Er lernt sie zufällig in der U-Bahn kennen: Megan ist Architektin, lebt in New York und interessiert sich für moderne Kunst. Als typische Amerikanerin ist sie blond, jung und oberflächlich. Oder denkt das nur der polnische Dichter, mit dem sie nach dieser ersten Begegnung ein paar leidenschaftliche Nächte verbringt? Er kommt nur schwer damit zurecht, dass sie, eigentlich aus Kanada, sich nach seiner Abreise nicht mehr meldet und trotz Handy nie erreichbar zu sein scheint. Ein Buch, das sie ihm zum Abschied geschenkt hat, ist alles, was ihm noch von ihr bleibt. Darin steht eine Geschichte, die sich wie ein Spiegel der eigenen, schwer greifbaren Begegnung inmitten der New Yorker Großstadtkulisse liest. Megans Buch heißt 'Es ist, wie's ist' − aber wie ist es eigentlich, das Leben? Tadeusz Dąbrowskis Romandebüt umkreist auf raffinierte Weise das Rätsel einer Liebe, die umso verrückter macht, je mehr sie sich entzieht. 'Eine Liebe in New York' erzählt poetisch und intensiv vom Schmerz einer sich verflüchtigenden Wirklichkeit.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Andreas Breitenstein ist auf alles gefasst bei Tadeusz Dabrowski. Wenn der Lyriker die Geschichte einer Amour fou in New York erzählt, weiß Breitenstein endlich, wie das geht, über Liebe heute zu schreiben, über Lockung, Weigerung und Ich-Verlust. Es geht metaphernreich, dicht, kompositorisch raffiniert, mit Bezügen zur Hochromantik, mit Klischees und ihrer Parodie, mit der "Lizenz zum Lügen" eben, die nur die Literatur hat, erklärt der Rezensent. Dass bei Dabrowski dabei auch noch Kritik am American Way of Life herausspringt, jede Menge Komik, aber keine Eitelkeit, findet Breitenstein famos.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.05.2019Über die Geliebte schreiben, um sie auszuradieren
Der polnische Dichter Tadeusz Dabrowski gewinnt im Debütroman "Eine Liebe in New York" einem bekannten Thema neue Facetten ab
Als er jung war, galt er als eine der großen Hoffnungen der polnischen Lyrik. Heute, mit knapp vierzig Jahren, hat Tadeusz Dabrowski die Erwartungen erfüllt und sich auch international einen Namen gemacht. Das verdankt er vor allem den Bänden "Schwarzes Quadrat auf schwarzem Grund" und "Die Bäume spielen Wald", für deren gedankliche Tiefe und sprachliche Leichtigkeit er auch in Deutschland viel Lob bekam. Nun versucht er, mit seinem schmalen Erstlingsroman "Eine Liebe in New York" an den Erfolg anzuknüpfen.
Die Handlung, die sichtlich einen autobiographischen Hintergrund hat, ist schnell erzählt. Tad, ein junger Dichter aus Danzig, erlebt während seines Stipendienaufenthaltes in New York eine kurze Liebesbeziehung mit einer schönen Kanadierin namens Megan. Er lernt sie in der U-Bahn kennen und lädt sie spontan zu seiner Lesung ein. Die junge Frau ist Architektin, soweit man als solche jemanden bezeichnen kann, dessen Entwürfe keine praktische Anwendung haben. Denn Megan erschafft keine Bauten, sondern "gewisse Raumkonzepte", die nur dazu da sind, "um unser Leben interessanter zu machen". Und auch das Wort "Liebesbeziehung" passt auf das, was zwischen den beiden passiert, nur bedingt. Ihre Affäre besteht aus zwei Abendessen, ein paar verbalen Duellen und einigen leidenschaftlichen Nächten. Dennoch wird sie für Tad zu einer Art Obsession, so dass er gar nicht anders kann, als sie literarisch festzuhalten: Er schreibt über sie, "um Megan auszuradieren" und in dem seltsamen "Spiel", das sie gespielt haben, "das letzte Wort zu haben".
