»Ein anarchischer, zügellos komischer Roman.« FAZ - Eine moderne Scheherazade-Geschichte aus dem heutigen Israel
Ausgangspunkt dieser Scheherezade-Geschichte ist ein Schriftsteller, der beim Arbeitsamt um Unterstützung ansucht. Bereits bei seiner Jobbezeichnung stößt er auf Widerstand: »So einen Beruf gibt es nicht, Schriftsteller.« Findig wie er ist, schlägt der Autor einen Deal vor: Er erzählt dem Mann hinterm Schreibtisch eine Geschichte und bei Gefallen erhält der Schriftsteller den Stempel. So beginnt das Erzählen ums Überleben, das zugleich treibende Kraft in dem von Volten und Verweisen wimmelnden Roman ist.
Wie in einer Matrjoschka viele weitere Puppen stecken, so erzeugen die Handlungsstränge neue Erzählebenen und -welten. Mit Tolly Grotesky, Lea Agunis, Abu Adwan und anderen zeichnet Tomer Gardi unvergessliche Figuren, die im Alltag der Staatsgewalt ausgesetzt sind und sich auf die je eigene Weise ihre Wege bahnen müssen.
Ausgangspunkt dieser Scheherezade-Geschichte ist ein Schriftsteller, der beim Arbeitsamt um Unterstützung ansucht. Bereits bei seiner Jobbezeichnung stößt er auf Widerstand: »So einen Beruf gibt es nicht, Schriftsteller.« Findig wie er ist, schlägt der Autor einen Deal vor: Er erzählt dem Mann hinterm Schreibtisch eine Geschichte und bei Gefallen erhält der Schriftsteller den Stempel. So beginnt das Erzählen ums Überleben, das zugleich treibende Kraft in dem von Volten und Verweisen wimmelnden Roman ist.
Wie in einer Matrjoschka viele weitere Puppen stecken, so erzeugen die Handlungsstränge neue Erzählebenen und -welten. Mit Tolly Grotesky, Lea Agunis, Abu Adwan und anderen zeichnet Tomer Gardi unvergessliche Figuren, die im Alltag der Staatsgewalt ausgesetzt sind und sich auf die je eigene Weise ihre Wege bahnen müssen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.03.2019Nicht salonfähig
Der zweite Roman des israelischen Autors
Tomer Gardi ist eine Geduldsprobe
Über Michel Houellebecqs neuen Roman hieß es neulich, er mache rechtes Gedankengut salonfähig. Nur: Kann jemand etwas salonfähig machen, der anders als beispielsweise Botho Strauß oder Monika Maron selbst gar nicht im Salon sitzt? Houellebecqs Houellebecq ist ein Schmuddelkind im Rokoko-Kostüm. Als Schriftsteller macht er es sich bequem, indem er sehr offensichtlich auf den Endmoränen der Diskurse surft.
Den bewusst außerhalb des Salons eingenommenen Posten teilt ein israelischer Schriftsteller mit dem Franzosen, die programmatische Ablehnung von Aufklärungs- und Erkenntniswillen der Literatur aber nicht: Tomer Gardi provozierte 2017 mit seinem schlauen und bösen und extrem raffiniert geschriebenen Roman „Broken German“. Dieses Mal hat Gardi nicht auf Deutsch, sondern auf Hebräisch geschrieben. Anne Birkenhauer, die unter anderem auch David Grossman übersetzt, hat Gardis neuen Roman „Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück“ ins Deutsche gebracht. Das passt besonders gut, weil man an Tomer Gardi bzw. seinen Masken im Roman den einen oder anderen Zug von Dovele erkennt, dem Alleinunterhalter aus Grossmans Roman „Kommt ein Pferd in die Bar“. Wo Grossman den Leser aber in die Tiefenstrukturen seiner Erzählung zwingt, bleibt Tomer Gardi heiter an der Oberfläche und baut seinen Text als Spiegelkabinett der Literaturgeschichte und ihrer weltliterarischen Gegenwart.
