 1991) unter Vertrag steht. Kneifls Produktivität ist beinahe erschreckend: kaum ein Jahr seither ohne Kriminalroman oder zumindest mehrere Kurzgeschichten.
Mit Alfred Komarek und seiner Reihe um den spröden Gendarmerieinspektor Simon Polt, die im niederösterreichischen Waldviertel an der tschechischen Grenze spielt, ist Haymon das Stammhaus des Regionalkrimis, Komarek wohl dessen erster und wichtigster Erzähler. Seine meist bedrückenden, wenig kriminalistischen, aber stark an den Menschen interessierten Geschichten bedienen kein für die Tourismuswirtschaft verwertbares Klischee. In der Fülle der zahlreichen Salzburger-Festspiel-, Narzissenfest- oder sonstigen ländlichen Brauchtumsmordberichte sucht man nach einer würdigen Polt-Nachfolge bislang vergeblich.
MARTIN LHOTZKY
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