Das Spiel: ein Wort, das auf viele Relationen in diesem Buch zutrifft. Zum einen handelt es von der in unserer Gesellschaft zunehmenden Tendenz, eine Beziehung auf eine Weise zu gestalten, die Dabrowski eine "nihilistische Ästhetisierung des Lebens" nennt. Damit meint er eben ein ständiges Spiel "zwischen Moral und Amoral, Treue und Untreue", durch das alles, was in einer Beziehung zählen sollte, Offenheit, Vertrauen, Bedürfnis nach Wärme und Nähe, immer öfter ersetzt wird.
Die irritierend flüchtige Beziehung mit Megan und die Begegnung mit der ebenso schwer greifbaren Realität New Yorks, einer Stadt, in der Schönheit, Vergnügen, Schnelllebigkeit, Unvollkommenheit und Zerfall Hand in Hand gehen, bedeuten für Tad aber auch die Möglichkeit, mit seiner eigenen Psyche zu spielen, seine eigenen Grenzen auszuloten. So probiert er in beiden Fällen verschiedene Rollen, Posen und Masken aus. Er will in keiner Weise dem Klischee eines Polen in New York entsprechen, der so viele Male in der polnischen Literatur karikiert wurde (etwa in Janusz Glowackis "Antigone in New York"). Im Gegenteil: Er tut alles, um als ein weltgewandter, erfolgreicher Schriftsteller zu gelten, für den Lesungen in Manhattan, Treffen mit der lokalen Boheme und Essen in teuren Restaurants selbstverständlich sind. Dann aber folgt der letzte gemeinsame Abend mit Megan, den er genau als "die Kehrseite des ersten" gestaltet. Er nimmt sie in ein polnisches Lokal in Greenpoint mit, wo es weder mental noch kulinarisch sonderlich anspruchsvoll zugeht: "Statt Lyrik Leber, statt konzeptueller Architektur Blutwurst und Kutteln."
Ein Ausrutscher? Nein, die Einladung wirkt, als wollte Tad damit einerseits die Kanadierin provozieren, ihre Coolness auf eine Probe stellen, und andererseits sich selbst testen - feststellen, inwieweit er, nachdem er eine Weile eine Neuerfindung seiner selbst geübt hat, in die alte, vertraute Schablone passt. "Kann man sich", überlegt er, "in ein neues Leben einfädeln, wie man sich in den Straßenverkehr einfädelt, um zu schauen, wo es einen hinführt?"
All das erzählt Dabrowski, indem er zwischen zwei Zeitebenen wechselt: Mal ist er in New York und erlebt unmittelbar die Zeit mit Megan, mal zurück in Polen, wo er diese zur Obsession gewordene Beziehung literarisch aufarbeitet. Er tut es in einem poetischen und zugleich sehr suggestiven, metaphernreichen Stil, manchmal macht er dabei allerdings den Fehler, den die meisten Dichter begehen, die sich in Prosa versuchen. Sie können nicht aufhören, Dichter zu sein, sie scheinen zu vergessen, dass beide Genres ganz unterschiedliche Regeln befolgen. Während die Stärke der Poesie in der gedanklichen und stilistischen Kondensation liegt, resultiert ein gelungener Prosatext aus der Kunst des Erzählens. Versucht man beides miteinander zu verknüpfen, führt es dazu, dass der Leser, statt der Handlung zu folgen, angestrengt versucht, die Bedeutung der Metaphern und Vergleiche zu erraten.
Genau dieses Problem könnte der Leser mit diesem Buch haben. Viele Stellen lesen sich so, als wäre es ein Gedicht in Prosa, was durchaus seinen Reiz hat. Doch oft wirken die Bemühungen des Autors, dem Erlebten oder Wahrgenommenen sprachlich möglichst nahe zu kommen, es in einer besonders originellen Form zum Ausdruck zu bringen, zu konstruiert, zu aufdringlich. Etwa dann, wenn er Tad überlegen lässt, wie er Megan "auf links drehen sollte", um "das Schildchen lesen zu können und zu erfahren, ob sie von Hand oder chemisch behandelt werden musste". Und manchmal gehen diese Bemühungen gar auf Kosten der Verständlichkeit: "Flugzeugreisen sind äußerst unmoralisch, sie verlangen eine schnelle Dusche, wo eine mentale Spa-Kur notwendig wäre."