Die Rahmensituation ist denkbar einfach und erinnert an Abbas Khiders Roman „Ohrfeige“: Ein arbeitsloser Schriftsteller kommt aufs Amt, um Arbeitslosengeld zu beantragen. Er beißt bei seinem Beamten auf Granit, was bei Gardi so klingt: Schriftsteller, sagt der Beamte, „so einen Beruf gibt es nicht, Schriftsteller. (...) Schriftsteller ist wohl ein Beruf, sagt der Arbeitslose, mein Beruf nämlich, beharrt er. Der Beamte streitet ab, der Arbeitslose beharrt und so weiter. Und so fort, her und hin und hin und her, es hätte endlos so weitergehn können, ziemlich festgefahrne Situation, doch dann schlägt der arbeitslose Mann dem Beamten eine Art Geschäft vor. Einen Deal. Ein Angebot.“
Geschichte gegen Stempel – und zwar jede Woche, das ist der Deal. Es entsteht ein völlig undisziplinierter Reigen von Geschichten über Leute aus den wenig elitären Ecken der Gesellschaft: jemanden, der die Stierkampfarenen putzt, einen Araber, der die Gasvorräte im Viertel auffüllt, und eine Flaschensammlerin. All diese Figuren gibt es nicht nur einmal, sondern mehrfach. Denn nicht nur die Zeichensetzung folgt den „Besonderheiten der Prosa Tomer Gardis“, wie der Verlag entschuldigend anmerkt. Auch die Schachtelung und Schichtung der nach dem Short Cut-Prinzip erzählten Geschichten ist das reinste Labyrinth, dem eben auch noch eine Folie von Bezügen in die Welt der Legenden, Bibel-Stoffe und literarischen Motive unterlegt ist, von Grimms Märchen „Der Fischer und seine Frau“ bis zu Anspielungen auf jüdische Tiersymbole. Alles natürlich völlig überdreht verfremdet und dann wieder fast schon platt, zum Beispiel, wenn Gardi die Legende vom sanftmütigen Kampfstier „Civilón“ zitiert, der erst vom Publikum begnadigt und dann – ach was – von Francos Schergen ermordet wurde. Selbst der Erzähler verdoppelt sich und wird irgendwann zu Tolly Grotesky, „eine Scheherezade des hyper-individualistischen Zeitalters, ultra-konsumistisch, techno-eskapistisch, psycho-anti-terroristisch.“ Man weiß wirklich nicht, ob das noch Komposition oder schon Kompost ist. Macht aber nichts, es wirkt nämlich und hat einen unverfrorenen, respektlosen Witz.
„Ein Buch mit klarem Aufbau liest sich bequem, es verwirrt nicht, verwöhnt den Leser vielmehr und verkauft sich deshalb auch besser“, weiß eine der Erzählstimmen, handelt aber nicht danach. Wie schon in „Broken German“ ist Gardi auch in diesem Roman wieder überzeugt, dass das „fließende Sprechen“ nichts anderes als „Fake“ ist und fragt sicherheitshalber gleich nach: „Versteht Ihr, was ich Euch da erzähle?“ Nun ja, im Kern gehen alle Geschichten mit der israelischen Gesellschaft und ihren Konflikten ins Gericht. Und eben nicht nur mit der. Gardis Buch ist eine direkte, universell gültige Publikumsbeschimpfung, die schon mit dem Titel beginnt, der einer in literarischen Dingen anti-konsumistisch eingestellte Leserin gleich mal die Ehre abschneidet.
Wie wird unsereins vorgeführt: Ob Gardi uns ein „angenehm und schön“ anzusehendes grünes Idyll in Aussicht stellt, um es dann ohne den geringsten Tonwechsel in ein abstoßendes Gestrüpp voller „Binden, Klopapier, Nadeln, Kondome“ zu verwandeln. Ob er die Selektion von Arbeitslosen an die Wand malt, ob sich seiner Flaschensammlerin der „kommerzialisierte rosafarbene Feng-Shui-Fisch“ offenbart, „der nach dem Glauben des Feng-Shui Glück und wirtschaftlichen Aufschwung beschert“, oder ob Gardi eine heilige Familie zeigt, die „not in tune“ ist mit den tonangebenden Milieus. – Immer sind es die Leserinnen und Leser, die er mit ihren Beschönigungs- und Verdrängungswünschen bloßstellt und deren Geduld er mit seinem wilden Spiel nicht nur auf die Probe stellt, sondern bewusst zu verprellen scheint. Anders als seine Figuren weigert sich der Autor, ein „Putzmann für die Ausscheidungen des Schmerzes, des Todes und der Angst“ zu sein. Es geht um Machtkonstellationen in diesem Roman der Gleichnisse. Und um Bequemlichkeit, um eine bittere, hoffnungslose Anklage. Wenn sie trifft? Nicht nur die Fans von Leuten wie Houellebecq. Destruktiv ist „Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück“ aber nicht, ist dieser Roman doch ein weiteres Beispiel dafür, wie Autorinnen und Autoren durch literarische Mittel den Paradoxien der Kritik neu zu begegnen versuchen. Dafür verzichten viele von ihnen sogar auf die Clubmitgliedschaft im literarischen Salon.
