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Frankreich, 1980er Jahre: Es gab eine Reihe von Bombenanschlägen auf Synagogen und auch die jüdische Gemeinde in Nizza ist besorgt. Einige der Gemeindemitglieder organisieren sich gegen die rechte Bedrohung und gründen einen Wachschutz um das Gotteshaus zu schützen, darunter auch Joann Sfar. Es war auch die Zeit, in der der Front National offen antisemitisch auftrat und noch nicht vorgab, eine Partei wie alle anderen zu sein.Sfar gewährt sehr persönliche Einblicke in seine Jugend und auf seinen familiären Background: "Mein Großvater war ein Kriegsheld der sich weigerte, überhaupt irgendetwas…mehr

Produktbeschreibung
Frankreich, 1980er Jahre: Es gab eine Reihe von Bombenanschlägen auf Synagogen und auch die jüdische Gemeinde in Nizza ist besorgt. Einige der Gemeindemitglieder organisieren sich gegen die rechte Bedrohung und gründen einen Wachschutz um das Gotteshaus zu schützen, darunter auch Joann Sfar. Es war auch die Zeit, in der der Front National offen antisemitisch auftrat und noch nicht vorgab, eine Partei wie alle anderen zu sein.Sfar gewährt sehr persönliche Einblicke in seine Jugend und auf seinen familiären Background: "Mein Großvater war ein Kriegsheld der sich weigerte, überhaupt irgendetwas über den Krieg zu erzählen. Mein Vater auf der anderen Seite war der Anwalt vieler Gangster aus Nizza und hatte einige Neonazis ins Gefängnis gebracht. Er wurde wegen seines politischen Engagements bedroht und versteckte Gauner im Kofferraum seines Alfa Romeo bis zum Gericht. Ich sah ständig, wie er sich prügelte. Das faszinierte und traumatisierte mich gleichermassen."
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

Rezensentin Sigrid Brinkmann ist Joann Sfar dankbar für diese Graphic Novel, die den Geist der französischen Rechten entlarvt, wie sie meint. Sfar erzählt hier laut Brinkmann ohne feste Chronologie von seiner Kindheit in Nizza, von seinem Vater und frühen Erfahrungen mit dem Jüdischssein, von Karate und Antisemiten. Weil Sfar ein "gutgelaunter Pessimist" und ein prägnanter Erzähler ist, ist das Buch so wirkungsvoll, glaubt Brinkmann.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.10.2023