Doch es gibt hier auch viele Passagen, in denen Dabrowski genauso gekonnt wie in seiner Dichtung das Abstrakte mit dem Alltäglichen verbindet und eine Beobachtung oder das Einfangen einer Stimmung mit Witz und Ironie bricht. Vor allem aber: Stammen all diese Bilder und Metaphern wirklich von ihm, dem Autor, oder von seinem dichtenden Ich-Erzähler?
Das ist die Frage - und damit der dritte Teil des besagten Spiels. Denn in diesem Roman findet etwas statt, was Dabrowski einmal in Bezug auf seine Lyrik als "einen Dialog mit der Materie der Sprache" bezeichnete. Ein Text in seiner endgültigen Form stimme ja nie genau damit überein, was er beim Schreiben beabsichtigt habe, erklärte er. Und diese Entfernung zwischen seiner Absicht und dem literarischen Effekt sei ebender Maßstab seiner Selbsterkenntnis. Noch komplizierter verhält es sich mit dem Protagonisten seines Romans. Tad schreibt die Geschichte seiner "Liebe in New York", zugleich wird er selbst geschrieben, wessen er sich auch bewusst ist. "Wenn ich vor meinen Texten davonlaufe, bewirke ich damit, dass sie sich in wahrhaftige Fiktion verwandeln, in glaubwürdige Erfindung", spekuliert er. "Der Text als Häutung", so nennt er dieses Verfahren. Und gibt damit einen Hinweis darauf, warum dieses kleine Buch derart vielschichtiger und raffinierter ist, als es auf den ersten Blick scheint.
MARTA KIJOWSKA
Tadeusz Dabrowski: "Eine Liebe in New York".
Roman.
Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2019. 144 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der polnische Dichter Tadeusz Dabrowski gewinnt im Debütroman "Eine Liebe in New York" einem bekannten Thema neue Facetten ab
Als er jung war, galt er als eine der großen Hoffnungen der polnischen Lyrik. Heute, mit knapp vierzig Jahren, hat Tadeusz Dabrowski die Erwartungen erfüllt und sich auch international einen Namen gemacht. Das verdankt er vor allem den Bänden "Schwarzes Quadrat auf schwarzem Grund" und "Die Bäume spielen Wald", für deren gedankliche Tiefe und sprachliche Leichtigkeit er auch in Deutschland viel Lob bekam. Nun versucht er, mit seinem schmalen Erstlingsroman "Eine Liebe in New York" an den Erfolg anzuknüpfen.
Die Handlung, die sichtlich einen autobiographischen Hintergrund hat, ist schnell erzählt. Tad, ein junger Dichter aus Danzig, erlebt während seines Stipendienaufenthaltes in New York eine kurze Liebesbeziehung mit einer schönen Kanadierin namens Megan. Er lernt sie in der U-Bahn kennen und lädt sie spontan zu seiner Lesung ein. Die junge Frau ist Architektin, soweit man als solche jemanden bezeichnen kann, dessen Entwürfe keine praktische Anwendung haben. Denn Megan erschafft keine Bauten, sondern "gewisse Raumkonzepte", die nur dazu da sind, "um unser Leben interessanter zu machen". Und auch das Wort "Liebesbeziehung" passt auf das, was zwischen den beiden passiert, nur bedingt. Ihre Affäre besteht aus zwei Abendessen, ein paar verbalen Duellen und einigen leidenschaftlichen Nächten. Dennoch wird sie für Tad zu einer Art Obsession, so dass er gar nicht anders kann, als sie literarisch festzuhalten: Er schreibt über sie, "um Megan auszuradieren" und in dem seltsamen "Spiel", das sie gespielt haben, "das letzte Wort zu haben".
Das Spiel: ein Wort, das auf viele Relationen in diesem Buch zutrifft. Zum einen handelt es von der in unserer Gesellschaft zunehmenden Tendenz, eine Beziehung auf eine Weise zu gestalten, die Dabrowski eine "nihilistische Ästhetisierung des Lebens" nennt. Damit meint er eben ein ständiges Spiel "zwischen Moral und Amoral, Treue und Untreue", durch das alles, was in einer Beziehung zählen sollte, Offenheit, Vertrauen, Bedürfnis nach Wärme und Nähe, immer öfter ersetzt wird.