INSA WILKE
Der Autor
macht
einen Deal
mit dem
Arbeitsamt:
Geschichte
gegen
Stempel
Tomer Gardi:
Sonst kriegen Sie
Ihr Geld zurück. Roman.
Aus dem Hebräischen von
Anne Birkenhauer.
Literaturverlag Droschl,
Wien 2019,
160 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Der zweite Roman des israelischen Autors
Tomer Gardi ist eine Geduldsprobe
Über Michel Houellebecqs neuen Roman hieß es neulich, er mache rechtes Gedankengut salonfähig. Nur: Kann jemand etwas salonfähig machen, der anders als beispielsweise Botho Strauß oder Monika Maron selbst gar nicht im Salon sitzt? Houellebecqs Houellebecq ist ein Schmuddelkind im Rokoko-Kostüm. Als Schriftsteller macht er es sich bequem, indem er sehr offensichtlich auf den Endmoränen der Diskurse surft.
Den bewusst außerhalb des Salons eingenommenen Posten teilt ein israelischer Schriftsteller mit dem Franzosen, die programmatische Ablehnung von Aufklärungs- und Erkenntniswillen der Literatur aber nicht: Tomer Gardi provozierte 2017 mit seinem schlauen und bösen und extrem raffiniert geschriebenen Roman „Broken German“. Dieses Mal hat Gardi nicht auf Deutsch, sondern auf Hebräisch geschrieben. Anne Birkenhauer, die unter anderem auch David Grossman übersetzt, hat Gardis neuen Roman „Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück“ ins Deutsche gebracht. Das passt besonders gut, weil man an Tomer Gardi bzw. seinen Masken im Roman den einen oder anderen Zug von Dovele erkennt, dem Alleinunterhalter aus Grossmans Roman „Kommt ein Pferd in die Bar“. Wo Grossman den Leser aber in die Tiefenstrukturen seiner Erzählung zwingt, bleibt Tomer Gardi heiter an der Oberfläche und baut seinen Text als Spiegelkabinett der Literaturgeschichte und ihrer weltliterarischen Gegenwart.
Die Rahmensituation ist denkbar einfach und erinnert an Abbas Khiders Roman „Ohrfeige“: Ein arbeitsloser Schriftsteller kommt aufs Amt, um Arbeitslosengeld zu beantragen. Er beißt bei seinem Beamten auf Granit, was bei Gardi so klingt: Schriftsteller, sagt der Beamte, „so einen Beruf gibt es nicht, Schriftsteller. (...) Schriftsteller ist wohl ein Beruf, sagt der Arbeitslose, mein Beruf nämlich, beharrt er. Der Beamte streitet ab, der Arbeitslose beharrt und so weiter. Und so fort, her und hin und hin und her, es hätte endlos so weitergehn können, ziemlich festgefahrne Situation, doch dann schlägt der arbeitslose Mann dem Beamten eine Art Geschäft vor. Einen Deal. Ein Angebot.“
Geschichte gegen Stempel – und zwar jede Woche, das ist der Deal. Es entsteht ein völlig undisziplinierter Reigen von Geschichten über Leute aus den wenig elitären Ecken der Gesellschaft: jemanden, der die Stierkampfarenen putzt, einen Araber, der die Gasvorräte im Viertel auffüllt, und eine Flaschensammlerin. All diese Figuren gibt es nicht nur einmal, sondern mehrfach. Denn nicht nur die Zeichensetzung folgt den „Besonderheiten der Prosa Tomer Gardis“, wie der Verlag entschuldigend anmerkt. Auch die Schachtelung und Schichtung der nach dem Short Cut-Prinzip erzählten Geschichten ist das reinste Labyrinth, dem eben auch noch eine Folie von Bezügen in die Welt der Legenden, Bibel-Stoffe und literarischen Motive unterlegt ist, von Grimms Märchen „Der Fischer und seine Frau“ bis zu Anspielungen auf jüdische Tiersymbole. Alles natürlich völlig überdreht verfremdet und dann wieder fast schon platt, zum Beispiel, wenn Gardi die Legende vom sanftmütigen Kampfstier „Civilón“ zitiert, der erst vom Publikum begnadigt und dann – ach was – von Francos Schergen ermordet wurde. Selbst der Erzähler verdoppelt sich und wird irgendwann zu Tolly Grotesky, „eine Scheherezade des hyper-individualistischen Zeitalters, ultra-konsumistisch, techno-eskapistisch, psycho-anti-terroristisch.“ Man weiß wirklich nicht, ob das noch Komposition oder schon Kompost ist. Macht aber nichts, es wirkt nämlich und hat einen unverfrorenen, respektlosen Witz.
