Unsere Zeit ist eine Krisenzeit, eine Zeit des Über- und des Untergangs. Und zwar des Untergangs des alten Westens: Im Jahr 1989 ist nicht nur der alte Osten von der Bühne der Weltgeschichte verschwunden, sondern auch der alte Westen – nur hat dies bis heute fast niemand bemerkt. Jedenfalls gilt dies für die Philosophie und für die Sozialwissenschaften. Denn seit den Tagen von Kassandra sind wir Abendländer auf die Positivprognose abonniert, auch wenn dieses Abonnement inzwischen nur noch um den Preis massiver Verdrängungen zu haben ist. Dies ist insofern nicht ohne Ironie, als die Optimisten sehr viel häufiger mit ihren Prognosen falsch lagen als jene, die bis heute als „Untergangspropheten“ bezeichnet werden. Mindestens für das 20. Jahrhundert gilt, daß sie wirklich alle Untergangszeichen als Aufbruchszeichen zu neuen Ufern mißdeutet haben. Hier werden einige Gründe ausfindig gemacht, die zu dieser Diagnose- und Prognoseblindheit der Gegenwartsphilosophie geführt haben.