Die irritierend flüchtige Beziehung mit Megan und die Begegnung mit der ebenso schwer greifbaren Realität New Yorks, einer Stadt, in der Schönheit, Vergnügen, Schnelllebigkeit, Unvollkommenheit und Zerfall Hand in Hand gehen, bedeuten für Tad aber auch die Möglichkeit, mit seiner eigenen Psyche zu spielen, seine eigenen Grenzen auszuloten. So probiert er in beiden Fällen verschiedene Rollen, Posen und Masken aus. Er will in keiner Weise dem Klischee eines Polen in New York entsprechen, der so viele Male in der polnischen Literatur karikiert wurde (etwa in Janusz Glowackis "Antigone in New York"). Im Gegenteil: Er tut alles, um als ein weltgewandter, erfolgreicher Schriftsteller zu gelten, für den Lesungen in Manhattan, Treffen mit der lokalen Boheme und Essen in teuren Restaurants selbstverständlich sind. Dann aber folgt der letzte gemeinsame Abend mit Megan, den er genau als "die Kehrseite des ersten" gestaltet. Er nimmt sie in ein polnisches Lokal in Greenpoint mit, wo es weder mental noch kulinarisch sonderlich anspruchsvoll zugeht: "Statt Lyrik Leber, statt konzeptueller Architektur Blutwurst und Kutteln."
Ein Ausrutscher? Nein, die Einladung wirkt, als wollte Tad damit einerseits die Kanadierin provozieren, ihre Coolness auf eine Probe stellen, und andererseits sich selbst testen - feststellen, inwieweit er, nachdem er eine Weile eine Neuerfindung seiner selbst geübt hat, in die alte, vertraute Schablone passt. "Kann man sich", überlegt er, "in ein neues Leben einfädeln, wie man sich in den Straßenverkehr einfädelt, um zu schauen, wo es einen hinführt?"
All das erzählt Dabrowski, indem er zwischen zwei Zeitebenen wechselt: Mal ist er in New York und erlebt unmittelbar die Zeit mit Megan, mal zurück in Polen, wo er diese zur Obsession gewordene Beziehung literarisch aufarbeitet. Er tut es in einem poetischen und zugleich sehr suggestiven, metaphernreichen Stil, manchmal macht er dabei allerdings den Fehler, den die meisten Dichter begehen, die sich in Prosa versuchen. Sie können nicht aufhören, Dichter zu sein, sie scheinen zu vergessen, dass beide Genres ganz unterschiedliche Regeln befolgen. Während die Stärke der Poesie in der gedanklichen und stilistischen Kondensation liegt, resultiert ein gelungener Prosatext aus der Kunst des Erzählens. Versucht man beides miteinander zu verknüpfen, führt es dazu, dass der Leser, statt der Handlung zu folgen, angestrengt versucht, die Bedeutung der Metaphern und Vergleiche zu erraten.
Genau dieses Problem könnte der Leser mit diesem Buch haben. Viele Stellen lesen sich so, als wäre es ein Gedicht in Prosa, was durchaus seinen Reiz hat. Doch oft wirken die Bemühungen des Autors, dem Erlebten oder Wahrgenommenen sprachlich möglichst nahe zu kommen, es in einer besonders originellen Form zum Ausdruck zu bringen, zu konstruiert, zu aufdringlich. Etwa dann, wenn er Tad überlegen lässt, wie er Megan "auf links drehen sollte", um "das Schildchen lesen zu können und zu erfahren, ob sie von Hand oder chemisch behandelt werden musste". Und manchmal gehen diese Bemühungen gar auf Kosten der Verständlichkeit: "Flugzeugreisen sind äußerst unmoralisch, sie verlangen eine schnelle Dusche, wo eine mentale Spa-Kur notwendig wäre."