„Ein Buch mit klarem Aufbau liest sich bequem, es verwirrt nicht, verwöhnt den Leser vielmehr und verkauft sich deshalb auch besser“, weiß eine der Erzählstimmen, handelt aber nicht danach. Wie schon in „Broken German“ ist Gardi auch in diesem Roman wieder überzeugt, dass das „fließende Sprechen“ nichts anderes als „Fake“ ist und fragt sicherheitshalber gleich nach: „Versteht Ihr, was ich Euch da erzähle?“ Nun ja, im Kern gehen alle Geschichten mit der israelischen Gesellschaft und ihren Konflikten ins Gericht. Und eben nicht nur mit der. Gardis Buch ist eine direkte, universell gültige Publikumsbeschimpfung, die schon mit dem Titel beginnt, der einer in literarischen Dingen anti-konsumistisch eingestellte Leserin gleich mal die Ehre abschneidet.
Wie wird unsereins vorgeführt: Ob Gardi uns ein „angenehm und schön“ anzusehendes grünes Idyll in Aussicht stellt, um es dann ohne den geringsten Tonwechsel in ein abstoßendes Gestrüpp voller „Binden, Klopapier, Nadeln, Kondome“ zu verwandeln. Ob er die Selektion von Arbeitslosen an die Wand malt, ob sich seiner Flaschensammlerin der „kommerzialisierte rosafarbene Feng-Shui-Fisch“ offenbart, „der nach dem Glauben des Feng-Shui Glück und wirtschaftlichen Aufschwung beschert“, oder ob Gardi eine heilige Familie zeigt, die „not in tune“ ist mit den tonangebenden Milieus. – Immer sind es die Leserinnen und Leser, die er mit ihren Beschönigungs- und Verdrängungswünschen bloßstellt und deren Geduld er mit seinem wilden Spiel nicht nur auf die Probe stellt, sondern bewusst zu verprellen scheint. Anders als seine Figuren weigert sich der Autor, ein „Putzmann für die Ausscheidungen des Schmerzes, des Todes und der Angst“ zu sein. Es geht um Machtkonstellationen in diesem Roman der Gleichnisse. Und um Bequemlichkeit, um eine bittere, hoffnungslose Anklage. Wenn sie trifft? Nicht nur die Fans von Leuten wie Houellebecq. Destruktiv ist „Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück“ aber nicht, ist dieser Roman doch ein weiteres Beispiel dafür, wie Autorinnen und Autoren durch literarische Mittel den Paradoxien der Kritik neu zu begegnen versuchen. Dafür verzichten viele von ihnen sogar auf die Clubmitgliedschaft im literarischen Salon.
INSA WILKE
Der Autor
macht
einen Deal
mit dem
Arbeitsamt:
Geschichte
gegen
Stempel
Tomer Gardi:
Sonst kriegen Sie
Ihr Geld zurück. Roman.
Aus dem Hebräischen von
Anne Birkenhauer.
Literaturverlag Droschl,
Wien 2019,
160 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.05.2019Lasst euch nicht dingfest machen!