Das ganze Elend jetzt mit Bildern
Der Schriftsteller Michel Houellebecq hat seinen schonungslosen Roman „Karte und Gebiet“
selbst zur Graphic Novel umgeschrieben. Eine schräge Idee
VON FRITZ GÖTTLER
Eine Doppel-Biografie zweier Künstler, ihre Leben und Werke ineinander gespiegelt, und die Comic-Book-Version steigert noch mal die tollkühne Schräglage des zugrundeliegenden Romans „Karte und Gebiet“, der 2010 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet wurde. Jed Martin ist Frankreichs erfolgreichster Foto- und Malkünstler, Michel Houellebecq ist das erfolg- und skandalreiche enfant terrible der französischen Literatur, dessen provokante Äußerungen zu Gesellschaft und Politik, speziell zum Islamismus, heftige Reaktionen auslösten. Jed Martin ist ein literarisches Geschöpf, eine erfundene Figur, aber auch Houellebecq hat eigenartige fiktive Momente – er ist nämlich der Autor von „Karte und Gebiet“ und hat in diesem Selbstporträt schonungslos sein ganzes Elend und das der französischen Gesellschaft beschrieben. Für die Graphic-Novel-Version hat er den Roman selbst bearbeitet und entschlackt, Louis Paillard hat ihn mit Bildern versehen, in denen das Intime mit dem Welthistorischen zusammenfindet.
Das Buch ist ein aberwitziges Vexierspiel, in dem der Stand der modernen Kunst in immer neuen Volten und Wendungen reflektiert wird, bis in die nähere Zukunft hinein. (Es endet, wenn man verstreute Angaben umrechnet, irgendwann nach 2036.) Es beginnt mit „Jeff Koons und Damien Hirst teilen den Kunstmarkt unter sich auf“, ein Gemälde, an dem der junge Jed lange arbeitet. Er lebt und arbeitet in einem typischen französischen Bohème-Atelier, die Heizung ist defekt, aber er findet einen freundlichen Handwerker, der sie repariert.
Auch etwa zehn Jahre nach dem Erscheinen von Houellebecqs Roman sollte man keine der ungeheuerlichen Wendungen spoilern. Immerhin: Jed Martin beginnt mit Fotoarbeiten, schon der Großvater war Fotograf, auf dem Speicher gibt es noch dessen Linhof Master Kamera. Jed macht eine Serie mit Objekten aus dem Eisenwarenhandel, dann begegnet er Olga, die bei Michelin arbeitet und ihn für Arbeiten für ihre Firma anheuert. Jed entdeckt die Faszination der Landkarten, die Schönheit des Regionalen. Er hört dann mit dem Fotografieren auf und fängt mit dem Malen an, alte Technik, satte Ölmalerei, eine Serie einfacher Berufe, ein Schankwirt, ein Pferdemetzger, eine Fernwartungsassistentin, ein Escort Girl ... In einer Ausstellung findet sich schon der Satz an der Wand: „Die Karte ist interessanter als das Gebiet.“
Den Begriff Territorium haben Gilles Deleuze und Felix Guattari in die französische Diskussion über Gesellschaft, Kapitalismus und Psychologie gebracht. Das Territorialisieren und Deterritorialisieren sind die elementaren Bewegungen einer Gesellschaft – den Menschen einen Ort zuweisen, ihn definieren und reglementieren, und wie diese aus diesem System wieder herauskommen können, in eine Freiheit, die durchaus etwas von Selbstzerstörung hat. Für einen Katalog seiner Bilder hätte Jed gern ein Vorwort von Houellebecq, also fliegt er nach Irland, wo dieser seit langem lebt. Der ist eher desinteressiert am Leben überhaupt, ein Misanthrop, er trinkt Wein, findet Picasso schrecklich und kratzt seine Pilzekzeme an den Füßen. Paillard zeigt uns diese kumpelhafte Idylle als eine schmuddelige Hergé-Vision. Houellebecq wird das Vorwort schreiben, Jed wird ihn zur Belohnung malen. Dann verlässt Houellebecq Irland und zieht ins Elternhaus in der französischen Provinz. Die Ausstellung wird ein großer Erfolg, jedes der Bilder macht ungefähr 500 000 Euro, insgesamt 30 Millionen.
Louis Paillard ist Professor für Architektur an der École nationale supérieure d’architecture von Nantes und hat selbst etwa fünfzig Gebäude gebaut. Man kann nicht sagen, er hat den Roman illustriert, er hat an lange Textpartien Blöcke von Bilder angebaut, in denen es eine Fülle diverser Malstile und Techniken gibt, und dadurch dem Roman ein aufregendes neues Feeling gegeben. Houellebecq war begeistert, es sei wie „Blake und Mortimer“, die Comicserie, sagt er, „aber über sehr abstrakte Dinge“. Das Bild, das Jed von von Houellebecq malt, öffnet einen Korridor von Assoziationen – es ist Vermeers „Der Geograf“ nachempfunden.
Ein anderes Bild, an dem der junge Jed arbeitete, ist „Der Architekt Jean-Pierre Martin gibt die Leitung seines Unternehmens ab“, das er für seinen Vater malt. Der ist ein vielbeschäftigter Architekt, berühmt für exklusive Strandresorts, jetzt erkrankt an Darmkrebs. Le Raincy, die einst gutbürgerliche Vorstadt, wo der Vater lebte, ist inzwischen durch die Verschiebungen der Migration ein eher verrufenes Gebiet. In der Konfrontation von Vater und Sohn, von Architektur und Malerei geht es um die grundlegende Frage aller Kunst, welche Anteil hat das Handwerk an ihr. Auch bei Jed ist jene Vergänglichkeit, die Houellebecs Welt durchdringt, von Anfang an zu spüren. „Uns überkommt Verzweiflung, wenn sich die Bilder der Menschen, die Jed im Lauf seines irdischen Lebens begleitet haben, zersetzen ... Sie versinken und scheinen sich noch einen Augenblick lang zu sträuben, ehe sie von den sich überlagernden Pflanzenschichten erstickt werden.“
Der Autor sitzt
misanthropisch in
Irland und kratzt
sich die Füße
Henri Rousseaus Traumdschungelwelt war Vorlage für Willy Wonkas Schokoladenfabrik aus der Geschichte „Charlie and the Chocolate Factory“ von Roald Dahl.
Foto: midjourney/Florian Gmach
Joann Sfar (Text und Zeichnungen):
Die Synagoge. Aus dem Französischen von Annika Wisniewski. Avant Verlag, Berlin 2023.
208 Seiten, 30 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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