Doch es gibt hier auch viele Passagen, in denen Dabrowski genauso gekonnt wie in seiner Dichtung das Abstrakte mit dem Alltäglichen verbindet und eine Beobachtung oder das Einfangen einer Stimmung mit Witz und Ironie bricht. Vor allem aber: Stammen all diese Bilder und Metaphern wirklich von ihm, dem Autor, oder von seinem dichtenden Ich-Erzähler?
Das ist die Frage - und damit der dritte Teil des besagten Spiels. Denn in diesem Roman findet etwas statt, was Dabrowski einmal in Bezug auf seine Lyrik als "einen Dialog mit der Materie der Sprache" bezeichnete. Ein Text in seiner endgültigen Form stimme ja nie genau damit überein, was er beim Schreiben beabsichtigt habe, erklärte er. Und diese Entfernung zwischen seiner Absicht und dem literarischen Effekt sei ebender Maßstab seiner Selbsterkenntnis. Noch komplizierter verhält es sich mit dem Protagonisten seines Romans. Tad schreibt die Geschichte seiner "Liebe in New York", zugleich wird er selbst geschrieben, wessen er sich auch bewusst ist. "Wenn ich vor meinen Texten davonlaufe, bewirke ich damit, dass sie sich in wahrhaftige Fiktion verwandeln, in glaubwürdige Erfindung", spekuliert er. "Der Text als Häutung", so nennt er dieses Verfahren. Und gibt damit einen Hinweis darauf, warum dieses kleine Buch derart vielschichtiger und raffinierter ist, als es auf den ersten Blick scheint.
MARTA KIJOWSKA
Tadeusz Dabrowski: "Eine Liebe in New York".
Roman.
Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2019. 144 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.07.2019Gefühle wie Gürtelrose
Eine Frau mit Samtöhrchen und ein Dichter auf der Suche: Ganz entgeht
Tadeusz Dąbrowskis Roman „Eine Liebe in New York“ nicht dem Klischee
VON ULRICH RÜDENAUER
Früher oder später verwandelt sich Leben in Literatur (ob man dieses gelebte Leben nun niederschreibt oder nicht), und dann lässt sich nicht mehr recht entscheiden, was wirklich geschehen ist und was erfunden wurde. Sprache und Begehren werden schließlich eins, Erinnerung, Erfahrung und Sehnsucht verschwimmen. So ergeht es dem Helden in Tadeusz Dąbrowskis erstem Roman „Eine Liebe in New York“. Der 1979 geborene polnische Lyriker – zwei seiner zahlreichen Gedichtbände sind auf Deutsch erschienen – schickt einen etwa gleichaltrigen polnischen Lyriker auf Lesereise nach New York, wo er Megan kennenlernt, die ungefähr das verkörpert, was The Velvet Underground und Nico einstmals besungen haben: eine Femme Fatale, allerdings in ihrer zeitgenössischsten Variante.
Anfang 20 ist dieses urbane Traumwesen, ausgestattet mit intensiven blauen Augen, die man in einem Film oder auf Fotos „für den reinsten Kitsch“ halten könnte; ihre Haut ist „blass wie eine sandige Landschaft“, sie ist umweht von einer „sanften Kälte“, gesegnet mit einer das Vakuum überziehenden schönen Oberfläche, wie sie nur die hipsten Künstler designen könnten, und was sie äußert, kommt „aus der Tiefe der Gegenwart, in der sie bis über ihre beiden Samtöhrchen steckte“. Natürlich ist diese Megan für den aus den abgründigen Kratern mitteleuropäischer Nachdenklichkeit und Melancholie ins New York des 21. Jahrhunderts lugenden Lyriker derart verführerisch, dass er für ein Weilchen seine Ehefrau in der Heimat Ehefrau in der fernsten Ferne sein lässt und sich Hals über Kopf in eine Affäre stürzt. So treffen hier zwei Abziehbilder aufeinander, ein obsessiver, gründelnder Dichter auf eine hübsche Projektionsfläche, eine „unförmige Eitelkeit“ auf „vollkommene Leere“.