Tomer Gardis subversiver Roman "Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück"
Als Tomer Gardi 2016 beim Bachmann-Wettbewerb auftrat, war die Irritation groß und die Debatte schnell entbrannt, denn nicht in perfektem Deutsch war sein Beitrag verfasst, sondern er enthielt all jene grammatischen Fehler und syntaktischen Eigenheiten, die das Deutsch des 1974 in Israel geborenen Schriftstellers, der mittlerweile in Berlin lebt, ausmacht. Der Text war Ausschnitt aus einem Roman, der bald darauf erschien und dessen Titel Programm war: "Broken German". Darf ein solch sprachlich nicht makelloser Text als deutschsprachige Literatur ernst genommen und diskutiert werden? Nichts weniger als die subversive Kraft der Sprache bewies Gardi, indem er die vermeintlich ach so tolerante Leserschaft im Handumdrehen an die Grenzen ihrer Großmütigkeit führte. Von weiten Teilen der Kritik wurde Gardi exakt dafür gefeiert.
Auch sein jüngstes Buch, in diesem Fall auf Hebräisch geschrieben und von Anne Birkenhauer mit großem Gespür für dessen rhythmische Eigenwilligkeit übersetzt, ist ein anarchischer, zügellos komischer Roman über die Sprache selbst und über ihr Vermögen, Ordnungsprinzipien zu unterlaufen, sei es nun Linearität oder Kausalität. Und mehr noch: In einem universelleren Sinne wird das Erzählen bei Gardi zur wahrhaft lebensrettenden Maßnahme, indem es phantastische Schlupflöcher in das Zwangssystem Gesellschaft reißt.
Die Ausgangssituation ist beinahe allzu einfach und symptomatisch: Nachdem er alle Sicherheitskontrollen und Routinen durchlaufen hat, sitzt ein Mann dem zuständigen Beamten des Arbeitsamtes gegenüber. Der allerdings verweigert ihm umgehend die Daseinsberechtigung. "Er sagt, so einen Beruf gibt es nicht, Schriftsteller."
Aber anstatt sich in Diskussionen darüber zu verstricken, ob dieser Beruf nun existiert, verlegt Gardis Protagonist sich auf den praktischen Beweis: Er beginnt dem sichtlich konsternierten Beamten zu erzählen von Triumph und Qual in Stierkampfarenen, von einem rosafarbenen Fisch, der im Foyer des Arbeitsamtes seine vom gepanzerten Glas begrenzten Runden schwimmt. Sprunghaft und assoziativ ist dieses Erzählen, traumgleich mitunter, indem sich Bilder und Szenen mit leichten Modifikationen wiederholen, die allesamt um Gefangenschaft, Ausgeliefertsein und die fragile Hoffnung auf Flucht kreisen.
Gardi vollzieht eine permanente Verwandlung, nicht nur der Schauplätze, sondern auch der Erzählerfigur selbst, die plötzlich eine Frau, eine Schriftstellerin, ist. Und, Moment mal, lautet nicht schon der erste Satz des Romans: "Die Geschichte beginnt so"? Das Erzählen, so wird suggeriert, geht über die Einhegung durch die Buchdeckel hinaus, ohne dass man denjenigen oder diejenige, der oder die dort spricht, dingfest machen könnte.
Man würde dem Buch einen Bärendienst erweisen, wollte man sein Springen und Hakenschlagen sortieren und in eine Ordnung fügen. Denn genau darum geht es Gardi: zu zeigen, wie poetische Freiheit konkrete Freiheit stiften kann. Dass ein uraltes Märchen dafür Pate gestanden hat, ist nicht nur offenkundig, sondern wird als Kampfansage dem Beamten und damit auch den Lesern präsentiert - angriffslustig und provokant: "Tausendundeine Nacht!, sagte ich zu ihm. Sie sind der König und ich bin Ihre Scheherezade, eine Scheherezade des neoliberalen Zeitalters, ultra-konsumistisch, techno-eskapistisch, psycho-anti-terroristisch, und Sie, Sie sind der King, soll ich Ihnen einen blasen?"