Die Geschichte, wenig originell, ist schnell erzählt: Dąbrowskis Alter Ego verliebt sich in ein Verlangen, das er in sich trägt und also den Namen Megan erhält; sie verbringen eine leidenschaftliche Nacht miteinander, aber als er nach seiner Lesetour durch die Staaten nach New York zurückkehrt, entzieht sie sich ihm, ist spurlos verschwunden, er sucht verzweifelt, und da beginnt der Umschlag in die Literatur.
Die Geschichte dieser New Yorker Liebe – auch eine kleine Hommage an die Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten – spielt noch auf einer anderen Ebene. Die Amour fou ist nämlich längst Vergangenheit, Schall und Rauch, und wir sehen dem Autor dabei zu, wie er sie in seiner Erinnerung verformt, verrückt, verklärt – wie er aus dem Erlebten eine Erzählung macht. „Ich habe diese Geschichte zu schreiben begonnen, um Megan auszuradieren. Um das letzte Wort zu haben. Aber das Ausradieren gelingt nur halb, weil der Radiergummi schmutzig ist und Spuren hinterlässt. Ich sitze in meiner Danziger Wohnung, aber ich muss aus dem Klub 21 herauskommen. Gerne würde ich Megan fragen, auf welche Art und Weise sie ihre Projekte korrigiert und ob sie Radiergummis benutzt, aber ihr Telefon schweigt seit vielen Monaten, und die Mails prallen an der Klappe eines nicht mehr existierenden Briefkastens ab. Eine Zeitlang ist es mir gelungen, sie zu vergessen, aber früher oder später, vor allem zu Anfang des Herbstes, kommt sie zuverlässig wieder wie eine Gürtelrose.“ Diese Verschiebung macht den Roman erst lesenswert, sonst erfüllte er vollkommen das Klischee einer schwülstigen Erzählung, wie wir sie aus unzähligen Romantic Comedys kennen, Traum eines von Alltag und Familie gezähmten Mannes, der vom Schreibtisch flieht, um ein letztes Abenteuer zu erleben, vor der endgültigen Kapitulation.
Der Lyriker, der sich an seine wilden New Yorker Wochen erinnert, kann aber auch als reflektierender Romancier nicht ganz aus seiner poetischen Haut. Es ist ein ziemlicher Metaphern-Overkill, der einem da zugemutet wird; und es lässt sich nicht behaupten, dass alle Bilder richtig aufgehen. „Nach zwei durchwachten Nächten war ich deutlich verlangsamt, ich hatte den Eindruck, dass jede meiner Bewegungen aussah wie im Zeitraffer und meine verzweigten, verrauschten Gedanken im Synthesizer der Sprache eintrafen wie in einem Sägewerk, das sie zu Klötzen und Spänen verarbeitete. Oder dass mein Polnisch und mein Englisch wie zwei leere Flaschen waren, die gegeneinanderschlagen im Einkaufsnetz eines betrunkenen Radfahrers, der über eine Serpentine aus Kopfsteinpflaster zum Spirituosengeschäft jagt, wo seine Lieblingsverkäuferin arbeitet.“ Solcherart rumpeln die leeren Flaschen beim Brettern über die holprigen Straßen dieser Love Story mehrfach aneinander, und manchmal dröhnt einem davon der Kopf.
Aber zum Glück gibt es zum Ausgleich auch lichte Momente, Lakonie, Verstörung, Nüchternheit. Und die pathosfreie Spiegelung im Literarischen: „du schreibst und löschst wieder, was soll’s, dass es ein Hologramm war, jetzt ist es eine von Millionen möglicher Geschichten.“
Tadeusz Dąbrowski: Eine Liebe in New York. Roman. Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall. Schöffling, Frankfurt a. M. 2019. 144 S., 18 Euro.
Hier treffen zwei Abziehbilder
aufeinander, der obsessive Dichter
und die hübsche Projektionsfläche
Zum Ausgleich gibt es
lichte Momente, Lakonie,
Verstörung, Nüchternheit
Tadeusz Dąbrowski lebt in Danzig und ist bisher als Lyriker in Erscheinung getreten.