Wie schon in "Broken German" schürt Gardi immerzu das Verlangen, das Ausbrechen aus festgefahrenen, menschenverachtenden Formen von der Literatur auf das Leben zu übertragen. Man sollte seinen Roman nicht nur als ein Verwirrspiel lesen, das träges Denken in Bewegung versetzt, sondern als sehr konkrete Mahnung, sich nicht zur Verfügungsmasse eines Systems degradieren zu lassen. So heißt es etwa über die biometrischen Lesegeräte am Eingang des Arbeitsamtes, in dem bald darauf zumindest ein erzählerischer Aufstand geprobt werden wird: "Wenn jemand einmal alle Arbeitslosen unseres Landes in einen großen Zwinger einsammeln will, und der Tag ist nicht fern, denn Arbeitslose sind kein stabiles Kollektiv, sie sind gefährlich, dann ist alles dafür bereit. Die Daten, das Programm, die Polizei, die Zwinger. Es braucht nur noch den Befehl."
Dass Gardi den Beweis der existentiellen Bedeutung von Literatur und die Kritik der heutigen Lebensbedingungen mit unerschrockener Leichtigkeit und mitreißender Widerständigkeit zu erbringen vermag, macht die fabelhafte Kraft dieses Romans aus.
WIEBKE POROMBKA
Tomer Gardi: "Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück". Roman.
Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer. Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2019. 160 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Tomer Gardis subversiver Roman "Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück"
Als Tomer Gardi 2016 beim Bachmann-Wettbewerb auftrat, war die Irritation groß und die Debatte schnell entbrannt, denn nicht in perfektem Deutsch war sein Beitrag verfasst, sondern er enthielt all jene grammatischen Fehler und syntaktischen Eigenheiten, die das Deutsch des 1974 in Israel geborenen Schriftstellers, der mittlerweile in Berlin lebt, ausmacht. Der Text war Ausschnitt aus einem Roman, der bald darauf erschien und dessen Titel Programm war: "Broken German". Darf ein solch sprachlich nicht makelloser Text als deutschsprachige Literatur ernst genommen und diskutiert werden? Nichts weniger als die subversive Kraft der Sprache bewies Gardi, indem er die vermeintlich ach so tolerante Leserschaft im Handumdrehen an die Grenzen ihrer Großmütigkeit führte. Von weiten Teilen der Kritik wurde Gardi exakt dafür gefeiert.
Auch sein jüngstes Buch, in diesem Fall auf Hebräisch geschrieben und von Anne Birkenhauer mit großem Gespür für dessen rhythmische Eigenwilligkeit übersetzt, ist ein anarchischer, zügellos komischer Roman über die Sprache selbst und über ihr Vermögen, Ordnungsprinzipien zu unterlaufen, sei es nun Linearität oder Kausalität. Und mehr noch: In einem universelleren Sinne wird das Erzählen bei Gardi zur wahrhaft lebensrettenden Maßnahme, indem es phantastische Schlupflöcher in das Zwangssystem Gesellschaft reißt.
Die Ausgangssituation ist beinahe allzu einfach und symptomatisch: Nachdem er alle Sicherheitskontrollen und Routinen durchlaufen hat, sitzt ein Mann dem zuständigen Beamten des Arbeitsamtes gegenüber. Der allerdings verweigert ihm umgehend die Daseinsberechtigung. "Er sagt, so einen Beruf gibt es nicht, Schriftsteller."
Aber anstatt sich in Diskussionen darüber zu verstricken, ob dieser Beruf nun existiert, verlegt Gardis Protagonist sich auf den praktischen Beweis: Er beginnt dem sichtlich konsternierten Beamten zu erzählen von Triumph und Qual in Stierkampfarenen, von einem rosafarbenen Fisch, der im Foyer des Arbeitsamtes seine vom gepanzerten Glas begrenzten Runden schwimmt. Sprunghaft und assoziativ ist dieses Erzählen, traumgleich mitunter, indem sich Bilder und Szenen mit leichten Modifikationen wiederholen, die allesamt um Gefangenschaft, Ausgeliefertsein und die fragile Hoffnung auf Flucht kreisen.
Gardi vollzieht eine permanente Verwandlung, nicht nur der Schauplätze, sondern auch der Erzählerfigur selbst, die plötzlich eine Frau, eine Schriftstellerin, ist. Und, Moment mal, lautet nicht schon der erste Satz des Romans: "Die Geschichte beginnt so"? Das Erzählen, so wird suggeriert, geht über die Einhegung durch die Buchdeckel hinaus, ohne dass man denjenigen oder diejenige, der oder die dort spricht, dingfest machen könnte.