Foto: Isolde Ohlbaum/laif
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Eine Frau mit Samtöhrchen und ein Dichter auf der Suche: Ganz entgeht
Tadeusz Dąbrowskis Roman „Eine Liebe in New York“ nicht dem Klischee
VON ULRICH RÜDENAUER
Früher oder später verwandelt sich Leben in Literatur (ob man dieses gelebte Leben nun niederschreibt oder nicht), und dann lässt sich nicht mehr recht entscheiden, was wirklich geschehen ist und was erfunden wurde. Sprache und Begehren werden schließlich eins, Erinnerung, Erfahrung und Sehnsucht verschwimmen. So ergeht es dem Helden in Tadeusz Dąbrowskis erstem Roman „Eine Liebe in New York“. Der 1979 geborene polnische Lyriker – zwei seiner zahlreichen Gedichtbände sind auf Deutsch erschienen – schickt einen etwa gleichaltrigen polnischen Lyriker auf Lesereise nach New York, wo er Megan kennenlernt, die ungefähr das verkörpert, was The Velvet Underground und Nico einstmals besungen haben: eine Femme Fatale, allerdings in ihrer zeitgenössischsten Variante.
Anfang 20 ist dieses urbane Traumwesen, ausgestattet mit intensiven blauen Augen, die man in einem Film oder auf Fotos „für den reinsten Kitsch“ halten könnte; ihre Haut ist „blass wie eine sandige Landschaft“, sie ist umweht von einer „sanften Kälte“, gesegnet mit einer das Vakuum überziehenden schönen Oberfläche, wie sie nur die hipsten Künstler designen könnten, und was sie äußert, kommt „aus der Tiefe der Gegenwart, in der sie bis über ihre beiden Samtöhrchen steckte“. Natürlich ist diese Megan für den aus den abgründigen Kratern mitteleuropäischer Nachdenklichkeit und Melancholie ins New York des 21. Jahrhunderts lugenden Lyriker derart verführerisch, dass er für ein Weilchen seine Ehefrau in der Heimat Ehefrau in der fernsten Ferne sein lässt und sich Hals über Kopf in eine Affäre stürzt. So treffen hier zwei Abziehbilder aufeinander, ein obsessiver, gründelnder Dichter auf eine hübsche Projektionsfläche, eine „unförmige Eitelkeit“ auf „vollkommene Leere“.
Die Geschichte, wenig originell, ist schnell erzählt: Dąbrowskis Alter Ego verliebt sich in ein Verlangen, das er in sich trägt und also den Namen Megan erhält; sie verbringen eine leidenschaftliche Nacht miteinander, aber als er nach seiner Lesetour durch die Staaten nach New York zurückkehrt, entzieht sie sich ihm, ist spurlos verschwunden, er sucht verzweifelt, und da beginnt der Umschlag in die Literatur.
Die Geschichte dieser New Yorker Liebe – auch eine kleine Hommage an die Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten – spielt noch auf einer anderen Ebene. Die Amour fou ist nämlich längst Vergangenheit, Schall und Rauch, und wir sehen dem Autor dabei zu, wie er sie in seiner Erinnerung verformt, verrückt, verklärt – wie er aus dem Erlebten eine Erzählung macht. „Ich habe diese Geschichte zu schreiben begonnen, um Megan auszuradieren. Um das letzte Wort zu haben. Aber das Ausradieren gelingt nur halb, weil der Radiergummi schmutzig ist und Spuren hinterlässt. Ich sitze in meiner Danziger Wohnung, aber ich muss aus dem Klub 21 herauskommen. Gerne würde ich Megan fragen, auf welche Art und Weise sie ihre Projekte korrigiert und ob sie Radiergummis benutzt, aber ihr Telefon schweigt seit vielen Monaten, und die Mails prallen an der Klappe eines nicht mehr existierenden Briefkastens ab. Eine Zeitlang ist es mir gelungen, sie zu vergessen, aber früher oder später, vor allem zu Anfang des Herbstes, kommt sie zuverlässig wieder wie eine Gürtelrose.“ Diese Verschiebung macht den Roman erst lesenswert, sonst erfüllte er vollkommen das Klischee einer schwülstigen Erzählung, wie wir sie aus unzähligen Romantic Comedys kennen, Traum eines von Alltag und Familie gezähmten Mannes, der vom Schreibtisch flieht, um ein letztes Abenteuer zu erleben, vor der endgültigen Kapitulation.