Man würde dem Buch einen Bärendienst erweisen, wollte man sein Springen und Hakenschlagen sortieren und in eine Ordnung fügen. Denn genau darum geht es Gardi: zu zeigen, wie poetische Freiheit konkrete Freiheit stiften kann. Dass ein uraltes Märchen dafür Pate gestanden hat, ist nicht nur offenkundig, sondern wird als Kampfansage dem Beamten und damit auch den Lesern präsentiert - angriffslustig und provokant: "Tausendundeine Nacht!, sagte ich zu ihm. Sie sind der König und ich bin Ihre Scheherezade, eine Scheherezade des neoliberalen Zeitalters, ultra-konsumistisch, techno-eskapistisch, psycho-anti-terroristisch, und Sie, Sie sind der King, soll ich Ihnen einen blasen?"
Wie schon in "Broken German" schürt Gardi immerzu das Verlangen, das Ausbrechen aus festgefahrenen, menschenverachtenden Formen von der Literatur auf das Leben zu übertragen. Man sollte seinen Roman nicht nur als ein Verwirrspiel lesen, das träges Denken in Bewegung versetzt, sondern als sehr konkrete Mahnung, sich nicht zur Verfügungsmasse eines Systems degradieren zu lassen. So heißt es etwa über die biometrischen Lesegeräte am Eingang des Arbeitsamtes, in dem bald darauf zumindest ein erzählerischer Aufstand geprobt werden wird: "Wenn jemand einmal alle Arbeitslosen unseres Landes in einen großen Zwinger einsammeln will, und der Tag ist nicht fern, denn Arbeitslose sind kein stabiles Kollektiv, sie sind gefährlich, dann ist alles dafür bereit. Die Daten, das Programm, die Polizei, die Zwinger. Es braucht nur noch den Befehl."
Dass Gardi den Beweis der existentiellen Bedeutung von Literatur und die Kritik der heutigen Lebensbedingungen mit unerschrockener Leichtigkeit und mitreißender Widerständigkeit zu erbringen vermag, macht die fabelhafte Kraft dieses Romans aus.
WIEBKE POROMBKA
Tomer Gardi: "Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück". Roman.
Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer. Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2019. 160 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Platz 1 auf der Weltempfänger Liste Frühjahr 2019: »Ein wilder, witziger, völlig undisziplinierter literarischer Reigen, der mit der israelischen Gesellschaft ins Gericht geht. Und nicht nur mit dieser.« (Insa Wilke, Jurymitglied) »Ein anarchischer, zügellos komischer Roman.« (Wiebke Porombka, FAZ) »Raffiniert, amüsant und erfrischend.« (Harald Klauhs, Die Presse) »So komisch wie tiefsinnig, poetisch ausgefeilt und doch griffig. Das ist ein famoser Roman, dem ich Aufmerksamkeit und Leser wünsche, auch weil er auf sehr sympathische Weise der feuilletonistischen Gefälligkeitsliteratur das Risiko und das Abenteuer entgegensetzt - echte Literatur! Auch die Gestaltung gefällt mir sehr gut.« (Gerrit Völker, Maternus Buchhandlung, Köln) »Das Buch ist ganz schmal und ganz reich. Saukomisch, sauernst und ein saukluges Spiel mit allem was Menschlich ist. Irre.« (Pieke Biermann, Literaturagenten Radio Eins) »Gardis klangvoll von Anne Birkenhauer übersetzter, rhythmischer Stil und sein subversiver Humor helfen, diese Welt auszuhalten, zumindest für einen Moment.« (Paul Stoop, Deutschlandfunk Büchermarkt) »Ein Füllhorn an Geschichten, mit jeder Menge Witz und Pfiff.« (Ulrich Noller, WDR1, Buch der Woche) »Die reale Welt ist ein Absurdistan. Tomer Gardi macht das wunderbar sichtbar. Er spielt mit der Sprache wie mit dem Leben, mäandert zwischen den Erzählebenen, geht auf Entdeckungsreise in eine phantastische Welt, die direkt vor unserer Haustür liegt.« (Johannes Schröer, Domradio)