Der Lyriker, der sich an seine wilden New Yorker Wochen erinnert, kann aber auch als reflektierender Romancier nicht ganz aus seiner poetischen Haut. Es ist ein ziemlicher Metaphern-Overkill, der einem da zugemutet wird; und es lässt sich nicht behaupten, dass alle Bilder richtig aufgehen. „Nach zwei durchwachten Nächten war ich deutlich verlangsamt, ich hatte den Eindruck, dass jede meiner Bewegungen aussah wie im Zeitraffer und meine verzweigten, verrauschten Gedanken im Synthesizer der Sprache eintrafen wie in einem Sägewerk, das sie zu Klötzen und Spänen verarbeitete. Oder dass mein Polnisch und mein Englisch wie zwei leere Flaschen waren, die gegeneinanderschlagen im Einkaufsnetz eines betrunkenen Radfahrers, der über eine Serpentine aus Kopfsteinpflaster zum Spirituosengeschäft jagt, wo seine Lieblingsverkäuferin arbeitet.“ Solcherart rumpeln die leeren Flaschen beim Brettern über die holprigen Straßen dieser Love Story mehrfach aneinander, und manchmal dröhnt einem davon der Kopf.
Aber zum Glück gibt es zum Ausgleich auch lichte Momente, Lakonie, Verstörung, Nüchternheit. Und die pathosfreie Spiegelung im Literarischen: „du schreibst und löschst wieder, was soll’s, dass es ein Hologramm war, jetzt ist es eine von Millionen möglicher Geschichten.“
Tadeusz Dąbrowski: Eine Liebe in New York. Roman. Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall. Schöffling, Frankfurt a. M. 2019. 144 S., 18 Euro.
Hier treffen zwei Abziehbilder
aufeinander, der obsessive Dichter
und die hübsche Projektionsfläche
Zum Ausgleich gibt es
lichte Momente, Lakonie,
Verstörung, Nüchternheit
Tadeusz Dąbrowski lebt in Danzig und ist bisher als Lyriker in Erscheinung getreten.
Foto: Isolde Ohlbaum/laif
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»Dabrowskis Romandebüt variiert auf reizvoll verschachtelte Weise das Sujet einer Amour fou, indem es neben der Liebesgeschichte gleichzeitig immer wieder das Making-of thematisiert.« Dorothea Trottenberg, ekz Informationsdienst »Alles, was man (...) von Dabrowski in die Finger bekommen kann, sollte man unbedingt lesen. (...) Dieser Roman ist ganz ausgezeichnet.« Jan Wilm, hr2-kultur »Das Zwischenmenschliche wird ohne Kitsch, dafür mit viel Wahrhaftigkeit erfasst und in Sätze gekleidet, die es verstehen, im Leser etwas nachklingen zu lassen.« leseschatz »Ebenso wahrhaftig wie cool und ebenso schön wie lustig.« Jasmin Camenzind, Züricher Studierendenzeitung »Eine Liebe in New York ist poetisch und schräg zugleich.« Barmandola, Book Reviews »Ein intensives, beängstigendes Leseabenteuer.« Jörg Magenau, kulturradio »Wenn man heute noch einen Liebesroman verfassen will, sollte er so geschrieben sein. (...) Virtuos spielt der Autor auf der Klaviatur der Hochromantik wie des Existenzialismus.« Andreas Breitenstein, NZZ »Dabrowskis Roman (...) hat genau die Stärke, die auch alle seine Gedichte haben. (...) Es ist manchmal existentiell traurig und dann wieder zum Schreien komisch.« Anne-Kathrin Godec, Luxemburger Tageblatt »Dieses kleine Buch ist derart vielschichtiger und raffinierter, als es auf den ersten Blick scheint.« Marta Kijowska, FAZ »Was für stimmige Bilder, was für treffliche Formulierungen kann dieser Autor finden. (...) Eine Liebe in New York ist das gelungene Romandebüt eines großen zeitgenössischen Dichters.« Marion Hinz, KulturPort.de